Flusser – Schirrmacher – Blumenberg – Potpourri

|

Lieber D. H., unversehens habe ich wieder einen Text für Sie, und wenn es auch nur eine Fußnote zu einem Zitat ist: Diejenigen, die sich für die Revolution engagiert haben und gestorben sind, sind aus Naivität gestorben. (Vogelflüge S.31 in Regen)     

Fangen wir ganz von vorne an.Im Leitartikel von Frank Schirrmacher in der FAZ 10.7.2013  Am Lügendetektor steht der Satz: Vernetzt mit Mobilgeräten, deren Summe die Weltbevölkerung übersteigt, haben sich die Gesellschaften ins Innere einer Maschine begeben, deren Gesetze sie nur rudimentär kennen. Und dann schreibt er scheinbar naiv als Mitherausgeber einer staatstragenden Tageszeitung:

Wer weiß, in welchem Umfang, ob bewusst oder unbewusst, Daten von Kindern gespeichert werden, der ersten Generation, die auf Facebook ihre soziale Identität erlebt und womöglich später mit Profilen zu leben hat, die sie ein Leben lang begleiten? – Die erste Generation mit lebenslangem Profil? – Wir sollten nicht vergessen die DDR als pädagogischen und bürokratischen Vorläufer! Mit Hingabe berichtete die Lehrerin damals im Feature des Westfernsehens davon.

Die vielen Einzelwarnungen in den Medien trügen, etwa die vor anzüglichen Partyfotos. Sie werden gedankenlos wiederholt. Kommerzielle Profile ergänzen doch nur per Datenabgleich die Unterlagen aus Einstellungstests und ausgefeilten Bewerbungsgesprächen. Ob jemand einem solchen Netz entkommen kann? Und wer?Auf die Dauer gelangen nur Individuen mit dem  passenden Profil in die jeweilige Position.

Deshalb kann relevanter Widerstand nur aus dem inneren Kreis, von Überläufern und begabten Doppelagenten kommen – schon Klaus Traube (1978?) war Atommanager! – Und eine Handvoll Galionsfiguren gehören zu jedem Widerstand, Helden von symbolischem Wert, gern auch als Märtyrer. Wer Jahre hinter Knastmauern verbrachte, ist damit wenigstens ein Heiliger geworden. Auf die Standardfrage der Journalisten Held oder Verräter? zu Snowdon sagte die Expertin im Radio oder 3sat salomonisch: Ihr sei es sehr wichtig, zwischen dem Menschen und seiner Rolle zu unterscheiden. Über den Menschen könne sie nichts sagen, den kenne sie nicht.

Was wir über den Arabischen Frühling erfahren haben oder von den Protesten in Brasilien und der Türkei, etwa in der FAZ vom 6.7.13, (Nr. 154, S.38 Medien): Eine Milliarde „Likes“ pro Tag – Facebook und Twitter liefern sich eine harte Konkurrenz um kurze Videobotschaften im Netz … dokumentiert eine politische Nutzung der Möglichkeiten, die im Sinne der Anbieter eigentlich bloß eine verlängerte und profitable Verweildauer in ihren Netzen erreichen sollen. Die reinen Zahlen, die reinen Nutzerzahlen sind atemberaubend. Global sind es -zig Millionen!

Hier begegnen wir dem von Flusser vorgedachten Widerstand, der freilich schon bei ihm in der Konsequenz ein Widerstand mit Verfallsdatum ist. Diktatur, Despotie, Restauration sind das wahrscheinlichste Ergebnis aller Revolutionen. Wir konnten seit dem Zweiten Weltkrieg mehrere davon in kurzer zeitlicher Folge erleben. Folgerichtig gilt auch für Flussers echte Revolutionäre (In das Universum der technischen Bilder), für seine Helden dasselbe, was er zu denen der Französischen Revolution (1789-95) kühl anmerkte: Diejenigen, die sich für die Revolution engagiert haben und gestorben sind, sind aus Naivität gestorben. (Vogelflüge S.31 in Regen) Es sind auch lebenslange Haft (UNA-Bomber) oder Gehirnwäsche (wie in Orwells Roman  1984 ) denkbar, wahrscheinlich beides.

Der Pessimismus lässt sich aus Flussers Denken einfach nicht austreiben. Heute erst recht nicht.

Lieber D.H., ich habe in Ihrer letzten Mail auch einen wichtigen Satz übergangen: Nur noch kurz zu Blumenberg und Flusser, dieser Versuch ist irgendwie wie Goethe und Heine. Der Ehrgeiz nach napoleonischer Größe und die scharfe zersplitterte Ironie des Emigranten …

Ist es nicht eher umgekehrt? Klopft nicht die scharfe Ironie dessen, der dem ihm bereiteten Unheil im Versteck entgangen ist, all die Versuche der  Sinnstiftung ab, denen auch Flusser nicht entgangen ist. Blumenberg hatte es nicht nötig, utopische angebliche Szenarien zu entwerfen, die unseren Horizont schließlich auch nicht aufzuhellen vermögen.       Herzlich dvg

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert