Dokumentation und Erörterung von drei Internetquellen zum Lebenswerk, anlässlich seines Todes im Jahr 2000 und des hundertsten Geburtstag im März 2009 – verfasst von April 2009 bis Dezember 2014
Eine aktuelle Stellungnahme zum Film von Hedinger (2019) im April 2021 (LINK)
Vorwort zu den beiden verspätet geladenen Fotos
René Gardi war nicht irgendein Reiseschriftsteller meiner Jugend, sondern der Autor von ein paar ‘Ikonen’, die ich um 1957 aus einem Verlagsprospekt ausschnitt und aufklebte – wie auf dem Din A5-Blatt links zu sehen. Die schönste freilich ging irgendwann verloren. Ich ersetze sie aus “Kirdi”, Zürich 1957 direkt, bewusst klein. (rechts) Dass die “Massa-Mädchen mit Reusen” im Tschadsee so paradiesisch nackt posierten, verdankte sich übrigens dem glücklichen Umstand, dass Textilien bei der Arbeit im Wasser störten. Bloß der Fotograf mag über die Schaulust hinaus den Gedanken im Hinterkopf gehabt haben, die schweizer Bünzli zu schockieren. 7.11.2016
Dokumentation und Erörterung der drei Internetquellen zum Lebenswerk
Die Unterstreichungen heben von mir gesetzten Akzente bereits in den Texten hervor.
1. Basler Informationsservice OnlineReports 2000
Buch- und Filmautor René Gardi gestorben - Er vermittelte ein Afrika-Bild der glücklichen Menschen und unberührten Lebensräume Von Ruedi Suter 9. März 2000
Der Schweizer Schriftsteller, Fotograf und Filmer René Gardi ist am Dienstag in einem Berner Pflegeheim eine Woche nach seinem 91. Geburtstag verstorben. Dies teilte sein Sohn Bernhard Gardi, Konservator am Museum der Kulturen Basel, am Mittwoch auf Anfrage dem Basler Informationsservice OnlineReports mit. René Gardi hat mit seinem Werk das Afrika-Bild vieler Schweizerinnen und Schweizer von den 50er bis zu den 70er Jahren nachhaltig geprägt. Es war ein aus heutiger Sicht eher idealisierendes Bild, welches das Dasein der afrikanischen Menschen in ihren von der Zivilisation noch beinahe unberührten Lebensräumen zeigte. Gardis bevorzugte Reiseziele waren die südliche Sahara mit den Tuareg-Nomaden, die dem europäischen Schönheits- und Freiheitsideal entsprachen, sowie Nordkamerun, wo er in den immer wieder besuchten Mandara-Bergen mit ihrer ursprünglich lebenden Bauernbevölkerung sein Paradies fand. Zeugnisse verlorener Kulturen ”Mein Vater hat im Sinne “zurück zu den Wurzeln” nicht die modernen Städte, sondern das afrikanische Hinterland repräsentiert”, erklärte Sohn Bernhard, ebenfalls Afrika-Forscher. René Gardi, der seine Fotos fast nie arrangierte und der Zivilistation vorwarf, “den materiellen Wohlstand mit dem Glück zu verwechseln”, notierte und machte Bilder im Bewusstsein, dass seine Dokumentationen bald zu Zeugnissen verlorener Kulturen würden. Gardi unternahm 1936 als Mittelschullehrer seine erste Reise – nach Skandinavien. Nach den vielgelesenen Knabenromanen “Schwarzwasser” und “Gericht im Lager” machte sich Pfadfinder Gardi 1945 selbstständig. Nun folgte eine Reise nach der anderen, 40 Jahre lang, vorab nach Afrika und Neuguinea. Zu seinen bekanntesten Buchtiteln, gehören “Blaue Schleier – rote Zelte (1950), “Mandara” (1953), “Der schwarze Hephästus” (1954), “Kirdi” (1955), “Tambaran” (1956), “Sepik” (1958) sowie die Monographien “Sahara” (1967), “Unter afrikanischen Handwerkern” (1969) und “Auch im Lehmhaus lässt sich’s leben” (1973). Träger zahlreicher Auszeichnungen. Seine Erlebnisse und Erkenntnisse gab der Berner Weltenbummler mit dem einmaligen und umfassenden Bilderarchiv auch an zahlreichen Vorträgen weiter. Grosse Aufmerksamkeit fanden seine Filme “Mandara” (1959) und “Die letzten Karawanen” (1967). Für sein Schaffen erhielt der rührige Selfmademan verschiedene Auszeichnungen wie den Jugendbuchpreis des Schweizerischen Lehrervereins (1963), den Ehrendoktor in Ethnologie der Universität Bern (1967) sowie eine Ehrengabe des Kantons Bern für das Gesamtschaffen (1979). Ob René Gardi ganz anders oder überhaupt je über Afrika geschrieben haben würde, wenn er dort auch jahrelang gelebt hätte, bleibt eine offene Frage. Sicher ist aber, was Christraud Geary vom National Museum of African Art in Washington D.C. feststellt: “Kein Schriftsteller und Fotograf, der sich mit Afrika befasste, übte in den fünziger bis in die siebziger Jahre hinein einen solch prägenden Einfluss im deutschsprachigen Raum aus wie er.”
2. Zentrum für Afrikastudien Basel ( Schweiz) www.unibas-zasb.ch
Hommage an René Gardi (Film und Diskussion)
In zahlreichen Vorträgen an Schulen und in öffentlichen Veranstaltungen erzählte Gardi von seinen Reisen zu glücklichen Menschen in unberührten Lebensräumen. Mit seinen grossartigen Fotos und lebendigen Erzählungen faszinierte er Gross und Klein. Sein Interesse galt Menschen und ihren Lebenswelten in der Peripherie, weit weg von den Geschehnissen der grossen Welt, Menschen, die kaum jemand kannte. Vieles von dem, was er in seinen Filmen und Büchern dokumentiert hat, wie die Welt der Glasmacher von Bida oder die Eisenhersteller in Nordkamerun, ist denn auch heute unwiederbringliche Vergangenheit. Damit sind René Gardis Fotos und Filme heute wertvolle und bedeutende Hinweise auf die Geschichte Afrikas. Im Zentrum dieses Wochenendes stehen René Gardis Filme über Afrika, bekannte und wenig bis kaum bekannte. Damit möchten wir ihn zu seinem hundertsten Geburtstag ehren und mit ihm in seine Afrika-Welt eintauchen. Wir wollen ihn aber auch als Zeuge seiner Zeit sehen und sein Afrika-Bild, ebenso wie unser heutiges, kritisch hinterfragen. Der behutsame und liebevolle Zugang zu den von ihm porträtierten Menschen ist es, der das Werk von René Gardi so einmalig macht. (Elisabeth Bäschlin)
3. Berner Tagblatt – Kultur: 28. Februar 200
Unser Draht nach Afrika – René Gardi
«Er hat schwache Texte geschrieben und starke Bilder gemacht», sagt sein Sohn. Damit allerdings hat der vor hundert Jahren geborene René Gardi das Bild von Afrika lange geprägt. Es ist das Bild einer ursprünglichen Welt – das Gegenbild zum Wohlstandswunderland Schweiz. Daniel Di Falco
Irgendwo im Bernbiet, irgendwann in den Siebzigerjahren: Der berühmte Mann besucht eine Sekundarschule für einen Diavortrag, doch vorher gibt es für die Schüler Arbeit – sie müssen den Gast in einem Satz charakterisieren. «Er kommt von Afrika», schreibt einer ins Heft. «Er ist ein Länderbereiser, der dann einen Film daraus macht», weiss ein zweiter. Einer schliesslich kommt auf dieses hübsche Resultat: «Er forscht in den Ländern herum.» René Gardi, der morgen Sonntag hundert Jahre alt geworden wäre, hat die Antworten der Schüler in einem seiner Bücher veröffentlicht. Es erschien 1974, es handelt von seinen «Erlebnissen und Begegnungen auf Vortragsreisen durch die Schweiz».
«Ich würde kochen»
Man ruft ihn an, um ihm ein Hausrezept gegen Mücken beizubringen. Man fragt ihn nach einem «afrikanischen Wort» für einen Wettbewerb, bei dem eine Weltreise zu gewinnen ist. Man will seinen Rat vor einer geplanten Heirat mit einem afrikanischen Studenten. Man bewirbt sich als Begleitung für die Sahara: «Ich bin zwanzig Jahre alt. Können Sie mich nicht gebrauchen? Ich würde kochen, Geschirr spülen, Kleider waschen, Ihre Socken flicken und auch singen.»
Und immer wieder verlangt man Auskunft von René Gardi über René Gardi , den Vortragsreisenden, der selber Gegenstand von Vorträgen in Gymnasien geworden ist: Wie viele Länder er schon bereist habe. Wie lange er an einem Buch arbeite. Ob er schon immer Schriftsteller werden wollte. Wenn ja: warum. Gardi war eine Institution. Die Briten, die Franzosen und auch die Deutschen hatten ihre Kolonien – die Schweizer hatten Gardi als direkten Draht nach Afrika. Er war es, der sie bekannt machte mit dem Fernen und Fremden.
40 Reisen, 2000 Vorträge
René Gardi also, geboren am 1. März 1909 in Bern als Sohn eines Tramchauffeurs, gestorben am 8. März 2000 in Bern, war Sekundarlehrer, bevor er in den Dreissigerjahren ein erstes Mal in die Welt aufbrach, in den Hohen Norden, dann in den Nahen Osten und nach Neuguinea, vor allem aber Afrika, und es sich nach dem Krieg zum Beruf machte, zu verreisen und davon zu berichten, als Schriftsteller, Reporter, Fotograf, Filmemacher, Radio- und Fernsehschaffender, Vortragsunternehmer. In Zahlen: 40 Reisen (die letzte 1992), gegen 2000 Vorträge, 30 Bücher, gut die Hälfte davon über Afrika.
Charisma – und Bilder
Es gibt einige Randbedingungen für seinen Erfolg. Dass damals, beispielsweise, noch kaum Fernseher in den Stuben standen. Dass es keine All-inclusive-Angebote für die Sahara gab. Dass Gardi weit und breit der einzige war, der von solchen Erlebnissen berichten konnte. Dass er Charisma und didaktische Fertigkeiten hatte, zudem einen speziellen Apparat, der seine Dias auf mächtige vier mal vier Meter projizierte.
Doch das Wesentliche steckt in Gardis Bildern und Berichten selber. Sie dokumentieren nicht bloss das menschliche Leben im Tassili-Gebirge oder in Sahel – sie enthalten auch einen Traum von fernen Ländern und fremden Völkern, in dem es um wahre Heimat geht: Gardi traf ein Unbehagen, das sich im Wohlstandswunderland verbreitet hatte.
Die «Kinder der Wildnis»
Bei den Kirdi im Norden Kameruns versenkt sich Gardi offensichtlich mühelos ins Alltagsleben jener Menschen, «die wir überheblich die Primitiven nennen». «Kinder der Wildnis», so nennt sie Gardi und schwärmt von ihrer «ungebundenen Freiheit» und «unverdorbenen Natürlichkeit». So muss das Leben vor dem Sündenfall gewesen sein: René Gardi sieht das Paradies. Zugleich macht er es erst sichtbar, mit seiner Kamera.
Er dokumentiert das Leben der Kirdi akribisch wie ein Völkerkundler, aber ohne den Blick eines Wissenschafters, der die Dinge zerlegt und nach analytischen Kategorien seines Fachs katalogisiert. Stoffe färben, Harfe spielen, Hühner opfern.
Gardi zeigt die Dinge stets im Zusammenhang, er suggeriert einen kleinen Kosmos, in dem das Dasein einem elementaren Gang der Dinge folgt. Er hat sich nicht für das städtische Leben Afrikas interessiert, nicht für politische Konflikte und auch nicht für die Bewegungen, die schliesslich in die Unabhängigkeit der Kolonien münden sollten. Sein Afrika war das Hinterland des Kontinents – hier fand er die Bilder zu jenem Traum, den er mit seinem Publikum in Europa teilte: ein von allen Zumutungen des modernen Lebens ungestörtes Glück.
«Ich pfeife auf den Fortschritt»
So ist die Afrika-Hymne dieses Mannes auch eine Absage auf die Welt, aus der er selber kommt: «Schaffen und schuften, hasten und eilen wir Europäer nicht ununterbrochen, bloss um uns Dinge leisten zu können, die wir gar nicht brauchen? Wir sind dabei, materiellen Wohlstand mit Glück zu verwechseln. Ich pfeife auf jeden technischen Fortschritt, wenn er nur dazu dient, die Seele zu töten.» Genau hier liegt wohl Gardis entscheidende Attraktion: Er traf die alte Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.
«Mein Vater war ein Moralist», sagt heute Bernhard Gardi , der als Ethnologe die Abteilung Afrika am Basler Museum der Kulturen leitet. Die Informationen seines Vaters seien oft oberflächlich gewesen, viel habe er von jenen Einheimischen erfahren, die Französisch konnten und für ihn auf seinen Reisen kochten. «Oder von den Missionaren und den Kolonialbeamten. Und die wussten es auch von ihren Köchen.» Doch damit sei es ihm ergangen wie fast allen Europäern.
Der Rang ist anerkannt
Bernhard Gardi ist keiner, der beleidigt wäre über Kratzer am Erbe seines Vaters. «Er hat schwache Texte geschrieben und starke Bilder gemacht», sagt er selber. Der dokumentarische Rang von René Gardis Film- und Fotoschaffen ist anerkannt. Denn so, wie er es prophezeit hatte, war bald fast nichts mehr übrig von den Lebensformen, denen er begegnet war. 1997 ist der Sohn ins «Traumland» des Vaters gefahren, in die nördlichen Berge Kameruns. Dort hat er den Nachkommen der Hirten, Schmiede und Zauberer die Bilder seines Vaters überbracht – viele davon waren bereits historische Dokumente.
Kommentar
Ich bin von der Lektüre Gardis – mit Ausnahmen – angetan und von den drei Rezensionen erst überrascht, dann aber doch nicht.
Denn René Gardis Plauderton täuscht über die Tiefe seiner Erfahrung. Manche betuliche Phrase mag seiner Jugendbuchschriftstellerei entsprungen sein. Vom Sprachduktus her hätte ich nicht gedacht, dass er schon über vierzig Jahre war, als er ‚Mandara – Unbekanntes Bergland in Kamerun’ 1955 schrieb, aber war ich bei meiner Reise an die Elfenbeinküste 1985 nicht ebenso alt, und ging ich nicht mancherorts als „amerikanischer Student“ durch? Schrieb ich darüber nicht auch unprätentiös und persönlich? In mancher – eher humoristischen – Szene sehe ich mich selber wieder (LINK). Es ist keine professionelle Erzählung, und keine literarische wie die von Michel Leiris, der glänzt, aber schließlich doch wenig zu erzählen hat als Mitglied im Tross einer Großexpedition.
Bernhard Gardi ist keiner, der beleidigt wäre über Kratzer am Erbe seines Vaters. (Di Falco)
Dass sein Sohn sich von ihm vorsichtig distanziert hat, ist verständlich: Stand er doch im Schatten eines ausgewiesenen Dilettanten und trug – wie peinlich – dessen Namen im Kreise ernsthafter Fachgenossen. In diesem Satz wiederholt sich die Eifersucht der akademischen Fachleute auf die freien Vögel, die in ihrem Forschungsfeld vagabundieren.
Humor und tiefes Empfinden scheint in der Ethnologie eher selten vorzukommen. Mir fallen spontan Nigel Barley – auch er eher flach im Stil – und Claude Levi-Strauss („Traurige Tropen“) ein, Milan Stanek („Geschichte der Kopfjäger“), Napoleon Chagnon, dann schon fachliche Außenseiter wie die Zürcher Psychoanalytiker Paul Parin, Maya Nadig, Journalisten wie Ryszard Kapuszynski. „Reiseschriftsteller“ ist das bekannte akademische Stigma für Hugo Bernatzik, v.Fürer-Haimendorf (Naga) und Heinrich Harrer gewesen, für vielseitig begabte und tüchtige Leute, die keine Angst vor der Tuchfühlung hatten und populär wurden. Mancher Satz erinnerte mich auch an einen alten Belgier, der unbewaffnet und unbehelligt, ein Leben lang den Kontinent erfahren hatte und dann Jahrzehnte an einer Enzyklopädie, ursprünglich Westafrikas, dann doch ‚bloß’ der Elfenbeinküste arbeitete (LINK).
Man muss bei Gardi zwischen den Zeilen lesen, da ist eine Menge Spott versteckt. Es sind bittere Botschaften herauszuhören, welche die Leser gegen kolonialistische und sensationslüsternen Heldengeschichten immunisieren sollten, die eine – zugegebenermaßen vorsichtige – Kritik an der heimischen Zivilisation und ihren destruktiven Kräften übten.
Gardis „Idealisierung“ ist nicht verlogen, und er lässt er sich bei seinen Beobachtungen beobachten. Vielleicht fällt es westlichen „Pfadfindern“ und Wandervögeln, auch amerikanischen Freaks, – wenn sie offen und neugierig reagieren – leichter als blassen Seminaristen und Begriffschirurgen, zu Menschen Kontakt zu finden, die unseren Großeltern und Urgroßeltern näher stehen als man lange wahrhaben wollte. Übrigens sind auffällig viele Schweizer und Österreicher aus der Provinz sind in meiner Liste!
Was damals „unberührt“ in diesem Kontext bedeutete, weiß ich noch. Das Wissen und die Trauer über das „verlorene Paradies“ schwang immer mit. Ich selber glaubte leider viel zu früh, die letzte Nische sei geschlossen, bis ich 1985 doch noch eine Ahnung davon bekam. Dass diese Trauer sich nicht politisierte, kann man uns, dem Publikum von Gardi, Bernatzik u.Co. und natürlich den Autoren selber vorwerfen, aber waren die akademischen Ethnologen so viel klüger? Der behutsame und liebevolle Zugang zu den von ihm porträtierten Menschen ist es, der das Werk von René Gardi so einmalig macht. (Elisabeth Bäschlin) Das hat ihnen vielleicht gefehlt.
Ob René Gardi ganz anders oder überhaupt je über Afrika geschrieben haben würde, wenn er dort auch jahrelang gelebt hätte, bleibt eine offene Frage.
Die Frage lässt sich klar beantworten: Nicht oder anders in den französischen und internationalen Milieus der Zentren wie Abidjan, Dakar, wo Metropolen-Hörigkeit und Rassismus nie aufgehört haben. Doch im Hinterland – warum nicht?
«Mein Vater war ein Moralist», sagt heute Bernhard Gardi , der als Ethnologe die Abteilung Afrika am Basler Museum der Kulturen leitet. Die Informationen seines Vaters seien oft oberflächlich gewesen, viel habe er von jenen Einheimischen erfahren, die Französisch konnten und für ihn auf seinen Reisen kochten. «Oder von den Missionaren und den Kolonialbeamten. Und die wussten es auch von ihren Köchen.» Doch damit sei es ihm ergangen wie fast allen Europäern.
Genau! Doch warum ist er so streng mit ihm? War es Rene Gardis Auftreten und Aura in der Schweiz, die ich nicht beurteilen kann?
„Sein Afrika war das Hinterland des Kontinents – hier fand er die Bilder zu jenem Traum, den er mit seinem Publikum in Europa teilte: ein von allen Zumutungen des modernen Lebens ungestörtes Glück.“
Die Verknüpfung der Motive „Paradies“ und „Sündenfall“ mit Wohlstandskritik, die auch dieser Zeitungsbericht wieder reichlich streut, sind meiner Meinung nach eher einem Publikum, ja einer Öffentlichkeit zuzurechnen, die aus klaren Bildern und Signalen keine Konsequenzen ziehen mochte und mag, sondern sich diese Räume, durch welche sich schon ein langer und breiter„Weg der Verwüstung“ (John H. Bodley, 1982) zog, für die gemütliche Stunde auf der Couch reservierte, für „ein von allen Zumutungen des modernen Lebens ungestörtes Glück.“ „Zumutungen“? Ist das alles, was man der modernen Zivilisation vorwerfen kann? Das wäre dann einfach zu widerlegen, als unreife kindliche Trotzhaltung.
Wie blass fällt Anerkennung aus, wenn sie sich so ausdrückt: „Der dokumentarische Rang von René Gardis Film- und Fotoschaffen ist anerkannt.“ oder „Damit sind René Gardis Fotos und Filme heute wertvolle und bedeutende Hinweise auf die Geschichte Afrikas“.
Wenn di Falco schreibt: Er dokumentiert das Leben der Kirdi akribisch wie ein Völkerkundler, aber ohne den Blick eines Wissenschafters, der die Dinge zerlegt und nach analytischen Kategorien seines Fachs katalogisiert. Stoffe färben, Harfe spielen, Hühner opfern“, wählt er selber einen ironisch andeutenden Ton, den sicher nicht jeder versteht.
Ich selber lernte die Fotos René Gardis weit früher kennen als seine Bücher – und die erst spät und übers Antiquariat. Unter ihnen, wunderbar dramatisch im damals üblichen Tiefdruckverfahren, kann ich noch einzelne ‚Ikonen’ erinnern. Er war ein Bildkünstler und ein begabter Erzähler!
21.April
Ich versuche, etwas mehr über den Sohn Bernhard herauszufinden. Er scheint sich ganz auf die Sicherheit im Materiellen – auf das Gebiet der Ethnographie – zurückgezogen zu haben. Der O-Ton des DRS2-Afrika-Korrespondenten reagiert interessanterweise auch auf ein Phänomen, das sich mir im Fall Rene Gardi aufdrängt:
Auf dem Bild des „glücklichen Wilden“ scheint ein Tabu zu liegen, und jeder der dem zu Nahe kommt, gerät in Verdacht, es zu verletzen. Kein Reden über René Gardi kommt ohne die Versicherung aus, ihn auf jeden Fall einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Elisabeth Bäschlin hat dies sogar bewusst in zwei Richtungen formuliert., als Forderung, „sein Afrika-Bild, ebenso wie unser heutiges, kritisch (zu) hinterfragen“.
Vielleicht ist es das Überlesen und Überhören in der eigenen Jugend, an dem sich die Schweizer – sie waren die wichtigsten Gardi-Kunden – heute stören, die Ahnung, dass es einen inneren Zusammenhang geben könnte zwischen ihrer sentimentalen Ignoranz damals und dem inneren Spendenzwang für den leidenden Kontinent heute.
Wenigstens hat Gardi nicht unter der angeblichen Nähe zu nationalsozialistischen Blut-und-Hoden-Idealen zu leiden wie Leni Riefenstahl in ihrer Begeisterung für allerdings athletische Nuba. Denen können die Kirdi auch wohl nicht das Wasser reichen. Hingegen könnte das Image der Woodabe, Fulbe-Hirten im Sahel und zeitweise populär durch das Fernsehfeature von Werner Herzog, von der neuen Akzeptanz von Transvestiten, Drag-Queens und allerlei transsexuellem Volk im Westen profitiert haben. Die ‚Völkerkunde’ steht eben mitten im Leben.
– Redaktion 21.12.2014 – 20.1.2019