Was für eine Azande-Harfe!

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Auszug aus: “Geschichten ums Sammeln” (LINK)

25.8.15                   Blick auf meine Fensterbank

Ich habe ein paar mit der Zeit von T.L. erworbene kongolesische Objekte auf der Fensterbank gruppiert: Vier unterschiedlich große Holzfiguren von lakonischem Charakter, eine primitive Harfe und ein griffiger undekorierter Schnupftabakstößel. Sie harmonieren miteinander, obwohl sie zweitausend Kilometer verstreut gefertigt wurden. Ihre Entstehungszeit liegt näher beisammen: vierzig, fünfzig bis siebzig Jahre. Die Figuren sind bestimmten Ethnien mit hoher Wahrscheinlichkeit  zuzuordnen, von Yaka im Westen zu den Azande im Nordosten, aber ist das entscheidend? Sie sind alle im Alltag gebraucht worden. Die Gebrauchstüchtigkeit sieht man ihnen an. Man kann sie auch in die Hand nehmen, sie sind robust genug.

Die Harfe erkannte ich seinerzeit auf einem kleinen Filmausschnitt eines namhaften Musikethnologen wieder (youtube). Darauf sang um 1951 ein (fast!) nackter Barde der Azande und kratzte dazu Töne auf den fünf Saiten genau dieses Typs von Harfe.

In einer vergilbten Broschüre zur Morphologie afrikanischer Musikinstrumente wurde dafür eine andere, benachbarte ‚Ethnie’ angegeben. Mich wundert das nicht. Denn ‚Azande-Harfen’ haben in allen Ausstellungen und Bildbänden die typische schnittige Form unter Verwendung von Schlangenhaut, natürlich datieren sie vor 1900. Was bedeutet das schon? Ihr Besitz wird ein Privileg von Honoratioren gewesen sein und ihr Besitz wird bei uns ein Privileg reicher Sammler. Wie schrieb Walter Benjamin so richtig in seiner geschichtsphilosophischen These Neun? ‘Kultur’ ist die Beute der Sieger. Und was passiert damit? Protegiert und klimatisiert wartet ‘die Kultur’ auf den nächsten Sieger der Geschichte. Bertolt Brecht grinst bloß.

Galerieware und noch mehr die ‚Meisterwerke’ von Auktionen haben etwas mit dem Angebot auf den Speisekarten unserer Restaurants gemeinsam: Für sie herrscht ewiger Feiertag, es gibt nur Sonntagsessen. Das sagt noch nichts über die Qualität. ‚Profito’ nennt sich sinnigerweise ein Lieferant, dessen Lkw’s häufig bei bei meinem Stammlokal im Frankfurter Nordend aufkreuzen. Unsere Vorfahren in den gesegneten Fluren der gemäßigten Zonen aßen weder ‚vegan’, noch exotische Spinnen oder jeden Tag ein ‚Mailänder’- oder ‚Zigeunerschnitzel’. Feld, Garten, Markt und Schlachter – das ergab die ‚gesunde’ Mischung auch für Städter. Die Objekte auf der Fensterbank haben’s auch mit dieser Mischung. Sie richten die Phantasietätigkeit auf die Menschen.

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