Mischa Hedingers „African Mirror“ – René Gardi postkolonialisiert

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RENÉ GARDI (1909-2000)

Zwanzig Jahre nach seinem Tod – eben erst war er zur Würde eines dieser langweiligen Straßennamen gekommen, sechzig Jahre nach seinen Kinofilmen und fünfundsiebzig Jahre nach seinem Scheitern als Pädagoge, wurde ‘die Legende’ durch einen Dokumentarfilm ins grelle Licht gezerrt und musste mit umfangreichen Archivalien gegen sich selbst aussagen. Der Coup, der nur im Archiv und am Schneidetisch  gelandet wurde, muss dem Regisseur Hedinger elegant gelungen sein, denn die Liste der absolvierten Festivals ist lang. (LINK).

Ich wunderte mich schon, wie häufig mein Blog „Eine Lanze für René Gardi!“ (LINK) aufgerufen wurde, aber was ich erst im Februar 2021 über “African Mirror” (CH 2019) erfahren habe, hat mich zunächst empört und veranlasst mich heute, mich noch einmal zu Wort zu melden.  Ich las dann journalistische Kritiken und die zum Film herausgegebene Broschüre (LINK dropbox pdf).

Ich beschränke mich auf zwei Filmkritiken und das gut komponierte Interview in der Broschüre.  Was  sich der junge Filmkünstler Hedinger  (LINK zur Filmographie) mit dem Film vorgenommen hat, wird vom Freund und Berater Tevodai Mambai kommentiert. Der stammt aus einer von Gardi porträtierten Ethnie in den Mandara-Bergen, verteilt auf Nigeria und Kamerun. In den achtziger Jahren geboren, war er Student der Germanistik an der «École normale superieure» Paris und ist heute Doktorand an der Universität Bern (LINK)., Er begleitete die Arbeiten Hedingers am Film. Dessen Afrika-Erfahrungen beschränkten sich nach eigener Darstellung auf ein halbes Jahr im PR-Kontext, als er in Westafrika „Imagefilme für NGOs“ drehte. In der historischen Materie, um die es bei René Gardi geht, um koloniale Beziehungen und Verhältnisse, war er bisher Laie.  Hingegen untersucht Tevodai Mambai als Germanist speziell deutsche Kolonialliteratur. Von anderen Fällen her hatte ich schon die Befürchtung eines zu engen ‘wissenschaftlichen’ Blickwinkels, aber seine eigenen Erfahrungen und die soziale Verantwortung, die auf einem erfolgreichen kameruner Kind aus tiefster Provinz lasten sind deutlich erkennbar.

 Kernaussagen zweier Filmkritiken von 2019:

 

“K.-o-Schlag”

Der Medienjournalist Lory Roebuck beginnt seine Rezension (NZZ 13.11.2019, LINK) mit der hintersinnigen Hypothese „Der Film vertraut seinem Publikum“ und führt seine Leser allmählich zur Schlusspointe: „René Gardi und seine paternalistische Haltung waren schon damals angezählt. Nun verpasst ihnen Hedinger noch den K.-o-Schlag.

Gardis Film „Mandara“ fiel bereits 1960 durch, erst bei der deutschen Prüfstelle für das steuerbefreiende „Prädikat wertvoll“, dann an den schweizer Kinokassen. Es war die Zeit afrikanischer ‘Unabhängigkeitserklärungen’ und die Hinterwäldler des Mandara-Gebirges waren nicht die passenden Repräsentanten für die vielversprechende neue  Epoche.

Wenn die Montage zur Demontage wird  – Mischa Hedinger entschlüsselt in seinem Dokumentarfilm “African Mirror” über den Fotografen und Filmer René Gardi den weissen Blick

Kasper Suber (WOZ  Nr.46/2019 vom 14.11.2019 LINK ) geht in den letzten zwei Absätzen  seiner Filmkritik auf die postkoloniale ‘Botschaft’ von “African Mirror” ein:

“… Wer heute das koloniale Bilderkarussell noch einmal anwirft, muss sich der Frage stellen, ob damit nicht erneut Stereotype in die Welt gesetzt werden. Und der Frage, ob eine nichtweisse Sicht auf René Gardi nötig wäre. Mischa Hedinger hat sich dagegen entschieden, er lässt die Bilder und Zitate für sich allein sprechen. Aus Gründen der künstlerischen Reduktion ist das durchaus nachvollziehbar, schafft er doch so einen klaustrophobischen Raum, in dem es für weisse BetrachterInnen kein einfaches Entrinnen vor der Geschichte gibt. Dafür steckt er aber auch Kritik ein, so in einem Gespräch mit dem Kameruner Germanisten Tevodai Mambai im Reader zum Film. «Diese Bilder sind nicht mehr aktuell, im Film gibt es jedoch kein Wort zur jetzigen Situation der Mafa. In diesem Zusammenhang ist der Film für mich auch verletzend», kritisiert Mambai im Gespräch. Für ihn sei «African Mirror» kein Film über die Mafa, sondern über die Schweiz und Gardis Obsessionen, entgegnet Hedinger. Vermutlich haben beide recht, sind mehrere Filme aus Gardis Material denkbar.

«African Mirror» bestätigt auf alle Fälle, dass die Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe in der Schweiz in nur kurzer Zeit weit gekommen ist. Wurde die postkoloniale Theorie anfänglich als moralisierend abgetan, ist sie aus der Geschichtsschreibung nicht mehr wegzudenken. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen haben sich mit der Verflechtung der Schweiz mit dem kolonialen Herrschaftsprojekt beschäftigt. Mit seinem Film führt Hedinger nun einem breiten Publikum vor, was ein dominanter weisser Blick genau bedeutet. Nur wer diesen erkennt, wird die gegensätzlichen Wahrnehmungen von Europa und Afrika überwinden können. Oder mit dem Filmtitel gesagt: durch den Spiegel gehen.

Suber spielt die hier die Rolle eines Journalisten des Mainstreams: Er stellt kritische Fragen, um sie gleich mit hohlen Floskeln unter Hinweis auf ungenannte Autoritäten einzufangen und das Einverständnis darüber vorauszusetzen, dass “ein klaustrophobischer Raum” ein angemessenes “künstlerisches” Mittel darstelle,  um  “weisse(n) BetrachterInnen” “vorzuführen“, was ihr “dominanter weisser Blick” in der Welt für ein Unheil anrichte. Es gehört zum Programm einer “postkolonialen Schweiz”, den Landsleuten Schuldgefühle aufzudrängen für “Verflechtungen“, die überhaupt nicht ihre Verflechtungen sein können, im Unterschied zu ihren zahllosen Verflechtungen in der Gegenwart, als Konsumenten, Investoren, Urlauber, Wähler…..  Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die ältere Generation für ihre Anhänglichkeit an René Gardi bestraft werden soll. Dass damit der Graben der ja nicht nur “gegensätzlichen Wahrnehmungen von Europa und Afrika” zu überwinden wäre, halte ich für einen frommen Wunsch.

 

BROSCHÜRE UND INTERVIEW

Doku

‘African Mirror’ Titel

Hedinger hat eine über siebzigseitige Broschüre zur „Vertiefung“ (LINK dropbox pdf) verfasst, die heute im Netz – anders als die Pressestimmen und  Werbetrailer – nicht leicht aufzufinden ist.

Das Protokoll von zwei Gesprächen, die Mischa Hedinger während und nach der Arbeit am Film mit Tevodai Mambai führte“, ist für  mich der interessanteste Teil. Ich habe ein paar knappe persönliche Kommentare eingeschoben.

Vorab mein Gesamteindruck: Tevodai Mambais Einfluss auf das Endergebnis kann nicht entscheidend gewesen sein, nach dem, was er im Interview an differenzierenden Bewertungen und grundsätzlicher Kritik zurückhaltend und höflich vorbringt. Der junge Schweizer wirft ihm hoffnungsfroh die Kampfbegriffe „kolonialistisch“ und „rassistisch“ zu. Zurück kommt immer wieder ein einschränkendes „Aber“.

AUSZÜGE

TM: Gardis Afrikabild kann das Bild, das hier in Europa herrscht und welches von Stereotypen und Klischees geprägt ist, verstärken. Es ist ein paternalistisch geprägtes Bild, welches in seinem Buch vermittelt wird. Aber für uns Mafa ist das Buch auch ein historisches Dokument, auf das wir zurückgreifen können, wenn wir uns mit unserer Kultur und mit unseren Vorfahren auseinandersetzen wollen. (….)

MH: Was findest du, wo zeigt sich der Rassismus von Gardi?

TM: Rassismus kann man beispielsweise feststellen, wenn er bestimmte Begriffe wie «unzivilisiert» oder «hinterlistig» benutzt. Oder wenn er in seinem Buch behauptet, die Afrikaner, die sich im Gefängnis befinden, sind materiell besser gestellt, als diejenigen die frei sind.

MH: Wie würdest du Gardis Verhältnis zum Kolonialismus beschreiben?

TM: René Gardi und Paul Hinderling (….) waren zum Beispiel bei der Volkszählung dabei oder konnten bei der Reise in die Berge mit den Kolonialherren mitreisen und teilten deren Ansichten. Das heisst, die Idee, nach der die Schwarzen im Allgemeinen «minderwertigere» Leute sind, war auch im Kopf von René Gardi omnipräsent. Das war aber auch die Idee der Epoche.

  • “Das heißt…“ leitet eine für MH freundliche Vermutung ein.

MH: Du hast mir gesagt, dass du den Mandara-Film auch Jugendlichen gezeigt hast. Was für Diskussionen löste der Film bei euch aus?

TM: Zum ersten Mal habe ich den Film im Jahre 2008 in meinem eigenen Dorf gezeigt. Ich wollte, dass die Jugendlichen die Bilder ihrer Vorfahren sehen. Sie haben sich darüber gefreut, aber es tauchten auch Fragen auf: So zeigt der Film zum Beispiel nur nackte Leute und damals, in den 50er Jahren, gab es längst auch moderne Kleidung. Das Bild von diesen Leuten hätte René Gardi auch zeigen können, aber das hat er nicht gemacht. Dieses Jahr nun haben wir den Film im Rahmen des Kultur-Forums Ditsuma gezeigt. Die jungen Leute finden den Film interessant, weil er uns dazu bringt, über unserer Kultur und unsere Vorfahren zu reden und darüber nachzudenken, wie wir das heutige moderne Leben und das Leben unserer Vorfahren kombinieren können.

  • „Nacktheit“ ist eine interessante Sache. Die ‚funktionelle’ Nackheit der Bauern als ‚Arbeitskleidung’ kontrastiert mit der symbolischen Bedeutung, mit der die muslimischen Herren, die Fulbe, die Missionare und ihrer aller Zöglinge das Thema aufluden. Die unausrottbare erotische Komponente lassen wir vielleicht lieber beiseite.

MH: Die Mafa selber kommen in Gardis Film oder in seinem Buch nicht zu Wort. Was denkst du, warum war das so?

TM: Das ist ein weiterer rassistischer Aspekt. Das haben die Jugendlichen, die den Film sahen, auch erwähnt. Warum lassen die Europäer*innen die Afrikaner*innen nicht für sich selber sprechen? Das ist eine Frage, die wir auch heute noch stellen. Bei Gardi war das vielleicht noch die Idee der Epoche, aber auch in seinem Film hätten die Mafa zu Wort kommen können. Und es ist immer noch so: Es gibt hier in Europa auch heute noch Europäer*innen, die im Namen von Afrika sprechen.

  • Dieses Versäumnis nimmt Mambai in seiner Kritik an „African Mirror“ wieder auf. Übrigens: Wie haben sich die Gender-Sternchen wohl angehört, als Schnalzen?

 MH: Wie war es für dich hier in der Schweiz zu sein und in Basel die Objekte deiner Vorfahren in einem Museum oder zum Teil auch etwas verstaubt in einem Keller zu sehen? Wie ist es für dich im Staatsarchiv in Bern zu sein und all diese Fotos aus den 50er Jahren deiner Vorfahren zu sehen? Ich stelle mir vor, das ist auch ein komisches Gefühl?

TM: Das ist kein komisches Gefühl, ich freue mich in der Schweiz zu sein und die kulturellen Objekte meiner Vorfahren zu sehen. Sie sind hier gut restauriert und aufbewahrt. Das Problem besteht darin, dass die Schweizer, vor allem die jüngere schweizerische Generation nicht viel über diese kulturellen Objekte weiss. kulturellen Dialog zulässt. (….) Jetzt zur Frage: Sollen diese Objekte zurück nach Afrika geschickt werden? Das ist im Moment nicht unsere Priorität. Wir sind zur Zeit mit dem Problem von Fundamentalisten konfrontiert, der Gruppierung Boko Haram. (….) Wir sind gegen Auswanderung, wir wollen in unserem Gebiet bleiben und wir suchen nach Wegen und Mitteln, damit wir gegen die Fundamentalisten kämpfen und ein ruhiges Leben in unserem eigenen Land führen können. Von der Schweiz möchten wir dabei gerne Hilfe bekommen.

MH: Wie war es für dich nun meinen Film African Mirror zu schauen? (p.70/71)

  •  Klar, “meinen Film”! Der Künstler lässt sich seine verbriefte Kunstfreiheit nicht nehmen.

TM: (…) Unsere Mafa-Kultur ist darin noch einmal dokumentiert, aber mit einer kritischen Sicht auf Gardi. Das finde ich wichtig. Was das Afrikabild angeht, gibt es aber für mich ein Problem. Der Film gibt die Bilder der 50er und 60er Jahre wieder. Diese Bilder sind nicht mehr aktuell, im Film gibt es jedoch kein Wort zur Aktualität, zur jetzigen Situation der Mafa. In diesem Zusammenhang ist der Film für mich auch verletzend, denn dieses Material trägt nochmals zu einem negativen Afrikabild bei. Das Afrikabild der Europäer ist sowieso schon negativ. Begriffe wie die «Wilden», «Primitiven», «Unzivilisierten» sind verletzend für uns.

  • Kasper Suber in der „Wochenzeitung“ hat diesen Aspekt des Interviews in seiner Filmkritik aufgegriffen.

MH: Denkst du nicht, dass ein heutiges Publikum das Afrikabild Gardis kritisch reflektiert, so wie es im Film nun gezeigt wird?

TM: Ich kann mir vorstellen, daß Europäer*innen, die noch nie in Afrika waren, oder sehr wenig über den afrikanischen Kontinenten wissen, sich in ihrem negativen Afrikabild bestärkt fühlen. Es besteht die Gefahr, dass diese Leute, die auch durch die heutigen Medien ein stereotypisches Afrikabild haben, die Kritik an Gardi in deinem Film möglicherweise nicht sehen.

MH: Du hättest sicher einen anderen Film mit Gardis Archivmaterial gemacht. Was wäre dir wichtig?

TM: Ich würde wohl Gardis Bilder mit der heutigen Situation in Nordkamerun vergleichen. Was für Veränderungen gibt es? Was denkt das Volk der Mafa heute? Wie ist das Verhältnis der Mafa zu Institutionen wie der Schule aber auch zur Tradition, wie beispielsweise der traditionellen Medizin? Denn auch was die Journalisten in Abuja (Nigeria) oder Yaoundé (Kamerun) schreiben, hat nicht viel mit unseren realen Problemen zu tun. Ich würde dokumentieren, wie wir Nordkameruner mit dem Konflikt mit den Boko Haram umgehen.

MH: Für mich ist ‘African Mirror’ kein Film über die Mafa, sondern ein Film über die Schweiz und über Gardis Obsessionen und europäische Vorstellungen von Afrika. Das Handwerk und das traditionelle Leben der Mafa habe ich im Film kaum thematisiert. Wie ist das für dich?

  • Nicht so schnell! „Ein Film über die Schweiz“! Beklagte Mambai nicht, dass die jüngere schweizerische Generation zu wenig über afrikanische Kulturen wisse, und generell das Afrika-Bild einiges zu wünschen lasse? Später fällt der Satz: „Als Betroffener habe ich auch Wünsche zum Beispiel, deine eigene Stimme zu hören…“ – Vorbild hätte der Ethnologe Bernhard Gardi der nächsten Generation sein können, der mit Hingabe die von Hedinger ignorierte materielle Kultur erfoscht hat, und der 1997  “in das ‘Traumland’  seines Vaters gefahren (ist) und den Nachkommen der Hirten, Schmiede und Zauberer die Fotos seines Vaters überbracht (hat)”(di Falco 2009).

TM: Als Afrikaner und vor allem als Mafa erkenne ich mich im Film wieder. Ich sehe meine Ahnen und ihre materielle Kultur. Wenn ich den Film schaue, habe ich ein bestimmtes Interesse, und das war auch immer mein Interesse an Gardis Werk, nämlich die materielle Kultur der Mafa, die Gardi gefilmt hatte. Ich denke, das ist ganz normal, dass wir unterschiedliche Interessen haben. Du hast dich mehr dafür interessiert, wie Gardi seinen Film hergestellt hatte und was sein Verhältnis zum Kolonialismus war.

Aber als Betroffener, als Afrikaner und Mafa habe ich auch Wünsche und dazu gehört, dass auch andere Bilder und Stimmen in einem solchen Film Platz haben. Mir hätte es zum Beispiel gefallen, deine eigene Stimme zu hören und dass etwas über das heutige Afrikabild gesagt wird. Das würde eine andere Perspektive ermöglichen. (S. 72/73)

MH: Was für Themen und Material von Gardi war für dich neu in meinem Film?

TM: (….) Der Rassismus Gardis war für mich in deinem Film jedoch stärker präsent. Der Vergleich zwischen den Mafa und den Schweizer Berglern war für mich zwar nicht ganz neu, ist mir im Film aber nochmals besonders aufgefallen.

  • Ich habe mir noch einmal Fredi Murers Dokumentation „Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind“ (1974) angesehen. War er nach neuer Zeitrechnung auch ‚rassistisch’, (binnen-)kolonialistisch’?

Die Frustration Gardis über die Veränderungen in den Mandarabergen ist zwar vollkommen daneben und rassistisch formuliert (formuliert !!) , ich kann sie teilweise aber sogar verstehen. Die Konflikte zwischen unseren Traditionen und der aus Europa kommenden «Modernität» waren in den 50er Jahren sehr stark.

Über die Volkszählung und das Steuern eintreiben habe ich zwar in Gardis Buch gelesen, die Filmaufnahmen davon zu sehen, war für mich aber eine neue Erfahrung. Unsere Vorfahren haben uns davon erzählt, diese Aufnahmen sindfür uns nun eine historische Quelle. Es war eindrücklich, die Zwangsarbeit zu sehen, wie meine Ahnen gezwungen wurden, Baumwolle anzubauen. Die Baumwolle war ja nicht für uns, die war für die Weissen. Ganz anders war für mich die Szene, wo man badende Kinder sieht. Diese Aufnahmen haben mich an meine eigene Kindheit erinnert.

MH: Für wen ist dieser Film? Das ist eine Frage, die ich mir oft gestellt habe. Ich denke, es ist schon eher ein Film für Weisse. Wie siehst du das?

TM: Der Film ist vor allem für ein europäisches Publikum, aber er ist auch für mich und uns Mafa interessant. Der Film zeigt gut, wie subjektiv Gardis Perspektive war. Und wie er sich durch sein Werk einen Namen machen wollte. Man sieht, wie jeder seine eigene Perspektive hat, dagegen kann man nichts machen. Diejenigen die zu uns kommen und uns beschreiben und filmen, haben unterschiedliche Sichtweisen. Auch du und ich haben unsere unterschiedlichen Perspektiven.

  • Was bleibt da eigentlich noch übrig vom ‚Rassisten’ Rene Gardi?

Ich denke auch, dass der Film uns hilft, in einen Dialog zu treten. Wir warten darauf, dass du nach Mokolo kommst, um den Film zu zeigen und mit den Jugendlichen von Ditsuma über den Film zu diskutieren.

  •  Dialog ist nur ein schön klingendes Wort, ‘Dialog’ kann in handfestem Streit enden. Schlimmer, wenn man gar keine Reibungsfläche findet.

Ich fordere nur Fairness gegenüber René Gardi !

Wann werden die ‚postkolonialen’ Volkserzieher einsehen, dass die Vergangenheit zwar nicht schöner, aber auch nicht hässlicher war als die Gegenwart. Und dass Individuen zählen, nicht der Abriss angestaubter Denkmäler.

Bei der erneuten Lektüre von “Eine Lanze für René Gardi” fallen mir die differenzierenden,  kritischen, aber wertschätzenden Haltungen der Kommentatoren auf. Auch historische Distanz und Abschied sind darin spürbar. Manches schien noch erlaubt zu sein, was heute in einer antiliberalen ‘Linken’ verpönt ist, etwa Gesellschaftskritik im traditionellen Kleid nostalgischer Rückbesinnung auf ein ‘verlorenes Paradies’, wie René Gardi es im westafrikanischen Bergland aufscheinen sah. Warum werden “die  Afrika-Hymnen” (di Falco 2009) Gardis nicht als vergangene, meinetwegen ‘überwundene’ toleriert?

 

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