Der Beitrag, den ich für das Katalogbuch der Ausstellung: „Bilder vom Glück – Chinesische populäre Grafik aus dem 20. Jahrhundert“. Museum der Weltkulturen Galerie 37, Frankfurt am Main 2002 schrieb, stellt die traditionellen Holzschnitte vor, Erzeugnisse einer handwerklichen Industrie, die über die Jahrhunderte hinweg blühte, im zwanzigsten Jahrhundert in die Krise geriet und in der Kulturrevolution endgültig unterging. Da das Buch beim Museum nicht mehr gelistet ist, bemühe ich mich darum, ein paar Abbildungen nachzuliefern. Vorab drei nicht ausgestellte Blätter. 4.6.2014
Verblichenes Glück, neues Glück
„Und schließlich ist China ein so gewaltiges Land, daß Überlieferungen, die in der einen Gegend befolgt werden, in einem anderen Teil des Reiches möglicherweise schon ausgestorben sind. Die Großen Feste werden überall noch gefeiert. Aber andere, nicht weniger interessant und als Schlüssel zur Seele des Volkes nicht weniger wertvoll, sind gewissen Provinzen eigentümlich, manchmal sogar nur gewissen Distrikten.“
So schrieben Bredon und Mitrophanow bereits 1937 in „Das Mondjahr“ (S.12)
„Chinesisches Neujahr“
Das traditionelle Neujahrsfest, das traditionell auf den zweiten Neumond nach der Wintersonnenwende im Dezember fällt, also irgendwann zwischen Mitte Januar und Mitte Februar – beschrieb der Sinologe Josef Hejzlar 1972 mit wehmütigen Worten (S.55) :
„Das Neujahrsfest war der größte chinesische Feiertag – das Fest der neuen Hoffnungen, des Erwachens der Natur. Es war in erster Linie ein Familienfest, bei dem auch die Verstorbenen und verschiedene Götterbilder verehrt wurden. Die besten Speisen, neue Kleider, Geschenke, Besuche, Fröhlichkeit, Spiele und Vergnügen – das alles gehörte zum Neujahrsfest, das das ganze Land in diesen festlichen Stunden vereinte. Wenn wir einen Vergleich wagen wollten, so entspräche das chinesische Neujahrsfest unseren Weihnachten, Neujahr und Ostern zusammengenommen. Für die Volkskunst bedeutete es Hochsaison. Auf den Märkten und vor den Tempeln und Pagoden, aber auch in den Häusern wurde Literarisches geschaffen, Theater gespielt, musiziert, getanzt und selbstverständlich auch bildende Kunst produziert. Die hellen Farben der Papierschnitte, des neuen Spielzeugs, des Blaudrucks, der Stickereien und Lampions, Laternen und roten Kerzen und natürlich auch der Neujahrsbilder und Neujahrs-Türbilder, die an die Haustore und Wände geklebt wurden, belebten die Szenerie dieses festlichen Treibens. Über all dem flogen bunte Papierdrachen und donnerten Feuerwerke; die Luft war von Weihrauch gesättigt.(…) Ein paar frohe, glückliche Tage im unendlich schweren und grauen Strom eines Lebens voller Mühsal und kleinerer oder größerer Tragödien – nur eine Illusion von Glück und Reichtum -, das war dieses Neujahrsfest.“
Er hätte hinzufügen können, dass die Vorbereitungen bereits Wochen früher begannen und das Fest am Tag des „Frühlingsanfangs“ und mit dem „Laternenfest“ – beim ersten Vollmond – noch zwei weitere Stationen durchlief. Bereits am Tag der Wintersonnenwende wurden , vor allem aus der Beobachtung der Wolken, die Vorhersagen für das kommende Jahr gemacht. und etwa vier Wochen vor dem eigentlichen Neujahrsfest begann man dann unter Anleitung von Priestern und Schamanen alle bösen Geister und Einflüsse aus der Stadt und aus den Häusern zu vertreiben; den guten Göttern, von denen man sich Glück versprach, wurden Opfer dargebracht, um sie mild und großzügig zu stimmen
Man sollte diesen teilweise voreiligen „Nachruf “ – der sicher vom Eindruck der „Kulturrevolution“ auf dem chinesischen Festland gefärbt war – durch die Feststellung ergänzen, dass auch heute noch an diesem traditionellen Termin der geschäftige Alltag des asiatischen Lebens eine Pause macht, um das „Frühlingsfest“ als Familienfest und Volksfest zu feiern. Auch heute noch ( oder wieder ) ist in den offziellen Staatskalendern, wo das Jahr vom Januar bis Dezember verläuft, der traditionelle „Bauernkalender“ mit seinen Fest- und Arbeitstagen in kleinen chinesischen Zahlenzeichen unter den jeweiligen arabischen Ziffern notiert. (Mitteilung Eva Schestag) Die Zwangskollektivierung auf dem Land wurde nach 1979 aufgehoben. Die antireligiöse Umerziehung war dort auch wenig erfolgreich. Und an die Stelle des Pantheons der Partei kehrt nun das eines synkretistischen „Götterhimmels“ zurück – als Offsetplakat.
Spurensicherung des Verlorenen
China hat ein Jahrhundert der Revolutionen und Kriege hinter sich. Wie steht es um die wissenschaftliche Spurensicherung der dabei verlorenen Traditionen?
Über die im Zusammenhang der Großen Feste verwendete Druckgrafik urteilte Jean-Pierre Dubosc im Jahr 1950 (Manuskript ): „Die Vorstellung, die man sich von der chinesischen Kunst machte, hat sich seit dem Beginn des 20.Jahrhunderts fortentwickelt. Gelehrte Arbeiten haben die künstlerischen Reichtümer Chinas dargestellt und inventarisiert, und so hat sich eine genau bestimmte Darstellung der Kunst der großen dynastischen Epochen herausgebildet. Jedoch bleibt noch ein wenig erforschtes Gebiet übrig, das besser gekannt zu werden verdiente: das der chinesischen Volkskunst, deren ästhetischer Wert jedoch nicht unterschätzt werden darf“.
Die Volksrepublik China fördert seit 1983 offiziell – mit der Gründung der chinesischen Gesellschaft für Landessitten – eine wissenschaftliche Erforschung der Tradition. (Wang Shucun,S.13). Das Wiederauftauchen traditioneller Bräuche im Lande, ihre Lebendigkeit auf Taiwan und unter den Chinesen der Diaspora, sowie das international steigende Interesse daran könnten den Beobachter optimistisch stimmen, wenn er nicht wüsste, dass die führende Schicht des Landes seit jeher Distanz oder gar Ablehnung gegenüber den Volksbräuchen und ihren Repräsentanten gezeigt hat, und dass diese Ablehnung im 20.Jahrhundert auch politisch wirksam geworden ist (Unterrieder, S.63). Einen noch erfolglosen Versuch unternahm die Guomindang-Regierung im Dezember 1928. Sie wollte die Volksreligion modernisieren, sie von „prähistorischen“, „entwerteten“, „animistischen“ oder „kommerzialisierten Kulten“ reinigen und ihre Tempel und Bilder zerstören. In der Anordnung der Provinz Chekiang hieß es damals:
„Aberglauben ist ein Hindernis für den Fortschritt. Der Appell an die Autorität von Göttern ist eine Politik, um das Volk dumm zu halten. Mangels Ausbildungsmöglichkeiten hat sich ein tiefer Graben zwischen hochgebildeten und analphabetischen Klassen aufgetan; deshalb konnte sich das Gift des Aberglaubens festsetzen. In der gegenwärtigen Epoche der Wiedergeburt und wissenschaftlichen Erleuchtung macht dieser Aberglauben auch unsere Nation vor anderen lächerlich.“
Beibehalten werden sollten nur die Tempel bedeutender Männer wie Konfuzius oder die von Religionen „auf der Basis von Recht , Wahrheit und Popularität, wie das Christentum, dessen Lehren Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind und an welches die Völker Europas und Amerikas glauben“. Außerdem hatte man vor, der Lehre Sun Yat-sens Tempel zu errichten. Als in Hangzhou am 5.Mai 1929 ein Feuersturm die ganze Innenstadt durchfegte und 300 Anwesen, darunter auch die vieler Guomindang-Beamter in Asche legte, ging das Gerücht um: dies sei die Rache der Götter, besonders des Sternfeuergottes. (C.B.Day, S.190f.)
Diese Geschichte mag uns amüsieren, doch die inzwischen eingetretene radikale Modernisierung der chinesischen Gesellschaft kann man gar nicht überschätzen: „Viele der älteren Mythen – an Schönheit und Phantasie jenen des alten Griechenland vergleichbar – sterben jetzt gänzlich aus“, schreiben Bredon und Mitrophanow 1937 in „Das chinesische Mondjahr“. „Der Einfluss jener Legenden mag vielleicht bleiben und neue Formen annehmen, denn das chinesische Denken ist zu tief in ihnen verwurzelt, um ganz von ihnen lassen zu können, doch werden wir bald vergeblich nach dem poetischen Gehalt solcher Sagen suchen.“ (.S.12).
Josef Hejzlar würde einer so pessimistischen Einschätzung vielleicht nicht ganz zustimmen. In einem Internet-Kommentar zum Bildarchiv „Beijing“ von Jiri Tondl (http://www.tondl.cz/peking_en.htm am 01.03.2002, übersetzt) wird er 2002 so zitiert : „Ich bin lange Jahre nicht mehr in Peking gewesen, aber Tondls Fotos riefen mir meine „alten Plätze“ in Erinnerung, trotz der gewaltigen Veränderungen in der Stadt. Manchmal war es nur die unnachahmliche Atmosphäre an den Orten mit ihren tragischen Spuren der Geschichte. Ich war glücklich zu sehen, dass das faszinierende magische Gesicht des alten Peking noch immer lebt. Nichts vom alten Ruhm ist verschwunden. Es unter der neuen Haut zu finden, ist allein eine Frage der künstlerischen Sensibilität. (…)“
Heute stellen wachsende Kenntnisse immer neue Fragen an das Forschungs- und Sammelgebiet „ populäre Druckgrafik Chinas“ und lassen uns damit erst den Umfang und die Schwierigkeiten einer wissenschaftlichen Erarbeitung ermessen. Im Rahmen dieses Buches müssen wir uns darauf beschränken, Interesse zu wecken, eine Orientierung zu bieten und ein paar Fragen aufzuwerfen. Weiterführende Literaturhinweise finden sie am Ende dieses Beitrages.
Warum lohnt die Beschäftigung mit der traditionellen populären Druckgrafik Chinas ?
Jean-Pierre Dubosc, ein Kenner intellektueller Tuschmalerei, spricht vom „ästhetischen Wert“ der „Volkskunst“. Joseph Needhams Enzyklopädie der Chinesischen Zivilisation gibt dem Neujahrsbild einen Platz in der ehrwürdigen Sphäre von Papierherstellung und „Buchdruck“ (wie wir in Gutenbergs Deutschland sagen). Der dabei als Attribut verwendete Ausdruck „Popularität“ ist überhaupt nicht abwertend gemeint. Und wie in der chinesischen Zivilisation jedes Element ein ehrwürdiges Alter besitzt, so gilt das auch für das mindestens tausendjährige „Neujahrsbild“, wie diese Grafiken gern pauschal genannt werden.
Bevor wir darüber ins Schwärmen kommen, holt eine einfache Frage uns auf den Boden zurück: Was haben solche Feststellungen mit der künstlerischen Qualität uns erreichbarer Drucke zu tun?
Wer als Tourist in China ein Kloster „aus dem 9.Jahrhundert“ besucht hat und einem Bau aus dem 18.Jahrhundert oder gar einem Neubau gegenüber stand – im Reiseführer war das nur kleingedruckt zu lesen – weiß, dass ein antiquarischer Blick dem Alltagsbewusstsein der Chinesen nicht entspricht. Nur die idealisierte Vergangenheit – wie etwa die mythologische Frühzeit – ist wertvoller als die Gegenwart. Und bei Papierbildern, die ungeschützt draußen Wind und Wetter, drinnen dem Ruß des Herdes ausgesetzt sind, steht ohnehin außer Frage, dass neue, frische Drucke den vergilbten vorzuziehen sind.Zudem wirkt das Neue – die Mode – auch in China auf die Menschen. Und wo eine große Auswahl angeboten wird, kann jeder nach seiner Facon glücklich werden.
Weitere Fragen schließen sich an:
Sind Blätter höheren Alters authentischer?
Garantiert eine Vorkriegssammlung wie die Sammlung Wiegmann einen durchgängig höheren Qualitätsstandard als Nachdrucke aus der Volksrepublik China?
Gibt es auf diesem Gebiet überhaupt Qualitätsmaßstäbe oder ist erlaubt, was gefällt?
Auf der anderen Seite wird häufiger eine Mißachtung der Volkskunst im Zusammenhang mit Neujahrsbildern beklagt –
Ist dieser Blickwinkel berechtigt, ist er sinnvoll?
Traditionell wurden die Druckstöcke einfacher Opfer- und Kultbilder bis zur Unkenntlichkeit abgedruckt und oft ungeschickt nachgeschnitten. Auch nicht jede Kolorierung kann als gelungen bezeichnet werden. In einer sozial zerklüfteten Gesellschaft fand sich noch für jeden Fehldruck ein bescheidener Käufer. Kenner aber suchten und fanden die außergewöhnliche Qualität einer Werkstatt oder eines Künstlers – so wie wir auch – auf Flohmärkten oder in Galerien, so wie sie es bei Kunstgegenständen und Bildrollen zu tun pflegten.
Der traditionelle Maßstab
Was kennt die chinesische handwerkliche Tradition an Qualitätsmerkmalen?
Tsien Tsuen-Hsuin beschreibt 1985 eindrücklich die Entstehung eines traditionellen chinesischen Farbdrucks:
„Ein Set von Druckblöcken, die auf dem Drucktisch genau positioniert sind, wird in festgelegter Reihenfolge abgedruckt . Ihre Zahl kann mehrere Dutzend erreichen, je nach der Vielfalt der Farben und Abtönungen. Kunstreproduktionen werden mit derselben Art von Tinte, Farbe und Papier wie das Original hergestellt. Der Exaktheit der Holzdrucke können bis zu einem gewissen Grad nicht einmal moderne fotomechanische Prozesse gleichkommen, da deren Liniennetz das exakte Muster und den Geist des originalen Pinselstrichs nicht ausdrücken. Der Reichtum an Übergängen und Tönen wird nicht erreicht, und die auf Öl basierende Tinte kann nicht den Effekt der Wasserfarben des Originals wiedergeben. Der Farbdruck verlangt große Geschicklichkeit und Sachkenntnis, um die zahlreichen Schritte vom Entwurf über den Schnitt, das genaue Montieren und Drucken zu meistern. ( …) Beim Einfärben darf keine Farbe über die vorgesehenen Grenzen hinaus fließen. Ein Blatt Papier wird auf den eingefärbten Block gelegt und sanft gebürstet. Auf verschiedene Partien des Blocks wird unterschiedlicher Druck angewandt. Manchmal muss man das Trocknen einer bestimmten Farbe erst abwarten, bevor man die nächsten aufdrucken darf, und manchmal muss man sie auf die noch feuchte Farbe drucken. Gradation wird erreicht durch wiederholtes Einfärben mit derselben Farbplatte, wobei man die Farben an der gewünschten Stelle konzentriert oder auch wegwischt. (…)“ Tsien zitiert schließlich zustimmend den Typographen Tchichold mit dem Satz: „Kaum eine andere grafische Kunst auf der Welt ist so abhängig von dem künstlerischen Verständnis des Druckers wie der chinesische Farbdruck.“ (Needham S.277f. übersetzt)
Vom Drucker wurde gründliche Kenntnis der Prinzipien und Elemente der chinesischen Malerei und die vollkommene Beherrschung ihrer Techniken verlangt. Kurz: Dem erfahrenen Drucker gelang die überzeugende Nachschöpfung. Wenn er Neujahrsbilder für den gehobenen Bedarf produzierte, hatte er diese Maßstäbe im Kopf, ebenso wie seine Kunden. Ein repräsentatives Götterbild wie die „Himmelsfee, die eine Knaben bringt“ sollte auf einen Wandschirm montiert die Wohnung eines frisch verheirateten Paares schmücken und musste dort den ästhetischen Ansprüchen der kultivierten Familie genügen.
Eine Ausstellung im Museum für Kunsthandwerk zeigte 1999 einen „temperamentvoll getuschten Dämonenfänger“ (FAZ, 26.3.99), der Türbildern dieses Typ vielleicht Modell gestanden hat, und an dessen Qualität sie mehr oder weniger auch gemessen wurden.
Der Höhepunkt der Perfektion des chinesischen Farbdrucks wurde im 17.Jahrhundert erreicht. Damals wurden auch die Orte Suzhou im Südosten Chinas und Yangliuqing bei Tientsin ( Tiänqin ) zu berühmten und einflußreichen Zentren der Neujahrsbildherstellung. Wir müssen uns dort Werkstätten mit mehreren hundert Holzschneidern und Druckern vorstellen, die im Jahr eine Auflage von über einer Million kolorierten Drucken herstellten.
Yangliuqing und die „Nördliche Schule“
Yangliuqing repräsentierte die „Nördliche Schule“, die im Stil und im Sujet von den Hofmalern profitierte und ihrerseits „der Palastmalerei frisches Blut zuführte“1 , und berühmt für ihre Götterbilder, Frauen und Kinder, ihre Bühnenszenen und historischen Romanzen im Breitformat. Der Schneidestil kultivierte die feine schwarze Linie und die Kolorierung benutzte dekorative starke Farben2.. Aufwendig war die Bemalung der Gesichter. „In die besonders zarten Konturen, welche der Holzschnitt vorgegeben hat, wird zunächst weiße Farbe gemalt – das Gesicht wird gepudert. Nun folgt wieder eine ganz dünne Puderschicht, um eine gleichmäßige harmonische Tönung zu erzielen. Anschließend wird das Gesicht geöffnet, d.h. die fünf Öffnungen – Augen, Nase und Mund werden aufgemalt. Zuletzt folgen, mit ganz feinem Pinselstrich, Augenbrauen, Haar und Bart. Diese feine Arbeit wurde von den Frauen der Umgebung verrichtet (…) Man erzählt sich viele Geschichten von Bildern aus Yangliuqing, die plötzlich lebendig geworden seien.“
J.Hejzlar ergänzt: „Auch große Flächen wurden mit Farbe bestrichen, und häufiger als anderswo erhielten die Farbflächen Abstufungen. Die satten, kräftigen ungebrochenen Farben standen oft in scharfem Kontrast zueinander; der häufigste Farbakkord bestand aus Rot, Blau und Grün. In Yangliuqing wurden Ende der Ch’ing-Zeit auch importierte künstliche Farben verwendet, wobei die dortigen Drucker die schreienden und intensiven Farben geschickt für ihre symbolisierenden und dekorativen Ziele und auch für die Technik der Massenkolorierung mit Durchsickern der Farbe durch einen ganzen Block dünner Andrucke auszunutzen verstanden.“
Alle Autoren verweisen übereinstimmend auf einen wirtschaftlichen und künstlerischen Niedergang in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts, das bekanntlich von verlorenen Kriegen, einem Vordringen europäischer Kolonialmächte, Revolution und Anfängen der Modernisierung gezeichnet war. Hejzlar zeigt oben seine Bereitschaft, mit der Zeit und dem Zeitgeschmack zu gehen und neue ästhetische Qualitäten wahrzunehmen.
Diese gehören dann vielleicht in eine andere ästhetische Welt, die etwa als „Exotismus“ oder „Primitivismus“ kunsthistorisch etikettiert werden kann. Seit William Rubins Ausstellung 1984 im Museum of Modern Art ist die Inspiration , ja Erneuerung der westlichen Kunst durch die „Kunst der Primitiven“ kein kontroverses Thema mehr. Weniger bekannt ist das Interesse der Russischen Avantgarde an der „Volkskunst“ der Russen7 ; und in diesem Geist hat wiederum der Sinologe W. M. Alexejew zwischen 1906 und 1926 in China „eine der größten Nianhua-Sammlungen der Welt“ für die Leningrader Eremitage zusammengetragen.
Die Auseinandersetzung der Künstler – vor allem der ersten Hälfte des Jahrhunderts – kann unser Auge schärfen und den Blick weiten; daran ist vernünftigerweise nichts auszusetzen. Schädlich scheint mir nur eine andere Art des Umgangs mit dem künstlerischen Epochenwandel in China zu sein: das Ignorieren oder das Verleugnen von Brüchen und Zusammenbrüchen und der Verzicht auf Maßstäbe.
Es gab eine chinesische Moderne in Shanghai und Kanton. Europa und Japan waren die Lehrmeister. Die Ergebnisse sind frisch, frech, urban. Scott Minick and Jiao Ping9 belegen einen lange verschütteten künstlerischen Reichtum, der nicht mit den oft zitierten Werbekalendern oder lithografierten Postern verwechselt werden darf, aber auch nicht mit dem Hinweis auf den „Revolutionären Holzschnitt“ im Stil einer Käthe Kollwitz erledigt ist. Wenn die Kunst in Deutschland 1933 eine Katastrophe erlitten hat, gilt das umso viel mehr für die städtischen Zentren auf dem chinesischen Festland.
Denn lange über den Zweiten Weltkrieg hinaus wurde dort die Kunst einer Art Kriegsrecht unterworfen, das der Propaganda oberste Priorität gab. „Dem Volke dienen“ wurde – in Yanan seit 1942 – zum Totschlagsargument sowohl gegen traditionelle wie moderne künstlerische Ansätze, die sich nicht auf „populäre“ Kompromisse verstehen wollten.
Die „Volkskunst“, bereits zur Jahrhundertwende auf dem Rückzug, war ohne Zweifel 1949 am Boden zerstört und die Kommunistische Partei half den überlebenden Meistern auf, doch um den Preis der inhaltlichen Verleugnung und des formalen Kompromisses im Sinne einer verwestlichten Tradition bzw. einer aus der Sowjetunion übernommenen konventionellen Moderne.
Ein Produktionszentrum wie Yangliuqing überlebte dank seines Namens. Bei der Durchsicht – zugegebenermaßen weniger – offizieller Publikationen nach 1949 hat mich zweierlei erstaunt: erstens die geringe Qualität der Kolorierung, gemessen an den oben zitierten Maßstäben, und zweitens Inhaltslosigkeit der Erläuterungen: Beispielsweise wird “The Cock crows“ (Abb.oben) 1984 so erläutert10 : „Chinese laboring people are seen here getting up early as the cock crows. They thus begin the day`s work. The picture reflects the industriousness of the Chinese people. It also expresses the passionate fervor for life of the painter himself ( in the collection of the Tianjin Museum of History)“: „… Es drückt auch die leidenschaftliche Liebe des Malers selbst zum Leben aus“.
Große Proletarische Kulturrevolution 1966-1976
Während der „Kulturrevolution“ war Yangliuqing über Jahre geschlossen. Mit der Erklärung, man sei in Diskussion und Umgestaltung , wurde mir 1973 im Land der Wunsch nach Kontaktaufnahme abgeschlagen. Else Unterrieder hat genauere Informationen11: „Der Bannstrahl der Kulturrevolution traf alle alten Motive von Yangliuqing. Die prächtigen Darstellungen von Opernszenen mußten Posters mit Szenenfotos von Revolutionsstücken weichen. Nur hier und da gab es Lebenszeichen aus den Studios von Yangliuqing, wie etwa die Darstellung von Pionieren für den Vater eines Soldaten,die sogar als Plakat in großer Auflage herausgekommen ist.“
Stattdessen wurde ein ganzer Landkreis der revolutionären Malerei, der sich dem „Großen Sprung nach vorn“ 1958 verdankte, unter den Freunden in aller Welt propagiert: die „Bauernmalerei von Huxien“. Der deutsche Ausstellungskatalog von 1979 zitiert die Malerin Dong Zhengyi des auf seine Art gelungenen Posters Der Fischteich der Volkskommune: „Lange habe ich mir gewünscht, meinen Pinsel zu benutzen, um meine tiefe Zuneigung zur Volkskommune auszudrücken. Eines Tages im März 1973 sah ich in der Volkskommune Yu Zhan Fische in einem kürzlich vergrößerten Fischteich springen. Ihre Schuppen glitzerten in der Sonne (…) Ich sah sie an und spielte mit einer Idee (…) Eine alles umfassende Entwicklung der Landwirtschaft (…) fand in der Volkskommune statt. In diesen guten Tagen brachte uns tatsächlich jeder Schritt zu einem neuen Himmel.“ (Katalog S.32) ————- Aus weiteren zwölf Jahren Abstand springt nicht nur ins Auge, wie dick die studierte Malerin in ihrem Statement aufgetragen hat, es kommt mir auch der Verdacht, mit dem Bild habe sie subversiv auf den Daoisten Zhuangzi und sein Gleichnis von der Freude der Fische angespielt: „.... Ich kenne der Fische Freuden von meiner Freude, ihnen von der Brücke aus zuzusehen.“ (Insel-Taschenbuch it 3115,S.93) DvG ——-
Die Jahre der Reformpolitik
Auf dem flachen Land wurden seither die Ergebnisse der Zwangskollektivierung – zum Teil auf Druck der Bauern selbst – revisdiert, was ich 1988 sogar in Jan Myrdals berühmtem Dorf „Liu Ling“ bei Yanan feststellen konnte. Auf den wenigen konventionell gemalten Postern, die ich erwerben konnte, trat der traditionelle synkretistische Götterhimmel an die Stelle des „Götterhimmels“ der Kommunistischen Partei. Doch war der Trend zum westlichen Fotoplakat unübersehbar. Nachdrucke alter Neujahrsbilder zielten ebenso auf Touristen ebenso wie die überall angepriesenen nostalgischen Malereien „auf Seide“. Else Unterrieder erzählt vom neu eröffneten Yangliuqing:
„Im Sommer 1981 präsentierten sich die Verkaufsräume des Studios mit einer reichhaltigen Ausstattung an Pekingopern-Szenen und glückbringenden Kindern. Die damals erworbene Himmelsfee allerdings war durch ein größeres Rollbild verdeckt und wurde nur zögernd zum Verkauf freigegeben. Heute verfügt Yangliuqing über die besten Arbeitsbedingungen der drei großen Studios, und seine Künstler können wieder aus dem Schatz einer großen Tradition schöpfen. Schätze sind teuer, und das gilt auch für die Preise der Bilder aus diesem Studio.“
Wie aus dem Nichts brach die ungebrochene Kraft der chinesischen Volkskunst hervor, und zwar in zwei Publikationen des Pekinger Verlags Neue Welt: 1990 Lu Pu „Chinesisches Spielzeug“ – im Medium schlichtester bemalter Lehm-Teigfiguren – und 1991 Wang Shucun „Papiergötzen“ voll vitaler Beispiele, deren „Seltenheit“ er freilich hervorhebt, oft aus Gegenden weitab der alten und neuen stilprägenden Zentren. Sein Leben hat Wang,, Jahrgang 1923 während der „Kulturrevolution“ für diese Sammlung riskiert . Heute (2002) leitet er in Peking ein einschlägiges Forschungsinstitut und – wenn man Internetseiten glauben darf – empfängt er amerikanische Studenten. (http://www.tondl.cz/peking_en.htm am 01.03.2002)
Das chinesische Neujahrsbild im 21.Jahrhundert ?
Die chinesische Bevölkerung ist sehr jung. Von einem breiten Interesse an Traditionen ist mir nichts bekannt. Der Rockmusiker Cui Jian gibt eine andere Parole aus:
„Halbnackt stürze ich ins Schneegestöber./ Ich bin auf der Flucht aus dem Krankenhaus./ Haltet mich nicht auf, ich will auch keine Kleider./ Meine einzige Krankheit ist, dass meine Haut nichts fühlt./ Gebt mir endlich Fleisch, gebt mir endlich Blut./ Lasst mich endlich ausflippen im Schneegestöber.“ (nach :Frei und cool gegen die ganze Welt. FAZ 18.9.1993)
Von Zeit zu Zeit begegnen uns traditionelle Götterbilder in der aktuellen Kunst, als Versatzstücke einer Montage, die damit Tradition zitiert. Der Schutz der Türen scheint schon wie vor tausend Jahren wieder mehr den Zeichen des Glücks und der Kalligrafie anvertraut zu werden statt bunten Bildern, dies dann aber auch in den Chinatowns rund um die Welt. Niedergang oder Verwandlung der populären Druckgrafik?
Die Menschen brauchen Bilder vom Glück, und sie brauchen immer neue.
April 2002
Literatur
Juliet Bredon, Igor Mitrophanow : Das Mondjahr – chinesische Sitten, Bräuche und Feste dt. Paul Zsolnay, Wien 1937,1950 (2.A).
Clarence Burton Day: Chinese Peasant Gods, 1940 , p.190f.
Jean-Pierre Dubosc: Katalogbeitrag zu den Festwochen, Zürich 1950 , Übersetzung : Edith Weyel (Typoskript)
Gerhard Pommerantz-Liedtke : Chinesische Neujahrsbilder,Verlag der Kunst Dresden 1961 (veraltet, aber das Referenzbuch des Sammlers Wiegmann)
Josef Hejzlar : „Alte chinesische Graphik“, artia Prag/Dausien,Hanau 1972, S.55 u.a.
Gernot Prunner „Papiergötter aus China“,Wegweiser zur Völkerkunde Heft 14, Hamburger Museum f.Völkerkunde, HH 1973,S. 9-14
Edith Dittrich : Glück ohne Ende, Museum für Ostasiatische Kunst der Stadt Köln 1984
Else Unterrieder : Glück ein ganzes Mondjahr lang – Chinesische Neujahrsbilder und ihre Bedeutung, Berichte des Ludwig Boltzmann-Instituts Nr.20, Klagenfurth 1984
Joseph Needham : Science and Civilization in China, vol.5 part 1 „Paper and Printing“ by Tsien Tsuen-Hsuin, Cambridge 1985, pp. 287ff.“Popularity of New Year Pictures“
Maria Rudowa : Chinesische Neujahrsbilder, Aurora Kunstverlag Leningrad 1988, Wassili Alexejew ( 1881-1951) gewidmet, ISBN : 5-7300-0186-X
Wang Shucun ( *1923), Papiergötzen – Götterverehrung durch volkstümliche Drucke, Verlag Neue Welt , Beijing 1991 ISBN : 7-80005-148-X