Expressionistische Wetterdramatik am „Dreigestirn“, im Justi-Tal und am ‚Känzeli‘

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Im Jahr 1965 malte Wiegmann zwei expressive Darstellungen auf 35×50 bzw.40×50 Kartons.

Ein ‚kubistischer‘ Blicke vom Niederhorn auf Jungfrau, Mönch und Eiger

L 40

L 40_35x50 auf Karton, datiert 1965 und gleich zweimal signiert

L 40  Vom Niederhorn herunter über das See-Ende und die auslaufenden Bergschultern von Beatenberg auf das kristalline Gewirr der Vorberge und die drei Majestäten. Markant ist die unübersehbare Kehlung am ‚Schilthorn (2970m). Der Schnee hat sich bereits in die Höhe zurückgezogen, die Almen sind grün. Lichteinfall von Westen, der die Szenerie in typisches Nachmittagslicht taucht und der kreuz und quer Berggrate hervortreten lässt – „Drachenadern“ (lungmo) nennt das die traditionelle chinesische Bildästhetik, „die Quelle von Lebendigkeit und Kraft im Bild“ (Fritz van Briesen). Die räumlichen Verzahnungen können auch unsichtbar gemacht werden, hier drängen sie sich nach vorn, machen die Konstruktion sichtbar und ‚verkünsteln‘ in meinen Augen das Bild. Offensichtlich eine direkte Anwendung chinesischer Lehren. Für unsere nach-modernen ‚westlichen‘ Augen ist dafür ‚der Kubismus‘ unübersehbar.

Auf der Rückseite des Kartons steht mit Bleistift“ SCHWITHAL“ (google-maps findet nichts).

L 43

L 43_40x50 – Karton  Auf dem Rücken: Ateliersadresse Gustav-Freytagstr.

Was macht Wiegmann mit den 5 cm mehr Höhe dieses Kartons? – Er braucht die Fläche einfach! Denn die über Dorfhäuser (Waldegg?) zum Nebel auf der Seespitze absteigenden Bodenwellen vor der Harder Kulm legen den Schwerpunkt auf das untere Drittel und lenken den Blick auf die Mitte: rechts auf den nun teilweise schneebedeckten Grat zum Morgenberghorn (2284m) und gegenüber wohl auf die mächtige Schynige Platte (1967m). Die Eigernordwand ist hervorgehoben.

Das sich hinter – dem nicht sichtbaren – Interlaken gabelnde Tal ist als V betonter als in L 40, die mehr die Schulter des Dreigestirns unter der Scheidegg betont. Doch beide sind dort ziemlich unbestimmt, was in beiden Fällen für das Komponieren aus dem Gedächtnis spricht. In L 40  hat der ‚Thron‘ der Drei  eine klassische Stilisierung erhalten, sie beherrschen im wörtlichen Sinne die Szene, während in L 43 die beiden Vorberge sie sogar nach rechts in den Hintergrund rücken und ihnen den Rang streitig machen. Ich nehme eine insgesamt wogende Bewegung wahr, der aber die Kraft auch dank der über das Bild verteilten Schwärzen nicht abzusprechen ist. Das kahle Gehölz unten rechts setzt noch einen Gegenpol.

Das Maler muss der Luftbewegung über den Gipfeln genügend Raum gewähren, um die dynamische Einbeziehung des Himmels  spüren zu lassen. L 43 wird vor L 40 entstanden sein.

 

        „Schneesturm“, wie der Kartei-Eintrag behauptet ? Doch wo beobachtet?

L 57

L 63_sig. dat. „Wieg 69) 18×25 im Passepartout

Der Luftwirbel dominiert. Orientierung ist nicht zu haben. Vision? Traum?

L 57

L 57_16x20-Karton

Ein noch kleinerer, undatierter und unsignierter Karton ohne Passepartout lüftet das Geheimnis.  Das erweiterte Blickfeld zeigt am unteren Rand Almwiesen bei Beatenberg. Daran schließt sich in türkis das (Ihnen inzwischen  bekannte) See-Ende an. Darüber zieht sich der Grat vom Morgenberghorn. Darüber glänzt nächtlich weiß das Schilthorn mit seiner Kehlung. Im anderen Bild ist sie die Quelle des Sturmgeschehens. Das breite Massiv des Dreigestirns hat sich zu einem schiefen Trapez zusammengeschlossen. Das schwarze Unwetter kommt offensichtlich von von Südwesten über die zentrale Alpenkette.

Die Erklärung macht daraus eine hochdramatische, aber realistische Darstellung.  Aber warum hat Wiegmann erst das ‚unlesbare‘, das abstrakt dynamische Bild durch Datierung und Signatur geehrt?

Ihm geht es im Sommer 1969 – nach einem „wunderbaren“ Berlin-Aufenthalt – gut und er kommentiert gelassen: „.… das Wetter in diesem Jahr bleibt wohl durchwachsen, hier beklagenswert für Leute mit kurzen ferien. – mir macht es weniger, „schlechtes Wetter“ liegt mir ja zum Malen mehr. Ich fühle mich hier oben im ganzen wohl und hoffe mit Hilfe des Hotel-Direktors und Freunden noch einen gut Teil des Sommers auszuharren. – Irgendwelche Exkursionen habe ich noch nicht unternommen, überlasse das gerne den (Sommer)Frischlern.

 

FORTSETZUNG  :    JUSTITAL UND KÄNZELI

L 50

Dramatik. Dramatische Bewegung im Uhrzeigersinn, geradezu um den Felsblock an der linken Seite. Das Farbenspiel des Himmels wirft Rosa und blasses Violett über die mächtigen Felskanten. Grün zieht sich als Lichtkurve durch den Mittelgrund des Trogtales.

L 50_50x40-kräftiger Karton – Eine von zwei kraftvollen Darstellungen

L 50A -IMG_123

 

 

L 50A – IMG_1231 – rechts unten das Gehöft

 

 

 

‚Das Känzeli‘ im Niederhornmassiv

Kultur- und Verkehrsverein Beatenberg B.Bieder Vogelschaukarte o.J. Ausschn.

 

 

 

Beim Abstieg durch den Bergwald ins Dorf hab ich es 2010 endlich gesehen, erschöpft und ohne anzuhalten, von fern wie ein Vision! Die Bezeichnung ist treffend. Dann auch auf der lokalen Wanderkarte die entsprechende Bezeichnung entdeckt. Oben in der Mitte der Karte die markante Kehle!

L 54 signiert 30×40

 

 

 

 

Wiegmann hat die Felsformation in mehreren Fassungen gemalt. Ich reproduziere die zweite im Konvolut mit den Tugenden der Komposition und der Griffigkeit des Pinselstrichs. Oder genauer: Die glatten Kalkflächen sind gespachtelt. Von einer weiteren Fassung liegt eine weichgezeichnete Fotografie Wiegmanns im Archiv. Dann existiert aber auch eine von E.Gyger, Adelboden fotografierte alte Postkarte  Treppengeländer.

Wiegmann-Repro Beatenberg CH_0005 3, Nachlass ISG Frankfurt

Känzeli Postk.E.Gyger, mir von Wiegmann  13.8.69geschickt

Känzeli Postk.13.8.1969 Text

 

 

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