Im Nachkriegsdeutschland fasste Wiegmann als KĂŒnstler nicht FuĂ, zumal der Schuldienst eine Menge Kraft kostete. Nach seiner Pensionierung hatte er noch zehn Jahre fĂŒr eine Malerei unabhĂ€ngig vom Zeitgeist. Ob er dabei an die entpflichteten Mandarine des kaiserlichen China dachte?
Eins der Themen fĂŒr seine Ăbungen an der Schreibmaschine war „Kunstbetrieb“. – Ich habe den Text auf meiner Kopie gemarkert.
30.10.2016
Bei allem VerstĂ€ndnis fĂŒr die „ersehnte freiheit – abstraktion in den 1950er Jahren“ ….
Das Museum Giersch, Frankfurt/Main zeigt noch bis 9.7.2017 in einer konzentrierten Schau abstrakte Nachkriegskunst in Westdeutschland der fĂŒnfziger Jahre. Das GefĂŒhl groĂer Befreiung der Beteiligten weht einem entgegen. So kam mir der Aufbruch in Sellos Hamburger Galerie 1945 bis 1951 spontan wieder in den Sinn.
Das lange Verbotene mitten unter den ‚entnazifizierten‘ Reichsdeutschen tun zu können, auch wenn man sich in kleinen verschworenen Gruppen in Zimmer-Galerien traf. Damit irgendwie auch politisch âerwĂŒnschtâ zu wirken, den RĂŒckenwind der Reeducation all dieser tumben Volksgenossen zu spĂŒren. Sobald man konnte, reiste man ins Ausland, um Anschluss an die neuesten Trends zu suchen.
Die Chance zum Neuanfang – mancher hatte ohnehin alles verloren, Atelier und Arbeiten – aber Avantgarde? Willi Baumeisters oft gezeigtes „Phantom mit roter Figur“ zum Beispiel wirkt an der Wand spontan wie ein Miro. (Flyer Mitte oben)
Dazu kam die ideologische Frontbildung im Klima des Kalten Kriegs! Der Streit um den „Verlust der Mitte“ (Sedlmayer) wurde emotional und heftig ausgetragen.Die Ausstellung fokussiert sich auf die Alternative „gegenstĂ€ndlich“ oder „abstrakt“. Eine Ă€rmliche Alternative: Erstere ist in der Schau bloĂ durch zwei Ălbilder Carl Hofers in steifer kreidiger GegenstĂ€ndlichkeit vertreten.
Die LektĂŒre des „Dilettantismus“-Artikels aus Wiegmanns Nachlass war mir noch prĂ€sent:
Carl Linfert diagnostizierte 1931 eine âstrukturelleâ Krise der modernen Kunst, wobei sich seit dem frĂŒhen 19. Jahrhundert verschiedene Krisen ablösten. Ich resĂŒmiere :
- Â Sozialer Bedeutungsverlust durch Absonderung im âentrĂŒckten Kunstbezirkâ seit dem 19. Jahrhundert
- Imme neue Programme und Parolen
- Der verursachte Verlust vieler tradierter Kunstmittel
- Eine sich allmÀhlich entleerende abstrakte Kunst
Hatte die Situation sich inzwischen nicht verschlimmert? Bereits Linfert sprach von einem ânaivenâ Primitivismusâ. Der erhielt mit jeder neuen Generation einen frischen Schub.
Was thematisiert davon Wiegmann in seiner ‚SchreibĂŒbung‘ ?
- ein des ewigen Wechsels mĂŒde gewordenes, abgestumpftes Publikum.
- den Druck auf die KĂŒnstler, durch die jeweils aktuellen Beurteiler und Kritikerâim GesprĂ€châ zu bleiben (Dokumenta-Fotos mit lesenden Besuchern!) und denen mit neuen EinfĂ€llen zu gefallen. Wiegmann spricht vom Anpassungsdruck der diversen âMalergruppenâ und Galerien
- Er thematisiert die Angst vor Werkspionage : Womöglich war der Nachahmer der Geschicktere.
- Wiegmanns Beispiele unglĂŒcklicher LebensverlĂ€ufe und Fehlurteile entstammen bewusst sĂ€mtlich dem 19. Und 20. Jh.! FĂŒr die Epochen davor schreibt er: Verkannte Genies scheint es doch kaum gegeben zu haben. Das zu erwartende Gegenbeispiel Rembrandt entkrĂ€ftet er nĂŒchtern als SelbstschĂ€digung durch unmögliches GeschĂ€ftsgebaren.
- Mit dem Folgenden wird er viel konkreter als Linfert, der nur von âAbsonderungâ sprach. Politische Erfahrungen will Wiegmann nach Diktatur, Krieg und ‚Kaltem Krieg‘ nicht mehr bloĂ vornehm andeuten: Bevor man mangelndes VerstĂ€ndnis der Zeitkunstâ beklage, solle man fragen: Wer versteht die Zeit, ehe er die Kunst verstehen will? Er fragt weiter : Sind ihre Probleme diejenigen unserer Zeit? Als individuelle Trauma-Kunsttherapie oder als Spiel (post-)pubertĂ€rer Jugendkultur, wie sie mir jetzt im Horizont der Ausstellung âErsehnte Freiheitâ erscheint, will er âKunstâ nicht gleichsetzen.
Er wird konkreter und scheint mir damit unverÀndert aktuell:
- – Ist unsere Zeit nur die Zeit technischer Versuche? Der Experimente? – So wie das Flusser als einziges relevantes Paradigma sehen wollte. Ein ZurĂŒckschrecken sollte nicht erlaubt sein, wurde verhöhnt, vielleicht weil das der endgĂŒltigen âShoaâ der gesamten Menschheit im Weg stand.
- – â…. der VerblĂŒffungen? Der Moden? Der völligen Negierung aller sozialen Nöte und Verwirrungen?â – âKunstâ als Teil der Luxus(industrie) und Ignoranz, wie sie fĂŒr mich immer noch gĂŒltig in Huxleys Roman âBrave New Worldâ (1932) verkörpert wird.
- – FĂŒnf Minuten vor der Atombombe haben wir die Verpflichtung, die Bildformen zu zertrĂŒmmern? Was kommt danach? …. Keine Lust etwas zu verhindern?
- Und schlieĂlich: Gleichschaltung. – Der nach Hitler und angesichts der Positionierung gegen die Kunst der ‚DDR‘ hĂ€rteste Vorwurf! Er meint aber, was er im GesprĂ€ch „Galerieknechte“ nannte. Wir denken heute an Diktate des Kunstmarkts.