Naive Begeisterung oder aufgeklÀrte Indifferenz?

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Wer will eigentlich den KĂŒnstlern zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts ihre Begeisterung fĂŒr exotische Kunst verĂŒbeln? Ich bin drauf und dran, es zu tun. Gerade rechtzeitig erinnere ich mich an die eigene, vom Maler Wiegmann in den Sechziger und Siebziger Jahren vermittelte Begeisterung fĂŒr die farbigen Holzschnitte Chinas – mit breitem Pinsel bemalt oder von mehreren Platten gedruckt .

Wir wussten so gut wie NICHTS ĂŒber deren HintergrĂŒnde, wir konnten nicht einmal die Titel lesen. Der chinesische Emigrant aus Taiwan auch nicht, den wir anstellten. Denn er war auf Politik fixiert und Maoist reinsten Wassers. Die Handvoll BĂŒcher und BroschĂŒren aus der Tschechoslowakei (Artia, Prag; deutsch: Dausien, Hanau) oder der DDR ĂŒber Volkskunst vermischten alt und neu zu einer folkloristisch leeren, typisch volksfrontmĂ€ĂŸigen Exotik, ĂŒbrigens ohne erkennbare QualitĂ€tskriterien. Alles war gleich schön und gut. Die unkritische Haltung entsprach ĂŒbrigens der offiziellen chinesischen Linie gegenĂŒber volkstĂŒmlichen Traditionalisten vor 1958. Und es war schon viel, dass die Autoren die freundliche Stimmung trotz des sowjetisch-chinesischen ZerwĂŒrfnisses 1961 beibehielten. Nur auf meine Briefe erhielt ich keine Antwort.

Der Ästhet Wiegmann begeisterte sich in China fĂŒr die schlichte volkstĂŒmliche GebrauchsĂ€sthetik – klar in der Linie, bunt, aber streng konventionell – als er fĂŒr den  französischen KulturattachĂ© Dubosc 1936 in Peiping (Peking) arbeitete. Dubosc lebte traditionell ebenerdig mitten in der Altstadt, besaß bereits eine grĂ¶ĂŸere Sammlung, sprach Chinesisch und hatte einen ausgeprĂ€gten Sinn fĂŒr die Exzentriker unter den Malern in der Wendezeit zwischen Ming und Qing. Wiegmann streifte durch die zerfallende Stadt, ĂŒber die MĂ€rkte und arbeitete mit der Fotografin Hedda Hammer, nachmalig …., in einem Atelier zusammen, das die europĂ€ische Nachfrage nach Postkarten mit Volksszenen belieferte. Wiegmann erlebte alles um ihn her intensiv, nahm es mit scharfem Blick auf. HĂ€tte er ebenso flĂŒssig schreiben können wie lebendig erzĂ€hlen und wĂ€re er lange genug in China geblieben, er hĂ€tte dem europĂ€ischen VerstĂ€ndnis fĂŒr Chinas Ästhetik einen großen Dienst erweisen können. Oder er hĂ€tte wenigstens kĂŒnstlerisch einen Neuanfang wagen können; aber er war damals wohl zu sehr seinen in Europa 1936 zurĂŒckgelassenen Bildern verhaftet, die zwischen GegenstĂ€ndlichkeit und Kubismus angesiedelt waren, und natĂŒrlich den damit verknĂŒpften Doktrinen. Er war kein RevolutionĂ€r, er sprang nicht ĂŒber seinen Schatten.

Ins GĂ€stebuch seiner einzigen Pekinger Ausstellung hat ihm ein chinesischer Besucher geschrieben: „Nur die Stoffwahl ist leider auf das Stilleben vor dem Fenster und auf die kleineren Landpartien beschrĂ€nkt. Hoffentlich macht der KĂŒnstler weitere Fortschritte, damit er mit einer außerge-wöhnlichen kĂŒnstlerischen Anschauung die EigentĂŒmlichkeit Chinas kennen könnte.“ (dt. Gv)

Wiegmann analysierte elitĂ€re Tuschmalerei und Volkskunst gleichermaßen luzide, liebte sie, und blieb doch beim Alten. Ging ihm deren strenge formale Reglementierung gegen den Strich? Konnte er mit der dominierenden symbolischen Ebene der großen Landschaften nichts anfangen? Als er Jahrzehnte spĂ€ter in den Berner Voralpen seine eigene Landschaftsmalerei entwickelte, gelang ihm kaum einmal eine zwingende Darstellung. Die Pyramidenform des Niesen ĂŒber dem Thuner See reichte nun wirklich nicht aus. In Peiping hĂ€tte es entsprechende Geburtshelfer gegeben. Von einem, Li Pai-Shi, bewahrte er ein Foto mit Autogramm. HĂ€tte! WĂ€re, wenn!

Ich hatte mit seiner Begeisterung begonnen. Ich fand so etwas spĂ€ter wieder – oder war es nicht vielmehr aufopferungsvolle Liebe – bei einem chinesischen Sammler, der

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 zahlreiche BlĂ€tter in Verstecken ĂŒber das Jahrzehnt der Kulturrevolution hinweg rettete, wie durch ein Wunder spĂ€ter in Peking ein Forschungsinstitut fĂŒr Volkskunst grĂŒnden konnte und ein wunderschönes sehr informatives Werk publizierte: Wang Shucun. Den Titel ‚Papiergötzen’ der deutschsprachigen Ausgabe (Verlag Neue Welt, Beijing 1991) muss ihm ein frustrierter Zensor aufgedrĂŒckt haben.

Also: ‚Naive Begeisterung oder …’ ist Quatsch.               8.4.16