Ein stilles Gelöbnis erfĂŒllen: ihn in Berlin zu Hause zu besuchen, ihn den mein Lehrer Wiegmann so verehrte. Seinen herbstlichen Garten, sein StĂŒck Wannseeufer.
Er konnte froh darĂŒber sein, oder war damals die Nachbarschaft unbebaut und offen? Dem Preis seines GrundstĂŒcks nach zu urteilen, ja.
Der Ort Wannsee wĂ€re ein Kapitel fĂŒr sich: unter einem BlĂ€tterdach hinter einer unsichtbaren KĂŒstenlinie stehen Villen in eingezĂ€unten in durch Hecken und Mauern versteckten groĂzĂŒgigen RasengĂ€rten, dazwischen exklusive Neubauten mit Namen wie âWannseeparkâ. Oder man muss Mitglied in einem der zahlreichen Bootsklubs werden, wenn man in seiner Nachbarschaft ans Wasser gelangen möchte. Die Villa der âWannseekonferenzâ sticht ĂŒberhaupt nicht heraus, so wenig wie die unweit auf Potsdamer Gebiet gelegene Villa der âPotsdamer Konferenzâ. Wir sehen: Alles ist möglich in dieser diskreten konventionellen Szenerie. In unserer Gegend kann man das auch von Kronberg behaupten.
Mein Eindruck von mehreren Besuchergruppen war immer der gleiche, – sie bildeten ĂŒbrigens angenehme Farbflecken zwischen dem GrĂŒn: Geldadel Ă€lterer Semester, der herrschaftliches VerstĂ€ndnis fĂŒr Gartengestaltung bewies und unendliche Geduld gegenĂŒber einer aristokratischen FĂŒhrung. Was in Museen selten geschieht: Ich fĂŒhlte mich deklassiert und irgendwie der Jugend zugeteilt. Hier bewegten sich Kenner und Sammler.
Das ganze Parterre wurde von den RĂ€umen des CafĂ©s beherrscht. Das Behindertenklo hatte etwas von einer Intensivstation. Ich fĂŒrchtete schon, ĂŒberhaupt keine Bilder zu sehen. Wir sind damit schon mitten in den vielen Momenten der Distanzierung.
Liebermann war kein deutscher Impressionist, sondern ein preuĂischer, wilhelminischer. Ein Jugendbild von ihm habe ich im ganzen Haus sowieso nicht gesehen, immer nur den markanten glatt rasierten SchĂ€del mit und ohne Hut.
Er identifizierte sich mit Edouard Manet, sicher nicht nur malerisch. Malte er Frauen anders als im Arbeitskittel oder in bĂŒrgerlicher Uniform mit BlĂŒtenhut, selbst eine BlĂŒte? Und andere als arrivierte MĂ€nner?
Seine Darstellungen kultivieren die groĂbĂŒrgerliche Familienidylle wie einen Seerosenteich. Er schuf sich jenseits der FĂŒnfzig ein Idyll, ein brandenburgisches, ohne Witz! Liebermann war dem nordischen Birkenwald und seinem spröden Klima zugetan. Nicht umsonst war Holland ĂŒber Jahrzehnte bis zum Weltkrieg – wie fĂŒr Zuckmayer – Ziel fĂŒr die Sommerfrische. War er nicht das, was man mit Hanseaten verbindet? Sein Atelier ĂŒbersah ich erst einmal: So eine kleine Staffelei! Dem Selbstbildnis zufolge hat er im korrekten Anzug gemalt.
Patriarch, graue Eminenz war er bis 1933, ĂŒber ein paar revolutionĂ€re Jahrzehnte hinweg! Er brauchte doch gar keine âSezessionâ, man bat ihn dazu. Die nĂ€chste Sezession, die der Expressionisten, hat er schon selbst verursacht. Als eine Art Moses, konnte er nicht folgen. Wie war noch die schöne Anekdote am Ende der FĂŒhrung? Man lud ihn dringend ein, eine Ausstellung von Marc Chagall zu besuchen. SchlieĂlich erklĂ€rte er seine Weigerung doch noch: âSonst gefĂ€llt mir das Zeugs womöglich noch.â Witzelte da vielleicht auch der protestantisch assimilierte Jude ĂŒber das weiĂrussische Stetl?
Er provozierte gern, ideologisch auf Seiten des einfachen Volks, wie fĂŒr âRealistenâ, schon Courbet, typisch. In Liebermanns Vita fiel mir auf, dass er 1873 nach Paris kam. Damals muss diese Stadt, und erst recht ihre BohĂšme, noch traumatisiert gewesen sein von einer beispiellosen Repression 1871. In den folgenden Jahren â bis 1890 â bedeutete Sozialist im Deutschen Reich zu sein, den gesellschaftlichen Tod. Den hat er offensichtlich nicht gewĂ€hlt, aber noch im Alter Zille und KĂ€the Kollwitz unterstĂŒtzt. Ein zweites Faktum â das mir hier ĂŒbrigens nicht begegnete, aber im JĂŒdischen Museum Berlin â war seine Kindheit unter einem diskriminierten Status, den er sicher nicht erst 1933 wieder erinnerte.
Doch nach 1900 waren das nicht mehr die Probleme der Kunstavantgarde. Warum wollte er der Avantgarde eigentlich prĂ€sidieren? Oder musste er das, um im GeschĂ€ft zu bleiben? Jugendbewegungen und linke Putschisten zeigen sich hĂ€ufig dankbar und sind sehr nachsichtig gegenĂŒber alten Herren, die sich politisch auf ihre Seite schlagen, zuletzt wieder 1968. So muss ihn auch Wiegmann verehrt haben. Und natĂŒrlich den â verbalen â Mutterwitz, der freilich in seiner sozialen Position reichlich gepolstert war. Als er dem Chirurgen Sauerbruch, auf dessen Operationstisch er lag, sagte: âSie ham eine Fresse, die muss ich malenâ, fĂŒhlte der sich geschmeichelt. Und lieĂ sich bekanntlich malen.
Ein Wort zu den PortrÀts: Kopfstudien oder auf Stuhl, hochgeschlossen, diskret. Die Psychologie eines Gentleman, der die Menschen kennt, sicher typisch, aber typischer als die Vorbilder? Da deutet man nun die geringe Erweiterung einer Handöffnung oder eine Faust.
Mir geht die mitgehörte Statistik nach, er habe 200 MĂ€nnerportrĂ€ts, aber nur 30 FrauenportrĂ€ts gemalt, die Frauen seien sich zu hĂ€sslich dargestellt vorgekommen. Auch seine eigene â sehr schöne â Frau habe er nur schlafend oder lesend malen dĂŒrfen. Ich dokumentiere im PortrĂ€t meines Lehrers Wiegmann ein einschlĂ€giges Zitat, von diesem amĂŒsiert kolportiert. Auf die Reaktion der Dame: „Das Bild wird mir nicht gerecht“ seine Antwort: „Sie brauchen nicht Gerechtigkeit, Sie brauchen Gnade.“ Was steckt dahinter? Trafen sich da nicht zwei heimliche KostverĂ€chter? Haben sie jemals eine Frau â jenseits der obligatorischen Aktstudienkurse â in WĂ€sche oder gar nackt gezeichnet, gemalt? Auf der Gartenbank jedenfalls könnte auch eine Kleiderpuppe sitzen. Dass Liebermann einfach den Menschen auch in den Frauen wahrgenommen hĂ€tte, Ă€ndert wenig an dieser EinschĂ€tzung.
Ich habe mich erneut bemĂŒht, kam mit den besten Absichten, aber mir fehlt in seinen Bildern (und denen der Deutschen Impressionisten) Entscheidendes. Licht â starke Farben – eine breite Farbpalette â Linien – OberflĂ€chen – Formen, ja was Körper so bewirken. Und einen charaktervollen Ă€sthetischen Strich. Das Arbeiten unter französischen Impressionisten soll seine Farben âaufgehelltâ haben, aber wirklich nachhaltig? Schon bei dem Romantiker Carus verstand ich nicht, wie man auf dunkle Bildpartien so viel Energien verschwenden kann – offensichtlich kann man. Und welcher Eros wirkt aus einer trĂŒben Gartenlandschaft? Und in der Ausstrahlung eines mittelgroĂen Waldsees? Es regnete schon wieder leicht, als ich das zweite Mal spazieren ging.
Hat Liebermann jemals einzelne BlĂŒten oder FrĂŒchte portrĂ€tiert? Auch Monet zog sich immer mehr auf seinen Garten zurĂŒck, aber nicht auf RasenflĂ€chen, Blumenrabatten, BĂŒsche, Hecken und BĂ€ume. Und mit einer opulenten Farbpalette.
Technisch war Liebermann eigentlich ein routinierter Schmierer: Linien, Konturen â die ReprĂ€sentanz von Körpern mochte er wohl nicht – Er war ja auch Maler. Farben auch nicht. SexualitĂ€t auch nicht. Was fĂŒr Schlachten hat er eigentlich gegen den âAkademismusâ geschlagen? War dieser nicht viel zu unernst und kommerziell wie eine FriedrichstraĂenpalast-Revue? Die Strenge Edvard Munchs, der ja auch ohne (fĂŒr mich) sichtbares Ergebnis in Paris gelebt hatte – muss ihm wie die Dramatik der expressionistischen Revolte gefallen haben.
17.10.2009 / 30.11.2013 / 17.12.2016
ES WIRD ZEIT FĂR EINEN NEUEN BLICK AUF MAX LIEBERMANN – vierzehn Jahre spĂ€ter und vom Malerischen her !
Bis auf die beiden letzten AbsĂ€tze habe ich mir nichts vorzuwerfen. Der Bericht reflektiert den Besuch eines ‚Kunstkommissars‘ an einer groĂbĂŒrgerlichen ‚PilgerstĂ€tte‘.
Malerproblemen stand ich seit langem fremd gegenĂŒber. Erst der intime Umgang mit Fritz Wiegmanns kleinformatigen Landschaften hat mich neu gepolt. Seither versuche ich, vor allem seine Maltechnik mit Hilfe unterschiedlicher Perspektiven von KĂŒnstlern einzukreisen und damit besser zu ‚verstehen‘ . (LINK)
Da kommt mir eine Monographie gerade recht, die ich in einem Antiquariat aufstöbere: „Nichts trĂŒgt weniger als der Schein“ Max Liebermann der deutsche Impressionist – Ausstellung in der Kunsthalle Bremen vom 16.Dezember 1995 bis 24. MĂ€rz 1996″ (Verlag Hirmer). Der Essay von Andreas Kreul „Graue Natur in bunter Theorie„ bietet „Notizen zum persönlichen Impressionismus Max Liebermanns„, was mich am von Wiegmann hochgeschĂ€tzten Vorbild besonders interessieren sollte. Auch die kompakten Einleitungen zu acht Bilder-Themen gehen auf die vielen Abbildungen konkret ein. (LINK)
Also was tun? Wie gehabt, kopieren, hervorheben und (sparsam) kommentieren in einem extra Beitrag!     29. Januar 2024