Léo Bittremieux, Missionar und Forscher

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Pater Léo Bittremieux (1880 – 1946 in Boma) war ein namhafter früher Ethnograph und Linguist im Mayombe und  am Unteren Kongo.

Scheut-Missionar im Bas Congo

Scheut-Missionar im Bas Congo

aus: Vandeveyer, WT Nr.2,2009

aus: Vandeveyer, WT Nr.2,2009

Bittremieux-Porträt (Woyo) p.216

Bittremieux-Porträt, 71,5 cm, in Moanda von einem Woyo angefertigt, möglicherweise im Stil von Grabfiguren , Tervuren Inv.66.69.1, nach: J.Thiel/H.Helf: Christliche Kunst in Afrika, St.Augustin 1984, S.216

Als katholischer Missionar der Scheut-Bruderschaft lebte er Jahrzehnte im Mayombe (z.B. der Station Kangu) – wie es aussieht – in unerschütterlich patriarchalischer Haltung gegenüber den Eingeborenen. Ihr Studium sollte zuallererst der wirkungsvolleren Durchsetzung der Botschaft der Alleinseligmachenden Kirche dienen. Bittremieux hielt es generell für seine Pflicht, der Stabilisierung der neuen Ordnung zu dienen. Denn, wie er in der Einleitung zur Monographie über den Geheimbund ‚Himba’ – 1911 auf Flämisch und 1935 in erweiterter Auflage auf Französisch veröffentlicht – schrieb: Für den Europäer war oder ist noch das Leben des Negers, sein materielles, aber vor allem sein intellektuelles, häusliches und soziales Leben ein Buch mit sieben Siegeln. (11)

Thiel 1984,p.94 (102) Grabfigur

Thiel 1984,p.94 (102) Grabfigur

Er sah sich – wie wohl der überwiegende Teil des belgischen katholischen Klerus – in einem Boot mit der kolonialen Besatzungsmacht. Das war ein Grund für kritische Seitenhiebe auf die protestantischen Konkurrenz, der er vorwarf, dass ihre Täuflinge die aufrührerischen schwarzen Pfingstbewegungen anführten.

Deren Muster beschrieb er am Beispiel des Kimbanguismus):

Am unteren Kongo haben wir die Sekte um den protestantischen Neophyten Kimbangu gehabt aus der Gegend von Mandimba, der von sich sagte, dass er durch Gott als ‚ngunza’, Prophet einer nationalistischen Religion berufen sei und als Mvuluzi, Retter seines Volkes. Dank seiner angemaßten Wunder wuchs sein Ruf als Heiligkeit und übernatürliche Macht von Tag zu Tag; der neue Yisu (‚Jesus’ der Protestanten) war drauf und dran, das ganze Land zu gewinnen für die Sache seines Messianismus und, darüber hinaus, für seine Ideen der Verweigerung des Gehorsams gegenüber der fremden Macht, dem ‚Unterdrücker der Negerrasse’. Für den Rest des Abschnittes zitiert er dann den Artikel von 1934 eines Kollegen, der die 1921 gegenüber den ‚Kimbanguisme’ zunächst zögernden Behörden kritisiert und ‚als schwacher Trost’ mit dem Hinweis endet: Der Messianismus habe in den letzten dreißig Jahren fast alle Punkte Äquatorial- und Südafrikas in Unruhe versetzt: Südafrika, Rhodesien, Tanganyka, Uganda, Kenya, Angola, den Belgischen Kongo… Eine zugleich religiöse und politische Bewegung, die man mit der Formel aller Vorgänger resümieren könne: ‚Afrika den Afrikanern’. (p.239, Übersetzung a.d.Franz.)

Leo Bittremieux enttäuscht mich. Vielleicht finde ich für die von Fachkollegen unendlich oft zitierte Forscherlegende noch überzeugende Entschuldigungsgründe. Stehen sie etwa im ungedruckten Nachlass? Kennt ihn jemand gut genug? Der erste Textauszug unten liefert mir jedenfalls keinen.

Bittremieux 1911 Landkaart van "Mayombe"

Bittremieux 1911 Landkaart van “Mayombe”

 

 

 

Aus dem Vorwort. Unterkapitel: ‚Unsere Bakhimba’ (pp.13-15)

“Vom Beginn meines Aufenthalts im Mayombe konnte ich mühelos feststellen, wie sehr der ‚Khimba’(-Kult) in der Gegend um Kangu verwurzelt war. Tatsächlich trug die Mehrheit der jungen Leute und der Erwachsenen einen ‚Khimba’-Namen. So widmete ich meine erste Studie damals den ‚Namen der Mayombe’. … Die Nicht-Initiierten erzählten mir alle möglichen Geschichten über ‚weiße Männer’; die Initiierten über ihre seltsamen Tänze, die Strafen, die sie zu erdulden hatten u.s.w. … Ich befragte Makuala, dann Lusala. Tsakala, auch er gab mir einige Auskünfte. Ich war auf dem richtigen Weg … Zum Preis eines ‚matabiche’, eines verführerischen (alléchant) Geschenks, verkaufte mir Matundu, Zimmermann auf der Station, sein Geheimnis: Er brachte mir die Geheimsprache der ‚Bakhimba’ bei, ihr Latein oder eher ‚ le Francais’, wie die Nicht-Initiierten sagten.

Nur Matundu kauderwelschte unmögliche Dinge (…) von denen ich auch nicht ein verräterisches Wort verstand, und das mit meinem ganzen Kiyombe im Rücken! Zu allem Überfluss weigerte er sich zu übersetzen. Das hätte für ihn den Tod bedeutet, gewiss: Geister und Genossen rächten grausam einen derartigen Treuebruch!

Später hatte ich einen sehr intelligenten Boy mit Namen Lutete. Dieser lachte über seine Stammesbrüder (congénères), die sich Skrupel machten, das Geheimnis zu lüften. Ich verdanke ihm eine ganze Menge Informationen. Während meiner Reisen fand ich Gelegenheit, mich mit ‚Bakhimba’ zu treffen, Ehemaligen ‚Bakhimba’ und ‚Bakhimba’-Meistern…, und ihre Fetische zu sehen. Das bereits Gewusste half mir, das Unbekannte aufzuklären, und so konnte ich volle Garben ernten. Ich hatte das Glück, den Vogel in seinem Nest anzutreffen, in Tsinga Masisa und anderswo (voir planche II). Neugetaufte und Taufanwärter erzählten mir ganze Episoden aus ihrem Leben in der Sekte. Mir gelang es sogar, den ntenda, Mysterienpriester von Khele zum Plaudern zu bringe, und im Glauben, ich sei bereits über alles auf dem Laufenden und mir fehlten nur ein paar zusätzlichen Erklärungen, hat der brave Mann mir die zimvila, heilige Formeln rezitiert und mir die verschiedenen Tabus und Vorschriften der Sekte beigebracht…

Voilà die Geschichte dieses Buchs. Was ich hier festhalte, ist nicht eine Entdeckung, mit der ich mich in die Brust werfen könnte: Es sind meine schwarzen Informanten (informateur Noirs), denen ich Dankbarkeit schulde.” (Übersetzung a.d.Franz.)

Vereinnahmt? Sprachenstreit im Plural.

Jetzt soll er, gerade weil er die längste Zeit über in Flämisch publiziert hat, ‘einen tiefen Respekt für die Sprache und Kultur der schwarzen Bevölkerung (der belgischen Kolonie) bewiesen haben’ (Vandeveyer in: WT. Tijdschrift over de geschiedenis van de Vlaamse beweging nr.2, 2009). Seine bewusste Wahl des recht exklusiven Niederländischen für die wissenschaftliche Kommunikation, seine ‘Pro-Flemish persuation’, war danach eins mit seinem Wunsch, die einheimischen afrikanischen Sprachen in Schulen und Verwaltung des Kongo zu fördern. Das sei seinen Briefen zu entnehmen. Soweit die Zusammenfassung des Aufsatzes.

Irgendwas stimmt da nicht an der Logik. Ich finde sie überhaupt nicht zwingend. Die schwedischen Missionare haben zwar auch in ihrer Muttersprache publiziert, aber oft begleitet vom Original in Kikongo. Vor allem hatten sie keine Kolonie zu verteidigen. Auch sie haben für ein halbes Jahrhundert wichtige Zeugnisse der unterworfenen Völker am unteren Kongo nicht genügend bekannt gemacht, bis der Amerikaner Mac Gaffey die Kongolesen übersetzte. Ich beginne, die Frage der Wissenschaftssprache weniger nationalistisch, also aus deutscher Perspektive zu sehen. Vielleicht ist wirklich oft nur eine Standardisierung funktional, also eine Verständigung auf das Englische, so wie in der Antike auf das Griechische und danach aufs Latein. Wir übrigen müssen bloß ehrlich eine solche lingua franca akzeptieren. Das wäre dann eine Bildungsfrage in bewusster Distanz zur jeweiligen Landeskunde. Denn Briten und Amerikaner sollen sich  nichts darauf einbilden, sonst wechseln wir gleich zu den Chinesen.     6.7.16