Zwei moderne Tanzstäbe der Kuyu, Kongobecken

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mit deutschen Krähenfedern, Juli 2016

Kuyu mit deutschen Krähenfedern, Juli 2016

Ich möchte heute zwei unspektakuläre und dabei unbekannte afrikanische Objekte vorstellen, aus dem Zwischenreich afrikanischer Kunst, das der Kunsthandel noch meidet. Es geht um kreative und zeitgemäße Gestaltungen figürlicher Kunst. Solche werden auf Teilgebieten schon beachtet, etwa bei dem ‚Geistgatten’ der Baule und anderen ‚Colon’-Figuren, beim ‚Mamiwata’-Kult und im Rahmen westafrikanischer städtischer Populärkultur überhaupt. Dem Artikel voraus ging ‘Kuyu Tanzstäbe im Factory Outlet 1927‘   16.4.-6.5.2016

 

Beschreibung

5o cm hoch er, 43 cm sie. Angenehm schwer, sehr körperlich und zugleich weichIMG_2964Kuyu-unten konturiert, zum Beispiel die Augenbrauen, die Augenhöhlen, Nase, Mund und plastische große Ohren. Entsprechende Schattenbildung. Klassische Kopfform der Rübe (vgl aber Feldfoto im Profil bei Benezech p.53). Ebenso hat der Mund eine zentrale Rolle, könnte vorstehende Zähne tragen, aber die sollen wohl die einheitliche Gestaltung nicht aufbrechen.

Die stark nachgedunkelten Ölfarben müssen nicht der erste Anstrich gewesen sein: Sie sind dunkelrot, schwarzbraun in den Augenbrauen, dazu Ahnungen von Grüntönen in seiner Krone und Kragen; sie ist verschmutzter. In beider Augen ist das Augenweiß aus Kaolin total schwarz geworden, schwarze Pupillen treten plastisch hervor

Er: Dreck in den schmalen Rillen, alte Schrammen (und ein paar neue beim Transport) an Ohr und Augenbraue rechts. Sie hat nichts dergleichen. Ihr Kopf ist kürzer, aber nicht weniger expressiv. Einschließlich der traditionellen Doppelhauben-Frisur verheirateter Frauen ist der Kopf ebenso hoch.

     IMG_2960Kuyu-obenEr trägt eine sich nach unten verjüngende Plattform für 24 Federn unterschiedlicher Größe (Bedeutung unklar). Die Schäfte wurden alle an der Stelle des Austritts abgebrochen oder brachen ab. Bei ihr waren die Federn über die Frisur verteilt.

Er: Unten am Griff ist links von der Spitze noch der Rest eines morschen Stabes sichtbar, am dem die Marionette bewegt worden ist. Das kreisrunde Loch führt mindestens 12 cm nach innen. Bei ihr ist dieser Einsatz seitlicher gelagert. Der Einsatz ist noch elastisch, könnte von einer Palme stammen. Hier lässt sich ein dünner Draht sogar 14,5 cm hoch schieben. Die Kerben sind bei beiden kräftig und 1-2 cm tief.

 

Beurteilung und Vergleich

In der Werkstatt kannte man die stilistischen und technischen Erfordernisse gut. Die beiden Marionetten wirken grundsolide, bodenständig. Sie wurden lange benutzt, wurden gepflegt und lagerten abgelegt einige Zeit. Ich schätze ihre Entstehung auf die Fünfziger oder Sechziger Jahre.

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Das elegante Beispiel aus dem Ontario Museum in Toronto, das 1966 gesammelt worden ist, ist mit ihnen nur entfernt zu vergleichen, aber das einzige andere ‘moderne’ Stück.

Das Paar harmoniert stärker mit dem wohl älteren Kopf der Ngyema, der verheirateten Frau Kuyu Blog Illustrationen_0002(Fig.8) im informativen Aufsatz von Anne-Marie Bénézech:   SO-CALLED KUYU CARVINGS,  African Arts Bd.22, 1988, 1.H. p.52-59,99) Bézénech: ‚Die Frisur besteht aus zwei Halbkugeln. Die Augen sind Halbmonde und formen mit der Nase eine halbkreisförmige Konfiguration, die der abgeflachten Ebene des oberen Gesichts folgt. Schmucknarben sind keine zu sehen. Und noch mehr mit dem Exemplar eines schlichten Kopfes (37cm), den Leuzinger 1972 in ‚Die Kunst Schwarzafrikas’ R 8 schwarzweiß abbildete. Dass er aus der Sammlung Charles Ratton stammt, hat mich sehr gefreut. Er steht in meiner Dokumentation ziemlich allein: erstens die plastische Qualität, die klare Verteilung von gewölbten reinen Flächen – jetzt dunkel – und Ornament – weiß. Wangen und hohe Stirn sind frei. Das Zackenmuster der Augenbrauen weist auf die Tattoos an den Ohren und gliedert die Fläche zwischen Pagodenfrisur und und eisenzahnbewehrtem Mund. Kein Schnickschnack! Es stellt sich heraus, dass es der abnehmbare Kopf einer Kuyu Blog Illustrationen_0006Ritualfigur ist, leicht nachzuprüfen an den Abbildungen auf S.56 von Anne Marie Bénezechs Artikel So-called Kuyu Carvings in African Arts vol.22, 1988 1.Heft. Sogar Tätowierungen und Frisur stimmen überein. Und das Stück stammt aus der Verité-Collection, Paris. Wahrscheinlich hat es Ratton geliefert. – In diese Linie würde ich mein Paar stellen, aber vielleicht ist das überzogen. Vielleicht hat man bloß das clowneske Klischee verlassen wollen, denn beide sind eindeutig Tanzaufsätze, keine Teile von Ritualfiguren.

Erwerbsnotiz

‘Es ist nicht unser Kongo’. Denkt W. an meinen Reinfall mit der Ambete? (Link) Ich wohl! Die Kuyu sind schließlich Nachbarn der Kota und Ambete, werden bei den Völkern des Gabun aufgeführt. Und Powell-Cotton – nomen est omen – hat sie an ihrer kommerziellen Seite erwischt, ohne das wahrhaben zu wollen! Aber ich habe keine Bedenken! Gerade wegen der Charakteristika, die den beiden fraglichen Köpfen fehlen: gefeilte Zähne und wilde geometrische Tätowierungen als Schönheitsideal.

To collect curios documentation aus den Kolonien (Powell-Cotton bei Nicklin 55)  wäre nicht nur für die Kunden der Kuriosa unverzichtbar gewesen: Bereits vor der Jahrhundertwende und seit der Kunstrevolution in Europa auch für trendbewusste neue Kunstliebhaber!

Auf der anderen Seite: War das um die Jahrhundertmitte selbst auf dem Dorf noch ‚schön’? Und nicht vielmehr furchtbar hinterwäldlerisch? Man war doch herumgekommen.

 

 

Ich tippe auf Wandel des Zeitgeschmacks ….

Und treffe rein zufällig auf einen anderen Fall von Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und von Geschmackswandel. Ute Röschenthaler schreibt in ‚Africa Screams’ 2005 auf S.137 über das Cross-River-Gebiet an der nigerianischen Grenze zu Kamerun:

Während früher Menschenschädel oder geschnitzte Holzköpfe für die Tänze mit Antilopenhaut bezogen wurden, um einen, darin waren sich meine Ejagham-Informaten einig, realistischeren und schöneren Eindruck zu vermitteln, wurden nun glänzende Indiustriefarben und bunte Accessoires von den Märkten der Stadte bevorzugt. Die meisten Ejagham wunderten sich jedoch, als ich ihnen berichtete, dass sie in vielen Teilen der Welt für ihre hautüberzogenen Masken berühmt seien. Alte Masken dieser Art traten nur noch selten auf und viele Ejagham kannten sie nicht mehr. Inzwischen waren zu den gleichen Anlässen, etwa Beerdigungsfesten und Amtseinsetzungen von chiefs, moderne nigerianische Masken im Annang-Stil gefragt.

Und sie fügt hinzu, was auch für die Kuyu gelten könnte:

In den Performances dieser Bünde wurden verschiedene Figuren, von denen einige noch dem Repertoire der älteren Bundtänze entstammten, zum Teil entkontextualisiert und in neue Zusammenhänge gestellt. Sie repräsentieren eine Kombination aus Elementen, die als modern wahrgenommen wurden, mit Reminiszenzen an die Zeiten von Kopfjagd und Sklavenhandel.

Mit derartigen Möglichkeiten ‚dreht sich die Beweislast um’: Das durch verschiedene Indizien glaubhaft zugeordnete Stück muss nicht die Legitimität seines Anspruchs beweisen, sondern es wird selber zum Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen näher am ‚wahren Leben’!

Schlussfolgerungen

Die beiden erscheinen mir als Teil der figürlichen Tradition der Kuyu: zunächst als ‚Handpuppen’ mit funktionaler Rille, um das Gewand zu befestigen, aber vor allem in unauffälligen Erkennungszeichen, etwa der Frisur der Frau Kuyu Blog Illustrationen_0001(Feldfoto ill.9 Nicklin), Gesichtsform: Stirn, Augenbrauen, Augen, kurze Nase, kleine Ohren hinten und blattförmigem Mund. Was mich für die beiden angebotenen Köpfe gewinnt, ist ihre ernste menschliche Ausstrahlung, die Harmonie zwischen den Partnern, der Verzicht auf Dekoratives in der Tradition. Der Typus ist trotz des großen Abstands zur alten Ordnung erkennbar.

Die Augen liegen verschattet unter den mächtigen Augenbrauen und könnten bei ihrer Größe bei aufgefrischter Grundierung starr blicken. Die Lippen sind aber geschlossen, der Mund der Frau sogar kunstvoll ‚weichgezeichnet’, wie ich es so noch nirgends sah. Porträts? Vielleicht ein romantisches Paar aus dem städtischen Kino oder aus der einer der zerfledderten Illustrierten u.s.w. Das früher einmal göttliche Paar hat sich zum menschlichen Paar gemausert, wie auf dem Foto aus einer Pariser Metrostation. Was ist bei den Kuyu überhaupt aus der Schlange geworden? Zärtliches, erotisches Umspielen? Was macht den Erfolg beim Publikum dieser Tänze im Wettbewerb aus? Ist der populäre Schlangentanz der Kuyu als Evergreen unserem Eiskunstlauf vergleichbar?

Mir kommen bereits Bedenken, dass die Köpfe für einen Tanzwettwerb nicht attraktiv genug waren. Ich darf auch die langen Federn nicht vergessen, welche die Frisuren weit überragten (vgl. Schmalenbach S.226). Davon stecken die abgebrochenen Stummel in den Köpfen.

Und Mary Jo Arnoldi versichert von den berühmten Bambara-Marionetten in Mali, dass es bei den festlichen Auftritten gar nicht auf ‚das Holz’ ankam (Playing with Time, Indianapolis 1995), sondern nur auf die Performance. Nehmen wir das als Präzedenzfall.

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Ein methodischer Exkurs über den kulturgeschichtlichen Quellenwert ritueller Objekte wird zum Plädoyer:

Das rituelle Objekt korrespondiert stets mit einem spezifischen historischen Moment und einem besonderen geografischen und sozialen Kontext.’ (59). (…) Ihre Einzelaspekte erlauben uns, die Bedeutung von Wanderungsbewegungen, Handel, neuen Kontakten und individueller Originalität zu messen. Darüber hinaus zeigt Feldforschung, dass die Kultur der zeitgenössischen Mbochi und Kuyu nicht fossil geworden ist, auch wenn sie bis heute Traditionen folgen. Seit der Ankunft der Europäer hat eine langsame Metamorphose stattgefunden. Ganz allmählich hat sich das traditionelle Objekt auf eine andere Wirklichkeit bezogen. Heute drückt es ideologische und kulturelle Veränderungen im modernen Kongo aus.

Ölfarbe hat Naturpigmente ersetzt, neue Holzarten wurden eingeführt und andere Werkzeuge benutzt. Während traditionelle Symbole nun vergessen sind, sind neue Formen des Kopfschmucks erschienen. So haben Porträts von Missionaren, General de Gaule, Präsident Ngouabi und schöner Frauen das Skulpturen-Repertoire der Kuyu betreten. Ob man sie als traditionelle Kunst oder als Kunsthandwerk(craft) ansieht, die Objekte spiegeln die Not (predicament) der zeitgenössischen afrikanischen Kulturen, gefangen zwischen einer unheilbar zerstörten (irretrievable) Vergangenheit und einer damit unvereinbaren (reconciable) Zukunft.’ 

Leider reißt (Anne-Marie Bénézech a.a.O. 59) diese Fortsetzung der Geschichte nur an – Ölfarbe, Kopfschmuck, Repertoire – vor allem zeigt sie keine Beispiele.

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Tanzmaskenfotos aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts

Die Feldfotos von Michel Huet aus der Mitte des Jahrhunderts sind sehr ästhetisch und es sind Raritäten. Gibt es keine anderen? ‚Danses d’Afrique’ (1978, Frobenius Af I 1086).

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Doch was zeigen die überdeutlich arrangierten Aufnahmen vom Kébé Kébé-Tanz: Gegen den blauen Himmel gestellte überlange Maskengestalten oder eben vor Palmwipfel. Oder das Porträt eines Kopfes, auch von unten; das Gewand liegt wohl auf dem Boden. Alle Masken in unbewegter Pose. Man hat sie für den Fotografen hervorgeholt. Dabei zeigt das Buch sonst Tänzer in Bewegung. Die Köpfe entsprechen dem oben von Bénézech beschriebenen Typ. Die Gesichtsflächen der traditionell ‚glotzenden’ Rübenköpfe sind einfarbig bestrichen, in Ocker oder Weiß. Die Hälse sind mit einfachen bunten Mustern geschmückt, auch die Schläfen des Ockerfarbenen. Ölfarbe? Das alles erinnert sehr an die von Powell-Cotton 1927 eingekaufte Ware, nur dass die an dekorativ-emblematischer Fülle und handwerklicher Raffinesse noch mehr zu bieten hatte. Bereits Ölfarbe auch sie? Oder eingehandelte Pigmente?