Fritz W. Kramer – Kleine Sammlung Briefe 1.-9. 2010 – 2013

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Dieser Tage erfuhr ich durch einen Anruf, dass Fritz Kramer am 14. Dezember 2022 in Berlin mit einundachtzig Jahren gestorben ist. Der freundliche Nachlassverwalter hat die letzte unbeantwortete Email  zum Anlass genommen. Ich gehörte nicht zu Kramers Kollegen oder engerem Freundeskreis. Ich traf ihn im Dezember 2018 das letzte Mal im Café  Garçon. Seither schaffte ich es aus immer neuen  Gründen nicht mehr nach Berlin (Krankheit, Covid-Regime, Hauptstadt-Nachrichten).

Der persönliche Kontakt entstand im Mai und Juni 2010 bei den Jensen-Vorlesungen am Frobenius-Institut in Frankfurt. Kramers Vorlesungsreihe „Kult und Kunst- Ästhetik des ethnographischen Archivs”  war für mich als  ethnologischer Autodidakt eine große Herausforderung, die ich gerne annahm. In der Korrespondenz  zeigt sich so etwas wie ein Schülerverhältnis zum nur zwei Jahre Älteren.  Ich freute mich wie der Zöllner aus Brechts Gedicht “Taoteking”, wenn es mir wieder gelungen war, von Fritz Kramer einen Brief oder eine Briefkarte zu bekommen.

Sein Briefstil war prägnant und scharf, wie ich es mag. Ich fände es schade, wenn diese Briefe einmal ungelesen und ungenutzt irgendwohin verschwinden würden. Editorisch mag es ärgerlich sein, nur die eine Richtung der Korrespondenz anzubieten, doch Kramers Briefe sprechen für sich. Und ein paar Links zur Orientierung steure ich bei. Ich stelle jeweils eine kurze Liste der Themen rot voran.

Sächsische Straße 62, 10707 Berlin , am 22. Okt. 2017

 

1

“Bilder vom Glück” (Frankfurt/M 2002 – LINK) – Gernot Prunner – Fritz Wiegmann (LINK) – Kunsterzieher

Lieber Herr v. Graeve

an meinem ersten freien Tag habe ich mich in die “Bilder vom Glück” vertieft, einer Kunst, die mir zuerst vor 40 Jahren durch meinen Freund Gernot Prunner nahegebracht wurde. An dem Katalog hat mich aber besonders Ihre feine biographische Sizze von Fritz Wiegmann berührt. Er hat gewisse Ähnlichkeiten mit meinem Kunsterzieher, der ein Schüler von Carl Hofer war und uns in den muffigen 50er Jahren nicht nur die moderne Kunst, sondern durch diese auch die afrikanische erschlossen hat. Und damit begann mein Weg zur Ethnologie und weiter zur Gegenwartskunst. – Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre Aufmerksamkeit

Sehr herzlich     Fritz Kramer

2

Offene Gesichter gegen  geschlossene Visiere –  die Ethnologen Mühlmann, Ad. E. Jensen,   Fürer-Heimendorff  –  ein Fach voll Blendwerk jeder Art  –  Autoren wie Parin, Leiris, Barley  –  Feldethnographen unter sich  –  Zwanzig Jahre unter werdenden Künstlern  –  ‘…tatsächlich bin ich ein furchtbarer Polemiker…’

3

Protokolle für die Umarbeitung, anvisierte Leser des Buchs  – ‘Impfen’ etwa Medien gegen das Fremde?  – Hörfassung der Ilias-Übersetzung von Raoul Schrott

4

Prinzipien der Formulierung vehementer Kritik  –  “Ominöse Objekte”  –  “Macht der Dinge”(Kommentar 1)  –  Beklagen von “Unterentwicklung” als Beispiel  für Selbstbezogenheit – das Photo der Puppe Jine Faro (Abb. s. unten; LINK)

5

Francois Jullien und das Studium Chinas (LINK) : Drei Kritikpunkte – Konfuzianismus und aktuelle Entwicklungen – ‘nur eine allen Menschen gemeinsame Vernunft’ – ‘mir meine eigenen Studien zur Ästhetik oft bedenklich nebensächlich vorkommen’          (LINK zur ‘pyrrhonischen Skepsis’)

6

‘ Ich bin ein bekennender Fan des Belehrtwerdens’  – noch einmal Jullien  –  Robert G. Wagner (Empfehlung)   –  Zahnbehandlung und das Problem der Willensfreiheit

7

“Flusser an der Schule” (graeve-flusser-schule) –  Georg Simmel “der Fremde ist nah und fern zugleich”  – Flussers Grunderfahrung wohl die der überlebenden Juden –  kritische  Anmerkungen ad Flusser : Nomadentum, Bedeutung digitaler Techniken  –  Prognose betr. ethnographischer Museen8
Michael Oppitz ‘Morphologie der Schamanentrommel’ (N.Y. 2013, LINK)   –  Stand der eigenen Arbeit

Lieber Detlev v. Graeve,  vielen Dank für Ihr Lebenszeichen. Übermorgen unterziehe ich mich einer Katarakt OP (Grauer Star), daher jetzt nur ein paar Zeilen. – Oppitz kenne ich seit 40 Jahren, und doch hat mich sein Trommelbuch völlig überrumpelt. Es ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen extrem asketischen Arbeit, die ich ihm, der doch eher flott lebt, nicht zugetraut hätte – ich hätte überhaupt (nicht) für möglich gehalten, daß ein so kompromißloses Werk im 21. Jh. erscheinen könnte. Sicher wird es eine Weile bestaunt werden und vielleicht 10 Leser finden. Dafür könnte es aber auch in 100 Jahren noch 10 dankbare Leser finden …

Ich habe den Winter über an meinen Jensen-Vorlesungen gearbeitet, 3 Monate ausgesetzt und kürzlich mit der Schlußredaktion begonnen. Es soll im Lauf des Sommers fertig werden- vorausgesetzt, ich kann nach der OP besser sehen. Bis ende Juli sind wir sicher in Berlin, schon wegen der Gewöhnungszeit nach der OP. Ich freue mich auf Ihren Besuch. Herzlich Fritz Kramer

9

Lieber Herr v. Graeve, viel zu spät bedanke ich mich für Ihre schöne Abiturrede – solche Lehrer hätte ich gern gehabt (einen gab’s, immerhin) (LINK:  Abiturrede 2000) – und Ihre – zurecht – vernichtende Kritik ad Deliss (LINK zu (‘Objekt Atlas’ (WKM,Ffm. März 2012)

Ich bitte um Nachsicht für die Verspätung – Arbeit – und lege einen kleinen Aufsatz bei, der an obskurer Stelle erschienen ist. 5 von  7 Jensen-Vorlesungen sind jetzt druckreif. Unter den Abbildungen hätte ich gern das wunderbar fetzige, böse Wassergeistmädchen, von dem Sie mir bei Ihrem Besuch einen Abzug geschenkt haben. Die erste Frage ist natürlich, ob Sie damit einverstanden sind. Die zweite: das Photo soll kein Sammlungsproblem illustrieren, sondern afrik. Visualisierungen des Wassers. Der Hintergrund sollte deswegen neutral sein. Ich könnte die Figur freistellen, es wäre mir aber lieber, sie vor anonymen Hintergrund zu bringen. (….)

Fortsetzung folgt    (Druckempfehlung 85%)

Marionette Jine Faró (Bamana) c : Gv

Im Café Garcon Berlin , am 22. Okt. 2017

Berlin , am 22. Okt. 2017

Ein Gedanke zu „Fritz W. Kramer – Kleine Sammlung Briefe 1.-9. 2010 – 2013

  1. dvg Beitragsautor

    Anmerkung Gv 25.1.23 zu Brief Nr.4 “Ominöse Dinge”
    Ich habe die damalige Situation nochmal angeschaut. Am Anfang unserer ungleichen Beziehung wollte ich den ironischen Text bloß verstehen und für mich das Beste daraus gewinnen. Mein fiktiver Gesprächspartner erklärte nur beiläufig: “Er(Kramer) wollte mit dem Beitrag zur Festschrift einem Kollegen eine Fußnote schenken…”
    An Kramers Antwort sechs Wochen später schockierte mich sein offenes Eingeständnis verbergender Sprache. Gerade “die unwissende Jugend”, vielleicht auch “irgendwelche Mitstreiter“ brauchen klare Worte, die Auseinandersetzung. Hässlich fand ich die Phantasie, dass “die alten Hasen sich womöglich wiehernd auf die Schenkel klopfen”.
    Ich vermute im Aufsatz eine verdeckte Abrechnung mit dem Kunstmilieu, seiner eigenen Arbeitsstelle. Dass “Macht der Dinge” wirklich “Totalkritik” verdiente, kann ich nicht nachvollziehen.

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