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21. Januar 2023

Religion und Rechtgläubigkeit – koloniale Kommunikation in Belgisch-Kongo – Kimbangismus

Wyatt MacGaffey: Kimbanguism & the Question of Syncretism in Zaire (1994) – deutsch.   mit 4 Abb.

Den Aufsatz habe ich in einem Sammelwerk mit dem treffenden Titel „Religion in Afrika . Erfahrung und Ausdruck“ (Religion in Africa – Experience and Expression, ed. Blakely et al., pp. 240-256 – 1994) gefunden. Wyatt MacGaffey stellt darin Entwicklungen und Taktiken konkurrierender Erweckungskirchen in der Nachfolge des ‚baptistischen’ Religionslehrers, Propheten und schließlich Märtyrers Simon Kimbangu (1887 oder 1889 bis 1951) vor, auf dem Hintergrund der Fremdherrschaft und der resultierenden gestörten Kommunikation zwischen Europäern und Afrikanern in der Kolonie. Ich übersetze (Kursivdruck) Mac Gaffeys Darstellung in gestraffter Form  und  versuche  die Klarheit seines Konzepts nicht durch eingefügte Kommentare zu verwischen.

(LINKs zu Kimbangu: de.wikipedia  und Blogbeitrag von 2016)

 

Einstieg: „Mensch sein heißt, Synkretist zu sein“ (Pye)

Große Frage: Ist diese Einsicht inzwischen gesichertes Gemeingut oder 2023 bereits wieder durch den Furor identitärer Brandstifter infrage gestellt?

 

(241) „Obschon das Wort „synkretistisch“ oft auf Religionen angewandt wird, ist über seine Ursprünge und Besonderheiten kaum nachgedacht worden. Der Begriff ist zwar mehrdeutig, da damit eine Religion oder religiöse Situation bezeichnet wird, welche heterogene, ungleichartige Elemente kombiniert. Andererseits stützt sich aber jede Kultur und erst recht jede Religion fortwährend auf fremde Elemente. Michael Pye zitiert eine Studie über Synkretismus von J. H. Kamstra und stellt fest, dass „Mensch sein heißt, Synkretist zu sein“, aber dass „die meisten Absolventen eines Religionsstudiums stark vom Christentum beeinflusst sind und dazu neigen, Synkretismus als unerlaubte Kontamination anzusehen, als Drohung oder Gefahr, als Tabu oder als Zeichen religiöser Dekadenz”.

Der wissenschaftliche Sprachgebrauch verbirgt somit ein negatives Urteil. “Synkretismus” ist zu einem abwertenden Begriff geworden, der nur auf Situationen anwendbar ist, die man missbilligt (Pye I97l: 83-93). Das fällt auch an der Geschichte europäischer Kommentare zum Kimbanguismus auf, einer der bekanntesten religiösen Bewegungen der Welt, die 1921 vom Kongo-Propheten Simon Kimbangu initiiert wurde. Die Region Unterkongo war ab den 1870er Jahren Gegenstand intensiver evangelischer und später katholischer Missionsarbeit und wurde1908 wurde in Belgisch-Kongo eingegliedert. Die Bewegung von 1921 weckte eine weit verbreitete Begeisterung in der Bevölkerung, wurde aber schnell von den Belgiern unterdrückt, die Kimbangu und seine Anhänger einsperrten. Die Unterdrückung dauerte bis 1959 an, als die Söhne von Kimbangu von der Regierung als Führer der „Kirche Jesu Christi auf Erden durch den Propheten Simon Kimbangu“ (EJCSK) anerkannt wurden. Obwohl die EJCSK die größte ist, ist sie keineswegs die einzige Kirche, die Anspruch auf das spirituelle Erbe von Kimbangu erhebt.

 

So MacGaffey 1994. Eine ausführliche Aktualisierung und Ergänzung bietet der deutsche Wikipedia-Eintrag (LINK zu„Kimbanguistenkirche“ Stand 2022, auf den vergleichend einzugehen ich bisher nicht die Zeit hatte. (Der französische Eintrag ist inhaltlich dünn)

MacGaffey fokussiert nur die ‚wissenschaftliche’ Ebene, der Begriff “Wissenschaft” hat aber tiefere gesellschaftliche Wurzeln und Ausläufer. Die landläufige Vorstellung einer „unerlaubten“ Abweichung von einer wie auch immer vorgestellten „Rechtgläubigkeit“ speist sich aus einem sehr alten Argwohn gegen „Irrlehrer“, „Ketzer“ und „Sektierer“ und – seit der aufblühenden „Heidenmission“ im 19.Jh. – auch gegen die „Heiden“.

Mir sollte er vor siebzig Jahren bereits im Kindergottesdienst eingepflanzt werden. Mit Erfolg? „Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben“ schrieb mir mein entnervter Pfarrer in die Konfirmationsbibel. Wenn ich heute beim gelegentlichen Besuch katholischer Kirchen auf einschlägige Poster und Broschüren treffe, bin ich unangenehm überrascht.

Empörung und Abwehr werden auf jeden Fall aktiviert, wenn Massenmedien wieder ihre Reportagen aus Afrika mit Details über Megakirchen, Stretchlimousinen, betrügerische Heilsversprechen und „unappetitliche“ Praktiken aufpeppen. Man hat daran zu knabbern, , wenn man Praktiken und Lehren auf der Grundlage der von westlicher Erziehung und Leitmedien verkündeten Normen nur verabscheuen kann, angefangen mit „BILD“ über Sonntagsreden, moralisch empörte shitstorms , „Transparency International“ bis zum Strafgesetzbuch. MacGaffeys Argumentation kann vielleicht helfen, die Vorverurteilung so lange zu bremsen, bis man auch die Argumente der anderen Seite gehört und wahrgenommen hat.

 

Ausgangspunkt: Die gläubigen “Laien” aller Kirchen

 McGaffey wählt als lebenspraktischen Ausgangspunkt das ‘Fußvolk’ der Gläubigen in sozusagen allen Kirchen. Erst später, im Kapitel über die kongolesische Kirche EJCSK  werden ausgebildete Kirchenführer und Theologen stellvertretend in ihren „bürokratischen“ Interessen, Sorgen und strategisch gewählten Doktrinen vorgestellt.

(244) „Im Allgemeinen sind Gläubige, die keine Gelehrten sind, ihres Glaubens unsicher und in ihren Antworten auf Glaubensfragen widersprüchlich. Ihr Verständnis  für den “Sinn“ (meaning) ihrer Religion (…) schließt als wichtiges Element gewiss den Sinn für eine zufriedenstellende Kommunikation mit anderen im Ritual ein. Das Ritual selbst ist ein soziales Ereignis, findet in einem breiteren sozialen Kontext statt und setzt die Werte und Bedeutungen voraus, die das Gemeinschaftsleben an diesem Ort und zu dieser Zeit konstituieren. Zum Beispiel setzt es einen gewissen Ablauf der Woche oder des Jahres voraus (routine); eine bestimmte Verteilung/Zuweisung von Ressourcen; eine Teilung der gesellschaftlichen Arbeit zwischen Männern und Frauen, Erwachsenen und Kindern; und gemeinsame Gruppen visueller und verbaler Symbole, die diese Aufteilungen ausdrücken.“

MacGaffey fügt mit Edmund Leach (1954) die Alltagserfahrung hinzu: „Im Kontext ritueller Handlungen können zwei Individuen oder Gruppen von Individuen die Gültigkeit einer Reihe von rituellen Handlungen akzeptieren, ohne sich überhaupt zu einigen was in diesen Handlungen zum Ausdruck kommt“. (244)

O-Ton zur Überprüfung: „In general believers who are not scholars are uncertain of their beliefs and inconsistant in their responses to questions about belief. The sense they have of the „meaning“in their religion (…) certainly includs as an important element the sens of satisfactory communication with others in ritual. Ritual itself is a social event, takes place in an wider social context, and presupposes the values and meanigs constitutive of community life in that place and time. It presupposes, for example , a certain routine tot he week or the year; a certain allocation of ressources; a division of social labor between men and women, adulds and children,; and common assemblages of visual and verbal symbols, in which these distributions are signified.“ Und er zitiert die Feststellung des liguistic philosopher John R. Searle (1969): „ The parties to communication may not in fact share , „in their heads“, exactly the same sense what has been communicated“ (244) und ergänzt mit Edmund Leach (1954): „in the context of ritual action, two individuals oder groups of individuals may accept the validity of a set of ritual actions, without agreeing at all as to what is expressed in those actions“. (244)

 

Den ‚einfachen’ Gläubigen ist gemeinsam, dass sie von den Schriftgelehrten und Eingeweihten eingeschüchtert werden, aber ihrerseits die Fähigkeit besitzen, „ein hohes Maß an kognitiver Katzenmusik zu tolerieren“.(to tolerate high levels of cognitive kakophonie“) (244).

Unter den zur Askese befähigten Fachleuten (scholars) wird stattdessen in der permanent wiederholten Überwindung „kognitiver Dissonanz“ der Motor des wissenschaftlichen ‚Fortschritts’ gesehen.

Wir können die Richtigkeit von MacGaffeys Diagnose an uns selber überprüfen, wenn wir ‚unserer’ christlichen Religion nicht als studierte Theologen oder indoktriniert vom ‘Kleinen Katechismus’ begegnen. Straßeninterviews im deutschen Fernsehen zu religiösen Themen sind immer peinlich. Der soziale Kontext für die traditionelle westliche Religiosität ist schlicht verschwunden. Strategisch denkende konfessionelle Kirchenpolitiker wollen das bloß nicht zugeben.

 

Der bürokratische Kolonialstaat

Der Belgische Kongo war ein europäischer Kolonialstaat . Er war darin erfolgreich, die indigenen Institutionen zu benutzen und zugleich Differenz und Unterordnung aufrecht zu erhalten.

MacGaffey okkupiert dafür unnötigerweise den soziologischen Begriff einer „pluralistischen Gesellschaft“, der im allgemeinen Sprachgebrauch Europas eine ganz andere Besetzung hat; ich lasse ihn weg.

In einer Kolonie zu leben hieß – und heißt – für die Afrikaner, sich auf Dauer einer zweiten und mächtigeren Gesellschaftsordnung und Werteordnung anzupassen. Die Existenz der Kongolesen in zwei sich widersprechenden Systemen führt zu einer unaufhebbaren Ambivalenz.

Nur Ignoranten konnten jemals glauben, das afrikanische „Ja“ zu ‚christlicher Taufe’ und ‚Bekehrung’ unter den Bedingungen eines für uns unvorstellbaren Machtgefälles sei in der Regel eine spirituelle Entscheidung gewesen und von innen gekommen.

 

Das 1908 gegründete Belgisch-Kongo gliederte eine große Zahl indigener Gesellschaften in ein neues politisches Gefüge europäischer Bürokratie ein. Kimbanguismus entstand unter den Bakongo der atlantischen Küstenregion. Die Kongo-Gesellschaft war gekennzeichnet durch matrilineare Abstammung, eine Ökonomie der Subsistenzlandwirtschaft, die von einem beträchtlichen Handelsvolumen zwischen der Küste und dem Landesinneren überlagert wurde, und einer Kosmologie, in der der Einfluss der Geister der Toten auf die Lebenden durch Häuptlinge, Priester, Zauberer und Hexen vermittelt wurde. Institutionen dieser Art werden von Europäern nicht ohne weiteres verstanden. Sie erwarten, dass Anthropologen sie interpretieren.

Die Institutionen der Kolonie selbst waren ihnen relativ vertraut; Dazu gehörten das römisch-niederländische Recht, die kapitalistische Industrie, die bürokratische Regierung sowie das katholische und protestantische Christentum. Der bürokratische Sektor betrieb eine Politik sogenannter „indirekter Herrschaft“, sie bediente sich der ‚traditionellen’ Institutionen im Lande, soweit diese die soziale Anpassung der Bakongo an die Kolonialherrschaft im 20. Jahrhundert repräsentierten.

Festzuhalten ist nicht, dass sie “traditionell” waren, da sie es nicht mehr waren als die Institutionen des bürokratischen Sektors, sondern dass sie vom Kolonialregime aus politischen Gründen in ihrer Differenz und Unterordnung aufrechterhalten wurden.“

 

Enge Grenzen der Kommunikation

…. zwischen europäischen und indigenen Institutionen, Sprachlosigkeit und Missverständnisse zwischen dem weißem Kolonialpersonal und den Kolonisierten

 

(245)  Jede dieser Gruppen von Institutionen setzte eine eigene Kosmologie/Weltsicht voraus und verwendete ihre eigenen kulturellen Codes/Zeichensysteme. Der bürokratische Sektor basierte auf einem linearen Zeitkonzept und während der Kolonialzeit auf der Realität der Rasse. Die Kosmologie des tradierten afrikanischen Sektors setzte ein sich wiederholendes zyklisches oder spiralförmiges Zeitkonzept voraus und beinhaltete den Glauben, dass Schwarze, wenn sie sterben, nach Europa oder Amerika gehen, wo sie weiß werden und von wo sie vielleicht nach Afrika zurückkehren als Vorfahren oder Geister, für gute oder böse Zwecke. Die kulturellen Codes enthielten gegensätzliche Regeln über Dinge wie Gesten, soziale Vorrangstellung und angemessene Kleidung für Männer und Frauen; Wichtigstes kommunikatives Mittel war natürlich die Sprache, ob Französisch oder Kikongo, jeweils semantisch und praktisch eng an die jeweiligen institutionellen Sets gebunden. In keiner dieser Kosmologien sind Konzepte wie der unilineare Lauf der Zeit, die Realität der Rasse oder Europa als Land der Toten wissenschaftlich notwendig oder transzendent wahr. Aber in jedem Fall kann der Inhalt der Kosmologie mit der Organisation der Gesellschaft verknüpft werden, mit der zusammen sie die Erfahrung der Mitglieder prägt, “Vorstellungen von einer allgemeinen Daseinsordnung formuliert und diese Vorstellungen mit einer solchen Aura der Faktizität” umgibt, dass die Stimmungen und Motivationen, die sie festlegt, “einzigartig realistisch erscheinen” (Geertz 1966; MacGaffey 1978a). 

Doku.

(240):  Dies Grabkreuz mit dem Loch in der Mitte bezeichnet die Kreuzigung Christi nur am Rande, da ihn christliche Bakongo nicht als Opferlamm sehen, sondern als angesehenen Heiler und Mediator. Nach altem Glauben handelt es sich um das Wegkreuz. Ein Arm trennt das Diesseits vom Jenseits, der zweite bezeichnet den Weg der Macht zwischen den Welten, und das Loch in der Mitte bezieht sich auf das Grab selbst.

(246). Zwischen 1908 und der nationalen Unabhängigkeit 1960 wurden Bakongo schrittweise in den bürokratischen Sektor integriert. Sie wurden zum Christentum bekehrt, nach europäischer Art erzogen, zur Lohnarbeit angehalten und der Besteuerung unterworfen. Sie nahmen an Staat, Kirche und Industrie teil, jedoch auf einer völlig anderen Grundlage als die Europäer, und blieben in ihrem Privatleben den Kongo-Institutionen und Codes unterworfen, die die Erbfolge wie eheliche, zwischenmenschliche und lokale Beziehungen regelten. Das heißt, die Bakongo gehörten unter Kolonialherrschaft zwei Gesellschaften an, in denen „Bedeutung“ nicht nur in religiösen Angelegenheiten, sondern in allen sozialen in unterschiedlichen Sprachen (Kikongo und Französisch) und unterschiedlicher symbolischer Praxis ausgedrückt wurde.

Sobald Kikongo-Sprecher und Französisch-Sprecher nicht nur über die oberflächlichsten oder praktischsten Bedeutungen kommunizierten, war ein hohes Maß an Missverständnissen beider Seiten gegeben. Man entwickelte ein spezielles koloniales Vokabular, weder Französisch noch Kikongo, , um diese Nichtkommunikation zu überbrücken; in der Religion waren einige der nützlichsten Wörter nbngo, was für Europäer „heilig“ und für Afrikaner so etwas wie „Tabu“ bedeutete; sumuka, „sündigen“ oder „ataboo verletzen, verunreinigen“; nka.diampemba, „der Teufel“ oder „rachsüchtiger Geist“; und so weiter. Da Kommunikation ebenso sehr aus Interaktion, also Handlungen, einschließlich Rituale besteht, erstreckte sich eine ähnliche Mehrdeutigkeit auf alle institutionellen Kontexte, nicht nur auf Religion (Doutreloux 1967).

 Im Kolonialstaat, worin zwei getrennte Gruppen aufrechterhalten werden, von denen eine der anderen politisch und wirtschaftlich untergeordnet ist, wird sich diese Situation in den Köpfen der nachwachsenden Generationen ständig erneuern. Die Form dieser Beziehung blieb auch nach der Unabhängigkeit bestehen, obwohl sich die Klassenstruktur der Bevölkerung änderte: Die afrikanischen Vorarbeiter und Angestellten von Unternehmen, Missionen und Regierungen ersetzten die Europäer als Manager dieser Organisationen und damit des Staates. Inzwischen leben fast alle Zairer weiterhin nach zwei Regelwerken, bewusst und sichtbar getrennt; In allen öffentlichen Kontexten dominieren die Wahrheiten des bürokratischen institutionellen Rahmens die des üblichen Rahmens, die nur insoweit toleriert werden, als sie auf Französisch als den Kategorien der bürokratischen Welt entsprechend dargestellt werden können. (246)

 

In diesem sozialen Kontext ist der Kimbanguismus entstanden

(247) Die Religion unter den Kikongo sprechenden Völkern in Zaire kann schematisch als zwei überlappende Kreise B und C mit einem gemeinsamen Bereich X dargestellt werden. Die Sprache von B ist Französisch; und seine institutionelle Struktur, die sowohl der Sprache als auch dem Verhalten Bedeutung verleiht, ist “bürokratisch”. Die Sprache von C ist Kikongo, und seine institutionelle Struktur ist “customary”. Glaubenssätze und Praktiken, die in den gemeinsamen Bereich X fallen, können entweder auf Französisch oder Kikongo interpretiert werden und haben daher alternative Bedeutungen; Gegenstände, die zu B oder C gehören, aber nicht zu X gehören, sind solche, die ohne weiteres nur in Französisch bzw. in Kikongo beschrieben werden können.

Dok.

McGaffey Kimbanguism p.253

Dieser  Grabstein kombiniert ein christliches  Kreuz mit der indigenen Figur eines nkisi, der oft menschenartig ist mit einem Spiegel auf dem Bauch. (LINK) Im kongolesischen Denken wird weniger unterschieden zwischen belebt und unbelebt; ein nkisi  wird als belebter Agent angerufen, das Kraft zu heilen besitzt und andere Probleme lösen kann. Die Belebung des nkisi wird von den Bakongo der Anwesenheit der Toten in oder an der Figur (manchmal eines Ahnen) zugeschrieben.”

minkisi mit Spiegeln  c  Gv. – Sie werden von Kimbangisten abgelehnt.

 

 

 

 

EJCSK als Beispiel

für die Gratwanderung unabhängiger afrikanischer Kirchen

Wie wurde die messianistische Volksbewegung um Prophet Simon Kimbangu nach 1959 zu einer anerkannten Freikirche und sogar für Jahrzehnte zum Mitglied des internationalen Protestantismus? Wie konnte sie internationale Anerkennung erringen, aber ihren Rückhalt in der indigenen Anhängerschaft nicht verlieren?

Die erst 1959 legalisierte Kirche der Söhne des 1921 verstorbenen Propheten Kimbangu, EJCSK, hatte als Volksbewegung begonnen – in C zu lokalisieren – und hat sich seit ihrer Anerkennung zunehmend in Richtung B bewegt. Dies wurde weitgehend durch politische Erwägungen erzwungen und hatte sowohl ihre Kosten als auch ihre Vorteile. Die Führung ist sich der damit verbundenen Zweideutigkeiten bewusst, und ihr Propagandaapparat war außerordentlich erfolgreich darin, sie sowohl vor dem Kikongo- als auch dem französischsprachigen Publikum zu manipulieren. Diese Manipulationen sind gesellschaftlich und politisch notwendig und können weder auf theologische Ignoranz noch auf Unehrlichkeit reduziert werden. Betrachten wir ein konkretes Beispiel.

 

Die Regeln der Kirche (EJCSK n.d.) zusätzlich zu den Zehn Geboten

  1. Respektiere die Regierung (Römer 13:1-3).
  2. Liebe jeden, sogar deinen Feind (Matthäus 5:4345).
  3. Nicht rauchen, egal ob Tabak oder Hanf.
  4. Kein Alkohol.
  5. Kein Tanzen oder Teilnahme an Tänzen.
  6. Nicht nackt baden oder nackt schlafen.
  7. Kein Streit.
  8. Keine Verwendung von Zaubern oder Magie.
  9. Steuern zahlen.
  10. Hege keinen Groll.
  11. Jeder muss sein Fehlverhalten vor Zeugen zugeben.
  12. Die einzigen Lebensmitteltabus verbieten das Essen von Affen oder Schweinen.

 

Jeweils alternative Interpretationen

(248)   Alle diese Regeln können entweder in europäischer (frankophoner) oder afrikanischer (Kikongo) Begrifflichkeit als sinnvoll angesehen werden, aber einige passen viel leichter in die eine als in die andere, und die Bedeutung aller von ihnen ändert sich je nach Perspektive.

 Regel I, Respekt vor der Regierung, ist am wenigsten zweideutig und scheint Regel 9, Zahlung von Steuern, zu beinhalten. Tatsächlich ist die Besteuerung eine bürokratische Praxis, an die sich die Menschen in diesem Jahrhundert gewöhnt haben, die sie jedoch weiterhin ablehnen, allgemein (und mit einigem Recht), indem sie sie als Zwangsabgabe sehen, die der herrschenden Klasse zugute kommt; sie kontrastieren es mit persönlichen, “freiwilligen” Geschenken wie bei einem Häuptling oder Gönner.

Die Regeln 3, 4 und 5 entsprechen der protestantischen (baptistischen) Moral, sind aber auch in indigener Hinsicht sinnvoll; insbesondere Tänze werden nicht als an sich unmoralisch, sondern als Anlässe für Unmoral betrachtet.

Regel 8, gegen Magie, macht sowohl in europäischen Begriffen (“kein Aberglaube”) als auch in Kongo-Begriffen (“kein selbstsüchtiges Geschäft mit dem Okkulten”) Sinn.

Die Regeln 2, 7, 10 und 11 scheinen lediglich gute moralische Ratschläge zu sein, fallen aber durch ihre redundante Vielfalt auf. Tatsächlich sind sie aus der Bakongo-Perspektive Rezepte gegen Hexerei oder gegen die Einstellungen, aus denen Hexerei unbewusst entstehen kann.

Die Regeln 6 und 12 lassen sich auf Französisch nicht ohne weiteres rechtfertigen, und die Versuche der Kimbanguisten, dies zu tun, sind bemerkenswert unbefriedigend. Um nicht nackt zu baden oder zu schlafen, sagen Kimbanguisten, dass Personen des anderen Geschlechts am Badeplatz vorbeikommen oder das Haus Feuer fangen könnte, was den unvorbereiteten Schläfer dazu zwingen würde, sich der Öffentlichkeit auszusetzen. Soweit es sich um reale Gefahren handelt, ist jeder mit ihnen konfrontiert, und es gibt keinen Grund, warum vernünftige Vorsichtsmaßnahmen nicht in die Regeln der Kirche aufgenommen werden sollten. Mitglieder anderer Kirchen halten sich an die gleichen Regeln und erklären bereitwilliger, dass man in der reflektierenden Wasseroberfläche die Menschen der anderen Welt, „die Engel“, von denen einige vom anderen Geschlecht sind, sehen und von ihnen gesehen werden kann. Ebenso erwarten religiöse Menschen, dass sie im Schlaf von „Engeln“ besucht werden. Wie ein hochrangiger Geistlicher der “Kirche der Zwölf Apostel” über ein bemerkenswertes Erlebnis sagte: „Ich hatte mich gerade zum Schlafen hingelegt, als der Engel des Herrn in einem großen Funkenregen vor mir erschien; zum Glück trug ich eine gute Unterhose”. In Kikongo sind diese „Engel“ die Toten (bafwal).

Regel 12. Das Tabu gegen Schweinefleisch wird von Kimbanguisten unterschiedlich erklärt, basierend auf dem mosaischen Gesetz, der Geschichte des Gadarene-Schweins, den schmutzigen Essgewohnheiten von Schweinen oder dem Risiko von Parasiten und Krankheiten. Die Unzulänglichkeit dieser Erklärungen ist offensichtlich. Der wahren Argumentation am nächsten kommt die Geschichte vom Gadarene-Schwein, in das böse Geister vor Jesus flohen; Hausschweine sind beliebte Aufbewahrungsorte, in denen Hexen die Seelen ihrer Opfer einsperren, und Hausschweine zu essen bedeutet, die unfreiwillige Teilnahme an Hexenfesten zu riskieren.

3) Eine Legende der Kongo unterstellt Hexern, sie hätten ein kannibalisches Fest im Sinn, wenn sie von Schweinefleisch essen reden.

Kimbanguisten dürfen Wildschweine essen. Ebenso wie mir das Oberhaupt der Kirche, Joseph Diangienda, erklärte: “Es gibt zwei Arten von Affen; eine davon ist verboten, aber die andere können wir essen.” Er ging nicht näher darauf ein, aber Andersson erklärt, dass die Makaku- (oder Nsirut-) Affen in Banden leben, während Nsengi-Affen paarweise als Mann und Frau gehen und vermutlich verkleidete Menschen sind (bituzi) ( Andersson 1958:176). Kimbanguistisches theologisches Rechnunglegen ist nicht nur eine Frage (unredlicher) doppelter Buchführung. Die Kirche muss ja an einer oder gar beiden institutionellen Gruppen teilnehmen. Jede verlangt die Anpassung der Organisationsform und -praxis, ebenso wie des Verhaltens und der Sprache.

 

Ambivalentes, anrüchiges „Abendmahl“

(249). Damit EJCSK überleben konnte, musste die Kirche eine bürokratische Struktur, ein Steuersystem, ein Schulsystem und verschiedene formelle Glaubensbekenntnisse entwickeln. In jüngerer Zeit haben die Erwartungen der Protestantischen Theologie, von denen die internationale und lokale Unterstützung der Kirche in gewissem Maße abhängig ist, sie dazu gedrängt, einen Abendmahlsgottesdienst einzuführen, der erstmals im April 1971 gefeiert wurde. Ein solcher Schritt konnte ihr teuer zu stehen kommen, wenn er gegen gängige Vorstellungen verstieß. Wie Andersson erklärt, ist die Kommunion selbst in ihrer Baptistischen Form (eher als Gedenken als als Sakrament) unvereinbar mit populären Vorstellungen von Sünde, Gnade und Erlösung, auch wenn sie in den Missionskirchen zu finden sind (Andersson 1968: 148-153, 169 – 171). Für das Volk ist das Reich Gottes „auf Erden“ eine Frage der Freiheit Leiden. Leiden wird verursacht, wenn man kultische Vorschriften bricht oder durch Hexerei, obwohl orthodoxe Protestantische Pastoren sich große Mühe geben, ihre Gemeinden davon zu überzeugen, dass Leiden tatsächlich von „Satan“ verursacht werde, der zu einer Art Allzweckhexe geworden ist. Selbst innerhalb der Missionskirchen wird die Kommunion oft als Prüfung (ordeal) betrachtet, um Hexen aufzuspüren und zu bestrafen, und wie alle ‚Gottesurteile’ können Geistliche sie missbrauchen, sollten sie selbst Hexen sein. 1966 haben einige Bakongo-Pastoren, einflussreiche Verteidiger der Missionsorthodoxie gegen alle Formen des Prophetentums, das Abendmahl als ein für das wahre Christentum unnötiges Stück europäischer Kultur bezeichnet,das in Zeiten zunehmender Unabhängigkeit von missionarischer Kontrolle abgeschafft werden sollte.

Die Einführung der Kommunion durch die EJCSK musste daher sorgfältig vorbereitet werden. Im Bereich des bürokratischen Diskurses gab die Kirche zunächst eine theologische Erklärung ab, verfasst vom Generalsekretär. Weniger leicht verständlich für den ausländischen Beobachter war die einmalige Durchführung eines besonderen Vorbereitungsrituals, bei dem M. Diangienda selbst oder einer der Priester (sacificateurs) jeden Gläubigen auf der Stirn mit dem Zeichen des. Kreuz in Nkamba-Wasser „versiegelte“ (Martin 1975:161,179-182). Außenstehenden wurde keine Erklärung für den Ursprung des Rituals zur Verfügung gestellt, aber diese Geste katholischen Ursprungs wird von Diangienda seit langem als Segen verwendet und im Volksmund als auf die “Lusunzi” [ Seele oder Lebenschance] segensreich des Empfängers verstanden. ….Bis 1980 wurde die Kommunion nur zweimal gefeiert.

Nach 1960 verlor die Kirche einen Großteil ihrer Unterstützung durch die Bevölkerung, indem sie ekstatische und heilende Praktiken einschränkte, die mit ihren organisatorischen Bedürfnissen nicht vereinbar waren; die Leute fingen an zu sagen, dass es nichts als eine weitere Missionskirche sei.

 

Die Exerzitien

1972 führte EICSK in dem Bemühen, seine spirituelle Vitalität und Disziplin zu erneuern, eine neue Observanz ein – die Exerzitien. Für diese neue Institution, die auch Kimbangu vorausgesagt haben soll, wurden biblische Präzedenzfälle angeführt. Retreats fanden tief im Wald oder an einem anderen von Ablenkungen freien Ort statt.

(250) Kimbanguisten waren angeblich ein Leben lang verpflichtet, daran teilzunehmen, aber Mitglieder anderer Kirchen und Glaubensrichtungen waren willkommen. Ein Retreat dauerte von Dienstag bis Samstag und war geprägt von häufigen Gebeten, einem dreitägigen Fasten, Bibelstudium, Sündenbekenntnis und anderen Übungen, von denen erwartet wurde, dass sie den Kontakt mit dem Heiligen Geist erneuern, wie in den alten Tagen in Nkamba im Jahr 1921. Jede Nacht schliefen Männer und Frauen getrennt in ihrem Lager im Wald, und neun Männer und neun Frauen (oder 3, 5 oder 7, aber keine gerade Zahl) wurden zu Wachen ernannt, die abwechselnd die ganze Nacht über beteten. Den ganzen Vormittag über wurden öffentliche Beichten abgehört, und dann gingen die Teilnehmer in ungeraden Zahlen noch tiefer in den Wald, um zu beten und Hymnen zu singen. Jeder brachte das Opfer, mindestens einen Tag lang nichts zu essen, zu trinken oder sich zu waschen, manche sogar zwei oder drei. Ab und zu wurde jemand besessen und rannte kreischend zu einem der Pastoren, um etwas zu beichten, was er oder sie verschwiegen hatte; Nicht zu gestehen bedeutete, eine Geisteskrankheit oder sogar den Tod zu riskieren. Im Wald begannen die Menschen Visionen zu sehen: „Der gekreuzigte Christus, oder Sie könnten ein riesiges Auge sehen, das vielleicht das Auge Gottes war, wir wissen es nicht“. Die Leute sprachen in fremden Sprachen wie Englisch, die für andere verständlich waren, aber nicht für den Sprecher. Die Visionsberichte wurden aufgeschrieben und an die Zentrale der Kirche übermittelt. Die Institution der Exerzitien zeugte von der Fähigkeit der Kirche zur anpassungsfähigen Erneuerung, brachte aber auch ihre eigenen Risiken mit sich. Je näher die Kirche der Energie kam, die in den wahren Authentizitäten der indigenen Kultur eingeschlossen war, desto schärfer wurde zwangsläufig ihre Rivalität mit konkurrierenden Systemen spiritueller Führung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Umgang mit Magiern und der Rückgriff auf Zauber („Fetische“) wichtige und häufige Themen der Geständnisse /öffentlichen Beichten waren (MacGaffey 1976:4043).

 

Die Rituale prophetischer Kirchen generell

In Zaire, wie auch in weiten Teilen Afrikas von Nigeria bis zur Republik Südafrika, zeigen die Rituale prophetischer Kirchen gewöhnlich zwei Phasen (siehe Kiernan 1976: 356-366). Die erste Phase besteht aus einem gewöhnlichen protestantischen Gottesdienst: Hymnen, Gebete, Bibellesung und Predigt.

Die zweite Phase, die durch das Erscheinen des Propheten selbst und durch andere personelle, musikalische und räumliche Veränderungen gekennzeichnet ist, ist spezifisch prophetischen Aktivitäten gewidmet und sehr zweideutig. Zu den üblichen prophetischen Aktivitäten gehören orakelhafte Vorhersagen und Offenbarungen (lmbikudulul), ekstatische Manifestationen, Segnungen als Prophylaxe, spirituelle Heilung, „Krieg“ mit feindlichen Geistermächten und insbesondere in Ngunzistischen (DMN)-Kirchen eine Form der spirituellen Prüfung und Bestätigung, die unter dem französischen Wort „Bascule“ [Wiegen] bekannt ist (Janzen und MacGaffey 1974, Nr. 48). All diese Praktiken sind durch Bezugnahme auf biblische Texte gerechtfertigt, genau wie die Praktiken der amerikanischen protestantischen (evangelikalen) Kirchen. Die Teilnehmer verstehen sich als Protestanten oder Katholiken.

…….

Auf Mac Gaffeys anschließende Thematisierung der konkurrierenden kimbangistischen DMN-Kirche und weiterer Kirchen auf den Seiten 251-256 muss ich heute verzichten.     25.1.2023

 

 

 

 

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