H. Schmantoffs Gedanken mit Theweleit zu „Leutnant von Wiese“ (Rafai 1911)

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Zwei Gedanken zu Detlev von Graeves „FĂŒnf BlogbeitrĂ€ge“ im „Projekt Rafai & Leutnant von Wiese (Ubangi 1911)  – Email am 1.8.2022, 19 Uhr23 von Arnaud: „Nun ja“ – Wie es ihm gefĂ€llt“

Nicht nur ein Kommentar! Zugleich ein Gastbeitrag. Und so muss ich ihn vorstellen – Gv 18.8.22

 

 DIE INTERVENTION

Die Zusammenstellung der fĂŒnf BeitrĂ€ge, laut Datierung in unregelmĂ€ĂŸiger Folge vom 22. Juli 21 bis zum 17. Juni 2022, kommt wie bei von Graeve gewohnt, materialreich und unprĂ€tentiös daher. Die Texte gleichen Arbeitsnotizen und das ist gut so. Leser wie ich, die keine Sammler oder Wissenschaftler sind und naturgemĂ€ĂŸ von der Materie keine Ahnung haben, werden nicht abgeschreckt.  5/5)

Ein Autor erzĂ€hlt von einem Kauf. Er hat eine Figur erworben, „starkes MĂ€dchen mit großen Augen“. Wir sehen sie auf dem Foto. Und begleiten den KĂ€ufer bei seinen Recherchen nach der Provenienz. (LINK)

DER EINE GEDANKE ….

Eine seltsame „Kontaktzone“ wird vor unseren Augen aufgeblĂ€ttert. ReisefĂŒhrer ist ein deutscher Leutnant, Walter von Wiese und Kaiserwaldau, der eine ruhige militĂ€rische Karriere gegen ein vermeintlich abenteuerliches Leben bei Ostafrika-Expeditionen des Herzogs von Mecklenburg eingetauscht hat. Objekt der herzoglichen Neugier und Erkundung der politischen Lage ist ein Gebiet in Zentralafrika. Ein Grenzgebiet, an dem verschiedene Interessen aufeinander stoßen. Die der Franzosen und der Belgier zunĂ€chst einmal, die die staatliche Herrschaft reprĂ€sentieren – aber was heißt das schon bei diesen riesigen Gebieten und den zahlreichen Ethnien und Unterbezirken, den Sultanaten – die der EnglĂ€nder, die vom Sudan in den SĂŒden vorstoßen, und die der Araber. Drei Sultanate gibt es in diesem Azande-Gebiet, alle drei Sultane haben sich mit den EuropĂ€ern arrangiert, sie sichern den Kolonisatoren die Ausbeutung an BodenschĂ€tzen und Menschen, bereichern sich selber mit, wie bereits beim Sklavenhandel und der Unterjochung der ursprĂŒnglichen Bevölkerung vorher. Sie waren den Waffen der Weißen nicht gewachsen, niemals hĂ€tten sie sich sonst unterworfen, aber sie warten auf ihre Zeit.

Von Wiese hat seine Beobachtungen ĂŒber diese Vorhölle gemacht, er kann sogar Empathie mit den Ausgebeuteten empfinden – sie dĂŒrfen ihn nur nicht in seinen Aktionen behindern. Dann kennt er kein Pardon und schreitet gegenĂŒber den TrĂ€gern zu drakonischen Strafen.

Er pflegt eine mehr oder weniger große Abneigung gegen die Franzosen und Belgier, er findet das englische Verfahren rationaler. Wenn er allerdings halb verhungert und krank einen französischen Kollegen in einer Garnisonsstadt erreicht, unterhĂ€lt er sich mit ihm ausgezeichnet. Man versteht sich unter Kollegen.

Von Wiese hat aus seinen Aufzeichnungen ein Buch gemacht, das 1912 im Deutschen Reich erschienen ist und gelesen wurde. Und von Graeve hat sich nun mit diesem Buch und dem Menschen von Wiese beschĂ€ftigt. Er wertet nicht, weil er nicht in die ĂŒblichen Schemata verfallen will. Das gibt dem Leser die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen.

Zum Beispiel folgende drei Bilder in Zusammenschau. Ich vergleiche das Foto der Ubangi-Figur mit dem PortrĂ€t von Asande Hiruas Schwester (1/5 im Abschnitt „Spekulationen) und betrachte dann das Paradebild von Herrn von Wiese auf dem „offiziellen PortrĂ€t“.(2/5)

Von Wiese: Der vatermörderischen Kragen, die Orden, das mit Pomade gescheitelte Haar, das puppige Gesicht, das mich vermuten lĂ€sst, dass er gerne den Gardeoffizier gegeben hat. Ein glattes BĂŒrschchen, der Traum jeder Schwiegermutter.

Die Schwester: Obwohl man ihr ansieht, dass sie als GebĂ€rmaschine missbraucht wird, dass ihr hĂ€ufig ins Gesicht geschlagen wird, dass sie gelernt hat, die Augen in ein nicht sichtbares UngefĂ€hr zu lenken, hat sie einen Stolz. Einen Trotz. Hier bin ich: mit meinem Bauch, meinen BrĂŒsten, meinem Hintern, dem Ebenholzglanz meiner Haut.

Und dieser Glanz wiederum strahlt auch von der Ubangi-Figur ab, auch der Trotz und die ausdrucksvollen Augen.

Und jetzt schaue ich wieder den Hauptmann an und entdecke, dass auch er mit Schwarz und Weiß spielt, zumindest tut es der Fotograf. Scheiße, lieber Hauptmann, du bist auch ein Wesen mit Körper. Du hast auch Augen, Stirn und Mund. Man sieht dir an, dass du gelernt hast, diesen körperlichen Anteil zu verbergen und zu kanalisieren. Aber letztlich Ă€hnelst du den von dir karikierten schwarzen Pseudosoldaten in ihren Phantasieuniformen.

Ich gebe zu, dass ich subkutan in die Welt der „MĂ€nnerphantasien“ von Theweleit gerutscht bin.

General Lettow-Vorbeck, Erhardt u.a., die „deutschen Helden“ in Namibia, damals Deutsch-SĂŒdwestafrika, waren fĂŒr Theweleit Exemplare eines bestimmten Typus Mann, der, weil nicht zu Ende geboren, seine Ängste vor ÜberwĂ€ltigung in Vergewaltigung der imaginierten roten Ströme kanalisieren musste. Der also im Prinzip Hunderttausende von Herero abschlachtete, weil sie primitiv und undiszipliniert und unglĂ€ubig waren (Und spĂ€ter die Juden, die Slawen und die Russen). Die Schwarzen folgten den Trieben, die man doch selbst mit aller Gewalt unterdrĂŒckte. Und wenn die Schwarzen sowas nicht können, dann zeigen wir ihnen mal, was ein Massaker ist. Theweleit sieht auch den kolonisatorischen Gewinn, also die Ausbeutung, aber das ist nicht der Punkt, der ihn interessiert. Ihn interessiert, wie sich ein gepanzerter Körper und Geist mit ideologischem RĂŒstzeug versorgt und damit ins Reich hinein eine Strahlwirkung entfacht bzw. aufnimmt, was im Reich geschieht: nĂ€mlich die Erziehung von Prototypen des faschistischen Menschen.

Von Wiese ist kein General und kein Massenmörder. Er ist eine Dienerfigur, nicht Arlecchino, nicht Brighella. Da ist kein Aufbegehren. Er wĂŒrde gerne General sein und es ist allzugut nachvollziehbar, dass er in seiner spĂ€teren Karriere in die SS eingetreten ist. Er will hart sein, aber letztlich ist er eine Puppe, die Soldat spielt. Auch so jemand kann töten. Am besten, wenn es ihm befohlen wird. Er gehört zu den Stufen unter Lettow-Vorbeck.

 

…. DER ANDERE

Dies ist der eine Gedanke, der andere kam mir, als ich letzte Woche ein Foto von Macron sah, der parallel zur Afrika-Reise Lawrows eine eigene unternahm. Man will den Russen ja nicht das Feld kampflos ĂŒberlassen. Nach der LektĂŒre von Graeves Berichten musste ich herzlich lachen. Was erlauben sich Macron? Denkt er, dass er es mit Idioten zu tun hat, die in irgendeiner Weise das Gerede von Menschenrechten und Demokratie usw. glauben?

Der salbadernde Obergauner redet mit den örtlichen Verbrechern. Den Nachkommen der drei Sultane. Die haben jetzt die Waffen, die Armeen, die Technologien, um die eigene Bevölkerung auszupressen. Macron kann anbieten, Kontakte zu den europĂ€ischen Multis zu machen, damit die famose Zusammenarbeit besser klappt. Ich weiß nicht, ob ich als schwarzer König dann doch nicht besser zu Lawrow ginge: Da weiß ich wenigstens, dass er der niedrigsten Taten fĂ€hig ist. Oder ĂŒber den IS Verbindungen mit den Saudis knĂŒpfe?

Was macht das schon, wenn da ein paar Hundert SchulmĂ€dchen gekidnappt, vergewaltigt, getötet werden? Diplomatische GesprĂ€che im „Herzen der Finsternis“.

Ausruf, theatralisch: Die Orte, die von Wiese beschreibt, existieren alle noch. Warlords ziehen dort nach wie vor mordend durch den Dschungel, wie damals umgeben von einer treuen Gefolgschaft, denen man nur genug Gold und Frauen und Autos und was weiß ich geben muss. Warum gibt es diese GeschwĂŒre am Arsch der Menschheit?

FĂŒr eine Antwort wie immer dankbar,           Ihr Horsti Schmantoff

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