Eine Flaschenpost von 1997

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VON  GRAEVE‘S  FLASCHENPOST – Eine Flaschenpost wird ins Meer geworfen und landet todsicher im richtigen Hafen.

IMG_3533Abi97    Beitrag zur Abiturzeitung

A   SELBSTGESPRÄCH

-Du willst also in diesem unberechenbaren Blatt schreiben und nicht bloß einen dieser schrecklich konventionellen Fragebögen ausfüllen?

– War diese Schärfe jetzt nötig?

– Klar, Zeichen setzen ! Was wird denn zählen? Der bekannte unverwechselbare Ton.

– Eitel bist Du ja nicht! Willst du den Leuten wieder die Stimmung verderben?

– Auf diesen Moment der Trennung kommt es doch gar nicht mehr an. Sie halten schon Ausschau nach der Neuen Welt!

– Und du balancierst schon zwischen denen, die du verlierst und den Neuen,  so  wie du es immer getan hast, du Spezialist für die Abschlußphase.

– Nie kann ich offener sein als jetzt. Die Zeitung nehmen sie ungelesen fort in die  Freiheit von Schule.

– Doch unter den Kollegen denkt sich jeder, jede sein Teil.

– Was soll‘s – Kollegen dienten schon bei den Römern nur zur Begrenzung des Mißbrauchs, alles andere ist linke Illusion, nicht wahr?

– Was immer dein Ziel ist, tu etwas dafür. Du sprichst jetzt nicht mehr mit 15-25 Leuten auf‘s Mal. Jeder, jede liest dich für sich . Und du wendest dich an ein kompetentes Publikum: Wer kennt dich  besser als deine Schülerinnen (und Schüler, klar?), was willst Du denen noch vormachen?

– Du weißt und sie wissen: sie werden es nicht besser machen, weil sie nicht größer sind als ich.

– Ausnahmen würde ich nicht  völlig ausschließen oder!? Du kennst dich aus im Größenwahn, hast einen Blick für dessen lächerliche Seite.

– Weißt du noch, als Schüler sagten:  warum sind Sie Lehrer….?

–  Wie viele Kollegen kennen diesen Satz oder wünschten ihn gehört zu haben!

– Heute antworte ich  lieber mit Darwin‘s “survival of the fittest“:  Ist  doch genial, daß ein Chaot wie ich (der zeitweise selber an seiner Verfassungstreue zweifelte) ein  behagliches Leben an einer höheren Lehranstalt führen kann, wobei „höher“ zweierlei bedeutet:  befreit von gröberen Arbeiten und  beschenkt mit einem  ausgewählten Publikum…. Und daß ich soviel Freiheit genossen habe.

– Du bist altgeworden , Detlev

– Ja. – Ich bekenne, ich werde alt.

 

B   R E F O R M E N , R E F O R M E N ….

Ich könnte die Rede des Lehrkörpervertreters beanspruchen, allein auf Grund des Proporzes :  ich habe 70%  an der Jahrgangsbreite gehalten,  und was meinen Anteil am Punktekonto angeht – nach geheimen Berechnungen liege ich vorn. Auch das Rotationsprinzip hätte mich wieder nach vorn geschoben , aber …. will ich  eine Feyerabend-Rede , anarchistisch, halten und mich dafür von irgendeinem mißgelaunten old boy öffentlich auspfeifen lassen?

Als ich letztes Jahr noch davon träumte, die Verabschiedungsveranstaltung …

– zusaamen ( You know that song?)

– … mit allen Betroffenen  –  zu reformieren, stand mir der Unsinn  einer solchen Idee noch nicht  vor Augen. Ich bedachte nicht, daß jede unserer  ständisch  verfaßten  Gruppen sich über die Jahre ihre speziellen Freiräume im Labyrinth des Übergangsrituals Abitur erkämpft oder ersessen hat; wer wollte da leichthin eingreifen! Handlungen gerinnen zu Verhältnissen,  wie frische Milch zu Käse. Genießen wir einfach den Käse, seinen Reifegrad, sein Bouquet, seine Festigkeit, entfernen wir hier ein bißchen und da ein bißchen von seiner angeschimmelten Oberfläche. Es ist eine Zeit der Freude und des Genießens. Wir und Sie, liebe Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen, Eltern und Elternvertreterinnen und -vertreter  halten die Früchte unserer gemeinsamen  Arbeit in Händen: Sektkelche , Zeugnisse , Redemanuskripte, Buchgeschenke (des Landrats und der Industrie,  Listen fehlender Bücher, Portemonnaies, und und und ….. und wir gedenken den Augenblick festzuhalten und  viele Hände zu schütteln.

Was wäre daran zu reformieren? Etwa der weite räumliche Abstand  der Bühnenakteure von den eigentlichen Hauptpersonen? Daß sich welche schräg aufdonnern und griesgrämige Miene machen, daß einer durchdreht ( alle zwei Jahre), daß ein gewisser Prozentsatz sich in Raucherecken verdrückt….? Das alles habe ich völlig falsch beurteilt:  Die Chance der Abgrenzung, des shocking –  einmal muß  die AKS Ihnen das noch ermöglichen. In meiner Jugend standen uns noch alle Konventionen der Erwachsenen als  Abenteuerspielplatz zur Verfügung…  Das alte Verabschiedungsritual ist optimal:  Noch jeder und jede hat es überlebt.

Lieber  sollte man  die Abizeitung reformieren! Hierbei verdiente der Trend, die Beiträge immer früher einzufordern (als ließen die sich schockgefrieren)  und  dann doch nicht termingerecht zu erscheinen, nähere Betrachtung:  umso mehr, als der letzte Jahrgang  aus dem Desaster des vorigen nichts gelernt hat. Wie ist das möglich in einer Zeit immer schnellerer Kommunikation?

– Einfach lächerlich!

– Es wird zu viel Aufwand getrieben; Repräsentationsinteressen setzen sich durch ; dafür geht das Budget und der Schweiß der Edlen drauf, nicht für Tempo.

Das war am 13. einer St. schwer zu vermitteln. Vor allem schienen die redaktionell Verantwortlichen schon resigniert zu haben, und zwar vor  angeblich undurchsichtigen Sachzwängen.  Als Frauen wollen sie  wohl ihren Beitrag ohne Zicken leisten, aber damit verstellen sie sich auch den  Blick für einen Widerstand gegen  unnötige, also unberechtigte Zwänge.

Der alte Herbert Marcuse aus 1968  kommt mir da unvermutet  wieder in den Sinn , der sonst eine Menge Mist geschrieben hat. Ich schüttele ungläubig den Kopf über soviel  vorauseilenden Gehorsam in der „Jugend“. Was haben die versammelten Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer in Leistungs- und Grundkursen für eine Entwicklung des Denkvermögens  getan?  Und wenn nicht für das Denkvermögen, das ja im Normalfall überwiegend Geheimnis bleiben wird,  was dann für die Entwicklung des öffentlich wirksamen Denkvermögens?

– Herzlich wenig. Du unterschätzt die schleichende Demoralisierung durch sinnlosen Leerlauf,  unfruchtbare Fremdbestimmung, durch „Pflichten“ ohne korrespondierende Rechte , durch die ganze Ochsentour ohne entsprechende Ergebnisse.

 

C        ICH KANN NICHT MEHR SCHWEIGEN – ZUM FRAGEBOGEN

Was mein  „Traum“ sei, auch noch  mein„großer“?

Natürlich als  schrulliger alter Mann noch lange Jahre die Jungen ausplündern    ( vgl. den SPIEGEL-Titel  im Februar )

„Ostasiatische Kultur“?

Fein gefragt! richtig exklusiv! Also  wenn, dann die der Japaner , deren Vorfahren  wie die unseren viele Jahrhunderte artgerecht durch die Wälder geritten sind und  Beute gemacht haben, und bloß nicht die der Chinesen: Das chinesische Prüfungssystem hätte mich umgebracht, oder später ein unvorsichtiges Wort zum Verlust der Männlichkeit verurteilt.

An  Japan fasziniert mich der Individualismus in der Ästhetik:  Spaß am Ungeraden,  Liebe zur Materialechtheit, der „Sprung“ oder andere „Fehler“ und  HAIKUs wie …..

Winden betrachtend

Verzehre ich meinen Reis ,

So einer bin ich    (schrieb Bashô)

oder:

Gräser des Sommers

Von all den stolzen Kriegern

–  die Reste des Traums   (Bashô)

Japans Tradition  gewährt Körper und Geist die Mittel zu Ausdruck und Stabilisierung, zu Reflexion und Entspannung und zur Selbstverteidiigung  elementarer Individualität gegen äußerst harte Konventionen, die uns natürlich als erste in den Blick geraten. Freilich  werden gerade diese Mittel heute zunehmend vernachlässigt,  wird der kulturelle Trash des „Westens“ übernommen. So „globalisiert“ jeder was er kann.

Ebenso  erscheint die traditionell  betonte soziale Seite  im Umgang  miteinander bedroht, während  wir uns sowieso viel zu oft die Ellenbogen in die Seite rammen  oder gar die „Konfrontation“ für unvermeidbar halten.

– Man muß zum Asiaten  erzogen sein;  Du  jedenfalls bist es nicht.

–  Dann möchte  ich  hiermit  Alle um Entschuldigung bitten, denen  ich  durch Ausbrüche  extrem „westlicher“ Ruppigkeit  Kränkungen zugefügt habe.

D          EIN LETZTES WORT – UNSERE GEDULD HAT GRENZEN

– ja, bitte noch ein Wort zu Irland: Ich hatte mich in der Vorbereitung total verausgabt , aber die Truppe war perfekt…

–  dabei soll sie ziemlich gemischt gewesen sein, was Du natürlich  nicht gemerkt hast.

– … die Jungs haben sich im Zwölferzimmer ebenso bravourös gehalten wie im Doppelzimmer, und die Mädel  sorgten für eine  Prise  Zivilisation …

–  Tobias und Christoph  sind dem Haufen durch die Irische See nachgeschwommen und am Ende wieder todesmutig abgetaucht…

– alle haben entspannt gefrühstückt in  Isaacs‘ dräuender Enge , nur Du nicht… und sie haben Deine magere Verpflegungskasse überlebt…

–  Beate, Britta und Joana kochten heldenhaft wie „Trümmerfrauen“ , Michael, Marc und Christoph  organisierten anschließend die Männerküche…

–  wir sind meilenweit durch Dublin und am  Meeresstrand und über die Klippen gelaufen…und dann auf die kleine Insel  gerollt und geschaukelt…

–   ein paar haben Poseidon geopfert..

– Wir haben  grölend „vor Madagaskar“ gelegen, eine Land-Disco unsicher gemacht  und sind mit fremden Hunden spazierengegangen…

– Daniel  war  Bob Dylan!

– Die Leute haben spontan für die  nordirische  Stadtteilinitiative gesammelt.

– Fast hätten sie Gerry Adams  erwischt…

– Sie waren so etwas von effektiv!  Überleg ‘mal , was sie Dir für Probleme hätten machen können!

– Es war einfach schön, in ihrer Gruppe zu reisen.  Schade, daß Clemens und Dieke‘s Henning  kurz vorher ausgefallen sind, aber vergessen haben wir sie nicht (so wie  auch wir nicht vergessen werden wollen).

Alles Gute!   Adieu !   oder …  in zehn Jahren!

 

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