Tagungsbericht ‘Medien und Spiel’

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Nach drei Wochen fand ich es an der Zeit, einen ersten Überblick zu versuchen.  Die Veröffentlichung stellte ich aber zurück. Inzwischen (Mai 2014) habe ich zwei ‚Momentaufnahmen’ ins Netz gestellt.

Der Titel war „Medien und Spiel – Medienkultur nach Vilem Flusser“. Wo wurde das Thema explizit behandelt? Was erfuhr man Neues darüber?

Neues gewiss, aber zum Thema kaum. Der in der Ankündigung versprochene „weite Theoriekontext“ war vor allem der Kontext der üblichen Verdächtigen von Plato bis Hannah Arendt.

Die Themenstichworte der Ankündigung

„1. mathematische Spieltheorie“ – Fehlanzeige, nicht nur bei Flusser, auch im Vortrag (Guldin).

„2. die sprachpragmatische, an Wittgenstein orientierte Sprachspieltheorie “ – Es wurde zwar erhellt, woran sich Flusser orientieren konnte. Der Festvortrag (Gebauer) unternahm es, das Konzept der Sprachspiele in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen §26  mit Flusser zu verknüpfen, aber die körperliche Existenz als Knotenpunkt sollte nicht nur hier, sondern auch bei Flusser angelegt sein. Leider war für eine Diskussion keine Zeit mehr. Dabei hatte der Referent die Zuhörer mit einem lesbaren Handout ausgestattet.

„3. die von Huizinga inspirierte kulturtheoretische homo-ludens-Theorie“ – Sie kam allein als „Kulturtechnik des Zeitalters der technischen Bilder“ ins Spiel, aber ganz in Flussers Dunstkreis (Alpsancar und Winkler). Zur Untersuchung des Anschlusses an die historische Spielforschung war niemand angetreten. War bereits vorher klar, was während einer Diskussion in den Raum gerufen wurde: ‚Wahrscheinlich hat er Huizinga gar nicht gelesen!’

„4. Das Konzept der antiken schole=Muße“  – Es wurde im Plato-Vortrag eingebracht (Hanke).

Die Vorankündigung mit ihrer unverbindlichen Reihung von vier Spielbegriffen hätte warnen können, dass der Diskurs an der Vieldeutigkeit des Spielbegriffs leiden würde.

 ‚Zugänge zu Flusser’

Drei unterschiedliche‚Zugänge zu Flusser’ erwähnte Hanke gelegentlich in einer Diskussion. Mit welchen Ergebnissen lässt sich die Tagung danach strukturieren?

A   Werkinterpretation

Dass der Aspekt der Werkinterpretation nichts Neues zutage brachte, darf eigentlich nicht verwundern: Kurbacher (Bodenlosigkeit, freie Kombinatorik in der Beziehung auf andere) und Baitello (Umwelten als Szenarien der Menschwerdung, einschließlich der Milieus des Müll, des Selbstmords und der Extremophile) riefen den biographischen, den existentiellen Grund dieses Denkers in Erinnerung. Alpsancar vollzog noch einmal den modellhaften Wandel vom homo faber zum homo ludens. Winkler (apparatives Spielen) und Bröckling (Kompetenz) wandten sich direkt Aspekten des flusserschen Spielkonzepts zu.

B  Vergleich mit anderen Denkern

Diese Perspektive dominierte. Beispiele: Gebauer (Wittgenstein), Hanke (Plato, Arendt in der Diskussion), Kroß (Wittgenstein, Hegel, Heidegger, Nietzsche, Günderode) u.a.

Die Vergleiche mit anderen Denkern müssen aber nach zwei Seiten differenziert werden.

1. Vilém Flusser weiter nach der Seite der Philosophen   zu vernetzen, fiel natürlich nicht schwer und wurde auch verschiedentlich unternommen: Gebauer, Hanke, Kurbacher, Kroß und sogar Zielinski. Da wurden Abgleichungen mit anderen profilierten Persönlichkeiten vorgenommen – als Solitäre eigentlich Inbegriff der von Flusser aus der ‚Nachgeschichte’ verabschiedeten ‚Autoren’. Sie spiegeln einander und wer würde sagen, der eine oder der andere hätte gewonnen oder verloren? Der Kontakt mit Plato wurde nur aufgrund ‘starker’ Indizien hergestellt und in der Diskussion äußerst zwiespältig bewertet. Bei dem ganzen Feuerwerk an Belesenheit, das rhetorisch verschossen wurde, kam nichts heraus, das man nicht auch anders bewerten kann. Egal, wie viele Vorträge sie gehört hatte, die Neutönerin (siehe Beitrag „Geiles Mashup oder …“) war mit Recht erstaunt.

2. Die einzige Untersuchung des Anschlusses Flussers an die empirische Spielforschung kam zu einem enttäuschenden Ergebnis (Guldin). Das Erkenntnispotential der mathematischen Entscheidungstheorien jenseits ihrer pragmatischen Zielsetzungen hat die Tagung – wie schon Flusser – liegen gelassen. Dabei hatte in der Ankündigung „die mathematische Spieltheorie“ am Anfang gestanden.

C.  Kontextualisierung

Die Kontextualisierung im allgemeineren Sinne führte meist zu deutlicher Kritik an Flusser. Sie wurde in den Diskussionen betrieben, etwa:

Wir sind Gespielte! Ob in platonischer Muße, in der Beliebigkeit des „Wohnwagentiers“ (bei Kurbacher) oder als Extremophile (Baitello). Das Denken hat nicht mit Flusser begonnen. Kommunikation verbindet Getrenntes! Rötzer selbst: eigentliches Leben ist kein Spiel…..

– und Fragen: Kann man den Vormarsch der Algorithmen bremsen oder nicht (Alpsancar)? Soll man heute noch ‚programmieren lernen’? Die Zeit des Commodore (PC) ist doch lange vorbei, dessen Schlichtheit Flussers Optimismus nähren konnte! (Vielleicht ein bisher  zu wenig berücksichtigter Umstand!)          (28.2.)

 Bilanz

Es ist schwer für mich, Ergebnisse  aus dieser Tagung zu formulieren. Man hatte die vorgesehene Redezeit explizit begrenzt und machte sich Hoffnung auf Dialog in den erwarteten Zwischenräumen. Das funktionierte unbefriedigend und in zwei Fällen gar nicht. Und diese kurzen Diskussionen wurden überhaupt nur spontan aufgezeichnet. Irgendwann ‚zeitnah’ wird ein neutraler Tagungsband erscheinen, den die Autoren in ihre Publikationsliste aufnehmen können, diplomatisch anmoderiert wie der erste.

Doch machen es nicht alle so? Waren die zweieinhalb Tage nicht vor allem eine Art internationales Familientreffen? Auch für mich? Der überschaubare Teilnehmerkreis war angenehm. Welche sachlichen Vorstellungen stehen hinter meiner Enttäuschung? Sind es leere Träume?

Ein solcher ‚Traum’ – referiert von der Soziologin Heidrun Kaupen (Hamburg-Eppendorf) – verfolgt mich seit Jahren. Freilich handelt es sich um die interdisziplinäre Tagung von ‚harten’ (v.Foerster) medizinischen Wissenschaften. Mehr darüber demnächst!    (10.5.14)

 

NACHTRÄGE

Im April 2015kündigt das Flusser Archiv, Berlin UdKt das Erscheinen des Tagungsbandes im Tectum-Verlag an (39,95€) Und danach stellt academia.edu dessen Einleitung als pdf ins Netz: (16) (PDF) Hermann Haarmann / Michael Hanke / Steffi Winkler (Ed.) (2015), Play it again, Vilém! Medien und Spiel im Anschluß an Vilém Flusser, Vol. 6. kommunikation & kultur. Scientific series ed. by Hermann Haarmann and Falko Schmieder, Marburg (Tec.e  –  Möglicherweise funktioniert der Link nur für Mitglieder schon der kostenlosen Stufe von academia.edu. Ich bekomme jedenfalls das auf die Festplatte geladene pdf nicht in meine Links.  Ob Ihnen mit dem Tagungsband viel entgeht, kann ich nicht sagen. Jedenfalls hatten die Vortragenden ein ganzes Jahr Zeit, die eigenen Werkspuren zu glätten. Die zu kurzen Diskussionen blieben ohnehin außen vor. Da müssen Sie schon mit meinem Blog vorlieb nehmen.        4.1.2021

  • OUT NOW: Play it again, Vilém! Medien und Spiel im Anschluß an Vilém Flusser

  • Soeben erschienen als Buch und E-Book: Play it again, Vilém! Medien und Spiel im Anschluß an Vilém Flusser (Hrsg. Hermann Haarmann, Michael Hanke, Steffi Winkler) mit bestem Dank an die Autoren Suzana Alpsancar, Guido Bröckling, Rodrigo Duarte, Gunter Gebauer, Rainer Guldin, Michael Hanke, Matthias Kroß, Frauke A. Kurbacher, Florian Rötzer, Steffi Winkler und Siegfried Zielinski und besonderem Dank an Miguel Gustavo Flusser und das Vilém Flusser Archiv für den bislang unveröffentlichten Flusser-Text “Private und öffentliche Räume” (1979). Just released as book and e-book: Play it again, Vilém! Medien und Spiel im Anschluß an Vilém Flusser (Ed. Hermann Haarmann, Michael Hanke, Steffi Winkler) with many thanks to the authors Suzana Alpsancar, Guido Bröckling, Rodrigo Duarte, Gunter Gebauer, Rainer Guldin, Michael Hanke, Matthias Kroß, Frauke A. Kurbacher, Florian Rötzer, Steffi Winkler and Siegfried Zielinski and special thanks to Miguel Gustavo Flusser and the Vilém Flusser Archive for the to date unpublished Flusser text “Private und öffentliche Räume” (1979).