VON GRAEVE‘S FLASCHENPOST – Eine Flaschenpost wird ins Meer geworfen und landet todsicher im richtigen Hafen.
A SELBSTGESPRÄCH
-Du willst also in diesem unberechenbaren Blatt schreiben und nicht bloß einen dieser schrecklich konventionellen Fragebögen ausfüllen?
– War diese Schärfe jetzt nötig?
– Klar, Zeichen setzen ! Was wird denn zählen? Der bekannte unverwechselbare Ton.
– Eitel bist Du ja nicht! Willst du den Leuten wieder die Stimmung verderben?
– Auf diesen Moment der Trennung kommt es doch gar nicht mehr an. Sie halten schon Ausschau nach der Neuen Welt!
– Und du balancierst schon zwischen denen, die du verlierst und den Neuen, so wie du es immer getan hast, du Spezialist für die Abschlußphase.
– Nie kann ich offener sein als jetzt. Die Zeitung nehmen sie ungelesen fort in die Freiheit von Schule.
– Doch unter den Kollegen denkt sich jeder, jede sein Teil.
– Was soll‘s – Kollegen dienten schon bei den Römern nur zur Begrenzung des Mißbrauchs, alles andere ist linke Illusion, nicht wahr?
– Was immer dein Ziel ist, tu etwas dafür. Du sprichst jetzt nicht mehr mit 15-25 Leuten auf‘s Mal. Jeder, jede liest dich für sich . Und du wendest dich an ein kompetentes Publikum: Wer kennt dich besser als deine Schülerinnen (und Schüler, klar?), was willst Du denen noch vormachen?
– Du weißt und sie wissen: sie werden es nicht besser machen, weil sie nicht größer sind als ich.
– Ausnahmen würde ich nicht völlig ausschließen oder!? Du kennst dich aus im Größenwahn, hast einen Blick für dessen lächerliche Seite.
– Weißt du noch, als Schüler sagten: warum sind Sie Lehrer….?
– Wie viele Kollegen kennen diesen Satz oder wünschten ihn gehört zu haben!
– Heute antworte ich lieber mit Darwin‘s “survival of the fittest“: Ist doch genial, daß ein Chaot wie ich (der zeitweise selber an seiner Verfassungstreue zweifelte) ein behagliches Leben an einer höheren Lehranstalt führen kann, wobei „höher“ zweierlei bedeutet: befreit von gröberen Arbeiten und beschenkt mit einem ausgewählten Publikum…. Und daß ich soviel Freiheit genossen habe.
– Du bist altgeworden , Detlev
– Ja. – Ich bekenne, ich werde alt.
B R E F O R M E N , R E F O R M E N ….
Ich könnte die Rede des Lehrkörpervertreters beanspruchen, allein auf Grund des Proporzes : ich habe 70% an der Jahrgangsbreite gehalten, und was meinen Anteil am Punktekonto angeht – nach geheimen Berechnungen liege ich vorn. Auch das Rotationsprinzip hätte mich wieder nach vorn geschoben , aber …. will ich eine Feyerabend-Rede , anarchistisch, halten und mich dafür von irgendeinem mißgelaunten old boy öffentlich auspfeifen lassen?
Als ich letztes Jahr noch davon träumte, die Verabschiedungsveranstaltung …
– zusaamen ( You know that song?)
– … mit allen Betroffenen – zu reformieren, stand mir der Unsinn einer solchen Idee noch nicht vor Augen. Ich bedachte nicht, daß jede unserer ständisch verfaßten Gruppen sich über die Jahre ihre speziellen Freiräume im Labyrinth des Übergangsrituals Abitur erkämpft oder ersessen hat; wer wollte da leichthin eingreifen! Handlungen gerinnen zu Verhältnissen, wie frische Milch zu Käse. Genießen wir einfach den Käse, seinen Reifegrad, sein Bouquet, seine Festigkeit, entfernen wir hier ein bißchen und da ein bißchen von seiner angeschimmelten Oberfläche. Es ist eine Zeit der Freude und des Genießens. Wir und Sie, liebe Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen, Eltern und Elternvertreterinnen und -vertreter halten die Früchte unserer gemeinsamen Arbeit in Händen: Sektkelche , Zeugnisse , Redemanuskripte, Buchgeschenke (des Landrats und der Industrie, Listen fehlender Bücher, Portemonnaies, und und und ….. und wir gedenken den Augenblick festzuhalten und viele Hände zu schütteln.
Was wäre daran zu reformieren? Etwa der weite räumliche Abstand der Bühnenakteure von den eigentlichen Hauptpersonen? Daß sich welche schräg aufdonnern und griesgrämige Miene machen, daß einer durchdreht ( alle zwei Jahre), daß ein gewisser Prozentsatz sich in Raucherecken verdrückt….? Das alles habe ich völlig falsch beurteilt: Die Chance der Abgrenzung, des shocking – einmal muß die AKS Ihnen das noch ermöglichen. In meiner Jugend standen uns noch alle Konventionen der Erwachsenen als Abenteuerspielplatz zur Verfügung… Das alte Verabschiedungsritual ist optimal: Noch jeder und jede hat es überlebt.
Lieber sollte man die Abizeitung reformieren! Hierbei verdiente der Trend, die Beiträge immer früher einzufordern (als ließen die sich schockgefrieren) und dann doch nicht termingerecht zu erscheinen, nähere Betrachtung: umso mehr, als der letzte Jahrgang aus dem Desaster des vorigen nichts gelernt hat. Wie ist das möglich in einer Zeit immer schnellerer Kommunikation?
– Einfach lächerlich!
– Es wird zu viel Aufwand getrieben; Repräsentationsinteressen setzen sich durch ; dafür geht das Budget und der Schweiß der Edlen drauf, nicht für Tempo.
Das war am 13. einer St. schwer zu vermitteln. Vor allem schienen die redaktionell Verantwortlichen schon resigniert zu haben, und zwar vor angeblich undurchsichtigen Sachzwängen. Als Frauen wollen sie wohl ihren Beitrag ohne Zicken leisten, aber damit verstellen sie sich auch den Blick für einen Widerstand gegen unnötige, also unberechtigte Zwänge.
Der alte Herbert Marcuse aus 1968 kommt mir da unvermutet wieder in den Sinn , der sonst eine Menge Mist geschrieben hat. Ich schüttele ungläubig den Kopf über soviel vorauseilenden Gehorsam in der „Jugend“. Was haben die versammelten Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer in Leistungs- und Grundkursen für eine Entwicklung des Denkvermögens getan? Und wenn nicht für das Denkvermögen, das ja im Normalfall überwiegend Geheimnis bleiben wird, was dann für die Entwicklung des öffentlich wirksamen Denkvermögens?
– Herzlich wenig. Du unterschätzt die schleichende Demoralisierung durch sinnlosen Leerlauf, unfruchtbare Fremdbestimmung, durch „Pflichten“ ohne korrespondierende Rechte , durch die ganze Ochsentour ohne entsprechende Ergebnisse.
C ICH KANN NICHT MEHR SCHWEIGEN – ZUM FRAGEBOGEN
Was mein „Traum“ sei, auch noch mein„großer“?
Natürlich als schrulliger alter Mann noch lange Jahre die Jungen ausplündern ( vgl. den SPIEGEL-Titel im Februar )
„Ostasiatische Kultur“?
Fein gefragt! richtig exklusiv! Also wenn, dann die der Japaner , deren Vorfahren wie die unseren viele Jahrhunderte artgerecht durch die Wälder geritten sind und Beute gemacht haben, und bloß nicht die der Chinesen: Das chinesische Prüfungssystem hätte mich umgebracht, oder später ein unvorsichtiges Wort zum Verlust der Männlichkeit verurteilt.
An Japan fasziniert mich der Individualismus in der Ästhetik: Spaß am Ungeraden, Liebe zur Materialechtheit, der „Sprung“ oder andere „Fehler“ und HAIKUs wie …..
Winden betrachtend
Verzehre ich meinen Reis ,
So einer bin ich (schrieb Bashô)
oder:
Gräser des Sommers
Von all den stolzen Kriegern
– die Reste des Traums (Bashô)
Japans Tradition gewährt Körper und Geist die Mittel zu Ausdruck und Stabilisierung, zu Reflexion und Entspannung und zur Selbstverteidiigung elementarer Individualität gegen äußerst harte Konventionen, die uns natürlich als erste in den Blick geraten. Freilich werden gerade diese Mittel heute zunehmend vernachlässigt, wird der kulturelle Trash des „Westens“ übernommen. So „globalisiert“ jeder was er kann.
Ebenso erscheint die traditionell betonte soziale Seite im Umgang miteinander bedroht, während wir uns sowieso viel zu oft die Ellenbogen in die Seite rammen oder gar die „Konfrontation“ für unvermeidbar halten.
– Man muß zum Asiaten erzogen sein; Du jedenfalls bist es nicht.
– Dann möchte ich hiermit Alle um Entschuldigung bitten, denen ich durch Ausbrüche extrem „westlicher“ Ruppigkeit Kränkungen zugefügt habe.
D EIN LETZTES WORT – UNSERE GEDULD HAT GRENZEN
– ja, bitte noch ein Wort zu Irland: Ich hatte mich in der Vorbereitung total verausgabt , aber die Truppe war perfekt…
– dabei soll sie ziemlich gemischt gewesen sein, was Du natürlich nicht gemerkt hast.
– … die Jungs haben sich im Zwölferzimmer ebenso bravourös gehalten wie im Doppelzimmer, und die Mädel sorgten für eine Prise Zivilisation …
– Tobias und Christoph sind dem Haufen durch die Irische See nachgeschwommen und am Ende wieder todesmutig abgetaucht…
– alle haben entspannt gefrühstückt in Isaacs‘ dräuender Enge , nur Du nicht… und sie haben Deine magere Verpflegungskasse überlebt…
– Beate, Britta und Joana kochten heldenhaft wie „Trümmerfrauen“ , Michael, Marc und Christoph organisierten anschließend die Männerküche…
– wir sind meilenweit durch Dublin und am Meeresstrand und über die Klippen gelaufen…und dann auf die kleine Insel gerollt und geschaukelt…
– ein paar haben Poseidon geopfert..
– Wir haben grölend „vor Madagaskar“ gelegen, eine Land-Disco unsicher gemacht und sind mit fremden Hunden spazierengegangen…
– Daniel war Bob Dylan!
– Die Leute haben spontan für die nordirische Stadtteilinitiative gesammelt.
– Fast hätten sie Gerry Adams erwischt…
– Sie waren so etwas von effektiv! Überleg ‘mal , was sie Dir für Probleme hätten machen können!
– Es war einfach schön, in ihrer Gruppe zu reisen. Schade, daß Clemens und Dieke‘s Henning kurz vorher ausgefallen sind, aber vergessen haben wir sie nicht (so wie auch wir nicht vergessen werden wollen).
Alles Gute! Adieu ! oder … in zehn Jahren!