„START UP-NATION ISRAEL“ – Von Israel lernen !?

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Der Beitrag (Juni 2012) erscheint gemeinsam mit weiteren aus den vergangenen zwanzig Jahren, die gerade heute nicht verloren gehen sollen. 25.5.2018

Dan Senor, Saul Singer:

START-UP NATION ISRAEL – Was wir vom innovativsten Land der Welt lernen können (Bestsellerliste Wallstreet Journal 2009, dt. Hanser 2012)

Die Autoren verfolgen klare Absichten: Kunden für den Technologie-Standort Israel zu gewinnen und sich bei den Lesern mit dem Versprechen interessant zu machen, Innovation und wirtschaftlichen Erfolg überall auf der Welt ankurbeln zu helfen. (Klappentext)

Angesichts der vielen ineinander greifenden Sonderfaktoren Israels hege ich Zweifel an der Übertragbarkeit auf entsprechend komplexe Organisationen.

Doch bildet liefert das Buch einen Schlüssel zu den ausgefeilten Strategien, mit denen Israel seit seiner Gründung die Palästinenser und seine Nachbarn unterworfen hat beziehungsweise in Schach hält. Beispiele in:„Sperrzonen – Israels Architektur der Besatzung”, 2007 (Link) und “Die Araber in Israel”, 1965 (Link)

Dass der Staat ein Labor des Westens für den asymmetrischen Krieg geworden ist, verwundert nicht mehr. Hier werden die technologischen und militärischen Erfordernisse, vor allem aber die Beziehungen zwischen beiden interdisziplinär“ und praxisnah erforscht und weiterentwickelt. (107-8)

Der militärische Sektor dieser Länder versucht von der Kooperation mit Israel zu profitieren oder doch von seinem Beispiel zu lernen. Nur der politische Bereich in den von Rechtsnormen geknebelten Demokratien ziert sich noch.

Für jede sich bedroht fühlende Elite ist ein solches Labor von höchstem Interesse, in welchem die Selbstbehauptung in einer Welt von Feinden so lebensnah und intensiv erprobt wird. Eliten sind die einzigen, die davon profitieren können.

Dieses Labor ist gefährlich auch unter dem Aspekt der Rüstungsspiralen. Und wenn der Dauerkonflikt entgleisen sollte, haben wir ohnehin die Katastrophe. Eine Innovationskultur? Ja, nur schade, dass sie auf Krieg beruht!

Dass Israels Zukunft seit der Gründung des Staates in jedem Augenblick auf dem Spiel steht“ (112), begründet nunmal seine Staatsräson.

 Am Anfang steht heute eine maßgeschneiderte Rekrutierungskampagne (114), die Jagd auf die hellsten Köpfe macht, sie beginnt systematisch in den Schulen bei den 17jährigen (104 ff.). Klar, dass man auch die Kinder der Orthodoxen endlich einbeziehen will! Dabei hat die Indoktrination hat bereits ihre Rolle gespielt ( Siehe die Dokumentarfilme „Izkor – Sklaven der Erinnerung“ von Eyal Sivan 1990 und „Defamation“ von Yoaf Shamir, 2009)! Der dreijährigen Wehrpflicht mit anschließender Reservistenzeit ist kaum zu entkommen, wenn man in Israel leben und Erfolg haben will. Die akademische Laufbahn ist in gewisser Hinsicht weniger bedeutsam als die militärische (105f.) – jeder kennt jeden, niemand kann sich verstecken (114). Dazu kommen die Netzwerke der Reservisten.

In Westeuropa wird die Wehrpflicht abgeschafft, nachdem sie ein halbes Jahrhundert meist als verlorene Lebenszeit betrachtet wurde, der die Intelligenz sich überwiegend entzogen hat. Die Desintegration unserer Gesellschaften ist unübersehbar.

Und die sozialen Probleme in Israel? Wenn die Autoren über Israelis als Entrepreneure (dt. Unternehmer) äußern: Sie machen sich keine Sorgen um den sozialen Preis, den man für einen Fehlschlag bezahlen muss und treiben ihre Projekte unabhängig von der wirtschaftlichen und politischen Situation voran, (129/39) hat das doch auch mit Auswirkungen auf Dritte, mit ‚Kollateralschäden’ zu tun. Nun, man kann sogar jede entstehende soziale Dynamik pragmatisch nutzen.

Die Autoren stellen den hebräischen Ausdruck für Pionier, ‚Macher’ mit einem Zitat von L. Wieselthier vor: Der ‚Bitzuist’ ist der Erbauer, der Pflanzer, der Pilot, der Waffenschmuggler, der Siedler. Die Israelis beschreiben diesen Menschenschlag so: Er ist barsch, einfallsreich, ungeduldig, sarkastisch und effektiv, er muss nicht allzu lange überlegen und braucht nicht allzu viel Schlaf. Bitzuismus charakterisiere auch die Start-up-Entrepreneure. (153)

Mir fällt an der entsprechenden Stelle ein, dass das unbedingte Engagement – die Haltung des „to go for it“ – auch in den USA sehr geschätzt wird. Punktgenau die erwartete Leistung zu bringen, ohne Wenn und Aber, zum Beispiel, wenn die Offiziere auf den unteren Ebenen bei der Planung und Leitung der Operationen … weitgehend von der Kontrolle durch die Vorgesetzten befreit sind (143), aber beim Einsatz sich allabendlich in schonungslosen Gruppenbesprechungen, bei denen jeder drankommt, Kameraden, Untergebene und Vorgesetzte prüfen und rechtfertigen müssen. (137)

Die Autoren legen die Ursprünge einer Innovationskultur frei, einer nicht auf Israel beschränkten, aber dort zugespitzten Innovationskultur. Sie formulieren drastisch: Die israelische Militärtradition beruht auf dem ‚Verzicht auf Traditionen’. Die Kommandeure und Soldaten sollen nicht an irgendwelchen Vorstellungen oder Lösungen festhalten, nur weil diese in der Vergangenheit funktioniert haben (138). Gründliche Selbstprüfungen (139) führen zu einschneidenden Konsequenzen.

Vielleicht gerade deshalb haben sich Staat und Gesellschaft Israels heillos in ihrem Grundkonflikt verstrickt, und sie machen ihn buchstäblich jeden Tag ‚unlösbarer’.

Auch die übrige Welt versetzte sich in den letzten Jahren regelrecht in einen Rausch der Innovationen, dem kaum ein Entscheidungsträger sich zu entziehen wagt, das Volk schon gar nicht. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Juni 2012 – Mai 2018

Ich empfehle zu weiteren Aspekten die Rezension in der WASHINGTON POST vom 31.Januar 2010: (Link)

DEREN ADRESSE:

http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2010/01/ 29/AR2010012902142.html

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