‘Fotografen stehlen Seele‘ ? – Ethnographisches Foto und Porträtfoto

|

Hochgeladen: 19.7.2018, aktualisiert 13.7. 2022 (Anlass Rietberg-Ausstellung)           

Ich habe auf academia.edu eine interessante Studie gelesen: Zoé S. Strother. ’A Photograph Steals the Soul’: The History of an Idea.

In: Portraiture and Photography in Africa, ed. John Peffer and Elizabeth Cameron. Bloomington: Indiana University Press,2013,177-212     (Frobenius-Bibliothek :  Af I 2698)

Jeder kennt von irgendwoher den Evergreen ’Fotografie stiehlt die Seele’. Zoé Strother kann eine solche Erklärung nicht nur für ihr spezielles Forschungsgebiet empirisch  widerlegen. Das wichtigste Argument ihrer Gesprächspartner unter den Pende war der fehlende materielle Kontakt für einen möglichen Schadenszauber, ein bloßer ‚Schatten’ biete dafür keine Grundlage. Was übrig bleibt, sind rationale Befürchtungen, wie wir sie auch kennen oder nachvollziehen können, etwa wenn Leute in einem gefährlichen Polizeistaat wie dem Kongo  leben (p.197).

Die ‚Geschichte der Idee’ selbst wird bei Strother zum Lehrstück über die Langlebigkeit wissenschaftlicher Mythen! Einer schreibt vom anderen ab, amüsant zu lesen.

Extrem ungleiche Verteilung erhaltener Fotos

Für unsere Frage ist der Aufsatz aus einem anderen Grund wichtig, wegen der extremen sozialen Unausgewogenheit des vorhandenen Bildmaterials, die wir in Betracht ziehen müssen.

Die seit den dreißiger Jahren von einzelnen ambulanten kommerziellen Fotografen für die Leute im Dorf gemachten Fotos hatten keine Chance zu überleben. ‚Papier’ kann es dort als Medium nicht einmal mit ‚Holz’ aufnehmen. Strother hat die Situation bei den Pende so erfahren:

In the late 1980s, despite demand, few people owned photographs apart from the identity cards. The career of Pende photographers were often cut short by their equipment, which failed easily due to humid conditions and required sophisticated repairs in distant urban centers. Furthermore, photographs did not survive long. Colors faded quickly and few people could protect them from wear and tear in the hands of admirers. It was difficult for many to ‚refuse’ to give them away because generosity is one of the most admired virtues. I never saw an album in the countryside until 2007. It belonged to a successful entrepreneur, based in Tshikapa, and contained photos dating back to the seventies. (p.197)

deutsch:

In den späten 1980er Jahren besaßen trotz der Nachfrage nur wenige Menschen Fotos, abgesehen von den Ausweisenseit der späten Kolonialzeit eingeführt, von Mobutu durchgesetzt (p.197). Die Karriere von Pende-Fotografen wurde oft durch ihre Ausrüstung sabotiert, die aufgrund der feuchten Bedingungen leicht versagte und aufwendige Reparaturen in entfernten städtischen Zentren erforderte. Außerdem haben Fotografien nicht lange überlebt. Farben verblassten schnell und nur wenige Menschen konnten sie in den Händen von Bewunderern vor Abnutzung schützen. Es war schwierig für viele, sich zu weigern, sie wegzugeben, weil Großzügigkeit eine der am meisten bewunderten Tugenden ist. Ich habe bis 2007 nie ein Album auf dem Land gesehen. Es gehörte einem erfolgreichen Unternehmer in Tshikapa und enthielt Fotos seit den Siebzigern. (p.197)

Und die andere Seite? Lohnen die in den Archiven verwahrten Langweiler der Kolonialisten den Erhaltungsaufwand? Verschlimmern ihre Knipsereien nicht bloß das Forschungsproblem der Einseitigkeit? Tragen sie überhaupt nennenswert zur Information bei?

Gewiss, wenn sie Verbrechen dokumentieren, dann sind sie deutschen Landseralben von der Ostfront vergleichbar, oder wenn sie Schädelmessungen dienen, sind sie Dokument – für ‚wissenschaftliche’ Engstirnigkeit.

Mir fällt an dem Aufsatz die unübersichtliche Vielheit an relevanten Aspekten auf. Wieviel sachliche Voraussetzungen sind für die Rückführung schiefer ‚Ideen’ in einen wissenschaftlichen Diskurs, der erst wieder Fragen anstößt. Die Kritisierten erweisen sich jedenfalls als methodisch unzulänglich: autoritätshörig, voreingenommen, voreilig, theorie-geil, eitel und lebensfremd. Ein breites Literaturstudium (Zettelkasten) ist vonnöten, aber noch wirksamer ist vielleicht die Überprüfung an dem Verständnis derer, über die geredet wird.

 

13. Juli 2022

DIE ERWEITERUNG DER PERSPEKTIVE ERMÖGLICHT EINE AKTUELLE AUSSTELLUNG DES RIETBERG-MUSEUMS IN ZÜRICH “THE FUTURE IS BLINKING”  – LINK zur 7-minütigen Video-Vorstellung durch die Kuratorin Nanina Guyer auf YouTube.de

Min Kurzkommentar

Bereits zwanzig Jahre nach der Erfindung der Fotografie 1839 hat sich zwischen Dakar und Luanda an der Küste eine blühende Fotokultur entwickelt. Einheimische Berufsfotografen haben unter freiem Himmel vor mehr oder weniger improvisierten Hintergründen Fotografien aufgenommen, in denen sich ihre Kunden und Kundinnen so zeigen konnten, wie sie gesehen werden wollten. Die hundert gezeigten Originalabzüge stammen aus der Zeit zwischen 1875 und den dreißiger Jahren. Dreißig Fotografen sind identifiziert. (Guyer)

Auch anderswo werden solche Bildkünstler gesammelt und beforscht, etwa von Roger Hargreaves (Author), Andrew Wilson (Author):  “Joseph Chila and Samuel Finlak: Two Portrait Photographers in Cameroon”, Juli 2005.

Diese Porträts sind ehrlich gesagt ästhetisch alles andere als sensationell. Ihre Bedeutung liegt anderswo: Sie können heute historische Gegenbilder zu den Produkten kolonialer Fotografen herstellen, die oft nur Vorurteile und Herablassung beim Betrachter schüren, weil sie durchgängig eine unüberbrückbare Fremdheit zwischen Fotograf und Abgebildeten dokumentieren – kein Wunder bei dem oberflächlichen Kolonialtourismus durchreisender ‘Forscher’ oder dem Machtgefälle zu den ansässigen Europäern vor allem der Kolonialzeit. Einen allgemeineren einschüchternen Faktor sollte man nicht vergessen: Die ‘Porträtkunst’ hatte in Europa strenge Konventionen ausgebildet, welche die die frühen Porträtfotografen schon aus technischen Gründen übernehmen mussten. Als Kunden hatten Afrikaner wenigstens auf die Inszenierung einen gewissen Einfluss.

Für mein Duala-Bootsmodell-Projekt (besonders 1.4, 1.5, 2.6 – siehe LINK zur Zusammenfassung) bietet die Ausstellung an  zwischen den Häfen pendelnden Studiofotografen ein weiteres Beispiel für die regionalen Verflechtungen durch Handel, Arbeitsmigration und afrikanisches Unternehmertum entlang der Atlantik-Küste bereits im 19. Jahrhundert.

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert