Kongolesen in der globalen Kunstwelt – Sandrine Colard („Fiktion Kongo“)

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Wenn Sie für das abschließende Interview nicht mehr Zeit und Lust haben, so weit hinten ab Seite 307 im Katalog “Fiktion Kongo” ( Rietberg Museum Zürich 2019), ändert sich das, wenn Sie erst das auf einen Espresso gekürzte Protokoll gelesen haben! (Kursiv bedeutet wörtliches Zitat)

 

DIE GLOBALISIERTE „KUNSTWELT“ NIMMT SICH DER KONGOLESEN AN

 

Die tanzenden Masken, die wir auf kleinen Fotos sehen, hat Hans Himmelheber in die Metropolen verfrachtet. Nun sind sie verfügbar und werden von Zeit zu Zeit in den Lichterglanz von Ausstellungen versetzt. Rietberg, ursprünglich ein puristisches Haus der Kunstobjekte, hat nun auch Vertreter einer Objekt- und Installations-bezogenen Kunstszene eingeladen, die von Galeristen, Kuratoren u.s.w. der “vernetzten Kunstwelten“ betreut werden.

Die von Annina Guyer für das Abschlussgespräch eingeladene New Yorker Kunsthistorikerin Sandrine Colard verkörpert robusten Optimismus und Elan, wie man es von Menschen in meinungsbildender Position erwartet. Ein distanzierter und unemotionaler Sprachduktus gehört dazu.

Sie spricht gleich zu Beginn (308) von der Transzendierung widriger Umstände durch Kunstwerke, die dann auch im MOMA, New York, ausgestellt worden sind. Kongolesische Künstler sublimieren das Chaos und verleihen ihm einen neuen Zauber. In den wunderschönen Fotografen eines – woran denn noch? – verstorbenen Fotografen verwandeln sich die wassergefüllten Schlaglöcher der Stadt in poetische Spiegel. (308) – Na also!

Cheri Samba mit seinem sarkastischen Schildermaler-Realismus verwandelt sich zum Altmeister einer mit Kritik aufgeladenen traditionalistischen sogenannten populären kongolesischen Malerei. Von einem brav wirkenden Selbstporträt hinter ‚traditionellen’ Objekten aus schaut er schweigend zu. „Hommage aux anciens créateurs“ (Abb.1 im Katalog). Seinem hintergründigen Ölbild widme ich einen eigenen Beitrag (LINK).

Wir werden erst einmal mit der fragmentierten Subjektivität der Kongolesen im 21. Jahrhundert konfrontiert. Sandrine Colard lässt sich durch nichts aus ihrer professionellen Mitte bewegen. Mit der Erwähnung von Adam Hochschilds’ Bestseller („Schatten über dem Kongo“ 2000) auftauchende Sozialkritik ist gleich gebannt: Die Union Minière du Haut Congo hinterließ ein bedeutendes Fotoarchiv von Menschen aus der Kolonialzeit, insbesondere von (Zwangs)arbeitern und ihrer„schweren körperlichen Arbeit “, aber dadurch erlangte der Künstler Baloj seinen künstlerischen Durchbruch. Die Plackerei war eine der Vorfahren, als wäre nicht das ‘mittelalterliche’ Schürfen von Kobalt, Diamanten, Gold und Seltenen Erden noch heute ein weltweit bekannter Skandal. Colard erwähnt dagegen ihren Künstlerworkshop 2017 und die Verwendung einiger von uns besprochenen Fotografien. (309) Junge Künstler brauchen Entwicklungszusammenarbeit, um in der global vernetzten Kunstwelt nicht unterzugehen.

Entsprechenden Aufträge für den Rietberg in der Form von Residencies werden als Leistung für die erwünschte „Dekolonisierung der Museen“ bewertet. Die Warnung, sie nicht ausschließlich afrikanischen Künstlern aufzubürden“, verklausuliert das diplomatisch. Colard hat gerade noch vorher bedauert: Die jüngeren Generationen und die nach der Unabhängigkeit geborenen Künstler kennen diese kongolesische Geschichte kaum, da sie in den schulischen Lehrplänen so gut wie nicht vorkommt. (309) Deshalb macht Colard Workshops, und Kunstschulen bringen die Eleven formal auf westliche Standards. Im Museum werden ethnografische Fachkräfte sie betreuen. Beißt sich da die europäische Katze nicht in den Schwanz?

Wenn die eingeladenen Künstler, wie Annika Guyer aus Erfahrung sagt, besonders gern koloniale Fotografien verwenden (312), denke ich natürlich an die damit verbundene Bequemlichkeit. Aber was ist überhaupt auf kolonialen Fotografien zu erkennen? Fotografien sind auch im übertragenen Sinn oberflächlich. Selbst bei Hans Himmelheber sind oft Bildinformationen im Hintergrund die Interessantesten (Fotobomben > Katalog).

Sandrine Colard kommt dann auf die riesige Bildermenge zu sprechen, die die belgische Kolonialverwaltung produziert hat. (312) Zoé Strother wies auf dieses Dilemma in einem Aufsatz hin (LINK). Colard klagt lieber über Mängel in der digitalen Verbreitung im Internet und in der Zugänglichkeit der Bildarchive überhaupt. Da müsse die öffentliche Hand mehr tun.

Dann ist eine kleine Fotoserie von Georges Senga (Abb. 388) dran: Ein Leben nach dem Tode Oder Was aus Patrice Lumumba …. geworden wäre, wäre er nicht 1961 ermordet worden?“ – Ich wage es kaum auszusprechen, aber denke natürlich: Diktator. Ausnahmen unter den Freiheitsheroen waren rar, etwa Leopold Senghor. Die Selbstporträts des Künstlers als ‚Lumumba’ geben keine direkte Antwort. Älter wäre „er“ geworden. Vielleicht verkörpert der Fahrradfahrer ‚Lumumba’ aber einen Traum, etwa: Er wäre bescheidener Bürger geblieben.

Jetzt spricht Guyer das trendige (oder leidige) Thema „Dekolonisierung des Denkens“ an.

Colard lässt die Diaspora in den europäischen und amerikanischen Demokratien ausdrücklich beiseite (312). Interessanterweise stellt sie bei Künstlern im Kongo (RDC)  wenig Interesse und sogar Ambivalenz gegenüber dieser Forderung fest. Die Zwänge unter der „Authentizitätskampagne“ des Diktators Mobutu in den siebziger Jahren seien noch in Erinnerung, die ‚Afrikanisierung’ der Kleidung und der christlichen Vornamen (315) – Mir ist das von meiner kongolesischen Händlern her bekannt. – Eher werde im Anklang an „Black is beautiful“ in den USA der Siebziger Jahre die Vorherrschaft westlicher Schönheitsideale an den „Plakatwänden“ (Alain Senga) und in den Köpfen bekämpft. – Das ist sehr vernünftig, wenn man an die Hautbleichmittel denkt.  * ANMERKUNG UNTEN

Viele Künstler kritisieren die anhaltende Kolonialisierung ihres Landes durch kapitalistische und geopolitische Interessen.“

Vom Titel versprochen und vom bisherigen Verlauf des Gesprächs noch nicht eingelöst wurde die scharfe Verurteilung der in ihren Augen anhaltende Kolonialisierung ihres Landes durch kapitalistische und geopolitische Interessen (315). – Was will Colard sagen mit „in ihren Augen“? Erklärt sie sich für unzuständig?

Nein, sie kann künstlerische Proteste – einen Roman, die Installation, Fotoserie und Video von Sinzo Aanza und schließlich Sammy Baloj – zwischen uns und die für den Westen peinliche Realität in Stellung bringen: „Für ihn (Aanza) sind der Staat und seine Politiker Marionetten in den Händen des <feudalen Kapitals>“ – Wenn das so einfach ist, sind dann die Künstler, die sich als Teil einer globalen zeitgenössischen Szene verstehen (315) vielleicht auch Marionetten in den Händen eines internationalen Kunstkapitals?

Frau Guyer wendet sich zu Themen globalen Ausmaßes, Themen der Utopie, der Fiktion und der Suche nach einer neuen geografischen Orientierung der Kunstgeschichte. (316)

Unter marktstrategischem Gesichtspunkt, sagt Colard, wächst die Bedeutung des afrikanischen Kontinents mit den neuen Museen, Kunstmessen und Biennalen. Durch die Forderung nach der Dekolonialisierung der Kunstinstitutionen beginnen sich die Sammlungen verstärkt auch dem nichtwestlichen Kunstschaffen zu öffnen. Eine strategische Schenkung an das MoMa in New York, lange Zeit eine Festung der euro-amerikanischen modernen und zeitgenössischen Kunst (316), sei bemerkenswert.

Ist das die Utopie? Muss jetzt jedes Kulturinstitut für alles offen sein, bis nirgendwo mehr Festungen existieren, vor denen Ausgeschlossene wütend protestieren können? Zumindest anlässlich der von Sandrine Colard kuratierten Biennale von Lumumbashi scheint eine weitere Utopie durch: der Sieg über den globalen Kapitalismus. Als Beispiel wird die Installation „Tesla Crash, a speculation“ (Katalog-Abb. 392) vorgestellt. In dem Projekt On Trade Offkongolesischer und belgischer Künstler“ ist in Afrika und in Gruppenarbeit ein vergrößertes und veredeltes afrikanisches „Kinderspielzeug“ entstanden: das Drahtmodell einer Tesla Limousine. Es weckt ein Bewusstsein für die Folgen des Abbaus und der Verarbeitung von Lithium. – Man fragt sich: Wessen Bewusstsein? Laut Katalog liegen die Rechte über das Objekt bei der Galerie Imane Farès.

Die Antwort auf die Schlussfrage nach der „kongolesischen Kunstszene 2050“ überrascht, aber auch wieder nicht: Vervielfältigung der Kunstzentren in neuen Städten. (316) – In den sich ausbreitenden Slums? Sicher nicht auf dem flachen Land, wo die Milizen regieren.

Noch eine Forderung? Wir brauchen einheimische Kunstkritiker, Institutionen, Kuratoren und Mäzene und ein lokales Publikum ...(317)

Also nicht anders in New York oder Zürich. Danke für die Zeit, die Sie sich genommen haben.

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ANMERKUNG * Sindika Dokolo : « Le manuscrit de Lapière doit être exposé au Congo »

Ein Sammler in Brüssel will das auf einer Auktion ersteigerte Notizbuch eines Agenten Leopolds und Kunsträubers unter den Kuba nicht Tervuren geben. Denn er meint, es habe in Kinshasa eine Mission zu erfüllen, zur “prise de conscience au Congo” beizutragen, woran es wohl fehlt.

Sindika Dokolo :« J’ai pensé pendant un temps que je pourrais le donner à Tervuren pour qu’il soit exposé à côté du masque mais, en définitive, je trouve que cela a plus de sens qu’il serve à nourrir une prise de conscience au Congo. ….. il faut absolument faire connaître le manuscrit en Afrique et cela implique de le rapatrier là où il fut écrit, c’est-à-dire au Congo. » |

Die Wortwahl, das persönliche Notizbuch eines Belgiers, das Kunstraub belegen soll, würde damit “repatriiert” scheint mir – als Nichtmuttersprachler – schräg, aber vielleicht ist das irrelevant.  (Quelle: Paris Match (belg.) Interviewer: Michel Bouffioux | Publié le 8 octobre 2019 | Mis à jour le 9 octobre 2019)

 

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