Im Dorf Poundiou
Vorahnung – Sonntag, den 28. Juli ins große Buch geschrieben
Jeder neue Schritt fordert Überwindung. Ich zögere auch jetzt vor dem selbstgesteckten Ziel, Poundiou, einem Dorf der Senufo abseits der Straße, aber die rasch verstreichende Zeit treibt mich weiter. Die schwarze Haut hat viele Schichten. Ich bin immer erst fortgekommen – aus Adbidjan, Bouna oder jetzt aus Ferké, wenn die Etappe ihre Aufgabe der Initiation erfüllt hat. Es hatte schon Gründe, wenn ich meine Abreisen immer wieder verschob. Die Eindrücke müssen sich setzen wie Trübstoffe am Boden eines Glases.
Ich meide inzwischen die fonctionaires. Das Beklagen der Verhältnisse mit Kouassi hat mich schon weiter gebracht, doch mit Assita buchstabiere ich eine tiefere Schicht. Je näher ich ihr komme, bewaffnet mit Karlheinz Kriegs schmalem Katalog über die Gbato-Senufo, umso unbehaglicher wird mir. Doch was bleibt noch zu tun außer Ferké durchzufotografieren und Postkarten zu schreiben? Und unsere Unterhaltung vom Sonntag vor Ort zusammenzufassen.
Krisensitzung von Regie (R) und Erzähler (E), die eine Blockade auflösen soll.
Der Reisende ist in seinen Notizen präsent. Man müsste sie nur lesen können.
Du weißt nicht weiter, kommst mit den Notizen nicht zurecht, zumal sie auf drei Hefte verteilt sind. Du hast bereits drei Anläufe genommen.
Auch eine für einen Schreibkurs verfasste Miniatur über den „Ancien“ hilft mir nicht weiter. Sie ist misslungen, sie riecht parfümiert, besonders am Schluss: „… Das Foto vom Veteranen ist wie man so sagt gestellt. Er blickt mich ruhig an, als wollte er sagen: >Junger Mann aus der Welt der Weißen, du verstehst mich besser. Wir könnten Freunde sein. Schade, dass du fort gehst.<“
Ich rieche auch schon die Mokassins! Du kennst doch die Zigarettenwerbung. Wir stehen vor einer Schreibblockade, nachdem alles diesmal so gut gelaufen ist.
Ich will den Frust und die Ressentiments nicht unkommentiert wiedergeben. Wie hat er sich eigentlich den Besuch bei konservativen Bauern vorgestellt, der ewige Träumer? Er kannte doch Landwirte im katholischsten Rheinland aus der Kindheit. Da verbrachte er die Sommerferien im Elternhaus seines Stiefvaters. Und schließlich hat er viel über das afrikanische Dorf gelesen. In der realen Begegnung mit Poundiou hat er versagt, in seinen Augen jedenfalls.
Versagen ist ein großes Wort. Es konnte doch nur darum gehen, dass er in dieser Woche seinem Gastgeber und seinem Bürgen, mit dessen Empfehlung er kam, keine Schande machte. Wie gut, dass nichts Unangenehmes passiert ist!
Vergessen wir nicht seine hohen Erwartungen, den starken Wunsch, mit dem Ziel seiner Sehnsucht in Kontakt zu treten. Das zeigt auch eine kurze, anrührende, aber auch komische Begegnung mit einer Lobi-Familie in ihrem Gehöft, das er auf einem Spaziergang außerhalb von Bouna entdeckte. Davon existieren zwei Fotos. Er ging die Staubstraße entlang, an einem französischen Kolonialgrab vorbei, als er in der Buschlandschaft eine Kuh brüllen hörte.
Der Laut führte ihn zu einem alleinstehenden ‘klassischen’ Gehöft, wie er es schon immer einmal sehen wollte, sogar mit Kerbleiter: ‘Lobi’. Der erschreckte Besitzer holte sofort seinen Sohn, der auf Französisch über ein Trinkgeld verhandelte. Mit dem Ergebnis war man zufrieden. Von den beiden Fotos wurden später Abzüge an die Boite Postale in Bouna geschickt. Er drang gar nicht weiter in die Leute. Ihm fiel auch gar nichts mehr ein. Aber er zog beglückt von dannen.
War er jemals besonders geschickt in der Anbahnung von Beziehungen? Wir wissen doch, wie mühsam und langwierig das für Ethnologen im Feld ist. Wer von denen ist nicht wenigstens zeitweise daran verzweifelt? Und er plante gerade ’mal drei, vier Tage ein.
Ich las kürzlich bei Till Förster, dass damals um Korhogo herum bereits Touristen bewegt wurden. Er machte sich das nicht bewusst, aber die Leute hier waren an Typen wie ihn schon gewöhnt, zumal ein paar ihrer Kinder in der Stadt zur Schule gingen und von dort in den Ferien schlechte Gewohnheiten mitbrachten. Man war nicht aus der Welt. Der Lehrer, seine Adresse, wohnte in einem ebenerdigen Haus aus Hohlblocksteinen. Man war ärmlich gekleidet wie überall in der Dritten Welt. Strom gab es natürlich nicht und die Frauen saßen bei der Küchenarbeit auf niedrigen Hockern. Die traditionellen war schon lange verkauft.
Ich werde ihn erst einmal schimpfen lassen. Dann erzähle ich, was er auch noch notiert hat.
Kannst du das Kapitel nicht „Abrechnung mit dem afrikanischen Dorf“ nennen?
Abrechnung mit dem afrikanischen Dorf
Beim Warten auf die Weiterfahrt mit dem Bus in Richtung Boundiali und Odienné habe ich das Bedürfnis, Bilanz aus den anstrengenden Tagen zu ziehen:
Angenehm war das heiße Badewasser. Dass es noch tagelang nach dem gebrühten Hahn – zur Begrüßung geschlachtet – roch, fand ich lustig. Weniger, dass streng bäurische Lehrer mir gleich den ersten Tag kleinkariert eingeteilt hat. Wenn ich auf Wünschen nicht beharrte, blieb er stur. Madame Konaté wirkte viel gelassener, war stets zum Lachen bereit und mir gegenüber ohne Scheu. Er hat wohl etwas Mühe mit seiner Rolle als Dorflehrer, die ihm durch so einen Besuch vielleicht aus dem Gleichgewicht geraten könnte. Drei Jahre unter der Fuchtel der Alten, und er ist noch ein Fremder im Dorf, auch wenn er aus der Gegend stammt. Er hat sich mit einem Knirps von Kollegen aus dem Nachbardorf zusammengetan. Er sollte sich für mich nach der Abfahrt des Busses nach Boundiali und Odienné erkundigen, vergaß es. Vom Saufen in dunklen Hütten erzähle ich später. Da hat mich Konaté enttäuscht. Ich fühlte mich ungeschützt. Er zeigte (als Lehrer!) übrigens wenig Interesse für die Welt, aus der ich kam! Das mitgebrachte Frankfurt-Merian-Heft blieb die Tage kommentarlos liegen, er betrachtete es mit mir am letzten Abend noch unter der Taschenlampe, mit höflichem Interesse, ohne Zwischenfragen. Ich hatte ein Exemplar von Kriegs illustrierter Broschüre über die Masken der Senufo dabei. Ich war gespannt, den Männern die Bilder ihrer Dorfgeheimnisse zu zeigen! Konaté hätte das Buch ja weglegen können. Er blätterte es aber mit stoischer Miene durch und reichte es den anderen. Auf die Masken reagierten sie halb ernst, halb amüsiert. Behalten wollte er es nicht, denn es sei in Deutsch geschrieben. Ich hätte ihm das Geschriebene verkürzt vermitteln können, aber das wollte er nicht.
Was ich ihm beim Abschied gab, nahm er anstandslos und hinterließ prompt bei mir das Gefühl, es wäre zu wenig gewesen. Und als ich ihn wegen des Abschiedsgeschenks des Ancien um Rat für ein Gegengeschenk fragte, tat er beleidigt: Man solle nicht alles aufrechnen. Wenigstens klappte die Verständigung über den Kaffee und ich ließ das angebrochene Glas da.
Nun aber von Anfang an!
Ich erreiche Boundiou auf dem Rücksitz eines Mopeds, das die Beförderung zwischen Hauptstraße und Dorf übernimmt. Der Rucksack wird irgendwie auf dem Lenker balanciert. Was ich zuerst wahrnehme: die dösende Hausfrau vor der Hütte. Nachher erlebe ich sie als energisch und äußerst fleißig. Ob Karl-Heinz Krieg dem Lehrer Konaté öfter Leute schickt, weiß ich nicht, jedenfalls nimmt man mich wie selbstverständlich auf. Empfehlung genügt. Dabei hat Konaté, der Dorflehrer, in diesen Tagen gerade einen Malariaschub.
Zu meiner Begrüßung soll es einen Hahn geben, also nimmt er mich nach kurzer Rast auf sein Moped. Ich hätte mich gerne ausgeruht. Er kennt den Weg im Netz schmaler Feldwegen und fährt uns in zehn Minuten zu einer Peulh-Frau im offenen Buschland. Die Frau – sie hat gerade kein Baby – liegt auf einer Matte vor ihrer Rundhütte auf dem Bauch, ein Tuch über ihren Kopf geworfen. Die Kinder sind in Rufweite, wohl bei den Rindern. Interessant sind die Rufe der Frau: für die Kinder beim dritten Mal schon auf Alarmhöhe. Die Hühner ruft sie „guruguruguru“ und lockt sie lustvoll mit Mais. Die Kinder spielen nun Treiber. Konaté zahlt achtzehnhundert CFA für einen Hahn mittlerer Größe. Als die Frau den Hahn eingefangen hat, wird er umstandslos an den Füßen über den Lenker gehängt. Der Preis für den mageren Vogel scheint mir hoch, doch wenn man seine eigenen Hühner nicht opfern will… Da ich mein Duschwasser jeden Morgen vorgeheizt bekomme, die Gastgeber aber nur einen großen Kochtopf besitzen, duftet das heiße Wasser in den kommenden Tagen nach gebrühtem Hahn. Ich werde diese Pointe noch oft erzählen.
Ich bekomme eine Hütte für mich. Auf dem Bett baue ich das Einmannzelt mit der Alustange und den zwei seitlichen Befestigungen auf, als selbsttragendes Moskitonetz. Sehr bald fühle mich zu sehr beschützt, guidé – nur auf den halsbrecherischen Mopedfahrten nicht. Der Gastgeber teilt mir den Tag penibel ein, er erscheint mir vor allem als Aufpasser.
Die Peulh
Zwei Peulh-Mädchen kommen auf den Hof und verkaufen Sauermilch. Sie sind fein gekleidet und tragen Schmuck. die Gesichter geölt. Sie sind fröhlich und bitten mich über Konaté um ein Foto. Er lehnt ab, ohne mich zu fragen. Ich verstehe „photo“ und mache das Foto. Es ist schön. Ich versuche es ihnen über Konaté zu schicken. Das Verhältnis zwischen Gbato-Senufo und Peulh scheint recht kühl zu sein. Man verständigt sich in Diula. Diese Peulh kommen seit zwei Wochen ins Dorf. In vier, sechs Wochen sind sie vielleicht schon weiter gezogen, sagt Konaté.
Der zweite Tag. Lehrerkollegen
Ich erwache früh um fünf vom Trommeln der Fufustampfer der Frauen im Dorf. Um halb acht (nicht um acht wie besprochen) scheucht Konaté mich aus dem Bett. Draußen im Hof stehen schon acht bis zehn junge Männer und Jugendliche, die auf ihre Küchlein warten und mich anglotzen. Erst einmal einen Kaffee…
Wir besuchen den Lehrerkollegen im Nachbardorf Fononkara (?), der die ganze Zeit eine Leidensmiene trägt, dem das Moped mitten im Busch verreckt, der angeblich zu viel Geld hinblättern muß sans dire un mot und den die Eingeweide heute Nacht um den Schlaf brachten. Ist er Alkoholiker oder tablettensüchtig? Ich darf Familienfotos machen. Ein Mädchen fällt mir auf, ich kann aber nicht mehr sagen, warum. Die Fotos drücken nicht aus, was ich sehe.
Sie verbringt die Ferien bei der Familie, lebt sonst in Abidjan. Ihr ganzes Verhalten, ihre Sprache drücken Unzufriedenheit aus, doch sie kultiviert damit auch den typischen Stil des urbanen Vorgesetzten. Die Hausfrau Kone lacht viel. Sie fragt mich nach meinem Knopf im Ohr. Meine Antwort beseitigt nicht ihre Ablehnung dieser Modeerscheinung gegenüber. Ich denke nur: Enge überall hier, wenn Männer nicht gerade auf gleicher Ebene (grand-frère – petit-frère) Sorgen austauschen wie die beiden Lehrer. Einem Alten gegenüber sagt man: ja ja ja, egal wie lange er auf einem Thema herumredet. Gestern abend war es eine Wahlniederlage. Der von den Alten Empfohlene verlor die Wahl.
„Karl“
Ich möchte wissen, wie Karl-Heinz Krieg („Karl“) hier eingeschätzt wird. In Poundiou sei er immer nur auf Durchreise. Anfangs habe er nur ein wenig Englisch gesprochen, jetzt sei sein Französisch bereits ‚clair’, verständlich. Man kenne ihn seit 1974. Der Lehrerkollege charakterisiert ihn über seinen großen vollgestopften Volkswagenbus, und in dem er morgens frühstücke, und in dem er auch schlafe. Er klingt nicht begeistert. Mich hält er übrigens für „achtundzwanzig“, nicht schlecht.
Schmied
Wir treffen den Schmied bei der Arbeit an. Er schlägt auf dem kleinen Amboss aus Stahlschrott gerade die Schneide einer Hacke zurecht. Im dichten Rauch bedient unermüdlich sein Töchterchen den Blasebalg. Eine strenge Erziehung! Ich erlebe zum ersten Mal die Formbarkeit glühenden Eisens, aber auch Kraft und das Geschick, das Eisen lang und breit zu schlagen. Draußen schon beim Nachbarn liegt unbeachtet ein patinierter bulliger Hammer aus fast einem Kilo Reineisen. Am Hammerkopf sehe ich einen Haar-Riss. Ob er noch verwendet wird? Er ist alt. Der Schmied kennt ihn angeblich seit seiner Kindheit. Daran habe ein Schmied früher vier Tage gearbeitet. Die heutigen sind mit Stahlschrott bequemer herzustellen – und solider. Ich soll zahlen was ich kann. Ich entscheide mich für viertausend CFA und bekomme ihn. Zwei gerade geschmiedete Gewehrkugeln darf ich auch mitnehmen. Erstmal verbrenne ich mir die Finger daran. Ein Ancien gibt mir am Nachmittag Schwarzpulver dazu. Zehn Jahre später werde ich von Christian in Hattersheim den passenden Vorderlader bekommen.
Der Gast macht Siesta
Um drei Uhr erwache ich aus meiner Siesta. Ich träumte eine Besuchssituation, beneidete zwei Paare um ihr Zusammensein und konnte meinen Fotoapparat auf einen Rundgang ins Dorf nicht mitnehmen. Nun ist meine Tür zu. Ich hatte sie aber bewusst offen stehen lassen. Man hätte wohl zu viel vom weißen Mann in seiner Hütte sehen können. Irgendwann hat es auch geknallt in meinem leichten Schlaf. Gestern abend war der Gastgeber dagegen, dass ich mein Fenster, wenigstens das zur Straße, offen ließe. Kinder kommen hustend vorbei. Sie sollen mich gewiss auch nicht stören.
Die Leute arbeiten hart, Konatés Frau von früh bis spät. Alles geschieht am Boden, die Wäsche in der prallen Sonne. Wie mühselig war die Zubereitung des riz sauce avec poulet gestern abend in der Abenddämmerung. Nur das Schlachten und Ausnehmen des Hähnchen hatte ihr ein junger Bursche abgenommen. (Wie viele Kinder haben die Konatés – der Kollege zehn! – und warum schreibe ich nichts über sie?)
Abends kommen Bauern müde vom Acker ins Haus, von oben bis unten mit Erde bekleckert, auf der dunklen Haut, auf Hemd und Hose. Das klobige Gewehr über der Schulter war wieder nicht im Einsatz. Wenn sie sich wieder verabschieden, bitten sie immer, sich „entfernen zu dürfen, um sich zu waschen“. Das wird ihnen förmlich gewährt.
Am Abend vor meiner Ankunft hatte jemand Balafon gespielt. Mir erklärte er, er sei besoffen gewesen. Wollte ich ihn bitten, wieder zu spielen? Der selbstgebrannte Schnaps ist stark, effective, offensichtlich weit über 4o Prozent. Dagegen ist Bier eine Erholung, aber bei mehr Gästen zu teuer. Konate würde morgens gern auch Kaffee trinken, aber bei „einer so großen Familie“ – Gäste eingeschlossen – käme das zu teuer.
Das Dorfleben mit seinen vielen Rücksichten und Intrigen ist keine Idylle. Als ein Feuer einen Teil des Dorfes vernichtet hatte, reichten Regierungsgelder und ausländische Spenden nicht, alle zerstörten Häuser zu ersetzen. Trotzdem zogen auch Leute in neue Häuser ein, die gar keins verloren hatten, dafür fanden Geschädigte keinen Platz. Die einhellige Meinung war, man hätte besser das Geld unter die Geschädigten verteilt. Die Bauten sehen übrigens aus wie Baracken und sind – selbst das höhere Haus des Lehrers – stickig. Die Verteilung erinnert mich an die Geschichte von der Asphaltierung der hundert und fünf Straßenkilometer zwischen Korhogo und Boundiali. Entsprechende Gelder der Entwicklungshilfe waren bereitgestellt. Dennoch wurden nur die ersten 35 Kilometer geteert. Der Rest des Geldes ist versickert.
Der Veteran (L’Ancien)
Er geht bei den Konatés ein und aus. Er sucht den Kontakt zu mir. Wenigstens einer mag mich! Er bringt mir beim nächsten Mal zwei handgeschmiedete Gewehrkugeln und Schwarzpulver mit. Jeder hat hier eins dieser vom Schmied hergestellten Vorderlader-Gewehre. Von Jagdglück habe ich nichts mitbekommen. Irgendwann mache ich ein sehr schönes Foto von ihm. Zu diesem Anlass trägt er ein blaues besticktes Gewand, einen Boubou, und hat sich den Bart stutzen lassen. Auch der Ancien spricht Französisch.
1948 bis 1951 war er in Indochina: „ Die Sonne brannte heißer als die afrikanische!“ sagt. Er habe so viele Tote und Verwundete gesehen, so viele Kameraden seien gestorben. Er träume jetzt noch manchmal davon. Er sei zu Beginn in Marseille und auf Korsika gewesen, von dort ging es mit einem Schiff – zwei afrikanische Batalillone, ein arabisches – nach China, Haiphong, Hanoi. Wenn er jung wäre wie damals, würde er sich wieder melden, aber – mit Schulbildung diesmal – etwas daraus machen. Was er zu erzählen hatte, das wollten die Bauern nicht hören. Sie hätten ihm nicht geglaubt. So habe er sich zurückgezogen und spreche nur noch mit den Alten. Konaté fügt hinzu, dass das Leben des Ancien sich auch materiell geändert hat. Er bekomme alle drei Monate seine Rente – immerhin vierzig, fünfundvierzigtausend CFA. Er könne davon leben und vernachlässige seine Landwirtschaft. Der Ancien zeigt mir daraufhin seine Schussnarben an Armen und Beinen. Er hängt sehr an seinem Hund. Er ist sehr freundlich zu mir. Er erklärt mir sein Gewehr und schenkt mir zwei vom geschmiedete Kugeln und füllt mir Schwarzpulver ab. Am Morgen meiner Abreise, als ich noch schlafe, übergibt er Konaté ein Huhn für mich.
Der Heilige Hain
Am zweiten oder dritten Tag sehe ich im Vorbeigehen eine Wandmalerei auf einer verputzten Hütte, wie sie auf handgewebten Stoffen in Korhogo auf dem Markt angeboten werden. Konaté treibt mich weiter: Nein, lieber nicht fotografieren! Doch gelingt es mir auf einem unbegleiteten Spaziergang bis an den Rand des Heiligen Hains von Poundiou zu gelangen, dem Gelände, wo die Dorfjugend irgendwann ihre Initiation erhält. Doch auch der Heilige Hain hebt mir mahnend den Zeigefinger. Ich sehe doch gar nichts Ungewöhnliches, fotografiere nur ein wenig in die Landschaft, so meine ich wenigstens. Doch werden alle dunklen Bildpartien mit Szenen aus Ferké unterlegt sein, übrigens teilweise sehr interessant. – Die Doppelbelichtung des gesamten Films werde ich augenzwinkernd als Zeichen nehmen und sogar lieb gewinnen. Erst nach fünfundzwanzig Jahren wird mir eine moderne Erklärung einfallen: die Aufregung beim Filmwechsel vor dem vermeintlichen Höhepunkt der Reise.
„Sonntag“ auf dem Dorf
Eine Atmosphäre wie in meinem Kinderbuch. Die Negermama hat eine Schüssel voller leckerer Küchlein hingestellt. Man bedient sich. Die Groschen fallen in die Aluminiumschüssel nebenan. Es gibt Schnaps. Man trägt gute Kleider. Entspanntes Herumsitzen. Ein weißgrau gefleckter Hund kommt. Seine Segellfliegerohren sind mit Lehm gesprenkelt. Der Hahn will an die Erdnüsse. Alte kommen zu Besuch, auch der Dorfchef, der ein tamtam für mich hat. Er sagt: „Recht groß … schwierig zu transportieren“. Einsicht oder Sinneswandel? – Schreiben ist an sich schon subversiv. Kein Wort der Kritik, aber auch keine Geduld. Jetzt schaut mir Konaté direkt über die Schulter. Ist ja gut, ich höre schon auf und sitze wieder untätig herum!
Besäufnis zum Abschied
Als es dunkel wird, gehe ich mit Konaté in das Haus eines Ältesten zu einem exklusiven gesellschaftlichen Termin. Ich bekomme von der Unterhaltung unter den Männern nichts mit. Als Übersetzer ist Konaté mäßig: Il dit des choses pour te saluer,…. il dit des choses… Mich nervt schon der Anblick der erst fünf, dann sieben Sodibra-Literflaschen und dann die Aufmerksamkeit der Teilnehmer. Der Gastgeber füllt ein Glas und reicht es jemandem, der nimmt einen Schluck und reicht es weiter oder stellt es ab. Neuankömmlinge bekommen das Glas gleich angeboten. Man trinkt nicht, ohne jemandem angeboten zu haben. Man lehnt nicht ab, es sei denn, man hat Gründe. Alles geschieht offen. Ich erinnere mich: Als ich bei anderer Gelegenheit einmal ein Bonbon für einen Moment vor einem Kind verbergen wollte und die Hand darum geschlossen habe, forderte der Jäger mich durch eine Geste auf, sie zu öffnen. Verbergen ist verboten.
Die Flasche Bier, die der Jäger mir heute Abend stiftet und die übrig bleibt, muss natürlich morgen früh geleert werden! Konaté: „Man wird sie öffnen und den Anwesenden anbieten.“ Dann wird auch verbliebene Eimer pitou (Hirsebier) – natürlich zu meinen Ehren – geleert, obwohl der einem nicht nur am Vormittag auf den Geist geht. Doch wozu braucht man Geist auf dem Dorf ? Vielleicht für eine witzige Einlage? Der Erzähler und die von ihm in den Blick Genommenen lachen. Warum lacht Konaté? Übersetzt bekomme ich sowieso nichts. Mit eigenen Angeboten habe ich Pech. Jedes zweite Mal sagt Konaté: Le Vieux ne fume pas. Das ist mir neu. Konaté berät mich nicht gegenüber den indirekt geäußerten Wünschen der Männer.
Sobald wie möglich steige ich auf den – knappen – Schnaps um. Trotzdem muss ich auf dem Heimweg wohl in die Mitte genommen werden und esse im Alkoholdusel zu Abend. Es soll, erfahre ich später auf Nachfrage, ja auch Männer geben, die nicht saufen. Ich frage mich: Was bedeutet das für den geselligen Umgang, der stark über den materiellen Austausch geht? Das werde ich so wenig erfahren wie eine Menge anderer Geheimnisse der Gbato-Senufo. Sehen kann man ja ohnehin kaum noch etwas.
Und nun?
Zurück in die bereits vertraute Welt der Provinzstädte! Es ist nicht weit bis Boundiali. Auch M. Donita Konaté, Instituteur à Poundiou hat dort seine Boite Postale 55.