Erweckungsbewegung 1921 und schwedische Missionare

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Da der Beitrag noch immer regelmĂ€ĂŸig aufgesucht wird, habe ich ihn noch einmal redigiert. 1.Okt. 2017

Versuch, die Kimbangu Zeugnisse der Missionare des ‚Svenska Missionsforbundet, SMF’ zu interpretieren

Jean-Luc Vellut, ed. : „Simon Kibangu – 1921:: de la prĂ©dication Ă  la dĂ©portation – Les Sources“ 2vol. , Fontes Historiae Africanae (ARSOM-KAOW), Bruxelles 2005
– Seitenagaben aus dem vol.1

Ich hatte mich gefragt, wieso ausgerechnet schwedische Missionare im Kongo so sehr auf die einheimische Kultur eingingen und die einheimischen Diakone so intensiv einbezogen haben, dass einer von ihnen, Karl Laman, deren traditionelles Wissen auf Kikongo niederschreiben ließ, archivierte und zur Publikation vorbereitete.

Jean-Luc Vellut, Herausgeber von zwei TeilbĂ€nden Missionstexten ĂŒber den kongolesischen Propheten Simon Kibangu, gibt zu Beginn einen lesenswerten Überblick ĂŒber die Protagonisten und ihren geschichtlichen Hintergrund. Es handelt sich um Texte aus protestantischen Archiven, die entsprechenden katholischen ArchivbestĂ€nde blieben – warum auch immer – bisher unpubliziert.

Der erste Teilband dokumentiert Berichte aus dem Umkreis des ‚Svenska Missionsforbundet, SMF’.

Auf den Spuren der Livingstone Inland Mission (LIM) machten sich Missionare des SMF ab 1878 auf den Weg einer ‚Missionierung ganz Zentralafrikas möglichst in einer Generation’.

Der Bund hatte sich gerade erst gegrĂŒndet –  erst 1860 war die  Zwangsmitgliedschaft ausnahmslos aller Schweden in der lutherischen Reichskirche gelockert worden, unter der auch Pietisten gelitten hatten. Sie waren Pietisten und wie ihre angelsĂ€chsischen Kollegen von hochfliegendem Geist beseelt. Das Kongobecken war seit Livingstone und Stanley das Drehkreuz Afrikas. Und die baldige Wiederkehr Christi lag in der Luft. Es war keine Zeit zu verlieren, die Menschheit sollte endlich zu ihrer Rettung ‚erwachen’ (I.2, 3-5).

Wikipedia (anfang April 2016) liefert die folgende kurze Skizze des ‚Pietismus’:

Der Pietismus entsprang einem GefĂŒhl der mangelhaften Frömmigkeit, unzureichender christlicher LebensfĂŒhrung und dem Drang zur Verifizierbarkeit des persönlichen Glaubens. …. Der Pietismus versteht sich als eine Bibel-, Laien- und Heiligungsbewegung. Er betonte die subjektive Seite des Glaubens, entwickelte aber auch einen starken missionarischen und sozialen Grundzug. In der pietistischen Praxis haben Konventikel (heute: Hauskreise) mit gemeinsamem Bibelstudium und Gebet oft eine Ă€hnlich große oder grĂ¶ĂŸere Bedeutung als Gottesdienste….. Außerdem betont er das Priestertum aller GlĂ€ubigen. Neben Theologen wurden und werden auch Laien ohne akademische Bildung als Prediger geschĂ€tzt, als Redner, „redende BrĂŒder“, in den Hauskreisen.

Dies prĂ€gte ihre Mission, aber auch ihre Wahrnehmung der religiös-politischen Erweckungs- und Erneuerungsbewegungen in den Kolonien der Franzosen und Belgier am Kongo. Da kamen sie mit ihrem Ansatz zwischen den StĂŒhlen zu sitzen, ebenso als AuslĂ€nder wie als pietistische Freikirche auf der  Basis einer Versöhnung des Menschen mit Gott in einer persönlichen ‚inneren Bekehrung’ oder Wiederbekehrung zu Gott, die stĂ€rker durch den Umgang mit der Heiligen Schrift vermittelt sein sollte als die Dogmen einer institutionalisierten Kirche. (Vellut: I (I) 3)

Die kongolesische Seite:

Jean-Luc Vellut schreibt in seiner Einleitung zum zweiten Teilband (II) 1): Entgegen den Klischees der frĂŒhen Kolonialgeschichtsschreibung schlief Zentralafrika keineswegs nach dem Zerfall der alten Reiche, eingeschlossen in ‚traditions’ et ‚coutumes’, sondern blieb immer ein wenig mit den großen Strömen der globalen Ökonomie verbunden.

Sogar mehr als  ‚ein wenig‘, wie Wyatt McGaffey in mehreren Studien gezeigt hat. (ein Link) Auch Jantzen betont fĂŒr die KĂŒstenregionen die Verankerung der ReligiositĂ€t in der politischen Kultur und ihre stĂ€ndige ‚Neuerfindung’. Als Gegenspieler traten Familie, die bereits ĂŒber anerkannte Fetische verfĂŒgten und Priester (Nganga) auf. Doch selbst von denen kamen durch persönliche Berufung  immer neue ins Spiel. Seit dem 19.Jh. wandten sich christlich inspirierte BilderstĂŒrmer gegen die etablierten MachtbĂŒndnisse.  Und da rituelle Objekte als bloße GefĂ€ĂŸe eingefangener Geister galten, hat man bei den Bekehrungen und bei Attacken auf den Nganga ‚viel Porzellan zerschlagen’! ‚Fetische’ zu verbrennen war die kleine MĂŒnze der Revolte. Wir machen uns von der traditionellen MobilitĂ€t  wie von der Ausbreitung von Massenbewegungen der Afrikaner keine zureichende Vorstellung.

Versuch, die relative NĂ€he von Missionaren und Missionierten zu beschreiben:

Bei der LektĂŒre der Missionsberichte bekam ich manchmal den Eindruck gleicher WellenlĂ€nge zwischen den Bakongo und ihren pietistischen ‚Hirten’, doch eingebettet in gegenseitige MissverstĂ€ndnisse.

FĂŒr beide war die persönliche Berufung durch Zeichen zu nennen, die einen jederzeit treffen konnte.

Der spirituelle Aspekt der ‚Reinheit’ verdient nĂ€here Beachtung! Nicht auf leicht erlernbare dogmatische RechtglĂ€ubigkeit, sondern auf authentische GlaubensĂŒberzeugung sollte es ankommen.

Wenn man sich von Geistern umgeben weiß, liegt nicht nur die Bereitschaft nah, auf Geister zu hören, auch Besessenheit (durch gute und böse Geister) und Exorzismus. Auch in der Welt Kimbangus fand die PrĂŒfung der Geister als Konfrontation der Geister statt.  Das christliche Konzept von Satan und des RĂŒckfalls in die  ‚SĂŒnde’ bot sich als Anschluss an. Es ging darum, sich dem ‚guten’ Geist zu öffnen und mit seiner UnterstĂŒtzung die ‚schlechten’ loszuwerden. Sowenig man die Geister, die man rief, oder die einen vielmehr riefen und okkupierten, betrĂŒgen konnte, so wenig war ‚Gott’ zu betrĂŒgen.

In all den geschilderten Szenen der Begeisterung und Besessenheit des Jahres 1921 interessierten sich die Missionare auffĂ€llig stark fĂŒr die GrĂŒnde des Zitterns, HĂŒpfens und Rufens. Sie versuchten spontan EinschĂ€tzungen, aber waren auch genervt. Sie verspĂŒrten Angst, wenn sie ihre SchĂŒtzlinge ganze NĂ€chte lang in der Kirche allein toben ließen und wussten, dass sie davon ausgeschlossen waren. Dabei stand fĂŒr die Mission immer die innere Tatseite, ‚das Gewissen’, im Mittelpunkt. Man konnte bei ‚RĂŒckfall in die SĂŒnde’ auch wieder ausgeschlossen werden, aber auch spĂ€ter erneut aufgenommen werden.

Vellut FHA 2005 Simon Kimbangu vol.1

Vellut FHA 2005 Simon Kimbangu vol.1

Wer von den Dorfbewohnern vielleicht ‚Christ’ geworden war in der Hoffnung, Schutz zu finden, vor der Kolonialmacht, vor Zwangsarbeit und Kopfsteuer, war rasch enttĂ€uscht. In solch aufgeregten Zeiten schienen die Menschen immer auf dem Sprung zu sein, von einem Erleuchteten oder Messias Erlösung von den Übeln des Lebens zu erbitten. Sie sammelten  Informationen und GerĂŒchte auf dem Weg zum Markt auf, wo man seine PalmnĂŒsse anbot  (a.a.O. 59). Vielleicht verrieten sie sogar ihre sozialen Pflichten und folgten ihm.

Sprache und Situationen der Evangelien und Psalmen sind in den Schilderungen dieser Dokumentation immer wieder ganz nah! Im Bas-Congo von 1921 hĂ€tte ein Pasolini seinen Film ‚Das 1. Evangelium nach MatthĂ€us’ (1966) drehen können!

‚Der Umgang mit der Heiligen Schrift‘ erlaubte eine neue ‚christliche’ Sicht auf das Leben in Unfreiheit und Not. Und die BedrĂŒckung durch die fremde Obrigkeit und ihre Schergen tritt an vielen Stellen in den Missionarschroniken zutage – wenn auch disket angedeutet.  Bibel und evangelische Kirchenlieder des 17. Jahrhunderts boten den Menschen eine bildkrĂ€ftige Sprache fĂŒr die Deutung ihrer Lage. Daran konnten sich auch die SĂ€nger der Bewegung der Propheten inspirieren. Ein Lied wird im Band dokumentiert.

Der Grat zwischen ‚echten’ und ‚falschen Propheten’ war schmal, zwischen den vom Heiligen Geist Ergriffenen und den  ‚Hasspredigern‘, ja rĂ©volutionnnaires (45). Die Katecheten suchten unter dem Dach der Mission zweifellos die eigene Befreiung, spirituell oder auch politisch. Einzelne standen 1921 antikolonialen ‚Propheten’ wie Kimbangu zur Seite, wie Bahelele N. Jacques hervorhebt. (59ff.) Gemeinsam im Team mit den ‚SĂ€ngern’ versetzten sie die ‚Propheten’ erst in die Lage, aufzutreten. Und in der Bevölkerung  sorgten sie fĂŒr deren guten Ruf.

FĂŒr die Seite der Kolonialherrschaft waren die Unterschiede zwischen ‚echten’ und ‚falschen Propheten’ ohnehin egal:  Wurden Kathecheten doch ebenfalls geschlagen und in Ketten gelegt und vielleicht exiliert. Die Mission konnte wenig fĂŒr sie tun, sie stand als BrutstĂ€tte selber in Verdacht. Zwar zeigte das Dazwischentreten oder die Vermittlung der Weißen manchmal Wirkung. Dazu gehörte auf Seiten der Missionare  Mut  und sie mussten ihren SchĂŒlern und Schutzbefohlenen vertrauen und sich mit ihnen solidarisch fĂŒhlen.

Die neuen einheimischen Religionslehrer (Katecheten) standen ja mit beiden Seiten in enger Verbindung. Das war ein Problem fĂŒr die schwedischen Missionare ohne den RĂŒckhalt des belgischen Staates. An den Schriften unterschiedlicher SMF-Missionaren kann man deren innerer Widerstreit ablesen.

Modernisierung der Kolonisierten ohne Emanzipation

Die Mission bot  engagierten jungen Leuten außerhalb des Einflusses der ‚traditionellen‘ Eliten eine Ausbildung, aber auch Diskussionen, Denkraum und ProbebĂŒhne  im Schutz neuer AutoritĂ€ten, sie bot erweiterten Horizont durch das Reisen zwischen den Stationen, einen alternativen Weg zu praktischer gesellschaftlicher Verantwortung (außerhalb des Klans). Auf der anderen Seite ließen Missionare-Ethnologen wie Karl Laman und andere ihre afrikanischen Assistenten in Texte in Kikongo Zeugnis von ihrer ‚traditionellen‘ Kultur ablegen.

Die Staatsmacht hatte Angst vor SeelenfĂŒhrern, wie vor jeder Elite, die sie nicht total kontrolliert oder total indoktriniert hatte. Und sie war sich nie sicher. Sie kannte ja nicht den geistigen Hintergrund ihrer schwarzen Diener, und im Kongo nicht einmal ihre Sprache, erst recht nicht, was wirklich in deren Köpfen vorging.

Die staatsloyale katholische Mission wollte sich auf erwachsene Konvertiten gar nicht erst einlassen, sondern kleine Kinder unter ihre Kontrolle bringen. Die Rollenverteilung mit der patriarchalisch auftretender Kolonialverwaltung entsprach der fĂŒr das alte Europa typischen Linie, einer Verbindung harter Repression und mittelalterlicher Ängstigung der Seelen. Beide hatten Angst vor jedem ‚Fieber’, vor allem was das Maß der ‚Vernunft’ ĂŒberschritt und die trĂŒgerische ‚Ruhe’ bedrohte.

Wenn die Theorie stimmt, dass Desillusionierung ĂŒber erwartete Aufstiegschancen Menschen politisch radikalisiert (FAZ ĂŒber den Terroristen Atta und Co.), so hatten die einheimischen Lehrer und Prediger im Kongo jeden Grund dazu. Denn sobald sie schließlich durch den ‚Lieferanteneingang‘ – als Ă©voluĂ©s – in die exklusive Welt des Weißen gelangten, blieb der europĂ€ische Kolonisator Rassist und trieb demĂŒtigende Apartheid. (Link)