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Tags: Ukraine / Verschwörungstheorien
Ein paar Seiten Literatur (16. Mai 2022 von GMZ )
DER ALTE
Das Bild wollte nicht aus dem Kopf. War es der alte, arm wirkende Mann mit der struppigen, dünnen schwarzen Hündin, der sich neben mich an den Tisch gesetzt hatte? Ja, ich hätte mir das Gespräch verbitten können, aber irgendwie war es nicht dazu gekommen, vielleicht weil ich im Herzen nachgiebig bin und manchmal wie ein Opfer wirke. Hätte ich mich ich überhaupt dem aussetzen dürfen, schalt ich mich?
Es war ein alter Mann, dessen schlecht rasierte Bartstoppeln Gleichgültigkeit, einen blinden Badezimmerspiegel oder abgeschabte Rasierklingen verrieten, vielleicht spielte auch alles zusammen. Die Hände des Alten waren ungepflegt, die Fingernägel hatten leicht schwarze Ränder. Vielleicht war die Hündin die einzige, die diesen altem Mann noch freiwillig Wärme gab, auch wenn sie, nachdem sie an dem Alten hochgesprungen war, immer wieder mit ihrer Schnauze an den Rucksack stiess, in dem offenbar die Hundekekse untergebracht waren.
Man dürfe einem Hund nicht verbieten seinen Herrn abzulecken, entgegnete der Alte, weil man dann ihm verbiete, seine Liebe zu zeigen.
Mich ekelte etwas. Hunde sind doch Tiere mit eigenwilligem Geruch.
Es sei vielleicht der letzte Frühsommer, der hier noch so schön sei, sagte der Alte. War es Mitgefühl, was mich dazu verleitet hatte, mich nach der Gesundheit des Wanderers zu erkundigen? Nichts Schlimmes außer dem Alter, sagte der Alte. Aber die Zeit sei böse. Man sähe was für eine Schlächterei sich in der Ukraine abspiele. Man solle doch einfach aufgeben.
Wie denn, sagte ich, wenn man genug Waffen liefere würden irgendwann die Russen aufgeben müssen. Wir müssten nur entschlossen sein, die Performance der russischen Streitkräfte wäre ja auch gelinde gesagt suboptimal.
Die Hündin legte sich auf den Boden und kaute auf einem Stock herum. Ich hätte mich aus der Unterhaltung winden müssen, aber mein Zögern führte direkt in das Desaster.
Alle angeblichen Verluste der Russen seien Lüge, sagte der Alte, sie schössen jetzt mit Unmassen von Artillerie die Ukrainer zusammen, die sich nur eingraben könnten. Was könnten eingekesselte Soldaten gegen eine Feuerwalze ausrichten, die alles überträfe, was es je in irgendwelchen Kriegen gegeben habe? Zöge die Ukraine nicht schon in einer Art Volkssturm ältere Jahrgänge ein während Russland auf eine Mobilmachung verzichte? Erfahre man dies in den Nachrichten? Und plötzlich, plötzlich werde man hören, Hilfe, Hilfe, die Front sei zusammengebrochen, wie schon in Afghanistan.
Eben darum, sagte ich, müsse der Westen zusammenstehen.
Wisse ich nicht, dass es Ziel der USA sei, Russland so zu schwächen, dass es kapituliere? Dass man sich aber verrechnet habe? Wie man bei der ausweglosen militärischen Situation Kievs lüge, so habe man bei dem Anfang des Konfliktes gelogen, und schon, das wurde mir allmählich klar, schnappte die Falle zu. Waren es Halbwahrheiten, die sich langsam anschlichen und mich zu umzingeln drohten?
Wenn das alles, ich versuchte einzulenken, jetzt in der Ukraine in eine umfassende Katastrophe laufen würde? Beide Seiten würden auf Sieg setzen. Ginge es um politische Ziele, wäre ein Kompromiss zuvor angeraten gewesen, aber jetzt, da die Achtung imperialer Einflussszonen gegen die Freiheit der Nationen als moralisches Postulat gestellt wurden, sei es ein Krieg der Weltanschauungen.
Alles sei ein böses Spiel, das man uns verheimlicht hatte. Es war dem Mann offensichtlich klar, wer schuld sein würde. Wer die Falle aufgebaut hatte, in die das Opfer, Putin und sein Regime, fallen sollten. Haben nicht die USA am 12. Februar den Kriegsbeginn am 16. Februar vermutet und hätten nicht die ukrainischen Truppen den Beschuss des Donbass an diesem Tag auf das Dutzendfache gesteigert? Alles Lüge, alles, was jetzt an moralischer Empörung hochschwappe: man habe das ja als Menü bestellt und erhofft. Nun müsse man es auslöffeln.
Die Hündin schnüffelte an meinen Händen. Dann legte sie ihre feuchte Schnauze auf meine Hose. Das arme Textil tat mir leid.
Was wäre, erzählte der Alte weiter, wenn in den Gräben der Ostukraine die Hoffnung des Westens zusammen mit Nazis verblute, Seite an Seite? Selbstmord, das sei es was der Westen treibe, Selbstmord. Bucha, was so schön nach Butcher klingt, vielleicht habe man da Leichen drei Tage nach Abzug der Russen ausgelegt, viele Opfer trugen ja noch die weißen Bänder, die Russen angeblich an sympathisierende Zivilisten ausgegeben hätten.
Die Front erschien aussichtslos, nur der Rückzug, dachte ich, der Rückzug, könne helfen. Ich sah auf die Uhr. Eine unappetitliche Invasion der Geister der Vergangenheit. Fossile Energieträger, Männer und Panzer marschierten in der Argumentation auf. Begriffe wie intelligente Munition, Logistik des Nachschubs, integrierte Verbände und was weiß ich allem stürzte auf mich ein. Konnte man das etwa nur mit einem Untoten vergleichen, der aus der Gruft kriecht? Ein Zombie mit hohlen Augen und strengem Verwesungsgeruch, der jetzt als Krieg maskiert erscheint? Wer könnte das anders als mit Grauen betrachten? Vermutlich war der Alte wieder ein Verschwörungstheoretiker, irgendein einsamer, irregeleiteter Spinner, der dubiose Quellen benutzt und so seine Phobie vor einer offenen Gesellschaft offenbart.
Es gab noch unappetitlichere Annäherungen der unterbeschäftigten Hündin. Heimtückisch sprang sie von der Seite an mir hoch und ich konnte in letzter Sekunde ihrer schlabbrigen Zunge ausweichen.
Niemand der bei Trost sei, wolle in Putins Reich leben, sagte ich, allenfalls Rentner, die auf Sowjetnostalgie stünden. Wer Putins Inszenierung sähe, sähe einen alten, aufgedunsenen Mann inmitten eines Ensembles aus groteskem Größenwahn und kleinbürgerlichem Diktatorenprunk. Sowas könne man doch nicht als gesellschaftliches Modell ernst nehmen?
Ob ich Alexander Geljewitsch Dugin gelesen hätte? Dass Russland sich in einem Endkampf gegen Globalisten sähe?
Putins ideologischen Einflüsterer? Wer solle solchen Unsinn lesen? Man dürfe sich dieser russischen Position nicht ausliefern, sagte ich.
Dumm sei es, sagte der Alte, nicht die Position der anderen verstehen zu wollen. Wisse ich zu welcher ideologischen Einfalt heutzutage Meinung herangezüchtet werde? Dass man nur noch in einer Weise denken dürfe? Dass es jetzt um das Ganze ginge? Dass Russland sich seit Jahren in die Ecke gedrängt und angegriffen fühle, weil man seit Jahren einen informellen Krieg führe? Wer sich anders informieren wolle sei angesichts einer öffentlichen Lügenpresse wie früher quasi auf Feindsender angewiesen, um die Wahrheit herauszufinden. Der Alte nannte Namen, darunter einen ehemaligen Waffeninspekteur der UNO und einen dubiosen Schweizer Offizier.
Ich war in der Falle. Sollte ich die angeblichen Quellen abtun? Oder eine Diskussion anfangen bei der ich nicht wußte, was seriös war oder nicht?
Ich hätte nicht die Zeit, alle möglichen Beiträge zu lesen, weswegen ich mich an seriöse Publikationen hielte, entgegnete ich.
Eine Diskussion sei sinnlos, wenn nur die Quellen der einen Seite zählen. Der Alte wirkte verärgert. Er habe immer gesehen, dass eines Tages dieser stolze Turm des sogenannten Wertewestens einkrachen würde. Jetzt sei es soweit. Man habe uns belogen und lüge weiterhin. Die Kapelle spiele obwohl schon längst im Kesselraum das Wasser stehe.
Der Alte rief seine Hündin. Ich ahnte dass er mich für einen irregeleiteten Idioten hielt. Einen von den Dummen, die Opfer der Kriegspropaganda waren. Und ich hielt ihn für einen einsamen, leicht irren Alten, der aus der Mitte der Gesellschaft längst so weit ausgeschieden war, dass er seine geistige Nahrung in den abseitigsten Revieren suchte.
Wir wünschten uns einen schönen Tag. Die Hündin, das merkte ich, sah den Alten, als er aufstand, mit verliebten Augen an.
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Bilder: Flughafen Tegel, jetzt Ankunftszentrum für Flüchtlinge aus der Ukraine. Scott Ritter und Jacques Baud wurden in dem Beitrag erwähnt. Dazu aktuell (Nachtrag 14.6.2022) Papst Franziskus: „Was wir sehen, ist die Brutalität und Grausamkeit, mit der dieser Krieg von den Truppen, in der Regel Söldnern, die von den Russen eingesetzt werden, geführt wird. (…) Aber die Gefahr ist, dass wir nur das sehen, was ungeheuerlich ist, und nicht das ganze Drama sehen, das sich hinter diesem Krieg abspielt, der vielleicht in gewisser Weise entweder provoziert oder nicht verhindert wurde. (…) An dieser Stelle mag mir jemand sagen: Aber Sie sind doch für Putin! Nein, das bin ich nicht. So etwas zu behaupten, wäre vereinfachend und falsch. Ich bin einfach dagegen, die Komplexität auf die Unterscheidung zwischen Gut und Böse zu reduzieren, ohne über die Wurzeln und Interessen nachzudenken, die sehr komplex sind.“ Entnommen aus dem Tagesspiegel und Vaticannews.
Ein Dokument: Meine Bitte um Abdruck am 27.6.202
Lieber Götz, ist dein Brief schon so lange her? Ich musste vor der Antwort unbedingt deine „geschmackstablette“ ausprobieren und treffe auf den „Alten“. Ich liebe die Dialogform, und in dieser Zeit führen Monologe ja nur in die Irre. Da schlagen die Gedanken Purzelbäume. Ich schreibe schon gar nichts öffentlich zum Krieg, weil noch so ‚kluge‘ Momentaufnahmen sich als nutzlos erweisen.
„In der Falle“ ist das Schlüsselwort. „Wir“ Europäer stecken in der Falle und versuchen, ungeschickt, der ekligen Zunge des Hundes zu entgehen. Jeder Fetzen neuer angeblicher Information gibt zu Denken. Wenn die frisch gewählten Politiker und die Routiniers ehrlich wären, hätten sie sogleich eingestanden, dass Politik und Wirtschaft – bei sträflich vernachlässigen Infrastrukturen, Verwaltungsstillstand, Covid, bereits ihren hirnrissigen Umbauplänen nicht gewachsen waren und auf keinen Fall eine neue unübersehbare „Herausforderung“ annehmen konnten. Sorry, Ukrainer, wir kapitulieren schon’mal. Putin, du hast den günstigsten Zeitpunkt gewählt. Du hast gewonnen. Denn es zeigen sich jeden Tag mehr offene und heimliche Verflechtungen mit dem „Aggressor“ und nicht bloß dem einen. Alle weiteren „Schläge“, zu denen wir den Ukrainern verhelfen, legen ihr Land mehr in Trümmer und schädigen auch uns selber mehr als den Diktator, und das in einer beispiellosen internationalen Unordnung. An Rednerpulten und an Redaktionsschreibtischen, vor den Mikrophonen kramt man stattdessen die fast vergessenen „starken Sprüche“ hervor, die schale Rhetorik bekannter Durchhalteparolen. Es ist Krieg, kein Wort mehr dazu.Man kann gar nicht im Kopf behalten, was uns im „Herbst“ und über den „Winter“ alles ‚blüht‘.
Jetzt hat mich doch der Ehrgeiz gepackt und ich habe eine halbe Stunde an den paar Sätzen gebosselt
Deine „Fiktion“ gefällt mir, sodass ich sie gern als Gastbeitrag in den Blog übernehmen würde, mit Link.