SAIGON 1975 – KABUL 2021 in Ken Burns und Lynn Novick : „Vietnam“

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Ken Burns und Lynn Novick „Vietnam“    9-teilige Dokumentar-Serie je 53’ USA 2017

Drei Abende lang ausgestrahlt in ARTE vom 10. bis 12. August  – In der ARTE-Mediathek verfügbar bis 5. Februar 2022 (LINK)

Drei von neun Stunden angeschaut, keineswegs traumatisiert. Die berüchtigten Aufnahmen angeblich „nicht für Kinder und Jugendliche geeignet“, laden zum Hinschauen ein, entsprechende haben sich vor einem halben Jahrhundert meiner Generation ins Gedächtnis eingebrannt. Die neun Folgen geben Gelegenheit zu erneuter Begegnung und aktueller Einordnung.

Für die heutige Jugend ungeeignet ist vielleicht die scheinbar nur ‘sinnlose’ Endlosigkeit des Gemetzels, aber sie wahrzunehmen, ist ja auch eine Lehre über die geschichtliche Realität.

Ich sehe übrigens die ständig auftauchender Abbildungen unkomfortabler Frontsituationen, die im Grunde keine Deckung bieten und von den Zeitzeugen oft mit ‚defaitistischen’ Kommentar versehen werden, in der Tradition des Klassikers über den Ersten Weltkrieg. Wenn historische Bildung Jugendliche überhaupt noch erreicht, ist es fast das Wichtigste, über falsche Soldatenlegenden aufgeklärt zu werden, mit denen die Rekrutierer auch heute noch arbeiten.

In der Zivilisation des Gegners zerstört das Kriegsgeschehen relevante Normen, weil der moderne asymmetrische und technisierte Krieg alle Normen sprengt. Vietnamesen wiederholen im Interview mehrfach das ‚zusätzliche’ Unglück, wenn die Leiche von Angehörigen nicht erreichbar und der genaue Zeitpunkt des Todes nicht zu ermitteln ist. Die Verletzung der Pietät auf Seiten der Amerikaner analysiert die Studie „Achill in Vietnam“, die ich im Geschichtsunterricht über die Alten Griechen einsetzte. Überhaupt spielen die seelischen Verkrüppelungen bei den auftretenden Veteranen eine wichtige Rolle.

 

Weitere Einsichten, über ….

Nixon

Er verkörpert die Banalität des Bösen, die selbstverständlich nicht ohne Begabungen – etwa Rhetorik – auskommt. Nixon gewinnt in seinen TV-und Telefon-Auftritten mehr Profil als gerissener Taktiker als gedacht. Er bedeutete – nicht als erster und auch nicht als letzter – die strukturellen Schwächen des US-amerikanischen Patriotismus aus und verkörperte die schmutzige Seite der „Exekutive“.

Die Ohnmacht der normalen ‚Bürger’ gegenüber ‘ihrem’ und ‘demokratischen’ Staat und dessen professioneller Dienerschaft.

Jedes Engagement, selbst in all den berühmten ‘Bewegungen’ – in jeder Folge mindestens eine – hatte letztlich keine weitere Bedeutung als für die Bewahrung der persönlichen Integrität. Wiederholt konnte man hoffen, sie bewirkten etwas anderes als Ausweitung der Aggression und der Täuschungsmanöver. Bittere Illusionen! Der  bei einer Senatsanhörung auftretende Veteran erhielt für seine Rede standing ovations; aber wie in der Folge (8) erscheint der Senat darin auch als populäre Fassade der Machtstruktur.

Das äußerliche Auf- und Ab des zwanzigjährigen Krieges. Die Kontinuität einer in diesem Fall von den Akteuren je länger je mehr als aussichtslos betrachteten und dennoch fortgesetzten Politik war der bewusst verborgene Hintergrund.

Die Phantasie des erfahrenen Investigativjournalisten der „Pentagon Papers“ reichte nicht aus für die Vorstellung fortgesetzter Untreue amerikanischer Präsidenten gegenüber ihrem Staatsvolk.

Wenn ich darin auch nicht einen ausgearbeiteten Verschwörungsplan sehe, so doch einen Mix aus situationsbezogenen Konzepten, angenommenen Denkgewohnheiten, aus populären Erwartungen, die leichtfertig oder bewusst geschürt worden waren, und sich auftuender Chancen, die man zynisch ergriff. Kissinger war (und ist) dafür sehr sensibel.

Kissinger entblößte sich in seinen (inzwischen freigegebenenen) Telefonaten als williger Helfer des skrupellosen Ehrgeizlings Nixon‚ als ‚Eichmann’ des Vietnamkrieges. Als ein brillanter Kopf von altrömischem Format wird er heute noch allgemein respektiert, kein gutes Zeichen für die Zukunft der Demokratie!

Ein ähnliches Verhältnis von vordergründigen Entwicklungen und strategischen wie taktischen Hintergründen erlebte ich vor Jahren im Fall Israel, als ich Eyal Weizmanns „Sperrzonen“ (LINK) las, und danach verstärkt nach jedem weiteren investigativen Buch und Feature (LINK).

 Die ausgewählten Zeitzeugen aus der Millionenschar der Opfer zeigen sich ihrer Rolle gewachsen, würdig. Näher kann man dem sich über zwei Jahrzehnten aufschaukelnden Krieg heute nicht kommen. Eine Zeitlang wird er sich jeder Begegnung mit anderen Themen der damaligen Zeit aufdrängen und Fragen stellen. So erlebt bei der Beatles-Dokumentation „Eight Days A Week“ gestern abend. Ja, ich werde fünfzig Jahre alte Zeitungsausschnitte, die ich ‚vorsichtshalber’ bis heute aufhob, mir noch einmal mit frischem Blick durchsehen.

 

Afghanistan aktuell : Taliban // Vietcong & Nordvietnam

Hat etwa eine subversive Truppe bei ARTE die Serie von 2017 wieder ins Programm gedrückt? Ins unverdächtige Sommerprogramm langweiliger Wiederholungen?

Ich nehme schon an, hinter den Kulissen hatte man die historischen Parallelen des militärischen Abenteuers zum Fall „Vietnam“ vor Augen, ein unterkomplexes Kalkül’ – wovor bereits 2011 gewarnt wurde* – die ständigen Fortsetzungen eines dummen und aussichtslosen ‘Engagements und schließlich des  brutalen Rückzugs der Alliierten aus Afghanistan. Nun sind die Menschen im Westen auf die schäbige Hoffnung zurückgeworfen,  dass ‘die Taliban’ doch nicht solche brutalen und realitätsfremden Barbaren sind, die Rolle, die sie in der Litanei der Massenmedien zwei Jahrzehnte hatten.  Aber dass die Parallelen der Abläufe in die Details reichen, ist einfach furchtbar.

16. August 2021

 

Zur Erinnerung: Aufgrund solcher Warnungen* verteilte ich im Dezember 2001 meinen Schülern das “Flugblatt Afghanistan 2001” (LINK) – Unterrichtseinheiten zur Geschichte des Landes waren vorhergegangen. Krasse Erfahrungen eines deutschen ‘Helfers’ in den achtziger Jahren hatten mir bereits die eigene, die westliche Distanz zur afghanischen Landbevölkerung, in Gestalt der Mujaheddin, vor Augen geführt (LINK). Das “Burka”-Argument von Feministinnen war 2001 die perfekte Untermalung der offiziellen Propaganda ( die übrigens ‘taliban’-typische Erscheinungen beim US-verbündeten Saudi-Arabien noch ein Jahrzehnt lang schlicht ignorierte). Erstaunt sah ich in Bildbänden der 1970er Jahre unbeanstandet die Burka als regionale Tracht. Ein landeskundiger Oppositions-Politiker der CDU, Jürgen Todenhöfer, warnte damals in einem populären Taschenbuch. Die rot-grüne Bundesregierung traute sich nicht, den bushigen USA eine zweite Verweigerung zuzumuten. Heute kann Todenhöfer als Gründer einer politischen Splittergruppe einen traurigen Triumph feiern. (LINK) zu seiner Schlagzeile in Twitter; wikipedia (LINK))

 

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