Eine Ovimbundu-Figur – Barbarisch schön wie auf alten ethnographischen Fotos.
Und die erste nach einem erfolglosen Versuch vor zehn Jahren !
30.9.2023 / hochgeladen am 23. Oktober
Beschreibung
Achtundvierzig Zentimeter hoch. Schweres rotbraun glänzendes Holz, soweit nicht von Grünspan und Dreck bedeckt, oxydierter Kupferdraht (Hals- und Wadenschmuck, Ohrkettchen), auf Stirn und Wangen Kupferblättchen.
Ausgesprochen lebendige Dorfschönheit mit klassischer ovaler Frisur, zarten langen Ohrgehängen und einem verlängerten Hals, um für dreieinhalb cm Kupferdraht Platz zu schaffen. Die Schultern sind zart und leicht abfallend. Woher kenne ich den ‚typisch afrikanischen’ Schultergürtel? Die eingeknickten Unterarme mit weit hervor tretendenden Ellenbogen enden in großen Händen mit langen Fingern. Das Ensemble mit den spitzen Brüsten darunter bildet den zweiten Blickfang. Darunter ein langer Abhang auf der abgesenkten Bauchwölbung, markiert von einem eingeritzten Nabelkreis, 14,5 cm über dem Boden. Der dritte Blickfang besteht aus Nabel, dahinter den Schamlippen und stämmigen Beinen, verstärkt durch die Umwicklung, und großen Füßen, die verbunden einen Block bilden und festen Stand geben. Natürlich ist das Untergestell dreckiger.
Von hinten gesehen ist der obere Torso zart, das Kreuz verstärkt (es muss den tief hängenden Bauch ausbalancieren) und der kleine Po eckig nach hinten gestreckt.
‚Barbarisch schön, wie auf alten ethnographischen Fotos‘. Und ein Stück aus dem Leben!
Der alte Engländer, dem nie ein Kompliment über die Lippen kam, gestand mir, die Figur habe das gewisse Etwas. Erotisch mochte er es nicht nennen. Aber seine Frau würde es nicht im Wohnzimmer haben wollen, was immer das bedeutet.
Ich dachte sofort an meine Figur vor bald zehn Jahren, an den moderneren kindlich pummeligen Körpertyp mit Blechaugen und hochglänzender Patina, schätzungsweise fünfziger, sechziger Jahre. Die Abbildungen in der Literatur versprachen eigentlich mehr. Ich studierte viel. Über die Vorbereitung auf eine harmonische Ehe. Gut, dass ich die Mappe noch besitze.
Bei ungünstigem Licht treten die Manipulationen mit Kupferstreifen und die gut abdichtende Harzreparatur linksseitig im Gesicht störend hervor. Ein wenig Dreck ließe sich am Körper und an der Frisur noch vorsichtig entfernen.
Der Stand und aufrechte Haltung sind perfekt, Raumwirkung und Fernwirkung gut, vor allem im Freien. Bei jedem Anheben lässt die nicht mehr ganz junge Frau ihre Energie spüren. Mit ihr möchte ich nicht zusammenstoßen.
Eiförmiger Gesichtsschädel, schwer zu beschreiben. Verbindet schmale Kanten und frei aber kräftig eingeschnittene Rillen
Brauen, schräg stehende Augen, Tattoo, Nasenflügel, feine große Ohren mit stark perforierten Läppchen mit ‚realistischen’ Wölbungen – von Stirn und Wangen zu einem gespitzten Mund – zu einem interessanten Gesichtsausdruck.
Seitlich gesehen, spielen die Rillen der Schädelfrisur über den mittig gesetzten Ohren, vor dem geschwungenen Schopf/Zopf, der nach unten sich verbreiternde Hals. Das – nachträglich? – eingeritzte und um fünfundvierzig Grad gedrehte Zeichen findet sich in „Tervuren Masterpieces…“ auf einer Cihongo mask Tshokwe (no.52) und wird von G.K. nach Bastin (1961) als „abstraktes Relief“ namens cingelyengelye bezeichnet.
Auch hier an einer Maske der Lwena als „Tatauierungsmuster“ (in: Das zweite Gesicht, Barbier Mueller p.86-87 >
Es finden sich weitere Gemeinsamkeiten:
Bohnenaugen, modellierte Ohren, Gesichtsform, mit spitzem Kinn.
Der Name „Junge Frau“ der Maske verweist auf eine mythische weibliche Figur, die früh verstarb.
Auftritt bei sexuell konnotierten Tänzen.
MEHR DOKUMENTATION
Das Africa-Museum Tervuren zeigt zwei von Robert Verly gesammelte und 1950 registrierte weibliche Figuren der Ovimbundu („Masterpieces from Central Africa“, Prestel 1996) nos. 49 und 50).
Im Begleittext charakterisiert G.K. (= Gerhard Kubik, Universität Wien) die Ovimbundu linguistisch als mit zwei Millionen größtes Volk unter den Bantu in Angola. Eine lokale figürliche Tradition habe sich kaum, am ehesten noch um die weibliche Initiation bilden können. Er will äußere Einflüsse über den Fernhandel im 18. und 19. Jahrhundert aber nicht ausschließen.
No. 49
Kubiks Beschreibung von no.49 beschränkt sich darauf, die Schönheit der jungen Frau, ihren Körperschmuck, besonders die mit Kupferdraht umwickelten Beine und ein über die Brust gekreuztes Band hervorzuheben. An der kunstvollen Frisur bemerkt er allein die Verwendung von Öl und rotem Ocker, „die normalen Attribute junger Frauen nach der Initiation bei den (stammesverwandten) Nyaneka“. (p.161, übersetzt) – Die Figur no. 49 lohnt den Vergleich!
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Beide Figuren sind schlank, aber die no.49 ist mit 31 cm Höhe zierlicher.
Die Umwicklung der Unterschenkel zieht den Blick auf sich, wurde aber durch Kordel ersetzt. Darunter sind kleine zierliche Füße und eine auffällig enge Metall-Manschette erkennbar, wie an den Unterarmen.
Die Schultern sind rund, die Arme hängen seitlich herunter, sie drücken Konzentration aus. Die Körperformen sind weicher, jugendlicher, die Brüste ‚ideal‘. Der zylindrische Hals trug wohl nie eine Kupfermanschette und ist kurz. Die helle Farbe des Körpers – besonders unterhalb des kreisrund eingeschnittenen Nabels – lässt einen inzwischen verlorenen Wickelrock vermuten.
Gegen die dominierende Jugendlichkeit des Körpers sticht die auffälllig dunkle beschädigte Patina des Kopfes ab. Die Breite des Gesichtsschädels, die Umrandung der Augen und der Mundöffnung, das Muster der Wangen, sowie die großen eher unförmigen Ohren ‚passen‘ – nach meinem Eindruck von dieser einen Fotografie – nicht wirklich.Die Kraft der Figur nimmt nach unten ab. Das soll ein „Masterpiece“ sein? Mein Gesamteindruck von der Figur ist einer von Disproportionalität, egal, nach welcher Norm bewertet. Waren mehrere Schnitzer an der Arbeit beteiligt?
Etwas zur Verwendung
Zur Figur no. 50 schreibt Gerhard Kubik, sie könne mit der Initiation der Mädchen in Verbindung stehen, ihre expressive Geste generell mit Fruchtbarkeitsriten. Die Figur könne aber auch aus dem Besitz eines traditionellen Heilers (ocimbanda) stammen und zur Prognose (divination) gedient haben, etwa ob die ratsuchende Frau schwanger sei, das Kind Junge oder Mädchen sein werde oder andere intimere Themen. Sie könne auch auf ‚Verschreibung’ des Heilers hergestellt sein. (p.162, übersetzt)
Der Kontext der Initiation ist dank der Forschungen von Marie-Luise Bastin am besten bekannt, aber die Sphäre der traditionellen Heiler und die ihnen anvertrauten Beschwerden und Probleme sind ebenso wichtig. Der Einsatz der Figuren ist also so offen und vielfältig, wie wir es aus ganz Afrika hören.
Die No. 50 und Sonderfall Mädchen-Initiation
Marie-Luise Bastin berichtete im Aufsatz ‚Ukule’ 1986 aus intimer Kenntnis über die Reaktion einer Ovimbundu-Familie auf die erste Menstruation einer Tochter. Das Thema war ausschließlich Frauensache. Eine sich über Monate hinziehende Kette von Events mündet in einer vorbesprochenen Eheschließung und war ganz pragmatisch auf die optimale Vorbereitung von Mädchen – und der Jungen – auf eine erfolgreiche Schwangerschaft fokussiert. Noch die krudesten Details – die Bewahrung des grauen Eis beim ersten Eisprung, die Kraftorte im Busch und an bestimmten Wegkreuzungen – generell die Verbote und Pflichten, die Anforderung quasi endloser Geduld und dann wieder die Überforderung, die Mischung von Einschüchterung und Huldigung – alles das erschien mir 2014 als genialer Kanal, um die Pubertätswirren und ‚Versuchungen’ drastisch abzukürzen. Erdheims Idee der ‚kalten Gesellschaft’ ließ grüßen.
Es liegt Klugheit darin, die Braut für den ebenso unerfahrenen Bräutigam so attraktiv wie möglich zu machen. Die Maßnahmen reichen von der Dehnung der Schamlippen und der Einübung des Tanzes, womit der Koitus erklärt wird, bis zur Entjungferung mit einem Dildo durch die Initiations-Patin der Braut, in der Regel eine Hebamme oder Großmutter. Die logische Kohärenz der Darstellung überzeugte mich.
(Bastins Text lag mir als Auszug aus Arts d’Afrique Noir no.57: 15.30 vor) Quelle : Marie-Luise Bastin „Ukule“ (LINK = https://ler.letras.up.pt/uploads/ficheiros/7887.pdf)
Divergierende Ansichten unter Akteuren über zielführende Schönheit
Manuel Jordan gab 1998 bei Prestel den Katalog „Chokwe! – Art and Initiation Among Chokwe and Related Peoples“ für drei amerikanische Museen heraus. Unter ausdrücklichem Dank an Marie-Luise Bastin als Inspirationsquelle (p.78, Anm.1) berichtete Elizabeth L. Cameron in ihrem Beitrag „Potential and Fulfilled Woman…“ von den gleichen Praktiken bei den Lunda und Luvale in Zambia: Frauen und Männer seien sich einig, dass die ideale Frau eine Mutter sei und weibliche Schönheit zur Mutterschaft führen solle, sie hätten aber unterschiedliche Vorstellungen, wie das Ideal durch die Initiandinnen selbst, die öffentlichen Maskeraden und Figuren zur Anschauung zu bringen sei. Die Frauen, welche die die Initiation kontrollierten, verhandelten darüber zum Beispiel mit den männlichen Schnitzern und konnten die nach deren Vorstellungen entstandenen Figuren auch ablehnen. (p.83)
Cameron erwähnte, dass die Maskentänze „alle weiblichen Charaktere“ einschlössen. Sie nennt namentlich auch „Mwana Pwo“, die von den Chokwe her bekannte würdevoll auftretende Frauenmaske, und Männer- und Tiercharaktere, namentlich „Chileya (the fool)“ und „Ngulu (the pig)„, ebenso unterhaltsame wie negative Charaktere, die sich würdelos benehmen und das Publikum zum Lachen reizen. (p.83) Ich liebe die „Ngulu„, weil ihre Maskenköpfe so phantasievoll und heiter gestaltet sind! (LINK), doch das ist mein privates Vergnügen.
„Mwana Pwo“ weist in die entgegengesetzte Richtung. Die von ihr repräsentierte Norm der voll in die Gemeinschaft integrierten Frau, der ihrer weiblichen Rolle stets bewussten Mutter können auch wir bei der ästhetischen Beurteilung unterschiedlicher Frauenfiguren der Ovimbundu und ihrer Nachbarn berücksichtigen.
Unter der Überschrift „Art and Life: Fulfilled Adults“ versammelt der Katalog ab Seite 155 unter den Bildnummern 104, 107, 109, 110, 111, 112 weibliche Wahrsage- und Ahnenfiguren der Songo, Chokwe, Ovimbundu und Shinji, die eine gestreckte erwachsene Gestalt haben und deren Arme auf dem Bauch oder über der Brust liegen.
Die 43 cm hohe (meine zweite 48 cm) stilisierte Figur der Songo Nr. 104 „beherbergt den Ahnengeist einer Person von hohem Status oder eines Heilers. Die leicht gebeugten Knie und die Geste aufgerichteter Arme spiegeln das „Leben“, die agency und die dynamischen Qualitäten des Ahnengeistes wieder.“
Die kleine Figur Nr.107 der Chokwe „aus dem 19.Jahrhundert“ hat ein ähnliches Gesicht, einen kantigen Schultergürtel, legt auch die Hände flach auf das Schlüsselbein, ist mit Schmuck reich ausgestattet und einem groben Rock versehen. „Das Loch an der Stelle des Nabels war einmal mit Substanzen gefüllt, die des Ahnen übernatürliche Kräfte engagieren sollten.“ Der niedrige Sockel mit den flachen großen Füßen ist vertrauenswürdig, aber unauffällig.
Nr. 108 ist eine ebenso hohe (44cm) hohe Ovimbundu-Mutter-und-Kind-Figur von „vor 1910“ mit ausgearbeiteter Frisur, in sich gekehrtem Gesicht, Ohrschmuck am Ohrläppchen, kräftigem Hals, zartem Oberkörper und stämmigen leicht gebeugten Beinen. Die helle Nacktheit könnte sich einer Reinigung in Europa oder Amerika verdanken. Im Begleittext wird „die wesentliche Rolle der Frauen als Lebensspender“ um den Aspekt erweitert, „damit die Kontinuität und Prosperität der Gemeinschaft zu sichern“.
Die kleine Chokwe-Frauenfigur Nr. 112 aus dem 20. Jahrhundert ist formal interessant durch ihre Haltung, die ‚erwachsenen‘ Proportionen des Körpers (Bauch, Po) und die besonders kräftigen Beine, die in einem stilisierten Fußblock enden. Den Schmucknarben auf dem Bauch werden neben „symbolischen Assoziationen“ auch „taktil spürbare Qualitäten“ zugeschrieben, welche „die sexuelle Stimulation fördern“.
Mein Exemplar von 2014:
Bald fand ich meine erste Figur zumindest ambivalent. Heute frage ich mich: Dürfte die kindliche Initiandin die aufwändige Zopffrisur – übrigens das international bekannte ‚Markenzeichen‘ der Ovimbundu-Figuren – überhaupt schon tragen? Wäre das ein Thema für den erwähnten Streit über ‚zielführende Schönheit‘ gewesen? Auf jeden Fall ist sie erfolgreich im Sammlermarkt. Typisch: Glanzpatina, Kindchenschema, ’naive‘ Polsternagel-Augen – und hier ein mit Harz gestopfter durchgehend breiter Schwundriss.
Eine weitere 2014 angebotene Figur :
‚Große Politik‘ und Objektbiografien
Diesen Punkt möchte ich nicht übergehen, auch wenn der Nachbarstaat Zambia (Wiki) mit Angola (Wiki) nicht gleichzusetzen ist: Dort begann 1961 der bewaffnete Widerstand gegen die Kolonialmacht Portugal, woran sich im Zeichen des Ost-West-Konflikts bis 2002 ein katastrophaler Bürgerkrieg anschloss.
Wurden Zeichen von Krise und Krieg in der Feldforschung nicht sichtbar?
Das Streben nach ungebremster Vermehrung der eigenen Gruppe lässt sich als Reaktion auf Krise, Unterdrückung, Krieg und Entvölkerung lesen. Alisa La Gamma hat in dem prächtig aufgemachten Katalog „Kongo – Power and Majesty“ (MET, N.Y. 2015) auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht – doch allein im Kontext des Sklavenhandels früherer Jahrhunderte und mit kunsthistorischem Fokus (LINK).
Die oben geschilderten moralischen Standards und ihre pragmatische Durchsetzung mögen uns in ihrer scheinbaren Stringenz beeindrucken, aber die praktische Konsequenz dieser Einstellung ist der Gebärzwang für junge Frauen, der von den Familien nicht nur auf dem flachen Land noch immer nach Kräften durchgesetzt wird. Zudem ist sie ein treibender Faktor des immensen Bevölkerungswachstums in Afrika.
Sammler werden gewöhnlich „nach dem Alter“ ihrer Stücke gefragt.
Die Fragenden geben sich dann scheinbar mit der Angabe einer Zeitspanne zufrieden oder fragen verunsichert nach ‚Restitution‘. Mich würden die ‚Objektbiografien‘ wirklich interessieren.
Hält die attraktive ‚Lebendigkeit‘ meiner Neuerwerbung an? Ich versehe meine Argumente am Ende vorsichtshalber mit Fragezeichen:
Zählen die kunstvollen Frisurlinien vor dem ovalen Schopf? Die sorgfältige souveräne Arbeit?
Das Gesicht mit hochgezogenen Augenbrauen und den schräg blickenden Mandelaugen und dem unter der steilen Nase spöttisch (?) gespitzten kleinen Mund? Die zur Geste auf die Brust gelegten Hände mit den unübersehbar langen Fingern? Eine mächtige Ahnfrau?
Der Kontrast von zarten Armen und stilisierten Schultern einerseits, dem stämmigen und zugleich dynamischen Unterbau, der mit großen Füßen verlässlichen Stand?
Die ungewöhnliche Schwere (2040g) und Stabilität der Skulptur, die bei jedem In-die-Hand-nehmen wieder spürbar ist?
Scheinbar fehlende Schwundrisse? Kurze schmale existieren unauffällig gefüllt an der linken Wange und auf der rechten Stirn. Die Löcher in den Ohrläppchen sind ausgeleiert.
Die kontrastierende Leichtigkeit der angehängtenOhrringe oder die Solidität der Umwicklungen aus oxydiertem Kupferdraht? Vielleicht gar der sich ausbreitende Grünspan?
Und ich frage mich am Ende: Ist sie ’sehr alt‘ oder nur ‚gut‘?
Fr. den 27.10.2023