Auf der Achterbahn mit amerikanischer Kunst – Rezension

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Serge Guilbaut: „Abstrakter Expressionismus – Freiheit und Kalter Krieg. Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat“  frz .Erstausg. 1983, Verlag der Kunst 1997   

Das Buch war für mich eine zweiter starker Scheinwerfer auf  die newyorker Kunstszene der Nachkriegszeit, es erweitert die Perspektive von Lee Seldes`„Das Vermächtnis Mark Rothkos“. Die starke Spannung, die Seldes an Rothko darstellt, scheint sich im Großen wiederholt zu haben. Was habe ich an neuen Einsichten gewonnen?

 

I

Marktschreierische Anpreisungen und Programme haben die Moderne Kunst – inzwischen geadelt zur „klassischen Moderne“ – von Anfang an begleitet. Sie wurden sehr bald orchestriert von einem internationalen Netz des Kunsthandels. Im vergangenen halben Jahrhundert scheinen sich dessen mächtige Tentakel unglaublich vermehrt zu haben.

Guilbaut holt die jüngere Kunstgeschichte in die allgemeine Geschichte des 20.Jahrhundert hinein. Was angesichts des Themas Kunst einigermaßen exotisch erschien –  die behauptete Verbindung zu IBM, Präsident und CIA, die schillernde Rolle des MOMA – wird bereits auf S.80 plausibel, und wir sind da erst im Jahre 1941.

Das Ästhetische eines Werks scheint im 20.Jh. für Förderung oder Ablehnung schon egal zu sein; es geht darum, dass es zur angesagten Strömung, Richtung, zum Label passt, dass es in den modischen Koordinaten zu verorten ist. Die Kunstöffentlichkeit wird zum ferngesteuerten Palaver.

Im Buch geht es auf vielen Seiten gar nicht um Bilder – höchstens um Urteile über Bilder – sondern um das Beziehen und Verlassen von Positionen angesichts der Großwetterlagen der Politik, die von 1936 bis 1950 dramatisch wechselten. Und es geht um einen Markt in der Krise. Die ach so autonomen Künstler rangeln organisiert um die spärlich gesäten Futterkrippen, wuseln hin und her, man könnte auch sagen, rudern verzweifelt, um nicht unterzugehen, materiell wie ideell. Mich beeindruckt schon die große Zahl der Individuen, die auf den Markt drängen, es sind in New York  Abertausende. – Wie beeinflusst das eigentlich unsere Vorstellung von Bildern, denen wir im Museum begegnen? –  Die Situation hat sich bis heute nicht geändert.

Und das Publikum? Ich lese von Beeinflussungskampagnen, gesponsert von Kapital und seinen Stiftungen und von der Regierung, lese von guten Ratschlägen für den Kauf und viel Wortgeklingel. Der Jargon war zugegebenermaßen schlichter, unprofessioneller als heute im Rahmen eines universitären „Sonderforschungsgebietes“ zu „performativen Kulturen“, aber damit auch populärer. „Im Mittelpunkt standen für Peggy Guggenheim die Werte des Erfindungsreichtums, des Neuen und der ‚Recherche’..“ (S.90) Das ist heute höchst aktuell, geradezu visionär, denn diese „Werte“ zu verbreiten und in den Köpfen zu verankern, ist das A und O der entfalteten Konsumkultur, der auch wir im Zeichen der Postmoderne uns mit Haut und Haaren verschrieben haben! Peggy Guggenheim steht für Unternehmungsgeist und für Geschäftssinn. Was hätte sie damit noch alles makeln können?

Oppositionelle gegen die abstrakte Kunstströmung hießen im westlichen Nachkriegseuropa der fünfziger und sechziger Jahre Unbelehrbare, solange bis das kommunistische Projekt noch einmal von einer neuen Generation für ein paar Jahre aufgewärmt wurde und ein paar Ostrebellen ihren Weg machten. Es ergaben sich dumme Fronten: Zum Beispiel gerieten die Gegenständlichen ins Abseits und manchmal sogar unter Verdacht. Die akademischen Profiteure der Nazis wurden ganz und gar aus dem Verkehr gezogen. Ich habe 1973 eine mutig-schüchterne Präsentation im Frankfurter Kunstverein erlebt. Lachhaft!

Ein ungewöhnliches Geschichtswerk, das sich lauter Fragen stellt, die ich mir in den dreißig Jahren meiner Unterrichtspraxis eigentlich hätte stellen müssen:  Wie haben die amerikanischen Intellektuellen den New Deal, das Desaster in Spanien, das Exil der europäischen Künstler, die deutsche Okkupation ihres ‚Mekka’ Paris, das widersprüchliche Bild der Sowjetunion, den Krieg, den amerikanischen Atombombenabwurf, den Rechtsruck in der Politik, die neue Eiszeit und den Verlust der „Eine-Welt“-Illusion…, wie haben sie das alles erlebt und verarbeitet? Die ganze intellektuelle Öffentlichkeit und nicht nur die Künstler, wie der Buchtitel suggeriert! Dabei ist die Darstellung nicht parteisch für New Left, sondern sieht alle Schulen kritisch. Guilbaut erfüllt seine Ankündigung, er wolle an „der Moderne“ deren ursprüngliche Lebendigkeit, Streitbarkeit, Widerständigkeit zeigen. Die Künstler kann man auch als getäuschte Täuscher ansehen, als zeitweise erfolgreiche Glücksritter. Verdient diese privilegierte Gruppe wirklich Mitgefühl? Obschon mir die Spleens des späteren Rothko verständlicher werden.

 

III

21.März – 30 Seiten vor dem Schluss.Ich werde ungeduldig, und meine Ungeduld hat ihren Grund: Die Kapitel werden immer länger, obschon die neuen Fronten immer deutlicher verlaufen. Das Niveau der geschilderten Propaganda ist niedrig und der Schwung des Chronisten Guilbaut geht verloren. Das Entscheidende ist schon lange gesagt oder einfach sichtbar geworden.

Und was wird aus dem angekündigten Knaller: “Wie New York Paris die Idee der modernen Kunst gestohlen hat“ ? Handelnde Personen wie Greenberg oder Motherwell lösen sich in Zitate und Momentaufnahmen auf – mit Ausnahme von Galerist Kootz, der als ‚Schuft’ unauflösbar ist (z.B.S.208, 94), zusammen mit Rothkos Galerist „Frank Lloyd“, geborener Levai.

Für das kollektivistische Denken der auftretenden Künstler und ihrer Vormünder kann Guilbaut nichts. Er hält sich – was ja akademischem Brauch entspricht – an ein paar Zeitschriften, vermittelt dabei eine Menge Realsatire, indem er jeden Pups registriert und dokumentiert, den die Bewegung lässt. Ein Beispiel: „..machen diese Maler die Erfahrung einer beispiellosen Einsamkeit von einer Tiefe, die vielleicht nirgendwo sonst auf der Welt erreicht worden ist.“ (188) Oder die Frage: “Wie konnte man in New York feststellen, wann ein Bild fertig war?“(205) Wer war schon der lang und breit zitierte Greenberg? Die Leute polemisierten verantwortungslos nach dem Grundsatz : Was schert mich mein Unsinn von gestern. (z.B. 199) Guilbaut wagt nur gelegentlich die kritische Distanz mit ironischen Formulierungen. Die krassesten Kurswechsel, Phrasen und Schachzüge werden im Kap.4 sehr verhalten dargestellt. Ausgerechnet hier zeigt sich der Autor hasenherzig. Die unterlegenen Gegner kommen gegenüber der triumphierenden Clique kaum zu Wort.

Das Buch bleibt immerhin ein Lehrstück auf mehreren Gebieten. Meine Enttäuschung hält sich in Grenzen.

 

IV

Ein Jahr später:   Die Langzeitwirkung ist überraschend stark. Meine kritischen Einwände hatte ich inzwischen ganz vergessen. Ich kann es empfehlen.

Klappentext Zitat Serge Guilbaut :

IMG_3578Guilbaut2  (durch 2x Anklicken vergrößern)

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