Kuyu Tanzstäbe im Factory Outlet 1927

|

MIT NEUEN ERGÄNZUNGEN zum Text vom 3.Mai 2016, plus LINK ZU 2 MODERNEN STÄBEN

Keith Nicklin (African Arts vol.17, no.1, Nov.1983) lässt Major P.H.G. Powell-Cotton erzählen, wie ein halbes Dutzend Tanzstäbe vom Kuyu-Fluss aus dem damals französischen Kongo nach England kamen. Im Winter 1926/27 jagte er dort den Gorilla und seltene Antilopen für sein eben gegründetes Privatmuseum, aber auch, was man Curiosa zu nennen pflegte. Die Gegend am Kuyufluss ist flach, sumpfig. Er reiste mit einem Einbaum. Aber hören wir den Text der Sammlungsliste im Original:

Kuyu Blog Illustrationen_0008At Linnegué I was offered a new fetish head as carved to sale to white men.They asked 4 francs for it. I refused and said I would give double for an old one. They shook their heads, and Monsieur Tartinville, agent to the C.F.H.C. – Compagnie Francaise Haut Congo – there, told me that he did not think I should be able to buy any old ones. I enquired at the little village of Ossango where I went to try for ( i.e. hunt) Sitatunga (eine Antilope), but the chief shook his head. However, the following evening he came into the hut I occupied in the village street, and after looking all around came close up to me and opened a basket he carried, shaped like a fish basket, and showed me a carefully rolled up fetish head , for which he asked 15 fcs, which I promptly gave him. On the following day much to my surprise they brought me three others, and two the next day, one of which I refused. I dropped the price to 7 fcs. They made a great point no woman on any account seeing them as she would never have another baby if she did, and they were to be most carefully wrapped up so that no one should know that I was taking them away. (p.55)

Nicklin betont die seltene Gelegenheit, die Umstände eines Erwerbs vor Ort wichtiger afrikanischer Kunstwerke (field collection …. for important African works of art) so eingehend beschrieben zu bekommen.

Der britische Offizier und Naturkundler Powell-Cotton erwarb also sechs Stabaufsätze, die er zeitgemäß ‚Fetisch-Köpfe’ nannte, für sein Privatmuseum. Im ersten Dorf hatte man ihm einen ‚Fetisch-Kopf’, aber einen ‚neuen für Weiße’, angeboten. Im zweiten Dorf kamen sie in seine Hütte, der Häuptling, der erst abgelehnt hatte, bereits am ersten Abend. Powell-Cotton kaufte sofort, dann weitere vier, erst zum dreifachen Preis der ‚neuen’. Schließlich handelte er die Anbieter herunter. Und einen ‚Kopf’ verschmähte er wie anfangs den ‚neuen’. Schade – wegen des fehlenden Vergleichs! Wir sehen heute nur die erworbenen abgebildet, bunt, über und über dekoriert, mit aufgerissenen Augen und spitzen Zähnen.

Nicklin zählt die Argumente für ihre ‚Echtheit’ im einzelnen auf: ähnlich komplexe Tätowierungen auf Feldfotos im Museumdepot oder eine ‚lokale Reparatur’. Die Aufbewahrungskörbe machen auf ihn einen ’gebrauchten’ Eindruck (smoked patina, suggestive of a period of storage in the rafter area of the traditional dwelling, also unter einem Hüttendach, 57). Die Griffe machen – auf den kleinen Fotos – den Eindruck, sie könnten vielleicht gebraucht worden sein. Für Nicklin weist der Stil aller sechs Stäbe auf einen Schnitzer hin, der drei Jahre zuvor ohne Schüler gestorben sein und particularly unlikely O-Kouf geheißen haben soll.

Kuyu Blog Illustrationen

Mein Bauchgefühl wehrt sich gegen ihre schematisch geometrische Dekorationen, die ich als kommerzielle Mischung empfinde, ‚Kubismus’ plus ‚Kannibalismus’. Das gilt freilich auch für die Kuyu-Stäbe in seriösen Kunstbänden. Warum also nicht an die Anpassung des Angebots an den europäischen Markt denken? Erst waren gruselige Kuriosa gefragt, später eher formale Verrücktheiten. Mal schau’n, was Rubin’s ‚Primitivismus’ (1984) dazu zu melden hat. Nichts. Die Stücke des Majors, wurden bis 1983 nicht über sein Museum at Quex Park in East Kent (55) hinaus bekannt, kamen nie nach Paris.

Doch eine zweite Assoziationslinie überlagert die erste. Sie führt zu poppigen Tanzmasken, die wir bei modernen Maskenauftritten in allen möglichen afrikanischen Völkern sehen können, auch auf youtube: einfach in der Formensprache, handwerklich schlicht und vor allem bunt. Auch mein Gewährsmann sagte am Samstag etwas von Tanzwettbewerb und einer Gaudi mit Schlangenbewegungen und abwechselnd langen und kurzen Hälsen der mit Stoff umhüllten Marionetten. Wahrscheinlich erinnerte er sich an einen amüsanten Auftritt während eines modernen Maskenfestivals im kongolesischen Fernsehen.

Dem Major erzählte man im Dorf eine hochdramatische Story, die aber nichts mit der überlieferten ursprünglichen Rolle der Maskengestalt in einer mythologischen Tanzszene zu tun hatte, von der der als zuverlässiger Zeuge geltende Kolonialbeamte Poupon 1918  berichtete. (vgl. Anne-Marie Bénézech unten!) Inhaltlich bot man ihm die bekannte Allerweltserklärung für ‘Fetische’: „Zauberabwehr’,  einschließlich der Warnung, dass der Anblick Frauen sterilisiere.

These heads are used for fetish dances. They do not believe in natural death, it is always laid at he door of someone who cast a spell. A fetish man comes from some neighboring village to enquire into the matter, and dresses in a sacklike garment, which comes to his feet. He is crowned by one of these heads, which he holds above him. He dances round and talks in a disguised voice. No one is supposed to know who the man in the sack actually is. (56) Nicklin zitiert auch die Schrifttafel im Museum:  Such ist the faith in the Fetish head, that the accused will ask himself how and when his thoughts were so evil as to cause his death. Nowadays the penalty is a fine of a sheep or other property, according of the means of the victim, but in days gone by death was invitable. (56)

Doch gab es 1926 überhaupt noch Geheimnisse hinter den Stabaufsätzen? Nein, man wollte den leichtgläubigen Major beeindrucken. Nicklin zitiert das Buch von Michel Huet und Jean-Louis Paudrat (1978). Demnach ‚degenerierte’ der rituelle ‚Kebe Kebe-Tanz’ zweier Kuyu Klans bereits um 1900 zu einem ziemlich säkularen Tanzwettbewerb: ‚Now that the traditional institutions of the clans have fallen into disuse, the old rivalries find expression in a ritual contest, the Kyebe Kyebe.’ (zitiert 59 rechts).

Und Anne-Marie Bénézech ergänzt (A.A.vol.22, no.1 1988, p.57): And by 1918 it was nothing more than a joyous celebration. also ein ‚fröhliches Fest’.

Ergänzende Bemerkung vom 18.12.2017 zu den geschilderten Praktiken

Was ich hier als “Allerweltserklärung” für die Figur zurückweise, ist durchaus glaubwürdig als  die  im gesamten Kongobecken verbreitete Praxis spätestens seit den gesellschaftlichen Erschütterungen um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert. Zoé Strother hat dazu eine Feldstudie bei den Pende verfasst, die ich in diesem Blog zusammenfassend wiedergebe. (Link)

Nachtrag 29.5.16  :  Eine weitere Kuyu-Kopffigur wirft Fragen auf

http://www.about-africa.de/hans-ulrike-himmelheber/98-himmelhebers-sammlung-museum-kulturen-basel

Begleittext

Die ersten Spuren von Hans Himmelheber im Archiv des Museum der Kulturen Basel gehen auf 1930 zurück. Er schreibt aus Paris und bietet mehrere Kunstwerke aus Afrika zum Kauf an, so eine Kuyu-Skulptur (III 7080) (wie wir heute wissen 1908 vom französischen Capitaine Périquet aus Kongo Brazzaville nach Europa gebracht) oder die sehr schöne Wächterfigur aus dem Grasland Kameruns (III 7085). Basel kauft sieben Objekte, einschließlich der beiden erwähnten Stücke.

Bild “Kuyu-Skulptur, Kongo Brazzaville, Museum der Kulturen Basel, Nr. III 7080, von Hans Himmelheber 1930 (“aus Paris”), (gesammelt 1908, Capitaine Périquet)”

Bildquelle: Museum der Kulturen, Basel

Kuyu bis 1908 - Paris 1930 Himmelheber - MdK Basel

Kuyu bis 1908 – Paris 1930 Himmelheber – MdK Basel

Beobachtungen:

Unfarbig – braun patiniertes Holz, ohne Gebrauchs- oder Alterungsspuren, vielleicht poliert, 22 Jahre in Paris gelagert – Warum fand sie nicht früher einen Käufer? Eine ‘Jugendsünde’ des zweiundzwanzig Jahre alten Deutschen aus Karlsruh’ ?

‘Maniriert’, eine durchgestylte, in gezackten Teilen ‘technisch’ anmutende Konstruktion, formales Experiment für den Export?

An Reliquare der Ambete erinnernde Haubenperücke.

 

 

 

18.12.2017   Kuyu – immer kurioser. Ein Ende ist nicht abzusehen.

“Colonfigur – in den Farben der Reichsflagge bemalt. 65 cm hoch” Niedersächsisches Landesmuseum Hannover

Götter Afrika,H. 1993,62 Colon-Kuyu

Götter aus Afrika 2, Hannover 1993, no.62 Colon Text

Götter aus Afrika Teil 2, Hannover 1993, no.62 Colon Text

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hier war die Karteikarte im Depot ausnahmsweise interessant. Und hier könnte die Provenienzforschung nützliche Arbeit leisten. Ich meine damit nicht die Vorgänge während einer ‘Strafexpedition’ – was soll es da für Neuigkeiten geben? – sondern den Weg der Figur von den Kugu, Kuju, Kuyu an den Hof des Fon von Bamenda und ihre Verwendung dort. Es stellen sich immer mehr Fragen! Denn dies Objekt hat eine Vor-Geschichte!

Wurde die Figur im südlichen Waldgebiet käuflich erworben oder militärisch erbeutet? Wurde ihr in Bamenda immer noch magische Kräfte zugetraut, die sie zuvor zweifellos hatte? Wann wurde sie in den Farben der Reichsflagge – also schwarz-weiß-rot – bemalt? Etwa erst in Bamenda, um die starke Magie des weißen Okkupanten zu  nutzen? Doch sind schwarz, weiß und rot traditionell übliche Färbemittel gewesen. Die Kuyu leben bereits lange an einem Nebenfluss des Kongo, dem heutigen Kongo-Brazzaville, damals unter der Herrschaft der Compagnie Francaise Haut Congo und  stellten für deren weißes Personal bekanntlich Figuren her, wir würden heute sagen: Airport Art. Hatten die Leute des südlichen Fan-Gebiets die stattliche Colon-Figur etwa auf einer innerafrikanischen Handelsroute erworben? Genossen die Kuyu einen speziellen Ruf als Zaubermittelhersteller, so wie weiter südlich im Kongobecken die Songye (Stichwort ‘Nkishi‘)?  Wenn die Figur  ursprünglich ein Initiationsritual überwacht haben mochte, so war sie doch eigentlich zu voluminös, um für eine  unspektakuläre ‘Routineaufgabe’  durch den Dschungel geschleppt  und teuer bezahlt zu werden. War sie etwa im Fan-Gebiet ein Dorffetisch und/oder ein Prestigeobjekt? Sie wirkt recht neu. Und eine geeignete Stelle für eine magische Ladung lässt sich auf dem Foto nicht erkennen.

Und so kam 1911 die Figur eines Weißen, eines Colon, wieder zu anderen Weißen. Was für eine Trophäe! Sie war bloß aus Holz. Hatte die Kolonialtruppe das übersehen?

 

Ergänzung März 2020

Im 2016 publizierten Ausstellungskatalog des Landesmuseums “heikles erbe – koloniale spuren bis in die gegenwart” – gehen Bianca Baumann Claudia Andratschke und Baumann näher auf diese Figur ein, die sogar die Titelseite schmückt.

Für sie ist zeigen sich an diesem Objekt “exemplarisch die Möglichkeiten und Grenzen (post)kolonialer Provenienzforschung” (S.308). Wann der Händler Konietzko sie von welchem “v. Puttkamer” in Kamerun erworben hat, ist nun auch unklar. Seine Behauptungen in einem Briefwechsel mit dem damaligen Museumsdirektor erweisen sich als widersprüchlich (S.206f.). In der Bildlegende zu Kat.-Nr.170, Abb. 7 (S.206) stehen drei Fragezeichen: “Kamerun? (Kuyu,Mittelkongo?), vor 1911?” Auf der abgebildeten Rückansicht (S.308) ist handschriftlich zu lesen “Fang-Gebiet”. Für Claudia Andratschke ist nicht mehr ausgeschlossen, dass die Verbindung “zur  1911 durchgeführten Strafexpedition” “möglicherweise eine bewusste Verkaufsstrategie” des Händlers war (S.309), um die weiter im Süden erworbene Figur  für Deutsche aufzuwerten. Die Kuyu produzierten bereits für den Markt (Siehe oben!). Weiße Abnehmer fanden sich auch in den französischen Kolonialgebieten, etwa am Kongo oder in Gabun. – Man muss zugeben, auch eine “Objektbiografie” ist reizvoll und birgt oft ‘tiefe’ Geheimnisse.

Übrigens zeigen die Farbaufnahmen des neuen Katalogs ein gelbes statt des angesagten “roten” Hemdes – “Reichsflagge”?  Alterungsprozess der europäischen Ölfarbe im Depot?  Oder ursprünglich bunte Bemalung?

Zurück zum Dezember 2017:

Kuyu-Paris 1931.Rubin-Primitivismus, 1984

Kuyu-Paris 1931.Rubin-Primitivismus, 1984

 

 

 

Oder war der Typ einfach der Renner und Dauerbrenner  für den populären wie den avantgardistischen Kunstgeschmack?

Als Beleg für den Erfolg bei Avantgardisten stand ein Marionettenkopf im Atelier Apollinaire, abgebildet bei  Rubin ‘Primitivismus’ 1984 ill. 182

Für den Publikumsempfang  der Kolonialausstellung von 1931 wurden Grundmodell und Dekomuster der Kuyu zur unübersehbaren Säule weiter entwickelt.

 Anfang der fünfziger Jahre besucht Rolf Italiaander die gerade gegründete Kunstschule in Brazzaville-Potopoto und macht dieses Foto (Vom Urwald in die Wüste – Kongo-Tschad – Sahara, 1955).

Im Text geht er nicht darauf ein. Wikipedia.fr nach zu urteilen (Link), lag der Schwerpunkt auf Malerei, womit die die Schüler großen Erfolg hatten: 1955 im MoMa, N.Y., 1960 in Brüssel auf der Weltausstellung, 2002 hat eine dritte Generation von Künstlern eine UNESCO-Medaille bekommen, 2014 im Centre Pompidou ausgestellt. Die Kunstschule hat auch den jüngsten Bürgerkrieg überlebt. – Von Schnitzern ist im Beitrag nicht die Rede. Ein früh abgestorbener Zweig der Schule?