Siegfried Zielinski redet Klartext,aber…

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Zweiter und letzter Bericht von der Tagung in Berlin

 Bei meiner Vorbereitung auf die Themen der Konferenz hatte ich mich auch in die einschlägigen Texte von Flusser wieder eingelesen und hoffte auf Debatten und Klärungen. Insofern begegnete ich den Tagungsbeiträgen nicht unvoreingenommen, was man meinen Wortbeiträgen gewiss anhörte. Die Ankündigung in sichtlich ‚verspieltem’ Ton hatte mich vorgewarnt, dass mancher Beitrag mit Flussers Impulsen ‚spielen’ wollte. Andere zogen ideengeschichtliche Linien, wieder andere behandelten das Thema mit existentiellem Ernst. Wie stand es aber um das Verhältnis Flussers zur historischen und mathematisch-wissenschaftlichen und Erforschung des homo ludens und seiner Spiele? Rainer Guldin behandelte Flussers Rapoport-Rezeption (vgl. 1. Bericht). Ansonsten wurden solche Fragen erst nach den Referaten von verschiedenen Seiten in die eng terminierten Diskussionsrunden eingebracht. Gerade auch Siegfried Zielinski trug dazu bei. So schleuderte er einmal dramatisch aus der letzten Reihe die Feststellung in die Runde: Das Denken in Netzen hat nicht mit Flusser begonnen! Es waren Gedanken wie die folgenden, welche er am Samstag (8.2.) nach Guido Bröcklings Vortrag extemporierte.

(die improvisierte Tonaufnahme setzt etwa in der Mitte seiner Rede ein:)

Dass Kommunikation und Distanz zwei Begriffe sind, die komplementär sind, das heißt – etwas holzhammerartig formuliert: Kommunikation – denken Sie an Guy Debord und seinen berühmten Diskurs über ‚die Gesellschaft des Spektakels’ – Kommunikation verbindet, aber es verbindet nur etwas, das bereits getrennt ist, und natürlich trennt Kommunikation auch, ständig , diese Trennungsarbeit der Kommunikation, die gigantisch geworden ist, die bis dahin geht, und da würde auch meine Kritik an den einfachen Wortspielen von Flusser ansetzen, dass diese Dialogik der Arbitrarität, des Beliebigen, für mich die viel größere Chance für einen neuen Faschismus ist als aufgeklärte Machtstrukturen. Das ist ein großes Problem, zum Beispiel auch in der philosophischen Diskussion bei Herrn Roetzer (?), werden Sie sich erinnern, Dietmar Kamper und M(…..) zu Anfang der achtziger Jahre schon einmal eine wichtige Rolle gespielt hat, und dann wieder vergessen worden ist. Ich erinnere mich aber noch gut an die Sätze in Reaktion auf Deleuze, auf Foucault und so weiter: Macht ist nicht per se böse. Es kommt darauf an, wie man sie benutzt. Und nun sind wir sozusagen in dieser beliebigen Arbitrarität angekommen, und andererseits bestaunen wir, dass es Hierarchien gibt in dieser Welt, die auch wirklich sehr wenig mit den Kommunikationsstrukturen zu tun haben, mit den Kommunikationsmitteln, die aktuell benutzt werden, die dem diametral entgegenzustehen scheinen. Da muss man, denke ich, noch enorm viel leisten, aber der Kernpunkt: … diese Idee, diese alte aufklärerische Idee, dass ein Mehr an Kommunikation, ein Zuwachs an Kommunikation – das geht bei jedem Satz bei ihm fast durch – auch wirklich sozusagen nicht nur das Versprechen einer besseren Kommunikation in sich birgt, sondern auch die Einlösung dieses Versprechens. Und immer dann, wenn er gezwungen wird, viel über die Einlösung zu sprechen, büchst er aus und dann is’ er ganz woanders. (Verhaltenes Lachen bei Zuhörern) Und das gibt er aber auch zu, das weiß er. Das weiß er. Sorry, ich war zu lang, ein bisschen, es ist halt wichtig, dass wir unseren Horizont auch erweitern. (hörbare Zustimmung)

Ich zähle noch einmal zusammen:

1. Kommunikation verbindet, aber es verbindet nur etwas, das bereits getrennt ist, und natürlich trennt Kommunikation auch. Der Hinweis auf den marxistischen Gesellschaftskritiker Debord bleibt zu unbestimmt: Schränkt er die Aussage auf diese  Gesellschaft ein? Doch da fällt auch das Wort von den einfachen Wortspielen von Flusser.

Z. übt Kritik 2. an dieser Dialogik – seiner?! – der Arbitrarität, des Beliebigen. Er sieht sie als viel größere Chance für einen neuen Faschismus ist als aufgeklärte Machtstrukturen. (…) Macht ist nicht per se böse.

3. an der Überbewertung der ‚Medienrevolution: … andererseits bestaunen wir, dass es Hierarchien gibt in dieser Welt, die auch wirklich sehr wenig mit den Kommunikationsstrukturen zu tun haben, mit den Kommunikationsmitteln, die aktuell benutzt werden (Vgl. meine „Autopsie eines Waschzettels“)

4. an Flussers Idee, dass ein Mehr an Kommunikation, ein Zuwachs an Kommunikation (…) nicht nur das Versprechen einer besseren Kommunikation in sich birgt, sondern auch die Einlösung dieses Versprechens.

5. Wenn er gezwungen wird, viel über die Einlösung zu sprechen, büchst er aus und dann is’ er ganz woanders.

Seiner Bilanz hat er freilich die kritische Spitze abgebogen in nachsichtiger Loyalität: Und das gibt er aber auch zu, das weiß er. Das weiß er. Z. entschuldigt er sich anschließend, aber wofür? Sorry, ich war zu lang, ein bisschen, es ist halt wichtig, dass wir unseren Horizont auch erweitern.

In seinem Abschlussreferat unter dem poetischen Titel „Sich mit Berechnung verschwenden“ wird er weitere Kritikpunkte im Vorübergehen anreißen, aber vor allem einen noch weiteren geistesgeschichtlichen Horizont abschreiten.

Meine schwache Hoffnung ist, dass Zielinskis kritische Einwände selbst in dieser improvisierten Form noch jemanden anregen können, sie zu entfalten und weiterzudenken und mit anderen zu diskutieren. Es gibt nicht die eine Rezeption Flussers. Also wären für jede Art der Verwendung und Auslegung Flussers andere Schlüsse zu ziehen Bei einer eingestandenermaßen kurzen Sichtung von Zielinskis Buch „Nach den Medien“ (Merve, Berlin 2011) bin ich dazu nicht fündig geworden.

Gutmütige Sätze wie der von Gunter Gebauer im Eröffnungsvortrag bringen die Rezeption Flussers nicht weiter. Er sagte dort etwa: Alles (….) sei in Flussers kleinem Aufsatz („Gesellschaftsspiele“) angelegt, in dem viel drin stecke, intuitiv und mit Verve. Begründungen könne man ja nachliefern, das sei kein Problem. – Kein Problem?