Fritz Wiegmann hat die Topografie der grandiosen Landschaft bei allen künstlerischen Freiheiten, die er sich nahm, nicht phantasiert, sondern porträtiert. Vom festen Quartier in Beatenberg aus haben Wanderungen ihm die Topografie eingeprägt. Ich war bald erstaunt, wie realistisch Wiegmanns Ölstudien die Topografie der Region in seine Kompositionen transponiert hat. Angesichts seines freien Umgangs mit den sich je nach fiktivem Standpunkt verändernden Proportionen, etwa der Wasserfläche des Thuner Sees, hatte ich einen ‚phantasievolleren’ Umgang mit den topografischen Realitäten erwartet. So aber erweist sich diese außergewöhnliche Umgebung als sein ‚Labor’.
Je besser man das ‚Modell‘ – und seine Tücken – kennt, desto mehr bewundert man die schöpferische Leistung des Künstlers. Hans Rosenhagen schrieb 1927 auf Max Liebermann gemünzt :
„Seine Darstellung beruht keineswegs auf einem bloß optischen Erlebnis, hat auch nichts mit dem momentanen Eindruck zu tun, sondern ist bis zu einem gewissen Grade Stilisierung des Wirklichen, das Zusammenfassen vieler Einzelbeobachtungen zu einem großen überzeugenden Eindruck, zu einer Wahrheit, die den Sinn der natürlichen Erscheinung zum Ausdruck bringt.” (Zitiert LINK))
Das trifft auch auf Fritz Wiegmann zu. Von meiner Reise 2010 auf Wiegmanns Spuren brachte ich touristische Panoramen von verschiedenen lokalen Bergbahnen mit. Sie zeigen das Massiv des Niederhorns über Beatenberg, die Umgebung des „Dreigestirns“ Jungfrau, Eiger und Mönch, sowie die Bergketten südwestlich des Thuner Sees in unterschiedlichen Vogelperspektiven. – Sie müssten in Ihre Orientierung etwas Zeit investieren. Durch Anklicken poppen die Abbildungen auf.
Wo liegt denn nun der Thunersee?
Zoomen wir nun auf ein Panoramabild der Bergschulter des Niederhorns, auf der in 1200 Meter Seehöhe Beatenberg liegt. Das Hotel des Landes Hessen lag mitten im Ort an der Hauptstraße.
Wenden wir den Blick nach Süden auf Eiger, Mönche und Jungfrau, das „Dreigestirn“ und auf das Südende des Thunersees. Interlaken und der kleine Brienzersee sind hinter der Harder Kulm unsichtbar.
Hier sind Brienzersee und Interlaken gut zu erkennen; Beatenberg und Niederhorn sind dafür verkleinert in die äußerste rechte untere Ecke gerückt.
Von nun an wird es komplizierter. Darum brauchen wir eine nüchterne Überblickskarte , in der die Bergketten nicht perspektivisch verrückt, sondern ordentlich aufgereiht sind; aber was ist schon ‚ordentlich‘!
Auf dem Pfänder über Bregenz, Vorarlberg befindet sich in Tischhöhe eine nach Süden gerichtete präzise Panoramaplatte mit allen sichtbaren Gipfeln der Voralpen. Ich brachte anfang März mich mit Mühe in Stellung und klagte, einen bestimmten Gipfel in der Ferne nicht zu erkennen. Eine Einheimische meinte dazu nur: „Wenn man oben war, weiß man, wie er aussehen muss.“
Die Karte. Man beachte die verwinkelten Bergketten! Dabei wird von Höhenunterschieden abstrahiert.
In der Mitte der Karte finden Sie die Viertausenderkette in Form einer Diagonale , darüber Thun, aber auch die Bucht von Spiez und der Niesen, deren markante Formen Wiegmann nutzte.
Und in Gegenrichtung aus nordwestlicher Perspektive :
„Der schmale Pfad aufs Morgenberghorn (2.248m) – über Reichenbach im Kandertal gelegen – ist ungeübten Bergwanderern nicht zu empfehlen“:
Und der Sonnenuntergang in Gegenrichtung? – Das Foto von Daniel Anker und Bernd Jung belegt, dass der bei Wiegmann beliebte Lichtstrahl aus Nordwesten sich keineswegs ‚künstlerischer Freiheit‘ verdankt! Schön erkennbar sind auch die Pyramidenform des Niesen, die kleine Bucht von Spiez und gegenüber die Einmündung des Justitales hinter der Schulter des Niederhorns.
Die Wucht der steilen Abhänge kommt auf den Panoramen selten zur Geltung. Blicke vom Niederhorn linkes Foto ins Justi-Tal mit der charakteristischen Kerberechts obere Ecke, ein zweites Bild in Richtung Süden auf den See.
Das Institut für Geologie der Universität Bern untersucht seit Jahren Umstände der Entstehung der markanten Nordfront der Berner Alpen. Man vermutet: Bei der Kollision der Erdplatten von Afrika und Europa im Bereich der Zentralalpen können die leichten kristallinen Gesteine der europäischen Kruste nicht in große Tiefen abtauchen. Aus zwanzig Kilometern Tiefe steigen sie, durch hohe Temperaturen fließfähig, in den steilen Störungsszonen auf, welche die Erdkruste durchsetzen. Durch Hebung und Oberflächenerosion sind sie heute in der Topographie erkennnbar, als „Couloirs“ (Rinnen in einer Bergwand LINK). Die Hebung ist immer noch im Gang (1mm im Jahr), die Erosion an der Erdoberfläche bewirkt aber einen kontinuierlichen Abtrag. Die Autoren schließen ihren Beitrag mit dem Hinweis auf „Naturgefahren und Geothermie“ (LINK).
Am Dreispitz-Gipfel, dem Morgenberghorn benachbart, hat Diego Torriani eine eindrückliche Felsrinne fotografiert (LINK). Mir kommen aber auch die Felswände um das Niederhorn in den Sinn: Justi-Tal und „Känzeli“, die Wiegmann faszinierten. (LINK)
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