Beim Lesen von Hans Blumenberg

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Bei der Lektüre von Hans Blumenberg: „Der Prozess der theoretischen Neugierde, stw24, 1980, fällt mein Blick auf Vilèm Flusser.

Man kann sich die ganze Zeit bei Blumenberg vor der Philosophie wähnen, so verständlich läuft die Darstellung. Dabei ist das vielleicht die ganze Philosophie am Ende einer bereits langen Philosophiegeschichte. Und dieses Ende kann sich immer weiter fortsetzen, wenn man nicht auf die Idee kommt, dass für die neue Epoche eine ganz andere Sprache vonnöten sei. Vilém Flusser, von seinen diversen Lehrmeistern angefixt, spürte ein dringendes Bedürfnis danach und wurde in den Achtzigern ganz hektisch. Der Rufer bekam etwas von einem fliegenden Händler. Oder mag man lieber Laokoon bemühen?

Und wenn schon, kontere ich schon ganz HB: Troja ist zwar untergegangen. Das ändert nichts daran, „dass Geschichte letztlich nur als Fortsetzung dessen, was sie schon ist, möglich bleibt.“ (HB, 232) Anders können wir sie nicht vernünftig deuten, auch im Sinne von Bruno Liebrucks, einem glühenden Verteidiger Hegels und  meinem ersten Lehrer.

Widerstand? – Die Erhaltung der Möglichkeit dazu ist selber unser Widerstand, und zwar der einzig sinnvolle. Mit seinen Phantasien scheint Flusser fürs erste gescheitert, jedenfalls mit  den damit verbundenen Hoffnungen. Wenn er  die gesellschaftliche Kommunikation darüber ausdehnen und aktivieren wollte, stellt sich mir eine Frage: Ist es ihm gelungen, auch die früheren Generationen ins Gespräch zu ziehen? Seit Prag kannte er nur die Neuerer, die Umstürzler, verzückte Stammler. Die alte Philosophie  war ihm Pharisäertum und Ancien Régime. Er zeigt aber auch eine wichtige Gemeinsamkeit: die Schriftkultur.

Heinz Schlaffer zeichnet in „Das entfesselte Wort – Nietzsches Stil und seine Folgen“ (Hanser 2007) die Alarmierung der Schriftkundigen angesichts des Vordringens der Zahl seit dem 18. Jahrhundert nach. Was Nietzsche an den Wissenschaften verachtete oder vielmehr betrauerte, waren auch für Flusser zentrale Motive: Institutionalisierung der theoretischen Neugierde und die Entstehung eines asketischen Funktionärstyps. Auch Blumenberg thematisiert den damals aufkommenden „Zweifel an der Wesentlichkeit des menschlichen Bedürfnisses nach Wahrheit“. Die partielle Einsicht Rousseaus – formuliert er aus: „Die Wahrheit über die Geschichte ist gleichgültig für die Geschichte.“ (232) mit dem Zusatz: „Nur er selbst für seine eigene Wahrheit wollte sich nicht daran halten.“ (233)

Blumenberg könnte  Flusser fragen: Wie kann man auf die Idee kommen, eine allseitige Bewegung rational zu erfassen, indem man sich selber in den Strom wirft? Ein Denken auf der Flucht? Faszinierend, aber realistisch?  Ergreift man nicht am Ende  zusammengeraffte Brocken der Philosophiegeschichte, die die Eule der Minerva fallen gelassen hat, zusammen mit vermischten  Nachrichten aus der Welt der neuen Leitwissenschaften?

Doch woraus bezieht Blumenbergs ‚Halt’ in dieser Situation? – Vielleicht aus der trittsicheren Bewegung zwischen den vielen Positionsbestimmungen und Standpunkten des Abendlandes, auf deren Teilwahrheiten er sich argumentierend einlässt: Es ist das übliche Elend der philosophischen Lehre, die Seite der Antwort zu stark, ja imposant zu machen, gewöhnlich die der eigenen Antwort. Selber stellt er seine Fragen an den Beginn, die alle Menschen bewegen können,  gibt aber auch den vielstimmigen Antworten ihr Recht. Er beweist vertrauten Umgang mit vielen Autoren und zeigt eine distanzierte Empathie, mit der Mahnung des Epiktet im Hinterkopf:”…doch achte, dass dein Herz ruhig bleibe.” (“Handbüchlein der Moral”, detebe- klassiker 21554, 1987, 29 ‘Grenze des Mitgefühls’).

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