Archiv für den Monat: Juli 2023

Begegnung mit einer hölzernen Leopardenmaske der Edo (Bini)

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Hochgeladen 25.Oktober 2020, aktualisiert 19.Juli 2023

Drei Wochen im Oktober                 

Mein kongolesischer Händler und Freund auf dem Markt ist immer für Überraschungen gut. Von dem jungen Mann aus Brazzaville, der ihn gelegentlich mit Objekten „aus dem Norden“, wo die zentralafrikanischen Staaten aufeinandertreffen, versorgt, hat er eine Maske bekommen, die er „im Kongo nie gesehen“ hat. Kein Wunder, denn ist zu hundert Prozent ein Leopardenkopf im Stil der Benin-Bronzen. Damit hören die Gewissheiten aber bereits auf und die Irrfahrt durch die Fachliteratur beginnt. Der Kopf ist aus Holz.

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Animose Atmosphären

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Berlin, den 18.05.2023

Das Jahr war bisher ein gutes Jahr für mich. Ich habe sehr nette Menschen gefunden, mit denen ich Studium und Freizeit in Berlin gestalten und genießen kann. Ich besuche Ausstellungen – zuletzt etwa „Retrotopia. Design for Socialist Spaces“  , “Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora” – und gehe zu politischen und historischen Vorträgen und Führungen. In meinem Theorie-Lesekreis, welchen wir im November gegründet haben, neigt sich der erste Sammelband dem Ende zu und wir freuen uns alle auf eine Fortsetzung in Form einer Theorie-Monografie. Es ist an der Zeit, dickere Bretter zu bohren. Und sonst erkunde ich weiterhin den riesigen Spielplatz unserer Hauptstadt mit all ihren Ecken und Facetten. Am liebsten genieße ich aber aktuell den zwar noch unbeständigen, aber immerhin endlich beginnenden Sommer in und auf den Berliner Parks und Plätzen und schaue den kleinen Häschen in unserem Innenhof beim Wachsen zu.

Die Seminarauswahl hat sich im Sommersemester als äußerst interessant erwiesen: Ich habe es in den Seminaren „Kritische Theorie des Autoritarismus in ‚postfaktischen‘ Zeiten“ sowie „Das politische Denken Hannah Arendts“ mit zwei Alt-68ern als Dozenten zu tun, was den Vorteil hat, dass diese unabhängig von den Zwängen der Wissenschaftsökonomie walten können und es ihnen dementsprechend möglich ist, sehr viel mehr Zeit für die Seminargestaltung sowie die Betreuung von uns aufzuwenden. Die Didaktik liegt ihnen ebenfalls, da sie nicht vom Institut zur Lehre gezwungen werden, sondern es als ihre Berufung begreifen, der jungen Generation etwas von ihrem Wissen und ihrer Erfahrung mitzugeben.

Insbesondere einem Dozenten – der aussieht wie ein Hundertjähriger und sich so langsam bewegt wie eine Schildkröte, aber dafür mental so fit ist wie ein Mittdreißiger – gelingt es eine ungemein fruchtbare Diskussionsatmosphäre zu schaffen und sich so ein Großteil des Seminares tatsächlich an der Theorie-Exegese beteiligt.

Im krassen Gegensatz hierzu steht die Atmosphäre in meinen anderen beiden Seminaren bei einer ebenfalls sehr sympathischen Dozentin, die Anknüpfungspunkte zwischen feministischer und materialistischer Theorie sucht. Sowohl in „„Staat, Macht und Geschlecht – materialistische und queer-feministische Staatstheorien“ und „Deconstructing Eurocentrism: Decolonial Perspectives on Gender, Knowledge, and Power“  wurde dem Seminarbetrieb eine „Warnung“ vorausgeschickt. Es gelte auf jeden Fall darauf zu achten, niemanden aufgrund von Äußerlichkeiten spezifische Pronomen zuzuschreiben bzw. ein Geschlecht anzunehmen und niemanden zu beleidigen. Aber auch nachsichtig zu sein, wenn jemand einen Fehler macht.

Eine mitstudierende Person musste dies unmittelbar kommentieren und klarstellen, dass es Grenzen gebe und sie nicht ruhig bleiben müsse und werde, wenn jemand sie falsch adressiere oder beleidige. Ich fühlte mich daraufhin extrem unwohl wollte am liebsten sofort das Seminar verlassen. Ich kann mir schon keine Namen merken, wie soll ich dann noch die richtigen Pronomen für jede Person behalten, nachdem alle 60 von uns diese geäußert hatten? Würde ich mich überhaupt trauen, etwas zu sagen, bei meiner umgehend innerlich aufsteigenden Angst, etwas falsch zu machen?

Ich unterhielt mich daraufhin mit einer Kommilitonin und Freundin, welche sich als non-binary identifiziert, sich also keinem Geschlecht zuordnet und eigentlich genau die „Zielgruppe“ darstellt, welche die Anfangsklarstellung „schützen“ und für welche sie eine „sichere Atmosphäre“ schaffen soll. Sie bestätigte mir daraufhin direkt, dass es ihr exakt wie mir ging: Kein Fünkchen Wohlfühlen, sondern tiefgreifende Verunsicherung und ein Fluchtinstinkt / Fluchtimpuls. Bis jetzt kommt es in den Seminaren kaum zu wirklichen Diskussionen. Stattdessen posaunen die meiste Zeit selbsternannte Expertinnen ihre geistigen Ergüsse zu den aktuellen Seminarthemen heraus. Die Seminartexte spielen dabei oft nur eine Rolle insofern sie ein vages Thema zur Verfügung stellen, zu welchem die eigene Vielbelesenheit – im Gegensatz zur Unwissenheit der anderen – ihre Darstellung finden kann. Selbstreferentielle Inseln in einem animosen Meer der Unsicherheit. Der Dozentin ist zwar ihr Unbehagen bei dem Woche für Woche stattfindenden Trauerspiel anzusehen, doch traut sie sich nicht zu intervenieren. Und ich als einer der wenigen hetero-cis Männer im Seminar traue mich auch nicht, meine doch so privilegierte Stimme zur Kritik zu erheben.

In meinen anderen beiden Seminaren wurde kein vergleichbarer Disclaimer an den Anfang gestellt. Es wurde stattdessen davon ausgegangen, dass wir erwachsene Menschen sind, welche einen höflichen Umgang miteinander zu pflegen imstande sind. Auf magische Weise entwickelte sich daraufhin ab der ersten Sitzung eine wohlwollende Atmosphäre, in der sich selbst unsicher wirkenden Menschen trauen, ihre Stimme zu erheben, Fragen zu stellen und sich produktiv einzubringen.

Obwohl es sehr schade ist, dass die Diskussionen in zwei meiner Seminare so unbefriedigend verlaufen, tröstet mich doch, dass ich das Ausgebliebene stets mit meinen Kommilitoninnen nachholen kann. derart unbefriedigend verlaufen, tröstet mich doch, dass ich das Ausgebliebene stets mit meinen Kommilitoninnen* nachholen kann. Und das möchte ich, denn die Texte sind teilweise durchaus interessant! Ich musste beim Lesen so manches Mal an dich denken und habe mich gefragt, wie deine (vermutlich) kritische Position wohl aussähe. Anbei sende ich dir einen der besseren Texte von einer russischen Theoretikerin, vielleicht juckt es dich ja in den Fingern, mal reinzulesen. Lass dich vom Titel nicht verunsichern, es geht kaum um Sexualität. Stattdessen bietet die Autorin einen Überblick über die grundlegenden Perspektiven der dekolonialen Option aka der dekolonialen Nicht-Theorie an.

Ich empfinde die dekoloniale Perspektive als unheimlich befruchtend. Wie oft haben wir über die verstaubten Elfenbeintürme der westlichen (Politischen) Theorie gesprochen. Endlich etwas grundlegend anderes! Ich kann den frischen Wind teils förmlich durch die Blätter rauschen hören. Es gibt eine Praxisperspektive, es liegt ein anderes Naturverhältnis zugrunde, (Kultur-)Geschichte spielt eine große Rolle, völlig andersartige Anthropologien werden präsentiert uvm. Aber lass uns das lieber mal persönlich besprechen – vielleicht ja sogar auf der Basis einer gemeinsamen Leseerfahrung.

Liebe Grüße

J.M.   (Unser Korrespondent in Berlin)

 

Ethnische Witze (USA vor 1996)

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WARNUNG VOR DEM VERZEHR: ORIGINALBEITRAG 1996-99

Eine zehnte Klasse pubertierender Gymnasiast*en wurde von mir in einer Unterrichtseinheit über die Geschichte der Einwanderungen in die USA mit folgendem Leistungsnachweis konfrontiert. Ich erinnere mich an keinerlei Komplikationen.

Lebhaft erinnere ich mich jedoch, dass ich es dem Autor Gert Raethel nicht verzieh, dass er versäumte, seine Sammlung mehrsprachig zu publizieren: „Der ethnische Witz. Am Beispiel Nordamerikas“. Eichborn Verlag, Frankfurt 1996. >>