Selbst-Trivialisierung – v.Foerster, Gelhard, Sennett, Chomsky etc.

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Gedanken im Garten – querbeet am 17.4.14

Prüfungen mögen allein ihre eigene Angemessenheit prüfen, wie von Foerster formuliert, aber  sie lassen auf jeden Fall auch erkennen, wer sie erfolgreich absolviert, wer zur Anpassung, meinetwegen auch Selbst-Trivialisierung (v.Foerster) taugt und wer nicht. Zweifelsfälle lassen sich durch weitere Prüfungen klären. Kontrollierte Simplifizierung schadet bekanntlich nicht dem Erfolg genügsamer harter Wissenschaften (v.F.). Foerster hätte also ein Pate der 68er sein müssen,indem er die Prüfung als Institution in Frage stellte, so wie damals der von mir gelesene Kvale: Prüfung und Herrschaft. Damals wollten wir das Doppelleben bereits in der Schule beenden. Deshalb wurde Der heimliche Lehrplan und Der Bluff  vehement abgelehnt.

An deren Stelle sollte Authentizität treten, sich authentisch zu verhalten die Norm werden. Das war eine natürlich konfliktträchtige, höchst naive Norm, die wir aufstellten. Die Masken sollten in einem solidarischen Klima fallen.  Ein normaler Mensch ist zur „Maskierung“ , generell zu einem Doppelleben bereit und in der Lage, wenn man ihm Zeit und Luft zum Atmen lässt.

Das zweite Leben wird dabei wohl irrelevante und irrationale, spleenige, suchtartige Formen annehmen und nicht vernünftig politisch zu organisieren sein, sich zu keiner mehr als ästhetischen Form fügen, aber derartiges lässt sich – dank Sprache und Internetverbindungen  –  aus der Ferne durch wissenschaftliche Begleitung zu überwachen. Überall betreiben Sozialwissenschaftler Befragung, teilnehmende Beobachtung oder schon häufiger die Computeranalyse entsprechender Informationen. Und doch besteht ein Restrisiko auf Unordnung. Es gibt auch andere Gründe, es gar nicht so weit kommen zu lassen und bestimmte Bahnen vorzubereiten, ja es regelrecht zu organisieren.

So lebt der Mensch in der Zerstreuung unter seinen Möglichkeiten. Die Kunst der Menschen-führung besteht darin, möglichst viel seiner Energien darin zu absorbieren. Er soll sich richtig anstrengen, um sich gut zu fühlen.

Wie komme ich darauf, und wieso habe ich das Büchlein „Kritik der Kompetenz“ wieder in den Garten mitgenommen? Das Gespräch mit Karin nach einem 3sat-Kulturzeit-Beitrag über Selbstoptimierung mit Hilfe elaborierter „Algorithmen“ gab den Anstoß. Ich zog spontan eine Linie zu den „Psychotechnikern“ (Gelhard: Kritik der Kompetenz, 50), deren wissenschaftliches Gründungsdatum er 1900 sieht. Nichts Neues also!

Einiges schon: etwa das Out-Sourcing-out der Gewissensprüfung und Selbstkontrolle über ein armbandförmiges Gerät an einen wissenschaftlich-technischen Apparat. Offene Fremd-bestimmung statt vordergründiger Autonomie, oder die Auflösung der Privatsphäre, in der diese Selbstoptimierung stattfindet. Haben die Psychotechniker bisher ihre Weisheiten noch einem Individuum zur Anpassung und Anwendung überlassen müssen, können sie jetzt auf die ermittelten Informationen als Daten unmittelbar zugreifen. Das erinnert mich an Richard Sennetts Metapher der CD, die an die Stelle der bürokratischen Pyramide getreten sein soll.

Frank Schirrmacher spricht im Leitartikel der FAZ von der größten Revolution in der Menschheitsgeschichte. Ich bin versucht, das zurückzuweisen, weil ein altes Konzept in neuer technischer Gestalt wirkt. Man kann aber mit Vilem Flusser von diesen hundert Jahren als einem „embryonalen“ Zustand sprechen.

Natürlich wird das Konzept nicht auf die ganze Menschheit anwendbar sein, aber für die funktionalen Eliten schon. Chomsky (Manufacturing of Consent) lässt grüßen, sowie die Hierarchien der flusserschen Funktionäre. Also wird in einer Mischung von 1984 und Brave New World die Spaltung der Gesellschaft Teil dieser Revolution sein, an der die öffentliche Diskussion in Westeuropa noch laboriert.  Auch wenn er über ihre Aussichten mit Recht Zweifel hat, Schirrmacher schlägt auch nur eine politische Debatte vor, der Flusser bereits vor dreißig Jahren keine Chance mehr gab („Sie kicken tote Pferde“).

Der Zug scheint abgefahren.

Revolutionäre haben Reaktionäre noch nie verstanden, ebenso wenig wie Neutöner die Klassizisten oder Barbaren die Repräsentanten der etablierten Zivilisation. Sie wollen einfach nicht dasselbe. Wenn es zur Revolution gekommen ist, ist es zu spät zu Kompromiss und Dialog. Dann wird taktiert und der Feind deines Feindes ist dein Freund im Zweckbündnis. Masken haben ihre größte Stunde.