Fand Hans Blumenberg seine Thrakerin ?

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Eine ganz unerhebliche persönliche Frage zu Beginn: War mein Philosophen suchen ein neu aufgelegter Jugendtraum oder immer schon ein Missverständnis?

Als Zwanzigjähriger war ich auf der Suche nach dem Negativen, von dem Theodor W. Adorno („Der Theodor, der Theodor der steht bei uns im Fußballtor …“) nur geistreich geschwafelt hatte. Kein Denksystem!  Das war Ruinenromantik. Ich hatte lange genug darin gespielt. Sondern Neuanfang überhaupt!

Andere Leute kriegen ja nicht genug von wunderbaren Systemen oder faszinierenden theoretischen Fragmenten. Meine beste Zeit war auf dem Marktplatz der Schule. Freilich mit abhängigen Minderjährigen. Zu mehr hat’s nicht gereicht. Dieser Tatsache muss ich als alter Herr ins Auge sehen.

Auf das Buch „Das Lachen der Thrakerin“ habe ich mich gefreut, auch noch, als ich den skandalösen Suhrkamp-Kleindruck vor mir hatte. Blumenbergs Klappentext und Einführung Theorie als exotisches Verhalten hatten den Glanz des Beginnens, der ersten Sätze, des großen Themas ‚Theorie’. Doch dann geriet er bald in die wie für ihn gelegten Fallstricke der Überlieferung und Umdeutung: Wer wie was beurteilt hatte, missverstand oder ergänzte und warum das nicht erheblich war. Und so sollte es bis zu den Untoten Nietzsche und Heidegger weiter gehen.

Mir kam die auf Marcel Griaule gemünzte Formel Verzerrungen der kulturalistischen Perspektive in den Sinn: (Till Förster in: Wegmarken no.2, trickster 1998, S.198). Es geht konkret um die Deutung der Totengedenkfeiern der Dogon, die mit Saufereien einhergehen, die über Monate die wirtschaftliche Kraft der Haushalte eines Dorfes beanspruchen. Förster fragt: Warum tut eine Gesellschaft so etwas, wenn der Sinn des Ganzen nur einigen wenigen alten Männern bekannt ist? (199) Ein Teilnehmer eines entsprechenden Gelages bei den Senufo entgegegnete ihm mit einer Gegenfrage: Warum saufen die Leute?

Warum stehen bei Blumenberg Sätze wie geschliffene Diamanten – oder sind es hochkarätige Rohlinge? – und dann verlieren sie sich in geistesgeschichtlichen Geröllhalden? Er erklärte doch, Sokrates sei sein Liebling unter den Philosophen – weil kaum etwas von ihm überliefert sei! Dieses Ideal hat er wohl für sich selber aufgegeben oder nicht anzustreben gewagt, trotz des Rückzugs in die nächtliche philosophische Höhle. Wurde nicht aus dem Spott in ‚Die Vollzähligkeit der Sterne’ und phänomenologischer Aufmerksamkeit Geschwätzigkeit, basierend auf Wortgläubigkeit?

Im philosophischen Beruf steckt unausrottbar der Platoniker: Philosophen wollen zwar keine Könige sein – nicht einmal altgriechische, von den Musen geküsste, auch nicht deren Berater, wenigstens, wenn sie aus Schaden klüger geworden sind – doch sie beanspruchen unverdrossen die Deutungshoheit über den Menschen. Blumenberg tut das explizit ironisch, trotzdem.

Philosophen, aber nicht nur sie, können Türen öffnen, neue Ausblicke zeigen, Impulse geben, Gedanken anstoßen, Einsichten zusammenführen, und das mit glücklichen Formulierungen, Sätzen, Kapiteln und Aufsätzen, aber man überlasse sich besser  nicht den von ihnen vorbereiteten Konstruktionen und Panoramen, begegne ihren Ableitungen von päpstlicher Unfehlbarkeit mit Misstrauen, aber auch ihren Einschränkungen und Widerrufen! Sie reden gar nicht mit dir, der thrakischen Magd. Vergiss den Stift und den Marker nicht, wenn du dir die Zeit dafür nehmen willst, notiere die Seitenzahlen, wenn du mit ihnen gehst.

Warum kostet es so viel Mut, wie bei Romanautoren offen und frech von gelungenen wie misslungenen Büchern zu sprechen? Muss man nicht generell dem Philosophen seine Weisheit entlocken, wie der chinesische Zöllner in Bert Brechts Gedicht dem Laozi ? Der bescheidene Kerl hätte Hans Blumenberg allerdings nicht zur Raison bringen können. Er gab bloß Kost und Logis, Pinsel und Papier. Das genau scheint – allerdings posthum – den Blumenberg-Kennern Angus Nicholls und Felix Heidenreich in ihrem mit 60-Seiten gewichtigen Nachwort zu zwei schmalen Originalmanuskripten zur „Präfiguration“ zu gelingen. Was sie aus diesen Texten als Essenz herausfiltern, hat das Zeug zum Klassiker – geistesgeschichtlich und politisch zugleich. Beim Lesen konnte ich es eigentlich nicht glauben, dass Blumenberg dieses Substrat unterschrieben hätte. Aber warum eigentlich nicht? Ich könnte sie ja bei Gelegenheit ja fragen, aber erst, wenn ich mich selber besser vorbereitet habe.

Bei den zwei Herausgebern findet sich aber auch eine Verzerrung durch kulturalistische Perspektive, und zwar in ihrem unübersehbaren Respekt vor der philosophischen Ahnengalerie. Wer in diese Eingang gefunden hat, kann wohl nicht mehr ausgeschlossen werden. Niemand verzichtet darauf, sich mit ihm öffentlich zeigen zu können, sich mit ihm ‚auseinanderzusetzen’! Ob Blumenberg so etwas Martin Heidegger gegenüber heute noch täte nach dessen weiteren durch letztwillige Verfügungen gezündeten Knallfröschen?

Für mich sind deutsche Philosophen ein geschlossener Club meist unleserlich schreibender Leute, die wunderbare Themen zergliedern und zerreden. Und wenn sie verständlich werden, blamieren sie sich wie normale Menschen. Auch darüber lacht die moderne thrakische Magd. Unglücklicherweise wuchert das Gehäuse der ‚Theorie’ zur undurchdringlichen Dornenhecke. Man mag ihnen zugute halten, dass sie noch versuchen, wenigstens einander zu verstehen – manche wenigstens, wenn sie sich nicht bloß vereinnahmen wollen.

Hans Blumenberg hat – den Anschein erweckt er – soweit menschenmöglich ALLES gelesen und durchdacht. Das rückt ihn mit seinem Zettelkasten ein Stück weit aus der allgemeinmenschlichen Sphäre der Thrakerin hinaus. Ich verdanke ihm immer wieder überraschende Einsichten. Und mehr als das: Blumenberg improvisiert immer wieder ein Stück begehbaren Zwischenbodens, auf dem sinnhafte Fragen noch gestellt und weiter getragen werden können in einer götterlosen und jenseits von darwinistischen Modellen sinnlosen Welt, in der alles möglich ist und wohl irgendwann Wirklichkeit wird. Wir wissen, dass wir nichts wissen, aber man hat sich wenigstens Jahrtausende die größte Mühe gegeben. Und darüber kann man mit Hans Blumenberg sinnvoll und ‚ergebnisoffen’ reden. Und mit der Thrakerin lachen, wenn einem danach zumute ist.

P.S.

Das darf nicht das letzte Wort zu Hans Blumenberg Präfiguration – Arbeit am politischen Mythos (Suhrkamp, Berlin 2014) sein!

Blaupause am 11.04. 2015, aber das Ganze musste sich setzen und brauchte noch eins,  zwei Redaktionen! (2.9.,5.10.2015)

Ein Gedanke zu „Fand Hans Blumenberg seine Thrakerin ?

  1. dvg Beitragsautor

    Sehr geehrter Herr von Graeve,,

    ich hatte, langlang ist’s her, einmal
    einen Lehrer in einem Taunusstädtchen,
    (…), nun bin ich über Blumenberg und
    die lachende Thrakische Magd auf Ihre Seite gelangt.
    Eigentlich habe ich just gar nichts weiter zu sagen, als dass ich mich freute, wenn
    Sie als Betreiber dieser Seiten auch einer meiner ehemaligen Geistes-Mentoren gewesen wären.

    freundliche Grüße, Fabian Amthor

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