“Schweizer Sapeurs” erstürmen die Fiktion des Kongo auf dem Rietberg

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ACTION!

Vier Schweizer Sapeurs stürmen am 29. Februar 2020 den Rietberg, Schatzkammer der nach Europa entführten Hoch-Kulturgüter. Süffisant und muskulös erobern sie den gepflegten Kunstsaal für sich, außerdem ein Schlagersänger. Man kann sagen: Wenigstens sie haben es in den gesellschaftlichen Olymp geschafft. Fünftausend Meilen weiter südlich treten ihre Brüder (und Schwestern) vor ihre Baracken und Häuser in Kinshasa oder Lumumbashi, hinaus auf die staubige Gasse ihres Viertels, um zu flanieren, als Musiker aufzutreten oder an einem Schönheitswettbewerb teilzunehmen, oder auch nur, um an ‘des Kaisers neue Kleider’ zu kommen.

Bildschirmfotos des youtube des Rietberg Museums vom 29.2.2020

Die Zürcher Damen schau’n sich das Schauspiel in wohlerzogener Zurückhaltung, aber mit Interesse an.  So verhält man sich an einer Modenschau. Man weiß, dass man selber gesehen wird. Und die da einen dynamischen Catwalk hinlegen, sind afrikanische ‘Fans’ der Haute Couture.

 

                           DRAUSSEN VOR DER TÜR RINGT MAN UM EINEN KONSENS

(….)   Der Kolumnist einer kulturellen E-Publikation

Einem bildungsbürgerlich erzogenen Menschen war die Haute Couture  zeitlebens ein Feld unverzeihlicher feudaler Verschwendung seitens einer Klasse reicher Müßiggänger, und Inbegriff der Ausbeutung von Menschen. Sie dekoriert ihre magersüchtigen ‘Kleiderständer’ sogar mit aufwendiger traditioneller Textilkunst, die in vorkolonialen Zeiten den Alltag der Völker bereicherte. „Dekadentes Herz Europas“ liegt mir auf der Zunge, aber ökonomisch gesehen, ist Luxuskonsum erst dann „dekadent“, wenn er das für seine Expansion nötige Investitionskapital stiehlt. Aber davon haben wir dank EZB für immer genug!

Als Mann und Achtundsechziger ist mir ‘der schwarze Mann’ als Konkurrent und heimliches Vorbild noch unvergessen. Damals in den sechziger Jahren problematisierten „Twen“ oder die revolutionär auftretende Illustrierte „konkret“ ihn redaktionell, aber feierten seine Potenz auf Hochglanzfotos.

Älterer Mann, der anonym bleiben möchte

Im zwanzigsten Jahrhundert wurde das Modetheater Haute Couture in Paris dominiert von einer Riege schwuler Männer, die mit ihren Puppen spielen wollten.  Die in der Presse verbreiteten Bilder wurden von uns  ‘Spießern’ oder ‘Bünzli’ mit offenem Mund bestaunt oder glatt abgelehnt. Den wiederholten Beteuerungen der Modemacher zum Trotz bot das Milieu immer wieder Anlass zum moralischen Skandal. Heute nicht mehr? Warum eigentlich?

 

Inzwischen emeritierter Studentenführer

Ihr lasst euch von der glamoureusen Erscheinung der Sapeurs täuschen. Sie tun nur so großartig, sind, angekommen am Traumziel ‘Europa’ nur Mitläufer. Indem der Sapeur den hier heimischen  ‘Kult’ um die einschlägigen Luxuslabels übernimmt, macht er sich zum Hanswurst, zu der tragischen Figur, die der Soziologen Albert Memmi , ein Tunesier, während der Dämmerung der klassischen Kolonialherrschaft beschrieben hat.  Er stellte enttäuscht fest, der Kolonisierte wollte nur das haben, was der Kolonisator hatte und werden wie er.

Der Sapeur denkt und lebt vor allem “eurozentrisch”. Er ist ein historisch verspäteter “Èvolué”, diese praktische Erfindung, auf welche die belgischen und französischen Kolonialisten stolz waren. ‘Der Norden’ braucht also im Auftrumpfen des Sapeur keine Revolution zu befürchten.

Die authentischen Sapeurs setzen sich angeblich mit Anmut gegen die Armut und eine herunter gewirtschaftete Umgebung zur Wehr? Ich kann nicht nachvollziehen, was  solche Überbietungswettbewerbe in anonymen Metropolen bewirken sollen, wo ohnehin alle Individuen mit Mitteln des modischen ‘Sampling’ oder einer ‘Künstleruniform’ (“Schönheit der Uniformität”, Campus Frankfurt 2005) bereits um das knappe Gut ‘Aufmerksamkeit’ konkurrieren?

Sandrine Colard, KunsthIstorikerin

Mit dem Phänomen Sapeur wandert ganz selbstverständlich eine erweiterte Kunstauffassung in das Kunstmuseum ein, eine “eurozentrische Festung” gegen “die Dekolonialisierung der Kunstinstitutionen”, wie ich im Katalog “Fiktion Kongo” auf S. 316 ausgeführt habe.

 

Besitzer eines der wenigen und teuren Kataloge

Und ich muss konzedieren: Gegenüber den Sapeurs im live-Auftritt sehen die fotografierten Inszenierungen der Sapeurs von Yves Sambu (Katalog 166 ff.) bereits alt aus. Die Yaka-Maskengesichter an der Wand hinter dem improvierten Catwalk wirken so tot wie aufgespießte Beuteköpfe, eben Trophäen.

 

Einwand eines Doktors der Theologie

Nicht nur den Yaka-Masken (LINK) ! Dem christlichen Kruzifix  ergeht es in der gottlosen ‘Internationale’ der Haute Couture nicht besser.  Auf dem hier gezeigten ‘extravaganten’ Jackett tritt es nicht nur in gleich zwei konfessionell unvereinbaren Formen auf , es wird sogar in der Art eines Soldatenfriedhofs drapiert! Da wüsste ich schon gern, welchen kulturellen Hintergrund der Designer hat, ob „Kongo“ oder „Paris“, ob antikolonial-aggressiv-unantastbar oder hyper-säkular-dumm-modern. Ob ich unbehelligt schimpfen kann oder nicht.

Student der Ethnologie

Wo Sie gerade ‘Sakrileg’ thematisieren, wage ich folgenden Vorschlag, der an das inzwischen übel beleumundete Unterhaltungsformat „Völkerschauen“ des 19. und 20 Jahrhunderts anknüpft:

Könnten nicht die Kurator*innen bei Ausstellungen wie “Fiktion Kongo” professionelle Tanztruppen aus der afrikanischen Provinz einladen, die heute noch mit traditionell ausgefeilter Akrobatik auftreten – nicht mehr sakral, aber zur  beliebten Unterhaltung. Davon würden die ausgestellten ‚traditionellen’ Kunstwerke stärker profitieren, indirekt auch sogar die im Depot belassenen. Und die öffentliche Aufmerksamkeit wäre garantiert.

Ballett-Schülerin zustimmend

Ja, vor allem, weil wir Tänzer*innen beider Seiten doch am ehesten zum Wettstreit auf gleicher Augenhöhe in der Lage sind. Wozu überhaupt noch alte im Museum deponierte Gegenstände privilegieren?

Sozialdemokratischer Depotarbeiter, bescheiden Widerspruch anmeldend

Andersherum wird ein Schuh daraus! Vor ein paar Jahren wurde in einem Dokumentarfilm über den Ostkongo ein Milizenchef interviewt. Und was sah ich an der Wand seines Hauptquartiers? Zwei Lega-Masken, die so aussahen wie die meisten im Depot. Aber auch ein gedrucktes Kruzifix. Einer seiner Zeremonienmeister, der Rekruten mit der Machete eingeschworen hat, trug sogar das klassische spitze Käppi der Lega-Honoratioren (LINK) auf dem Kopf, freilich schäbiger. Früher hätte ihm vielleicht ein europäischer Hut gedient, ein Fez oder eine Dienstmütze. Dem müsste man doch nachgehen! Aber das dafür qualifizierte Personal hat ja keine Zeit.

NGO-Experte, der im Ostkongo eingesetzt war

Was Sie da sagen, kann zum Pluspunkt für den Fotografen aus Kinshasa Yves Sambu werden. Sein Sapeur in Phantasieuniform könnte so einen Milizführer vor Augen haben, wie sie noch heute auf dem flachen Land wie in Kasai, Kivu oder nördlich von Brazzaville die Bauern und Goldgräber bedrohen, beschützen und ausnehmen!

Ein MajMaj Chef, arte 1995 “Mein Afrika”

Katalog “Fiktion Kongo Abb.225 (Ausschnitt)

Älterer Herr, der sich als Sammler zu erkennen gibt

Wer sind schon die ‘Sapeurs‘. Für mich ein Nebenschauplatz. Wenn ich die zeitgenössischen Beiträge  nicht nur in “Fiktion Kongo” betrachte, frage ich mich:

Warum müssen Künstler aus Afrika vor ihrer internationalen Karriere Schulungen durch Expatriates oder in Akademien durchlaufen? Warum müssen sie ihre Arbeiten auf das Format von ‚Exponaten’ stutzen und im übertragenen Sinne desinfizieren lassen?

Selbst die anrührendste soziale Anklage bleibt auf Französisch, Englisch – selbst auf Schwyzerdütsch – merkwürdig blass. Das glauben  wir doch bereits alles zu wissen, und oft präziser aus Nachrichten und Features!  Gedruckte Dichtung  überwindet kaum die vom Schulunterricht aufgehäufte Abwehr. Im Katalog zieht sich dann so ein Text über Seiten, „The Lord is Dead….“ (222-231). heißt er. Warum ging es da noch?

Altmetall, Pappe, Karton, Lacken und Acrylfarben reißen niemanden mehr vom Hocker, weder in den sterilen weiß oder farbig getünchten Ausstellungshallen noch auf öffentlichen Plätzen in Afrika oder Paris. Und erst die demonstrierte Schäbigkeit arrivierter Künstler! Wer soll damit betrogen werden?  Die Landsleute an ihrem Wunsch nach Schönheit und Vergnügen……  (Wird unterbrochen)

 

Ergrauter polnischer Gegenwartskünstler unterbricht ihn….,

Ich habe den Ausnahmezustand  im Polen der achtziger Jahre durchgemacht. Damals glaubten wir, man sollte als Künstler die Depression der Menschen mit realistischer Darstellung bekämpfen,, Hässlichkeit durch Hässlichkeit. Unser Geld verdienten wir gleichzeitig mit staatlichen Aufträgen oder auf dem westlichen Kunstmarkt.

Erneut der Sammler

Na also! Sollen betuchte Galeriekunden über ihr schlechtes Gewissen zum Kauf bewegt werden? Was will er denn mit seinem Objekt? Womit hat er es aufgeladen? Soll es als ‘Krampus’ ein bekanntermaßen kindisches Publikum im Norden necken?

Oder verspottet Sinzo Aanza  mit “Ohne Titel” (Katalog Abb.300), einer ‘freien’ Variation eines Dorffetischs der Songye, etwa die zahllosen Landsleute, welche immer noch oder wieder im Milieu der Heiler und Zauberer Schutz und persönlichen Vorteil suchen? Davon loszukommen, gerade das versprach ihnen ‘die fremde Moderne’ der belgischen oder französischen Kolonialisten. Leeres Versprechen!

Als konventioneller Sammler traditioneller Artefakte beeindrucken mich schon eher vernarbte Beschädigungen, alte Reparaturen. Dramatisch wird es aber erst , wenn weißes Holzmehl oder ein Dutzend Insekteneier sich  auf dem  Boden ausbreiten. Das war nur ein Scherz!  Aber…..

 

Student an der Universität Zürich,  aus königlicher Famlie

Wenn Ihr heute von allen Seiten den Weckruf vernehmt: DEKOLONISIERT EUCH! Und zwar Stadt für Stadt, Straße für Straße (etwa die Nachtigal-Straße nach Gustav Nachtigal), Museum für Museum (egal was für eins), dann wisset: Es soll euch nicht besser ergehen als unseren Vorfahren, denen von euren Vorfahren die Traditionen gestohlen und entstellt wurden! Lasst euch jetzt endlich auch ‘solidarisch’ und im Einklang mit eurem unerträglichen moralischen Anspruch ko-lo-ni-sie-ren!

DARAUF ANTWORTET DER GANZE CHOR INDIGENER EUROPÄER*INNEN  (SPRECHGESANG)

Aber die Menschen in Europa wurden seit mindestens drei Jahrhunderten doch immer wieder durcheinander geschüttelt, reformiert, annektiert, kolonisiert und umerzogen. Für die Nazi-Deutschen hat man nach dem Krieg dafür sogar einen eigenen Begriff  geprägt: Re-Education. In Europa und Amerika  überlebte  keine der ‘Leitkulturen’, geschweige denn ‘Stammestraditionen’. Wir haben nichts behalten, wir noch opfern könnten. Sebst bei den amerikanischen ‘First Nations’ sind kaum mehr als folkloristische Fetzen übrig, bloß Kasinos.

Königlicher Student – Benin? oder Duala? – in entschlossenem Ton

Bei so viel hochmütiger Uneinsichtigkeit  sehe ich nur eine Lösung für die fällige “Dezentrierung der Kunstgeschichte”, für die Madame Colard plädiert : Öffnung und Aufteilung der Kunstmuseen im weitesten Sinne und deren erneute Umbenennung, wobei Kultur-Kommissionen der UN-Vollversammlung die darin zum Ausdruck kommenden Ansprüche auf Bescheidenheit prüfen und dafür sorgen sollen, dass die Zahl der zur Benennung verwendeten Begriffe sich auf ein Dutzend beschränkt.

 

Es ist Mittwochvormittag zwölf Uhr und die in der sich automatisch verlängernden Covid-19 Diktatur verordnete totale Ausgangssperre um den Rietberg tritt in Kraft. Man stiebt auseinander. Im Hintergrund sind wiederholt gellende Sirenen zu hören.

 

Das Copyright für die fiktiven Szenen liegt beim Autor (1944 – )

ETWAS MEHR HINTERGRUND?  (LINK)– ausgekoppelt und erweitert am 6.11.2020

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