Wiegmanns ‚realistische’ Behandlung der Berglandschaft

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Die Berglandschaft  – Einführung in die ‚realistische’, topografische Betrachtungsweise   2.12.23

Mein Dachfenster in der Berner Studentenklause an der Bantigerstraße ging direkt nach Süden. Von dort aus schwebten Eiger, Mönch und Jungfrau in dunstiger Ferne , bei gutem Wetter, wie das bei Viertausendern üblich ist.

Als ich dem altvertrauten Kunstlehrer auf dem Bahnhofsvorplatz begegnete und ihn auch in Beatenberg über dem Thunersee besuchte, waren die Berge des Berner Oberlands ganz nah und mächtig.

L 36 (oben) Ecke in der Frankfurter Atelierwohnung.

 

Ich habe Wiegmanns Aufenthalte im Hessischen Ferienhotel nur zwischen 1968 und 1972 rekonstruieren können. nach unserer Korrespondenz  in Beatenberg.

Manchmal war der Firnis noch nicht durchgetrocknet, wenn der ihm gewährte Aufenthalt zu Ende ging, In der ebenso beengten Atelierwohnung in Frankfurt setzte er die Arbeit an seinen Entwürfen und Bildern fort. Wir unterhielten uns dort über die Bilder auf der Staffelei; leider machte ich mir dazu keine Notizen.

 

Unsere Freundschaft hatte eine „chinesische“ Schlagseite. Romane, Schattenspiel, die 1937 mitgebrachte Sammlung an Neujahrsdrucken (LINK) und Anekdoten und Fotos unterfütterten unsere Sympathien für das vom Imperialismus gebeutelte Land. Die atemberaubend steilen Schluchten des Huashan-Massivs, die wie Nester angeklebten Klöster und die knorrigen Bergkiefern genossen wir auf den Papierabzügen der Fotografin Hedda Hammer, Wiegmanns Nachbarin in Peking oder wie es damals hieß Peiping.

Ich erbte von ihm eine antike Malschule „Senfkorngarten“ aus China. In seinem Nachlass fanden sich 2017 programmatische Notizen zur klassischen Landschafts-Malerei. Die hatte er 1936 als Assistent des französischen Sammlers J-P. Dubosc studiert. Der Maler Wang Yuan-ji (Wang Lu-ting) wurde sein Alter Ego.

Die Wiederentdeckung der Landschaftsstudien Wiegmanns kann also direkt an seinen chinesischen Notizen anknüpfen und sich mit entprechenden Fotos verbinden, aber auch an Wiegmanns Vorbildern an Landschaftsmalern Europas: Cezanne, Max Liebermann u.a.. Ich bin für jeden bisher übersehenen Bezug dankbar.

Von meiner Reise 2010 auf seinen Spuren  brachte ich touristische Panoramen von verschiedenen lokalen Bergbahnen mit. Sie zeigen das Massiv des Niederhorns über Beatenberg, die Umgebung des „Dreigestirns“ Jungfrau, Eiger und Mönch, sowie die Bergketten südwestlich des Thuner Sees in unterschiedlichen Vogelperspektiven. Sie erlauben belastbare Hypothesen zu den auf den Bildern dargestellten Gipfeln und Bergmassiven.

Ich war bald erstaunt, wie realistisch Wiegmanns Ölstudien die Topografie der Region in seine Kompositionen transponiert hat. Angesichts seines freien Umgangs mit den sich je nach fiktivem Standpunkt verändernden Proportionen, etwa der Wasserfläche des Thuner Sees, hatte ich einen ‚phantasievolleren’ Umgang mit den topografischen Realitäten erwartet. So aber erweist sich diese außergewöhnliche Umgebung als sein ‚Labor’.

 

 

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