“Play it again, Sam” – Bruce Gilley empfiehlt Afrika die “Rekolonisation”

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AKTUALISIERT  Der Beitrag wurde ursprünglich am 2.9.2020  hochgeladen.

Das Original ist im Netz auf Amerikanisch (Link) und in einem colloqial Französisch (En faveur du colonialisme.pdf) kostenlos abzurufen.    

Nachtrag  3.1.2021

Ich finde einen Zeitungsausschnitt in meinen Papieren, den Bericht über den Skandal von Andreas Eckert in der FAZ vom 10. Januar 2018, “Kolonisierer gesucht! – Eklat um einen Aufsatz” (Link zum PDF)

Eckert weist darauf hin: “Jüngere Darstellungen entwerfen eine Geschichte ebenso vielfältiger wie widersprüchlicher Kooperationen und Auseinandersetzungen. Kolonisierte suchten, wie viele Studien hervorheben, alle nur verfügbaren Ressourcen zu nutzen, welche die Präsenz der Europäer bot. (….) Rassismus, Demütigungen und Gewalt gegenüber Einheimischen waren jedoch immer Teil der kolonialen Ordnung.”

Für mich bedeuten diese Sätze,  die nur klar formulieren, was ich seit langem weiß, heute eine Brücke zu den sozialen Bewegungen, die mir meist mit ihren unangenehmen Begleiterscheinungen auffallen. Darüber und über den Anlass zu meinem Sinneswandel  in diesem Beitrag  mehr (LINK).

 

“Was wäre, wenn …?”  –  ein Gedankenexperiment, nicht mehr

Die Hälfte von achtzig entkolonialisierten Ländern erleben ein postkoloniales Trauma, wenige postkoloniale Staaten gehören zur creative Third World. Antikolonialisten verhindern z.B. internationale Maßnahmen gegen Sri Lanka, Venezuela oder Zimbabwe. In der UN sind zu viele ‚anti-colonial’ Staaten vertreten. In “The case for Western colonialism” soll es darum gehen, die Vergangenheit zu überdenken und die Zukunft zu verbessern. Wichtig ist, koloniale Perioden als ertragreiche Quellen der Kreativität zu sehen und nach Zeichen einer livable past, nach einer “lebenswerten Vergangenheit” zu durchsuchen.

Gilleys Studie zeigt mir zwei Gesichter: das des beherzten Manifests gegen eine ärgerliche und hochemotionale Rechtfertigungsideologie und dann – wenn man weiter liest – den abstrakten politologischen Entwurf einer idealen “Rekolonisation”.

Diese resurrected Colonial governance müsste idealistisch betrieben werden und dürfte – nach bestem politologischem Wissen und Gewissen – keinen relevanten Faktor vernachlässigen, um im Sinne des Gemeinwohls einen handlungsfähigen Staat zu bilden. Erst ganz am Ende der (wohl ‘westlichen’) Vormundschaft würden die Schlüsselbereiche der traumatisierten Länder wieder einer dann kompetenten und verantwortungsvollen einheimischen Elite übergeben.

Wir brauchen gar nicht ins Detail zu gehen. Gilleys Traum beruht auf zu vielen idealen Voraussetzungen. Das alles wäre für Seminarveranstaltungen ein unerschöpflicher Stoff, auch für die Übung von Studenten in Debattenkultur pädagogisch wertvoll. Darüber hinaus aber kann so ein akademisches Papier höchstens  Verwirrung stiften und Kränkungen wie Streit provozieren.

Über die Vergangenheit kann man sinnvoll streiten, in Kenntnis breiter und gründlicher historischer Forschung. Doch dem Verfasser als systemischem Politologen liefert die Kolonialgeschichte Afrikas  bloß – negative und positive – Beispiele.

Je länger ich mich mit dem Paper beschäftige, desto ärgerlicher finde ich es. Warum hat sich eigentlich Noam Chomsky für Gilley ausgesprochen?

Erstens ist der ein libertärer Denker und zeitlebens umstrittener politischer Autor. Zensur ist ihm zuwider, schon weil sie notwendige Debatten verhindert. Ein Wunder, dass der alte Herr noch mitmischt. Aber da ist ja noch sein Ruf als Linguist am  MIT. Den kann er nicht ungenutzt lassen. Zweitens ist er ein leidenschaftlicher Redner, ja Rhetor, dem schon der wirkungsvolle provokative Auftritt Gilleys gefallen haben dürfte.

Doch ist der entwicklungspolitische Inhalt das Theater wert? Wie lange wird Gilley als Wissenschaftler ein Gefangener seiner Prominenz bleiben? Sein Heldenepos “How the hate mob tried to silence me” (LINK) und ein blauäugig  verabredeter Vortrag bei der AfD lässt nichts Gutes erwarten. (vgl. Bericht in “starke-meinungen.de“)

Wen’s interessiert, noch ein paar Gegenargumente vom Oberlehrer!. Lesen Sie’s vielleicht, solange ich es hier noch stehenlasse.

Das Imperium Romanum kann mit dem Chinesischen Reich als Musterfall für erfolgreiches „alien rule in world history“ gelten, aber beide hatten Jahrhunderte Zeit, ihre better governance zu entwickeln und zu beweisen. Der Beginn war furchtbar! Die indigenious alternative verschwand.

Gilley schreibt so unverdrossen eurozentrisch, wie es in die 50er und 60er Jahre passen würde. Die europäischen Kolonialmächte des 19.Jahrhunderts träumten zwar einen nostalgischen Traum von gutsherrlich regierten Weltreichen, gewaltig dimensioniert, waren aber bald zu schwach, auch nur die Fassaden aufrechtzuhalten. Die USA praktizierten schon vorher eine kostengünstigere Version, die Pax Americana, die Briten machten nur widerwillig mit, wo nicht Siedlungsland winkte. Warum betrieben die Europäer früher einen uneconomic imperialism? Aus rückständiger Naivität, wegen politischer Rivalität untereinander, Torschlusspanik, Kurzsichtigkeit … Es waren schlicht Fehlinvestitionen von Leuten, welche  dann orientierungslos in zwei Katastrophen taumelten.

“Selbstkontrolle” (Gilley) der westlichen Partner ??

Gilley tut so, als habe Europa vor sechzig Jahren Afrika verlassen und könne jetzt vielleicht wieder zurückgerufen werden. Als hätten nicht Kolonialmächte sich ihre postkolonialen Lakaien herangezogen. Hat man die traditionellen ethnischen Spaltungen nicht systematisch für die eigenen Interessen gefördert? Und die Kolonialwirtschaft so lange wie möglich fortgesetzt?

Ein Land, das sich selbst nicht angemessen regieren kann, wird sich auch gegen äußere Übergriffe nicht wehren, und umgekehrt. Wo Tribalismus herrscht, haben schmerzhafte Reformen schon gar nicht die Chance, jeweils von „der lokalen Bevölkerung akzeptiert“ zu werden! Es werden einzelne weitsichtige afrikanische politische Führer gerühmt, aber die entstehen nicht nach Wunsch aus jeder politischen Kultur; und sie haben ihr persönliches Zeitfenster, bevor sie gehen müssen oder – unter äußeren oder inneren Einflüssen – zu dummen Diktatoren mutieren. Die positiv erwähnten Staaten Kenya, Liberia, Nigeria, Ghana … sind durch Zeiten schwerer Krisen gegangen, wenn sie nicht gerade in einer solchen versinken.

Wenn es um good governance geht, frage ich mich, wer darüber entscheiden soll, was better than the indigenious alternative sei: etwa westliche Wirtschaftsstatistiker, Verfassungsrechtler, NGO-Experten für Menschenrechte, die Profis der Hilfswerke, die Manager globaler Konzerne …? Und die Beiräte der Autochthonen dürften – wie schon heute – auch ein Wort dazu sagen?

Das Zeitfenster derartiger ‘Entwicklungsshilfen’ ist geschlossen.  Die ständige Konkurrenz unabhängiger Akteure –  China und nicht zuletzt internationaler Konzerne – gilt auch in  afrikanischen Ländern als historische Chance, die unübersehbar Spielbälle der Mächte und Investoren sind.

Die VR China, Taiwan und Singapur (eigentlich unnötig zu betonen) haben ganz andere Voraussetzungen mitgebracht. Und waren keine europäischen Kolonien im klassischen Sinne. (Gilley hat mit einer Kollegin eine intelligente Studie über Machtstrategien der KPChina nach 2000 (Überwachung ihrer tatsächlichen Legitimation in der Bevölkerung) verfasst! (pdf:Gilley,Holbit-China-GIGA 6366426-)

Die im “Rekolonisierungs”-Essay aufgestellten Zäune purzeln bei Anwendung auf die VR China durcheinander: Maos Regime war 1. extrem „anti-kolonialistisch“, nicht nur in seiner Rhetorik, 2. zwei, drei Generationen durchlitten ein dem „postkolonialen“ vergleichbares Trauma, wie er es nun am afrikanischen Kleinstaat „Guinea-Bissao“ beschreibt. 3. Die governance der KPCh  lässt sich in wichtigen Aspekten als „indigenious alternative” bezeichnen. Was wird vom britischen Hongkong politisch wirklich überleben? Dies Land, das seine „offenen Adern“ erfolgreich geschlossen hat und seine Öffnungen souverän kontrolliert, kann heute – nach gigantischen Fehlentscheidungen und Opfern – eine positive Bilanz seiner Politik ziehen.

Wie Francois Jullien im “Vortrag vor Managern” hervorhob, war bereits traditionelles ‘chinesisches Denken’ zur Wahrnehmung der sich bietenden Chancen besser vorbereitet  als ‘das westliche Denken’, das Jullien zufolge traditionell Pläne entwickelt und Prinzipien proklamiert, die mit der Realität dann kollidieren, wenn es ernst wird und ihre Verfechter bloßstellen. (2005, dt. 2006 Merve). Aber lässt sich  Julliens Modellvergleich überhaupt noch auf die Praktiker der Konzerne im Westen anwenden, die kurzsichtig und ‘prinzipienlos’ nur auf den schnellen Erfolg gesehen haben und heute an ihre Grenzen stoßen?

„Der Kolonialismus“ war eine dumme, gierige und hässliche Sache, die „Dekolonisierung“ war nicht klüger, bloß weniger gewalttätig. Lassen wir sie in den Archiven ruhen, als warnende Beispiele, die vielleicht noch einmal gebraucht werden. Übrigens findet “Rekolonialisierung” in Afrika und sonst bereits statt, schon weil sie nie aufgehört hat.

(Schlussabsätze am 16.12.20 überarbeitet)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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