Deutscher Literatur-Ignorant erfährt über Houellebecq von Frankreichs “Unterwerfung”

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…. aus einem Exemplar aus dem Modernen Antiquariat

“Soumission” Flammarion 2015 – Deutsch: Hardcover Dumont Buchverlag  2015 (4.Aufl.)

fr.wikipédia Rocamadour- Das  spirituelle Herz des Landes, wohin der Protagonist  in der Krise flüchtet

Lesenotizen um den 20. Januar 2022 – Beobachtungen und Gedanken

 

Große Überraschung: Stil (Satire unauffällig) und raffinierter Aufbau

Vorbild (Louis-Ferdinand) Céline ? Auch in der Stimmung. Nach hundert Seiten auch „1984“. Nach hundertfünfzig Seiten keines von beiden.

Zugleich aktuell und offen für die fiktive ‚nähere Zukunft’

Allmähliches Einschieben und Präzisieren des Kontextes

Ich hätte Auszüge im Unterricht verwendet

Nach einiger Zeit erscheint der von mir erwartete Houellebecq mit obsessiver Erotik, die mir Unbehagen bereitet, mich aber erregt. Ich überlese die erste Passage degoutiert.

In Kapitel III kommt ein ebenso begeisterter Feinschmecker zum Vorschein.

Ebenso schnörkellose wie beiläufig eingeflochtete Urteile über :

  • Universitätspersonal
  • Frauen und männliche Singles, Beziehungen
  • Die fiktiven Individuen
  • Literaten und Literaturwissenschaft (Ich muss noch einen nachsehen, ob der fiktiv ist)
  • Beschreibungen sexueller Praktiken und Erfahrungen
  • Moslem-Jugend und Islamisten
  • Franzosen nicht idealisiert

(Mit wem möchte ich über das Buch reden?)

Das fiktive Moment schmiegt sich in realistische Verhältnisse von hohem Wiedererkennungswert

Kap. III

Ich lese nun mit Google Maps und Wikipedia, das ist nützlich! (Liste unten)

Die Flucht aus Paris wird zur Reise ins mythische spirituelle Herz Frankreichs, das durch Entvölkerung (Wikipedia zufolge) noch vergeistigter erscheint.

  • Marienkult in Rocamadour (Anregung: 1000jähriges Jubiläum 2013)
  • Zwei Dichtungen der vorigen Jahrhundertwende, welche der Protagonist – Literaturhistoriker – und ein elitär ausgebildeter ‚Geheimdienstveteran’ einbringen.

Deutschland ist unsichtbar: die Auflösung in einem laizistischen „Europa“ und einem Europa der Vaterländer (Marine Le Pen) sind als unterlegene Alternativen die einzigen sichtbaren.

Im Kontext der islamisch-mittelmeerischen Perspektiven steht die Vereinigung mit dem islamischen Süden (Stichwort Römisches Reich) in Aussicht.

Ein französischer politischer Roman mit Ortsangaben und Angaben zum sozialen Milieu.

 

Kap. IV

Im Hintergrund läuft fast ständig eine Publikumsbeschimpfung, indem der Erzähler, mit dem Protagonisten identisch, sich und seine Umgebung allein auf der materialistischen, konsumistischen, hedonistischen und opportunistischen Ebene darstellt – ohne mit der Wimper zu zucken –  als Genießer leiblicher Genüsse angefangen von Dienstleistungen bis zu Gaumenfreuden. Geschäftsmäßigkeit, gefühllose Arbeit am Schwanz, Professionalität auf der einen Seite, versiegende „Quelle der Lust“, auf der Seite des Kunden. (S.182) Das in die Erzählung einbezogene politische Personal ist bis auf wenige Namen nicht erfunden. Immer aufpassen! Die konstruierte Präsidentschaftswahl wird (S.177) als die letzte vor „2027“ identifiziert, also die 2022, die „Dystopie“ (früher “Utopie”) also unmittelbar an die Gegenwart der Publikation herangerückt: 2015. Macron wurde 2017 gewählt.

„2022“ sieht der Front National arm aus; der fiktive islamistische Kandidat fängt alle populären Wünsche ein und erntet „eine stillschweigende und verhaltene Akzeptanz“ (S.181)

Atmosphärische Details:

Ironische quasi-romantische Parallelsetzung von innerpsychischer und umgebender Zustände mit  „Kaltfront“ (S. 182), “….würde vielleicht ein Gefühl der Liebe zwischen uns entstehen; zumindest …”  und „Frankreichs zu einer Zuversicht zurückgefunden“ (S.174/175)

 

27.1.22

Das Schlusskapitel ‚utopischer Romane’ pflegen versöhnlich, mild, harmonisch zu enden, durch den Umstand, dass der Protagonist bzw. das Opfer seine aussichtslose Situation in rosigem Licht wahrnimmt. Houllebec zitiert das Todes-Motiv delikaterweise als noch nicht eingetreten, als Phantasie. Zwischentöne!

Was sagt der Dank an die namentlich genannte Universitätsprofessorin Agathe Novak-Lechevalier (S.272) aus? Auch über sie? Als Mitarbeiterin hervorgehoben – ungewöhnlich!

Stilkritik gegenüber Houellebecq?  –  Große Utopie war stilistisch schlicht. „1984“ etwa ein Reißer. H. liefert dafür die erwartete Pornografie.

Das Montageprinzip, in diesem Fall das „Dokumentarspiel“ – ich habe im Netz mitgespielt und gewonnen – vgl. Houellebecqs Hinweis auf die Editionspraxis im Fall “der Werke Huysmans” , einschließlich der Bemerkung “Diejenigen Leser, die mehr über (…) erfahren wollten, konnten selbst recherchieren und fertig.” (p.205)

H. schafft eine glaubhafte Stimmungslage mit angemessener, für mich realistischer Versprachlichung, in der Schamlosigkeit eines Inneren Dialogs und in der Ökonomie weithin bloß referierter Äußerungen seiner Partner. Nähe zur mündlichen Erzählung. Leser als Partner, als männlicher Partner?

Mit den sexuellen Schilderungen hat die einst verfemte pornografische Gattung ihre gesellschaftliche Akzeptanz erreicht. Sie übertreffen die seit zwei Jahrzehnten in jeden Fernseh- und Kinofilm eingestreuten, naturalistischen, aber nicht wirklich ‘expliziten’ Sexzenen,  die so schnell wieder verhuschen wie sie aufgetaucht sind.

Bevor jemand über die Definition von Pornografie eine Debatte anzettelt, behaupte ich: Der Trigger wirkt immer, und nur wie, hängt vom Kontext, Vorlieben, Hemmungen, Verboten, und physiologischen Bedingungen des Empfängers ab. Bei einer so breit gestreuten Leserschaft muss es für H. reizvoll gewesen sein, immer wieder überraschende Schrotladungen seinen außerliterarischen politischen Zwecken dienstbar zu machen.

Übrigens: Trete ich dem Autor mit dem Bekenntnis zu nah, dass ich seine notorisch hässlichen Porträts als Schatten des Protagonisten (wie auch in “Plafond”) wahrnehme? Damit auch gar keine Sympathie mit dieser ‘Person’ entstehen kann? Oder im Gegenteil eine breit gestreute Identifikation unter den Nachfahren der Galloromanen und Franken?

 

*

Parallel zum Buch recherchiere ich am offenen Mac-Schreibtisch alles, was dazu einlädt.

Ich beginne meine unsystematische Dokumentation mit zwei Listen (bisher noch eine ‘Baustelle’) :

france-culture: Michel Houellebecq – écrivain prophétique? 50′ YouTube.webloc

france-culture …

Michel Houellebecq — fr.wikipédia.webloc

Invitée du 12/13 – Agathe Novak-Lechevalier sur RCJ – 23′  YouTube.webloc

 

 

Rezension: “Der Sensor blinkt, aber die Poesie ist kaputt. Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung” von Hanna Engelmeier und Pierre-Héli Monot in “Merkur – deutsche Zeitschrift für europäisches Denken” 2015 no.1  (LINK)

Eine literaturtheoretische Generalabrechnung mit Houellebecqs Roman unter dem Eindruck auf den  Anschlag auf ‘Charly Hebdo”. Der soll das ganze Projekt scheitern lassen.

  • Zitat:”…. Dieser Forscherpersönlichkeit (Agathe Novak-Lechevalier) dankt der Autor am Ende seines neuesten Romans Unterwerfung, der im Jahr 2022 spielt und von den Problemen eines abgehalfterten Literaturwissenschaftlers in einem Frankreich unter islamischer Regierung handelt. Direkt am Erscheinungstag wurde Unterwerfung (deutsch für: Islam) auf eine Art notorisch, die zu wiederholen hier überflüssig ist. Von dem Terror-Anschlag auf Charlie Hebdo ist Houellebecq nicht nur persönlich hart getroffen worden, sondern er durchkreuzt auch das Anliegen seines Romans. Worin dieses besteht, wird in dem kurzen Paratext auf der letzten Seite deutlich. Hier liegt gewissermaßen das punctum des ganzen Buches, die Danksagung legt offen, was die Bedingung der Möglichkeit dieses Romans ist: nämlich dass das, was er beschreibt, eine unrealisierte Fiktion bleibt. Damit ist viel weniger eine wie auch immer geartete Islamisierung gemeint, sondern ein ästhetisches Programm. Davon sprechen wir hier.
  • In Unterwerfung werden Frauen aus dem akademischen Leben herausgeschrieben. Mit Agathe Novak-Lechevalier wird aber nun eine Frau angeblich als einzige Quelle für alle Informationen zuständig, die Houellebecq für seine Schilderung des akademischen Lebens braucht. Es ist nicht so wichtig, ob das stimmt oder nicht: Deutlich wird, dass hier von einer Literatur die Rede ist, die allein auf Hörensagen beruhen darf, die sich aus abgefrühstückten Ideen und Phrasen zusammensetzen darf, wenn sie nur einen bestimmten Zweck erfüllt. Und der besteht hier primär in der Besetzung einer literaturhistorischen Position und nur sekundär in Houellebecqs lange bekannter Opposition gegen den Islam. …..” (Und so weiter über vier bis fünf Druckseiten! Darauf folgen sechs gewürzte Kommentare und eine gestelzte Antwort der Autoren)

Agathe Novak-Lechevalier (Hg.) – “Michel Houellebecq” – Rezensionen in Perlentaucher.webloc

 

Anmerkungen zu Textstellen

Joris-Karl Huysmans – de.wikipedia.webloc    zu S.8-12, 26, 41-42

  • “Joris-Karl Huysmans * 5. Februar 1848 in Paris; † 12. Mai 1907 ebenda) war ein französischer Schriftsteller, der sich vor allem als Romancier betätigte. (…) Wegen Ressentiments gegen seinen Stiefvater kam Huysmans in ein Internat, wo er eine wenig glückliche Schulzeit verbrachte. Nach dem Abitur nahm er einen Posten als mittlerer Angestellter im französischen Innenministerium an. Dort blieb er – unterbrochen von etlichen Beurlaubungen – bis 1898. Wenig beständig waren seine Beziehungen zu Frauen. Sie bereiteten ihm viele Enttäuschungen, lieferten ihm aber auch Stoff für seine Romane. In deren Mittelpunkt steht häufig ein vom Leben und von Frauen enttäuschter Junggeselle……” (Übersetzung)

Die  Dissertation zu Huysmans von Constanze Baethge „Subversion und Implosion- die andere Moderne des Jortis-Karl Huysmans 2003.pdf – huysmans thesis_ baethge

 

León Bloy (1846 – 1917), französischer Schriftsteller und katholischer Sprachphilosoph – de.wikipedia.webloc        zu S. 24 – 26

 

Nick Drake (1948 – 1974), britischer Gitarrist, Sänger und Songwriter – de.wikipedia.webloc    zu S.36

Musée de la Vie romantique (Romantikmuseum) Paris  de.wikipedia.webloc    zu S. 49

Paul Scarron (1610-1660) Schriftsteller — fr.wikipédia.webloc

L’Idée fixe du savant Cosinus — fr.wikipédia.webloc

  • “L’Idée fixe du savant Cosinus” ist eine von Christophe erstellte Serie französischer Comics. Es erschien ab 1893 in Serienform. Es zeigt Pancrace Eusèbe Zéphyrin Brioché, bekannt als der Gelehrte Cosinus, ein besonders zerstreuter Abolvent der Ecole Polytechnique.”(Übersetzung)

L’idée_fixe_du_savant_Cosinus_page_79 case_2

 

  • Bildtext: “Man darf angesichts der Abbildung  nicht glauben, dass Cosinus, von Wahnsinn gepackt, sich in einen Trüffelsucher verwandelt hat und das Kabinett des Ministers für einen Wald im Périgord hält… Nein, er begeht in seiner Erregung nur einen Faux-pas. “

 

René Guénon — fr.wikipédia.webloc

  • René Guénon, geboren am 15. November 1886 in Blois und gestorben am 7. Januar 1951 in Kairo, Ägypten, war ein französischer Autor, „nicht klassifizierbare Figur in der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts“.Zu seinen Lebzeiten veröffentlichte er siebzehn Werke, zu denen zehn posthum veröffentlichte Artikelsammlungen hinzukommen, was insgesamt siebenundzwanzig regelmäßig neu aufgelegte Titel ergibt. Diese Bücher befassen sich hauptsächlich mit Metaphysik, Symbolik, Esoterik und Kritik der modernen Welt.In seiner Arbeit schlägt er vor, entweder “bestimmte Aspekte der metaphysischen Lehren des Orients”, metaphysische Lehren, die René Guénon als “universell” definiert hat, “direkt darzustellen” oder “diese Lehren [für westliche Leser] ihrem Geist treu.streng zu anzupassen”. (…..) (Übersetzung)

Baklava — fr.wikipédia.webloc

Baklava, Baclava, Baclawa oder Baklawa für die nordafrikanische Variante, ist ein traditionelles Dessert, das den Völkern der alten osmanischen und persischen Reiche gemeinsam ist. Es kommt auf dem Balkan, im Kaukasus, im Maghreb und im Nahen Osten vor….” (Übersetzung)

Hotel Metropole, Bruxelles – Google Maps.webloc

Doku

Bildschirmfoto 2022-05-11, anonymes Foto Google Maps

5, Rue des Arènes, 75005 Paris

5, Rue des Arènes, 75005 Paris

Picsou Magazine — fr.wikipédia.webloc

Picsou Magazine ist ein zweimonatlich erscheinendes französisches Comic-Magazin für junge Leute. Es wird von Unique Heritage Entertainment, einer Tochtergesellschaft von Unique Heritage Media, herausgegeben. Es trägt den Namen der Figur von Balthazar Picsou (Scrooge McDuck auf Englisch), erfunden von dem Designer Carl Barks. Dieses im März 1972 gegründete Magazin sammelte Comics von Charakteren aus dem Universum der Disney-Enten. Es gibt auch Spiele, Minigeschichten und lustige Informationen im Magazin. (….) (Übersetzung)

Pierre Moscovici — fr.wikipédia.webloc

Loi du 7 juillet 1904 — Wikipédia.webloc

Abbaye Saint-Martin de Ligugé — Wikipédia.webloc

St. Martin de Ligugé, 2022-01-25 Bildschirmfoto von Google Maps

Pierre Bichet — Wikipédia.webloc

Dyshidrosis – Wikipedia.webloc

Arnold Retzer- Lob der Vernunftehe. Eine Streitschrift für mehr Realismus in der Ehe – Perlentaucher.webloc

Distributismus – Wikipedia.webloc

Michel Onfray – Wikipedia.webloc

Charles Péguy – Wikipedia.webloc

Rocamadour (Lot) – Wikipedia.webloc (siehe oben)

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