ZITAT
ES HĂTTE NIEMALS GELINGEN KĂNNEN – DER WESTEN IST IN AFGHANISTAN AN SEINER EIGENEN HYBRIS GESCHEITERT, NICHT AN MANGELNDER ENTWICKLUNGSHILFEâ (Jochen Buchsteiner,1.9.21 FAZ Feuilleton)
Vorwort
Es ist vielleicht gar nicht schlecht, wenn uns jemand eine Vorlage liefert, wie hier der angesehene Autor Navid Kermani dem erfahrenen Auslandskorrespondenten Jochen Buchsteiner (LINK zum KurzportrÀt FAZ)
 â ( ) Am Anfang einer ehrlichen Betrachtung ( ) sollte daher die Einsicht stehen, dass andere Kulturen andere Kulturen sind. Das ist keine banale Feststellung, denn die gegenteilige Auffassung hat die AuĂenpolitik des Westens in den vergangenen drei Jahrzehnten angetrieben. Grundlage fast aller Fehlentscheidungen war die Hybris, dass die westliche Kultur gewissermaĂen die höchste Zivilisationsstufe darstellt und sich deshalb frĂŒher oder spĂ€ter auch ĂŒberall durchsetzen wird. Die operative Ableitung lautete: Eingriffe in nichtwestliche Systeme sind per se eine Befreiung fĂŒr die Betroffenen, auch wenn sie dies nicht gleich verstehen. Als Asiaten wie Lee Kuan Yew und Mahadir bin Muhamed in den Neunziger Jahren die UniversalitĂ€t westlicher Werte infrage stellten und ihnen „asiatische Werte“ entgegensetzten, die sich nicht ĂŒberwiegend an der Freiheit des Einzelnen ausrichteten, wurden sie als autoritĂ€r beschimpft. Das war insofern berechtigt, als die beiden Politiker (mit Singapur und Malaysia) vergleichsweise autokratische Staaten regierten ( ). Aber autoritĂ€r, ja dogmatisch war in Wahrheit die Gegenseite: Sie erklĂ€rte jede Alternative zu ihrem Modell fĂŒr minderwertig. ( ) „
(Afghanistan): âDas AuffĂŒhren von Fakten – dass man es mit einer archaischen Stammesgesellschaft ohne Pluralismus-Tradition zu tun hat, dass der Islam afghanischer PrĂ€gung nicht mit modernen gleichberechtigungskonzepten harmoniert, dass Fremdherrschaft ĂŒber kurz oder lang am paschtunischen Stolz- und Ehrbegriff zerschellen wird – stand im Verdacht der RĂŒckwĂ€rtsgewandtheit und schlimmer noch, der Relativierung. Sollte hier einer Kultur abgesprochen werden, reformfĂ€hig zu sein? Wollte da jemand andeuten, dass sich der afghanische Muslim – und erst recht die afghanische Muslima – nicht genauso nach westlicher Freiheit sehnt wie wie jeder auf dem Globus? ( )“
Kommentar (Admin.)
Der Auszug endet mit zwei provokanten und das Problem ironisch zitierenden und daher missverstĂ€ndlichen FragesĂ€tzen. Im ersten liegt der Knackpunkt in einem westlichen VerstĂ€ndnis von „reformfĂ€hig“. „Reform“ wĂ€re also das Ergebnis von Schulung, Nachhilfe, ja Indoktrinierung durch – sagen wir ‚mal – NGOs und durch den Zwang von importierten Gesetzen
Im Kontext der Kolonisierung zentralafrikanischer Gesellschaften vor einem Jahrhundert hat der Afrikanist Jan Vansina auf die gewaltsam blockierte AnpassungsfĂ€higkeit traditioneller afrikanischer Gesellschaften durch westliche Kolonialisten aufmerksam gemacht. Zwei KernsĂ€tze lauten: Die Völker in und um den Regenwald hatten die politische Kontrolle und damit die Initiative verloren, Institutionen zur BewĂ€ltigung der neuen Ordnung zu schaffen.“ ( ) Die sich unmittelbar anschlieĂende administrative Unterwerfung nahm den Afrikanern die Möglichkeit, eine auf den eigenen Traditionen fuĂende Antwort zu finden, wie das vorher möglich gewesen war.“ Von Anfang an arbeiteten alle Kolonialisten wie selbstverstĂ€ndlich daran, die fremden bĂŒrokratischen Praktiken aus Europa im Regenwald zu implementieren, ob es sich nun um die Erbfolge von Chiefs, den gleichen Rechtsstatus unter Dörflern, Ehegesetz und öffentliche Moral oder die Aushöhlung traditioneller Rechtsverfahren und -grundsĂ€tze handelte, die danach als âGewohnheitsrechtâ etikettiert wurden. (ĂŒbersetzt, LINK zum Blog)
Noch weit schlechter kamen bekanntlich die nordamerikanischen Indianer aus einem Jahrhundert des kulturellen Genozids. Die stabiler organisierten Gesellschaften Asiens erfuhren zwar schwere DemĂŒtigungen durch die „Barbaren“ (LINK zu Ce Shaozheng). Sie waren aber mit den primitiven Brechstangen der westlichen Invasoren nicht zu knacken. Vielleicht Japan ausgenommen, das – bereits als eifriger SchĂŒler westlicher Moderne vorgeschĂ€digt – ein atomares Inferno plus anschlieĂende die amerikanische Besatzungszeit erlebt hat.
Wenn ich ĂŒber dem FAZ-Artikel das aktuelle Foto (2021) der zerstörten und nun eingerĂŒsteten Buddha-Statuen von Bamiyan mit dem bewaffneten Taliban (?) im Vordergrund betrachte, muss ich an die von unseren Medien gehĂ€tschelten Naturreservate in Afrika denken, wo westliche Werte zu exterritorialen Inseln gefĂŒhrt haben, die mit Hightech und Waffengewalt ebenso gegen die Einheimischen wie gegen Fremde verteidigt werden (LINK). Und die auch nur so lange funktionieren, als die GehĂ€lter fĂŒr die Ranger bereitgestellt werden, die frĂŒher JĂ€ger waren. ZurĂŒck zum Foto: SchĂŒtzt der Bewaffnete den Status quo, oder posiert er fĂŒr das Bild der Agence France Press?
Der zweite Fragesatz berĂŒhrt menschliche TrĂ€ume im Konflikt mit Ordnungen, und die TrĂ€ume nĂ€hren sich aus vielen Quellen. Buchsteiner wendet sich dagegen, dass man gedankenlos und im Grunde arrogant das westliche Konsum- und Zerstreuungsmodell auf Fremde projiziert.
Ich spĂŒre, wie mein Ărger ĂŒber naive und defizitĂ€re Argumente der postkolonialen Aktivisten und ihrer UnterstĂŒtzer nachlĂ€sst. Paradigmenwechsel kann wohl nicht rationaler und eindrucksvoller auftreten. Wie sagte noch Paul Feyerabend? Sie haben die schwĂ€cheren Argumente, können ihre Behauptungen nicht beweisen und wĂŒrden ohne Protektion nicht ĂŒberleben. So ist es wohl.
Die Krise des âHumboldtforumsâ in Berlin ist dabei bloĂ ein Kollateralschaden, den ein eingebildetes Kulturmanagement, eingelullt in seinem typisch deutschen ideologischen Gespinst, fĂŒr weltumspannend hielt. JĂŒrgen GroĂe hat das in seinem Essay „Bodenlose Fenster“ (FAZ „Geisteswissenschaften“ 21. Juli 2021 N3) etwas umstĂ€ndlich, aber am Ende einleuchtend dargelegt.
Stand: 2.Sept. 16.00
Wegen seines Widerspruch wird vom Chefredakteur der NZZ, Eric Gujer, der Artikel Samuel Schirmbecks in seiner Glosse „der andere Blick“ vom Freitag empfohlen. Ich zitiere die Ausgangsthese:
Titel: Wider eine schiefe Sicht auf Afghanistan â nicht der Westen, sondern der Islam ist gescheitert
Der westliche Abzug aus Afghanistan wird nicht selten hĂ€misch kommentiert. FĂŒr «Islam-Versteher» ist jedes BemĂŒhen, Muslime an Freiheit, Demokratie und Menschenrechten teilhaben zu lassen, ein kultureller Ăbergriff. Direkt betroffene Muslime sehen das anders. In Bezug auf Afghanistan ist derzeit allerorten vom «Scheitern des Westens» zu hören, vom Scheitern des Islam jedoch so gut wie nie. Der Westen hatte jedoch nie vor, Afghanistan zu «verwestlichen». Insofern ist er mit seinen Werten dort auch nicht gescheitert. Er hat lediglich versucht, militĂ€risch eine Brandmauer zwischen dem friedlich-toleranten und dem kriegerisch-jihadistischen Islam zu errichten. Denn diese Brandmauer fehlt in der islamischen Theologie bis heute. ( )
Bei allem Respekt fĂŒr Schirmbecks zehn Jahre als Korrespondent in Algerien, scheinen mir bereits die Formulierungen „der Westen habe lediglich versucht, militĂ€risch eine Brandmauer (…) zu errichten, denn diese Brandmauer fehle in der islamischen Theologie ( )“ Buchsteiner vollauf zu bestĂ€tigen.
Verstehe ich Schirmbeck richtig? Handelte es sich um so etwas wie eine „Ersatzvornahme“, die in Wikipedia folgendermaĂen definiert ist: „Ersatzvornahme ist allgemein die Vornahme einer geschuldeten Handlung anstelle des Handlungspflichtigen auf dessen Kosten. Sie ist ein Mittel zur Vollstreckung gerichtlicher oder behördlicher Anordnungen. ( )“ ? Sogar „auf dessen Kosten“ könnte bei zwanzig Jahren Krieg zutreffen. Die Vollstrecker sind bekannt, nur wer gab die Anweisungen? Etwa die Göttin Hybris?
Admin. am 5.9.2021
Danke fĂŒr die Zusammenstellung weiterer Artikel zu diesem Thema. Afghanistan, die afrikanischen LĂ€nder auf der einen Seite mit so verschiedenen Völkern, Interessen und kulturellen und materiellen SchĂ€tzen und der „globale Norden“ mit seinen ebenso verschiedenen Völkern, aber auch mit alten imperialen Strukturen, wozu natĂŒrlich die Danzers und NestlĂ©s, die Merkels und Macrons gehören. Um so wichtiger, hier im Lande immer wieder die HintergrĂŒnde und MĂ€ngel von FSC oder Covax, die guten Willen, GroĂzĂŒgigkeit und Nachhaltigkeit suggerieren, aufzudecken. Wir können nicht die Welt mit unserem Schrott und Abfall, ebenso wenig mit unseren „Werten“ beglĂŒcken und dann noch hoffen, sie werden uns ewig dankbar sein fĂŒr die Abnahme ihrer Kultur, ihrer BodenschĂ€tze, ihrer IdentitĂ€t. Aber lieber Herr von Graeve, „leider“ verliere ich mich mal wieder in Ihrer Website, die Sonne scheint…..
(Auch sehr gut: http://detlev.von.graeve.org/?p=13341) Danke, Ihr FFH