Wyatt MacGaffey (1998) über Minkisi :”Magie, oder …. Kunst” – deutsch

|

Magic, or as we usually say, Art – A framework for comparing European and African art

in: „THE SCRAMBLE FOR ART IN CENTRAL AFRICA“ . EDITED BY ENID SCHILDKROUT AND CURTIS A. KEIM, Artes Africanae, Cambridge University Press 1998

WYATT MACGAFFEY VERSPRICHT EINEN “RAHMEN, UM EUROPÄISCHE UND AFRIKANISCHE KUNST ZU VERGLEICHEN”. ER BETITELT IHN „MAGIE, ODER WIE WIR GEWÖHNLICH SAGEN, KUNST “.

Der Aufsatz vermittelt bahnbrechende Einsichten. Doch mit der Übersetzung tat ich mich schwer. Lag es am Satzbau des Originals? Ich entschied mich für eine gestraffte und gekürzte Fassung  29.12.22

Ich beginne mit MacGaffeys 7.Kapitel, wo er Komposition und Wirkung eines nkisi der Bakongo-Völker behandelt. In einem bereits früher vorgestellten  Essay  (LINK)  wurde der Anteil der Sprache mit dem Ausdruck „Symbolik“ nur angedeutet  (33L).   29.12.202

SPRACHE UND VISUELLE WIRKUNG DER ‘MINKISI

MacGaffey:

Ich bin der Meinung, dass Kultur unübersetzbar ist, aber ich befürworte keinen einfachen Relativismus. Kulturelle Elemente in ihren Ähnlichkeiten und Unterschieden zu vergleichen, soll zeigen, warum eine Übersetzung unmöglich ist, aber auch unser Verständnis von ihnen fördern.

Zur kulturell geführten Begegnung mit Kunst, wie zur Begegnung von Bakongo mit ihren minkisi (plural von nkisi) gehört die Überzeugung, dass der Betrachter eine unsichtbare spirituelle Präsenz erfährt, dass er etwas sieht, das nicht da ist. In beiden Fällen besteht die kulturelle Führung zum Teil aus Wörtern, die im Fall von Kunst vom Etikett, dem Katalog und dem Kritiker bereitgestellt werden. Im Fall der minkisi ist die Beziehung zwischen Wort und Bild viel intimer als die zwischen dem künstlerischem Bild und seiner Etikettierung. Während beispielsweise in einem Gemälde kein Zeichen wie ein Buchstaben isoliert werden kann, weil die Bedeutung etwa eines Farbflecks von seinen Beziehungen zu allen anderen in einem zusammenhängenden Feld abhängt, verwendet sein Etikett oder Titel die Buchstaben des Alphabets.

In dieser Hinsicht möchte MacGaffey einen nkisi eher mit einem Text vergleichen als mit einem Gemälde, einer Skulptur oder selbst einer Collage. Er illustriert seine Feststellung am Beispiel des Fetisch LUKANGA – der von einem Heiler (nganga) geführt – im Auftrag von Geschädigten Gerechtigkeit übt :

doku

“… Commented by Themselves”   c 1991 folkens museum-ethnografiska, Stockholm Lunkanka,Nganda  no.1954.1.2338  p.124-27

Nkisi lunkanka hat die Form einer anthropomorphen weiblichen Figur mit Affengesicht, die mit vielen Dingen behängt ist. Die Figur selbst hält ihre Hände in der Geste sa ntaala an den Kopf, um denen zu ähneln, die ihre Trauer über Lunkankas Opfer zeigen werden. Die Figur befindet sich in einer knienden Position, um an eines Tabus der nkisi zu erinnern: “Wenn derjenige, der nkisi trägt, hinfallen sollte, musste er dort  auf den Boden knien und salutieren und sagen: ‘Ich knie zur Entschuldigung, ich knie wie eine Ziege [wie bei einem Häuptling]. …’ Unter Lunkankas Anhängseln befindet sich ein Fragment der Giftrinde nkasa, das jemand an Lunkanka befestigte, „damit die nkisi diejenigen in ihrem Dorf ergreifen könnte, wo sie den Vorwurf der Hexerei gegen ihn verabredet hatten”. Der Geschädigte hatte die Giftprobe überlebt und war für unschuldig befunden worden; seine Ankläger weigerten sich jedoch, ihm eine Entschädigung zu zahlen. – Diese Schnipsel sind nur Beispiele dafür, was man schreiben könnte, um zu erklären, was Bakongo in nur einem nkisi gesehen haben; bereits zu viel für ein Etikett oder sogar für einen Katalog.

Diesen ‚Text’ kann der Bakongo ‚lesen’, aber zugleich wirkt der Nkisi/Fetisch durch seine Ausstrahlung:

Andererseits zeigte ich (McG) Studentengruppen Bilder von sehr unterschiedlichen Exemplaren und fand es interessant, wie oft ihre Kommentare unwissentlich die von den Machern dieser Fetische beabsichtigten Metaphern erkannten.  Angesichts der Menge des an den Figuren befestigten Eisens sagten einige, dass sie beschwert oder belastet zu sein schienen – was genau richtig ist: Man glaubt, dass minkondi Brusterkrankungen wie Lungenentzündung verursachen, die einem das Gefühl geben, eine große Ladung Brennholz zu tragen. Der nkisi Ankondi im Folkensmuseum, Stockholm – Zugangsnummer 1919.1538  –  bestand aus einer Figur, die ursprünglich eine kleine Ladung Holz trug. – Es kann daher ausreichen, der bevorzugten Herangehensweise des Kurators eines Kunstmuseums zu folgen und das Bild für sich sprechen zu lassen.

 

 

Magische Objekte der Bakongo – Probleme bei der Verwandlung in Kunst

MacGaffey:

Was geschieht mit solchen magischen Objekte bei der  Anerkennung als „Kunst“ in einem neuen Kontext?  ( Auszug aus Kapitel 4 )

Wenn wir sie als Kunst  aneignen, ersetzen wir notwendigerweise  alte Wörter durch solche, die das Objekt im kognitiven und moralischen Universum des Betrachters neu klassifizieren. Ein Beispiel ist die aktuelle Bevorzugung des Begriffs „Kraftobjekt“ (‚power object’) anstelle des traditionellen „Fetisch“. Das Ziel ist lobenswert, aber wie viel Text brauchen wir dazu? Wieviel Neuorientierung passt auf ein Etikett? Was bedeutet überhaupt “Kraftobjekt”?    228 / 229

Der Begriff “power” (Kraft/Macht) ist vage genug und impliziert richtigerweise, dass ein nkisi etwas tun soll. “Objekt“ ist jedoch irreführend, wenn wir etwas von dem vermitteln wollen, was der Bakongo in einem nkisi gesehen hat.

Nkisi ist eine von vier Kategorien, die die religiöse Praxis des Kongo strukturieren. Die anderen drei sind Geist, Ahne und Naturgeist. Alle vier sind Persönlichkeiten aus dem Land der Toten. Ein Nkisi in seiner Holzfigur, seinem Stoffbündel oder Tontopf ist ebenso eine Persönlichkeit wie ein Vorfahr in seinem Grab. Die Einweihung eines Experten (nganga) in die Arbeit mit einem nkisi ist sehr ähnlich der Amtseinführung eines Häuptlings, der den Vorfahren seines Clans geweiht ist. Tatsächlich wurden Häuptlinge im 17. Jahrhundert minkisi genannt. Einmal komponiert, verpflichtet der nkisi die Menschen dazu, sich ihm gegenüber in einer den Häuptlingen angemessenen Weise zu verhalten; der große Loango nkondi, Mangaaka, wurde wie ein Häuptling in einer Sänfte getragen. Andererseits wurden Häuptlinge in gewisser Weise so behandelt, als wären sie Objekte. Der Ausdruck koma nloko, „einen Fluch nageln“, beschreibt Anrufungen, die entweder an einen Nagelfetisch oder an einen Häuptling gerichtet sind. Alle Personen, sowohl minkisi als auch gewöhnliche Menschen, bestehen aus einer Art Körper und einem belebenden Geist, der durch geeignete Verfahren in einen anderen Körper überführt werden kann (MacGaffey 1986). Nsemi Isaki schrieb diesen Bericht über minkisi in der Sprache Kikongo um 1915:

Das nkisi lebt; wie sonst könnte es Menschen helfen und sie heilen? Aber das Leben eines nkisi unterscheidet sich vom Leben der Menschen; es ist so, dass man sein Fleisch beschädigen, verbrennen, zerbrechen oder wegwerfen kann, aber es wird nicht bluten oder schreien. Trotzdem glauben die Magier, dass ein nkisl Leben besitzt, weil es Krankheiten aussaugt, wenn es eine Person heilt. In diesem Sinne glauben sie, dass ein nkisi unauslöschliches Leben hat, das aus einer Quelle kommt. Wenn ein nkisi seine Kraft ausüben möchte, schlägt es die Menschen, bis ein Hohepriester es, sein nkisi, anfleht; dann wird es aufhören. (Janzen und MacGaffey 1974:35)

Diese Denkweise ist sehr primitiv, gewiss.  Ist nicht eine der Grundannahmen des rationalen Denkens, dass Menschen und Gegenstände nicht verwechselt werden dürfen?

Eine interkulturell faire Sicht auf Machtobjekte verlangt von uns, zu beachten, dass wir diese Annahme in unserem eigenen Zugang zur Kunst tatsächlich nicht eindeutig erkennbar iwerden lassen (MacGaffey 1990). Kunstobjekte sind mehr als nur Objekte. Kritiker haben den quasi-religiösen Status von Kunstwerken als Verkörperung spirituellen Wertes und den Platz des Museums als Nachfolger des städtischen Tempels angemerkt. Unser Verhalten in einer Galerie beinhaltet eine Art Ehrfurcht, die beispielsweise in einem Baumarkt nicht angebracht wäre.    229 / 230

Damit der Betrachter anfangen kann zu verstehen, was der Bakongo in dem nkisi gesehen hat, wäre nicht nur eine Beschreibung des kulturellen Kontexts des Kongo nötig, sondern, um fair zu sein, eine ähnliche Beschreibung auch der Museumserfahrung. Das, was die Eingeborenen (natives) über Minkisi denken, ist anthropologisch nicht bemerkenswerter als das, was wir –  andere Eingeborene – über Kunst denken. In beiden Fällen jedoch ist die subjektive Erfahrung des Eingeborenen, geleitet von kulturellen Erwartungen und Praktiken, real und mächtig.

Da ich bezweifle, dass ich all dies auf ein Etikett packen kann, stelle ich mich widerwillig auf die Seite des traditionellen Kurators: Sobald ein Objekt als Kunst angeeignet wurde, vorzugsweise auf ehrliche Weise, können sein ursprünglicher Kontext und seine visuelle Wirkung nicht mehr wiederhergestellt werden und sind möglicherweise irrelevant.

 

Aus dem Fazit in Kapitel (8): ‘Wie du mir, so ich dir”

Wenn ein Bakongo 1905 sich eine Weinflasche aus grünem Glas aneignen konnte, um daraus ein magisches Werk, nkisi Nkondi a Mungundu, zu machen, ist es nur angemessen, dass wir uns revanchieren, indem wir das Ergebnis als Kunst anerkennen.

Eine letzte Bemerkung: Ich habe den Kontrast zwischen europäischen und Kongo-Kunstobjekten zu stark vereinfacht, indem ich implizierte, dass alle Kongo-Objekte, die wir als Kunst betrachten, in rituellen Kontexten hergestellt wurden, obwohl dies nicht der Fall ist. (…) Nicht alle Kunst ist Magie, noch ist jede Magie Kunst.

*

 

DIE KAPITEL (4), (6) UND (8) UNGEKÜRZT (20.10.2022)

Die Karriere der minkisi in der Kunstgeschichte des ‘globalen Nordens’ vor allem im 20. Jahrhundert

(4) DER ÜBERGANG VOM IDOL ZUR KUNST

Layton (1991) schließt Fetische ausdrücklich von den visuellen Darstellungen aus, die Kunst sind, obwohl die Zeitschrift African Arts als auch große Museen und Auktionshäuser anderer Meinung sind. Fetische waren um die Jahrhundertwende sicherlich keine Kunst; sie sind es erst in den letzten ein oder zwei Jahrzehnten geworden. In einem Gedenkband zum 300. Todestag von Olfert Dapper wird argumentiert, dass die Kraft, die von manchen afrikanischen Objekten ausgeht, so verstörend sei, dass man im 16. Jahrhundert meinte, sie verbrennen zu müssen, weil sie den Teufel einflüsterten. Geschnitzte Bilder unterwanderten die Autorität des Wortes Gottes. Erst im neunzehnten Jahrhundert, nach der Gründung der Ethnologischen Gesellschaft von Paris 1832, erregten solche verbotenen Objekte die Aufmerksamkeit der neuen Wissenschaft Ethnographie, deren Aufgabe es war, den Fortschritt der Zivilisation von der Primitiven zur Moderne zu messen. Werke, die früher als des Teufels abgelehnt wurden, begann man zu sammeln, nicht als Kunst, sondern als Beweis für das Anderssein. Als Kunst konnten sie nur in Privat- und Museumssammlungen aufgenommen werden, nachdem man einige ihrer Bestandteile entfernt hatte (Husson 1989).

Paul Gauguin interessierte sich für primitive Objekte und ließ sich bereits 1889 von ihnen inspirieren, als er auf der Weltausstellung in Paris eine Ausstellung von „Eingeborenendörfern“ besuchte. Dort erwarb er zwei typische Minkisi von der Kongomündung, die er weiter modifizierte, säuberte und nach seinem Geschmack Farbe und andere Materialien hinzufügte. Auf diese „readymades aided“, wie Marcel Duchamp sie genannt hätte, schrieb er dann seine Initialen „P.Go“. (Fondation Dapper 1989).

Der Archetyp solcher verstörenden Figuren ist der nkisi, genannt nkondi, in Katalogen als Nagelfetisch bekannt; Bis zum heutigen Tag behalten Minkondi (der Plural) ihre Kraft, zugleich zu faszinieren und abzustoßen. In den 1960er Jahren, als ich begann, die Kongo-Kultur zu studieren, wurden minkondi selten in Bildbänden (coffee table books) afrikanischer Kunst gezeigt; heutzutage erscheinen sie manchmal auf dem Cover, zum Beispiel ein hervorragendes Exemplar des  nkondi Mangaaka bei Rubin 1984.  223 / 224

Der Prozess, durch den ein afrikanisches Objekt zur Kunst wird, schließt die Entfernung aus seinem Entstehungskontext ein, begleitet von unterschiedlichen Arten und Graden von Gewalt. Neben der buchstäblichen Gewalt des Diebstahls, der Beschlagnahme und dergleichen müssen wir die Gewalt einbeziehen, die dem Objekt selbst zugefügt wird, das oft seiner Ausstattung beraubt, lackiert oder sogar umgestaltet wird. In der Vergangenheit wurde es normalerweise auch seines Namens, seiner Identität, seiner lokale Bedeutung und Funktion beraubt.

Solche Gewalt allein macht aus dem Objekt noch nicht Kunst. Im Austausch für das, was es verloren hat, erhält das afrikanische Objekt einen neuen Kontext und eine neue Identität. Seine erste Bleibe in Europa wäre ein ethnographisches Museum gewesen, selbst eine Erfindung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, dessen Funktion gerade darin bestand, nicht die Kunst, sondern den Kontrast zwischen primitiven Kulturen und denen, die Kunst hervorbringen konnten, zu veranschaulichen. Sie wurde als Fetisch, Fruchtbarkeitsfigur oder Ahnenfigur umbenannt und neu identifiziert und als charakteristisches Kulturprodukt eines „Stammes“ präsentiert. Die primitive Kunst begann als gescheiterte Kunst ( ‚failed art’) und wird in erheblichem Maße noch immer so angesehen.

Das Völkerkundemuseum lädt zu einer besonderen Betrachtungsweise der Objekte ein und verleiht ihnen einen bestimmten Charakter. In einer zum Nachdenken anregenden Ausstellung untersuchte Susan Vogel die Wirkung des Kontexts und der Art der Präsentation auf die Art und Weise, wie wir Objekte sehen (Danto et al.19S8). Ein afrikanisches Objekt, früher zum Beispiel als „Kongo-Fetisch“ bezeichnet, wird sehr wahrscheinlich zusammen mit anderen Beispielen der „Kongo-Kultur“ wie Körben, Fischreusen und Baststoffen ausgestellt oder mit anderen „Fetischen“ aus der ganzen Welt gruppiert. In jedem Fall wird eine implizite Botschaft vermittelt, die an sich nichts mit dem Objekt selbst zu tun hat, aber Elemente der Weltsicht des Museumsbesuchers in Erinnerung ruft und bestätigt. “Fetisch” ist eine ganz europäische Kategorie mit eigener Geschichte und kulturellen Funktionen; ein Kongo nkisi hat beispielsweise weniger mit einem Zuni*fetisch gemeinsam als mit der Reliquie eines Heiligen im mittelalterlichen Europa (Clifford 1988; Cushing 1883; Geary 1986; MacGaffey 1977; Pietz 1985, l987).     * auch ‚Pueblo’ genannt (LINK)

Die Formung des Zuschauererlebnisses setzt sich mit der Art und Weise fort, wie die Objekte angezeigt werden; traditionell wurden ethnografische Materialien in horizontalen Musterkästen, in Gruppen an der Wand oder in dem Modell des Lebensraums der Indigenen ausgestellt. Das Hauptthema einer solchen Ausstellung ist die Präsentationsdichte und die Verbundenheit der Objekte, die mit einer impliziten anthropologischen Erzählung verbunden sind.

224 / 225

Damit ein Artefakt zu einem Kunstwerk wird, ist eine weitere ‚Entkleidung’ und Neuidentifizierung notwendig, wobei nicht nur der indigene Kontext aufgegeben wird, sondern auch die anthropologische Erzählung (narrative).

 

(6)     DER KURATOR UND DER ETHNOGRAPH

Kuratoren sind per Definition Bildmenschen. Ihre Aufgabe ist es, Objekte so zu montieren und auszustellen, dass wir Kunst sehen, und zwar in ihrer ganzen Kunsthaftigkeit. Das Museum ist der räumliche Kontext, in dem das Sehen dessen, was wir sonst vielleicht nicht sehen würden, gefördert werden soll. Ethnographen hingegen fügen Bildern Worte hinzu. Die Absicht ihrer Worte ist es, uns auf einen anderen Kontext zu verweisen, den der ursprünglichen Herstellung und Verwendung des Objekts, damit wir etwas von dem sehen können, was etwa der Bakongo gesehen hat, was aber ohnehin nicht empirisch sichtbar ist.

Obwohl zwischen diesen beiden Programmen kein Widerspruch bestehen muss, ist die Spannung in der Praxis beträchtlich (Mitchell 1986). In dem Maße, in dem der Kurator dem Ethnographen Raum einräumt, wird seine eigene Autorität verringert, aber es geht um mehr als um professionelle Rivalität. Afrikanische Objekte in die Kategorie “Afrikanische Kunst” zu transponieren bedeutet, sie in den eben beschriebenen Galeriekontext einzupassen. Dieser Kontext ist nicht nur ein standardisierter Raum, sondern eine Reihe institutioneller Erwartungen an das, was Kunst ist.      227 / 228

Afrikaner begannen in den 1950er Jahren, Kunst zu erwerben, zur gleichen Zeit, als sie nationale Unabhängigkeit und Geschichte erlangten. Die junge Generation (‚breed’) von Spezialisten für afrikanische Kunst, teils Kunsthistoriker, teils Ethnograph, arbeitete hart daran, afrikanischen Objekten Kunst zu verleihen, indem sie nicht nur ihre ästhetischen Qualitäten und ihre Bedeutung für indigene Benutzer kommentierten, sondern indem sie zumindest einige der Attribute von Kunst identifizierten. Die Skulptur in Bronze, später in Holz, wurde schon früh als Kunst qualifiziert und bleibt die bevorzugte Form; Vorfahren und Fruchtbarkeit wurden jedoch als angemessen edle Themen anerkannt.

Da Kunst von einem Künstler produziert wird und als einzigartiges, zeitlich und örtlich identifiziertes Werk individualisiert werden sollte, bemühten sich die Kritiker um eine Individualisierung des afrikanischen Künstlers und seines Produkts. Im Gegensatz zu ethnografischen Artefakten sollten Kunstwerke das Produkt eines autonomen, kreativen Individuums sein, nicht einer anonymen, kollektiven und zeitlosen Kultur. Biebuycks ​​Tradition and Creativity in Tribal Art (1969) kündigte das Thema der Spontaneität im Gegensatz zur bloßen Konvention als Leitmotiv der afrikanischen Kunst an; die Mitwirkenden dieses Sammelbandes („Das Gerangel um Kunst in Zentralafrika“) fuhren fort, die Figur des afrikanischen Künstlers aus dem Block der Tradition zu befreien in dem er eingesperrt war. Der Stamm als Matrix (Rahmen) der künstlerischen Produktion wurde zugunsten der ‚Werkstatt’ (atelier) aufgegeben. die für einen transkulturellen Markt produzierte. Indigene ästhetische Kanons wurden herausgearbeitet und Bemühungen unternommen, wenn auch erfolglos, Kriterien festzulegen, die echte Kunst von Fälschungen unterscheiden würden (Ben-Amos 1989; Cornet 197S; Willett L976). An Skulpturen wurden Ausdrucksformen menschlicher Tugenden wurden erkannt, aber Hinweise auf relativ finstere Angelegenheiten und Motive wurden übersehen (Siroto 1979). In Galerien und Hochglanzmagazinen erhielten afrikanische Objekte die Kunstbehandlung. Kurz gesagt, wenn Afrikaner Kunst haben sollten, müssten ihre institutionelle Matrix und ihre kreative Motivation der unseren sehr ähnlich sein.  229

Die Wiederaneignung von Artefakten als Kunst beinhaltet das Ersetzen alter Wörter durch neuere, die das Objekt im kognitiven und moralischen Universum des Betrachters neu klassifizieren. Ein Beispiel ist die neuere Bevorzugung des Begriffs „Kraftobjekt“ (‚power object’) anstelle des traditionellen „Fetischs“. Das Ziel ist lobenswert, aber wie viel Text brauchen wir? Wieviel Neuorientierung passt auf ein Etikett? Was bedeutet überhaupt “Kraftobjekt”?    228 / 229

Der Begriff “power” (Kraft/Macht) ist vage genug und impliziert richtigerweise, dass ein nkisi etwas tun soll. „Objekt“ ist jedoch irreführend, wenn es unser Ziel ist, etwas von dem zu vermitteln, was der Bakongo in einem nkisi gesehen hat. Nkisi ist eine von vier Kategorien, die die religiöse Praxis des Kongo und darüberhinaus strukturieren. Die anderen drei sind Geist, Ahne und Naturgeist. Alle vier sind Persönlichkeiten aus dem Land der Toten. Ein Nkisi in seiner Holzfigur, seinem Stoffbündel oder Tontopf ist ebenso eine Persönlichkeit wie ein Vorfahr in seinem Grab. Die Einweihung eines Experten (nganga) in die Arbeit mit einem nkisi ist sehr ähnlich der Amtseinführung eines Häuptlings, der den Vorfahren seines Clans geweiht ist. Tatsächlich wurden Häuptlinge im 17. Jahrhundert Minkisi genannt. Einmal komponiert, verpflichtet der nkisi die Menschen dazu, sich ihm gegenüber in einer den Häuptlingen angemessenen Weise zu verhalten; der große Loango nkondi, Mangaaka, wurde wie ein Häuptling in einer Sänfte getragen. Andererseits wurden Häuptlinge in gewisser Weise so behandelt, als wären sie Objekte. Der Ausdruck koma nloko, „einen Fluch nageln“, beschreibt Anrufungen, die entweder an einen Nagelfetisch oder an einen Häuptling gerichtet sind. Alle Personen, sowohl Minkisi als auch gewöhnliche Menschen, bestehen aus einer Art Körper und einem belebenden Geist, der durch geeignete Verfahren in einen anderen Körper überführt werden kann (MacGaffey 1986). Nsemi Isaki schrieb diesen Bericht über minkisi in der Sprache Kikongo um 1915:

Zitat (übersetzt)

“Das nkisi lebt; wie sonst könnte es Menschen helfen und sie heilen? Aber das Leben eines nkisi unterscheidet sich vom Leben der Menschen; es ist so, dass man sein Fleisch beschädigen, verbrennen, zerbrechen oder wegwerfen kann, aber es wird nicht bluten oder schreien. Trotzdem glauben die Magier, dass ein nkisl Leben besitzt, weil es Krankheiten aussaugt, wenn es eine Person heilt. In diesem Sinne glauben sie, dass ein nkisi unauslöschliches Leben hat, das aus einer Quelle kommt. Wenn ein nkisi seine Kraft ausüben möchte, schlägt es die Menschen, bis ein Hohepriester es, sein nkisi, anfleht; dann wird es aufhören.” (Janzen und MacGaffey 1974:35)

Diese Denkweise ist sehr primitiv, gewiss; ist nicht eine der Grundannahmen des rationalen Denkens, dass Menschen und Gegenstände nicht verwechselt werden dürfen? Eine interkulturell faire Sicht auf Machtobjekte verlangt von uns, zu beachten, dass diese Annahme in unserem eigenen Zugang zur Kunst tatsächlich nicht eindeutig erkennbar ist (MacGaffey 1990). Kunstobjekte sind mehr als nur Objekte. Kritiker haben den quasi-religiösen Status von Kunstwerken als Verkörperung spirituellen Wertes und den Platz des Museums als Nachfolger des städtischen Tempels angemerkt. Verhalten in einer Galerie beinhaltet eine Art Ehrfurcht, die beispielsweise in einem Baumarkt nicht angebracht wäre.    229 / 230

Um Kunstwerken ihre volle Kunsthaftigkeit zu ermöglichen, sollten wir uns unserer Meinung nach in einer bestimmten Weise ihnen gegenüber verhalten, ja sogar in eine Art soziale Beziehung zu ihnen treten. Wir sprechen davon, der Kunst zu begegnen, in ihrer Gegenwart zu sein, sie zu uns sprechen zu lassen. Eine Studie über die Ansichten von Kunstkuratoren und anderen „Menschen, die aufgrund langer Ausbildung und beruflicher Tätigkeit wissen sollten, worum es bei der ästhetischen Erfahrung geht, weckten bei den Befragten solche Kommentar, dass man „etwas über sich selbst erfahre“, dass sie„kommuniziere“ oder „Ihnen etwas gebe“. Auch wenn die Befragten den Kommunikationsprozess nicht explizit als Dialog bezeichneten, verwendeten die meisten von ihnen sprachbezogene Ausdrücke. Laut den Autoren des Berichts weist die Verbreitung dieser metaphorischen Sprache darauf hin, dass der Kommunikation-sprozess ein wichtiger Teil der ästhetischen Erfahrung war (Cziksentmihalyi und Robinson 1986). Kommunikation und insbesondere Sprache sind Fähigkeiten von Menschen, nicht von Objekten.

Ich frage hier, welche Art und Menge von Wörtern geeignet sind, um ein in einem Museum ausgestelltes Objekt hinzuzufügen, damit der Betrachter anfangen kann zu verstehen, was der Bakongo darin gesehen hat. Ich schlage vor, dass die Aufgabe nicht nur eine Beschreibung des kulturellen Kontexts des Kongo erfordert, sondern, um fair zu sein, eine ähnliche Beschreibung der Museumserfahrung. Ich möchte erklären, dass das, was die Eingeborenen (natives) über Minkisi denken, anthropologisch gesehen nicht mehr und nicht weniger bemerkenswert ist als das, was andere Eingeborene über Kunst denken. In beiden Fällen jedoch ist die subjektive Erfahrung des Eingeborenen, geleitet von kulturellen Erwartungen und Praktiken, real und mächtig. Da ich bezweifle, dass ich all dies auf ein Etikett packen kann, stelle ich mich widerwillig auf die Seite des traditionellen Kurators: Sobald ein Objekt als Kunst angeeignet wurde, vorzugsweise auf ehrliche Weise, können sein ursprünglicher Kontext und seine visuelle Wirkung nicht mehr wiederhergestellt werden und sind möglicherweise irrelevant.

 

 

(8)     FAZIT

Die Intimität der Beziehung zwischen Wort und Bild im Fall von minkisi schließt eine normative Behauptung der Überlegenheit des einen gegenüber dem anderen aus, ganz zu schweigen von einer verdeckten Assoziation zwischen Wörtern und Menschen, Bildern und Frauen, so wie sie die Idee der Kunst konstituiert hat. Dieser Gegensatz zur Kunst beleuchtet das Problem des Kurators und die Quelle unserer Schwierigkeiten bei der kulturellen Übersetzung besser als jede zweifelhafte Unterscheidung zwischen primitiv und modern, religiös und säkular oder kontextgebunden und kontextfrei. Die Existenz von Schwierigkeiten dieser Art bedeutet nicht, dass wir nicht mit ihnen kämpfen sollten; In dem, was ich gesagt habe, gibt es auch nicht die Implikation, dass der Prozess, ihre Artefakte zu unserer Kunst zu machen, an sich unangemessen ist. Im Gegenteil: Wenn ein Bakongo 1905 sich eine Weinflasche aus grünem Glas aneignen konnte, um daraus ein magisches Werk, nkisi Nkondi a Mungundu, zu machen, ist es nur angemessen, dass wir uns revanchieren, indem wir das Ergebnis als Kunst anerkennen.

Eine letzte Bemerkung: Ich habe den Kontrast zwischen europäischen und Kongo-Kunstobjekten zu stark vereinfacht, indem ich implizierte, dass alle Kongo-Objekte, die wir als Kunst betrachten, in rituellen Kontexten hergestellt wurden, obwohl dies nicht der Fall ist, und ich die historische Dimension vernachlässigt habe. Ab etwa 1860 produzierten die Bakongo der Küstenregionen für den Verkauf an andere Bakongo (einschließlich Händler aus dem Inland) sowie an Europäer eine Reihe von Repräsentationsobjekten, die einfach bemerkenswert waren oder bemerkenswerte Entwicklungen dokumentieren sollten. Solche Objekte implizierten also einen erzählerischen Kontext, aber sie enthielten (incorporate) keine Wörter in der Weise, wie es minkisi taten. Offensichtliche Beispiele sind die mintadi genannten Specksteinfiguren, die teuer erworben wurden, um sie zu bestaunen. Sie beendeten ihre Kongo-Karriere oft als Andenken auf Gräbern, zusammen mit anderen bemerkenswerten Besitztümern der Verstorbenen, wie Regenschirmen, Steinschlossgewehren und alten Ginflaschen. Wenn wir einen Vergleich brauchen, können solche Kongo-Produkte am besten mit amerikanischer Volkskunst verglichen werden.

Tervuren 2022 c Dvg

Nicht umsonst ist die „Entdeckung“ der Volkskunst in Europa und Amerika zeitgleich mit der Entdeckung der afrikanischen Kunst in Frankreich. (Societies of Arts and Crafts wurden 1897  in Boston und Chicago gegründet). Wie die Volkskunst wurden diese afrikanischen Objekte in den letzten Jahrzehnten in neue Karrieren als Museumsmaterial überführt. Um die Distanz zwischen unserem Volk und ihrem Volk zu wahren, wurden die afrikanischen Objekte jedoch wohl oder übel mit rituellen Kontexten ausgestattet. (“Die berühmten geschnitzten Menschenfiguren der Mangbetu im Nordkongo wurden als Ahnenbildnisse und als Gedenkfiguren für verstorbene Herrscher beschrieben, von ihren mit geschnitzten Köpfen gekrönten Rindenkästen nahm man an, sie enthielten heilige Reliquien” (Schildkrout und Keim 1990a:15-16).  Die mintadi vom Kongo wurden als Wächter des Dorfes im Auftrag des Häuptlings beschrieben, obwohl sie mangels Medizinen für diese Funktion unfähig sind.

Weder ist alle Kunst Magie, noch jede Magie Kunst.

*

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert