Stadt der symbolischen Befriedigungen, des Voyeurismus, der endlosen Vorlust. Stadt der Drapierungen, der durchsichtigen Täuschung, des Als-ob, der vorgespiegelten Extase, derer, die sich zufrieden stellen und derer auf der Angebotsseite.
Die Farben schmutziggrau, lichtlose Beleuchtung. Glanzloser Dreifarbendruck lehnt sich dagegen auf, schreit, dass es sich lohne, in der Megapolis zu leben und Geld zu verdienen. Denn dann liegt nächste Woche der grüne sonnige Allgäu oder Acapulco dir zu Füßen. Inzwischen begnüge dich mit dem welligen Poster, der schlecht gespannten Fahne und dem rotzfrechen Kolkraben, der sich die Marlboro-Schachtel krallt.
Kult der Macht und Millionen Pilger. Überall versteckte Verkleinerer, die dich Meilen und Abermeilen marschieren lassen und in stählernen Behältern transportieren und denen du so wenig entgehen kannst wie den Überwachungskameras. Hast du dir schon ein Abzeichen der Teilhabe an der Macht gekauft und angesteckt? Natürlich müssen potente Autos in Innenstädten angeboten werden, auch wenn sie im Stau kriechen und von lästigen Politessen gejagt werden. Aus Prinzip. Überall Uhren, sie beschleunigen aber nicht, sondern registrieren bloß Stockungen und Zwangsaufenthalte. Die gehen allein zu deinen Lasten.
Stadt der Geheimzeichen – Stadt der Bedrohungen und potentiellen Katastrophen
Stadt der potentiell Bedrohlichen, der sich bedrohlich Aufblähenden und der sich Ängstigenden. Bettler treten auf als Musiker oder halten Vorträge. Vorsicht! Brüderlichkeit findet nur auf Werbeflächen statt und das nur für kurze Zeit, dasselbe gilt für Einsichten und Wahrheit. Doch die Wahrheit ist ja überall und in allem. Du musst sie bloß einlassen. Wir befinden uns in der Welt der Grafitti.
Lebenszeichen
+ Duftmarken. Die Sprayer werden von sauberen Flächen angezogen. Die ersten jedenfalls.
+ Interventionen. Widerstandshandlungen gegen die Großpropaganda, die zum Beispiel von großer Qualität zum kleinen Preis kündet.
+ Imitation, Mimikry.
+ Geheimzeichen. Assitas Erzählung an der Elfenbeinküste (1985) hat mich beeindruckt. Sie verbindet sich mit der von den sagenhaften Markierungen sagenhaft diebischer Zigeuner an Häusern und mit denen in Gombrowiczs Roman „Indizien“, die meiner Erinnerung nach zu einem Mord führten, oder mit dem „M“ von Fritz Lang. Und sie sind Platzhalter unsichtbarer Tendenzen.
+ Adrenalinspritze.
+ Sünde.
+ Verzweifelte Gegenwehr gegen das eigene Verschwinden
Aufnahme-Notizen. Das meiste findet sich nur auf den Seiten des Themenalbums (Unikat):
Zoe.Leela lockt mit Blick und Haltung – wie lange schon? Was steht zwischen den Zeilen von Tegel Twins? Und was verbirgt sich dahinter? Die Freischwimmer-Monster sind bloß eine trendige Verkleidung des Kulturbetriebs. Oder? Auch Tim Fischer verspricht Gnadenlose Abrechung nur als Coverversion zu Georg Kreisler. Kann man das auch von Xtreme Fighting behaupten? Und Achtung ab 18 Jahren? Trotz des triumphierenden BH? Versuchung hat mit den Puppen der Schaubude nichts zu tun. Womit aber?
Jetzt kommt der Faktor Zeit ins Spiel: zunächst in scheinbar zwanglosem Nebeneinander und Übereinander von großen Schriftzügen und kleinen bunten Postern. Warum die aber eingerissen worden sind, statt großzügig übersehen, bleibt ein Geheimnis. Habe ich etwas übersehen? Nicht übersehen werden, dies Bedürfnis schreit vom herab gezogenen Rolladen des Telefonshops Nokta. Kleine Männlein machen eine Plakette der Versorgungswerke unkenntlich – Plakettenbesetzer! Auf seinem Betriebshof hat Machule den Erdöltropfen sich auf die Fahnen geschrieben. Unidentifizierbare Figuren tanzen bedrohlich vor einer furchterregenden Lautsprecherbatterie, die sich – unerklärlich! unerklärlich? – von einem hochgereckten Megaphon anführen lassen, dem Symbol demonstrativer Gewalt. Seitenverkehrte Schrift! Farbig bekleckertes Schablonenbild mit Judenstern-Menschen, Karnickeln und Jägern. Kommentar: Too old to die young. Eine Rakete und Neid. Irgendwer klebte das Poster mit Come together an eine Wand – natürlich nur als verlogenes Zitat, weil ein Revival! Dann kamen Schablonierer, um ein anonymes Model mit ausgeprägten Wangenknochen sechsfach aufzusprühen. Das bedeckt auch die verblasste Botschaft International Kämpfen gegen Unterdrückung und Ausbeutung (fette Großbuchstaben).
Auch die elitäre Kulturfraktion arbeitet mit Zeichen: robert frank, the films löst nur für die Eingeweihten das Rätsel der Kombination von Handkuss und kreisrunden Brandlöchern, aber tut es das wirklich? Rasende Heimat mit mageren Drittwäldlern um Talvin Singh vor Wohnhochhäusern aus dem Haus der Kulturen der Welt bietet hingegen keine Deutungsprobleme. Passt es überhaupt in den Kontext? Es steht neben Nan Goldins Buntfotos. Der Kulturbetrieb ist eben umtriebig und drängt in jede Ritze. Dankbar empfinde ich die Würde von Treck (?) in schwarzer, ich bin versucht zu sagen: klassischer Kalligafie. Dann wird ein Türrahmen zum Bilderrahmen, in dessen Mitte ein heftiger Kampf in mehreren Etappen statt gefunden haben muss. Der Angriff auf Ausfahrt Tag u. Nacht freihalten wurde bislang erfolgreich abgeschlagen. Blind nach hinten fotografiert habe ich die Botschaft eines Wohnungsmieters: Jacky Ich Liebe Dich (ohne Komma). Zu dreidimensionaler Abstraktion erblühen Plakatschichten – abgeplatzt, abgerissen und in der Nässe gerollt. Oller Disko hat bei seiner Kleinheit eine obszöne Ausstrahlung. Dann lächeln zwei fesche Comic-Girls für eine Spontiband mit Namen Die drei Tornados …. und, und, und….
An den Telefonverteilerkästen am Prenzlauer Berg toben absurde mediale Kleinkriege, notgedrungen Stellungskriege mit vorübergehenden Geländegewinnen. Erstklassige Performance! Geile Löschwasserstutzen spielen mit, ein ebensolcher Kaugummiautomat. Und Wahlverweigerung als Parole. Erst in Pankow, meine ich, alles habe wieder seine Ordnung.
Techniken:
Alles Fastfood, reiner Impuls, gleichgültig gegenüber dem Input : Freie Kalligrafie, Druck, Spray durch Schablone
Geschichte: Collage
Formate: Poster, Flugblatt, freie Form ( 20.10.09-20.01.10 )