Die “Frankfurter Allgemeine” fetzen : Drei Monate an einem Nachmittag – ein Überblick

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Geschrieben am 29. Aug. 2021 – veröffentlicht am 9. Nov. 2021 –  aktualisiert am 15. Dez. 2021

Die FAZ fetzen 

 BILANZ: DIE “FRANKFURTER ALLGEMEINE” IST EINE ZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND, FÜR DEN TAG UND NICHT MEHR. JEDE SOZIALE ELITE HAT DIE PRESSE, DIE SIE VERDIENT.

Die FAZ braucht nicht mehr wie vor sechzig Jahren eigene Vorurteile zu pflegen, als Hans-Magnus Enzensberger sie sezierte, sie kann es sich auf dem Sofa des Zeitgeistes bequem machen. Sie ist einfach zu nah dran an den Lobbyisten, an den taktierenden Wirtschaftsbossen, denen sie gelegentlich gute Zeugnisse für die Karriereleiter ausstellt, am inszenierten „Parteienstreit“.

Hier meine Eindrücke.

Kritik wird gern irgendwo in der Mehrstimmigkeit versteckt und ist hasenfüßig. Eben beruhigender „Qualitätsjournalismus“  für Menschen, die ihre Zeit gern am Frühstückstisch verbringen und nichts Wichtigeres zu tun haben. Auf die Dauer hat auch die illustrierte Titelseite der FAZ diese Entwicklung nicht aufgehalten. Der protzige Redaktionsneubau wird das auch nicht.

Interviews und Gastbeiträge von Leuten, die anderweitig genug Gelegenheit hätten, sich „Gehör zu verschaffen“, Chefs der Öffentlich-Rechtlichen, Regierungsmitglieder und Diplomaten verschiedener Länder. Man polemisiert, wenn alle polemisieren, man vergisst, wenn alle vergessen, und man beteiligt sich engagiert an staatstragenden Kampagnen, egal, ob es die Leserschaft überhaupt angeht oder nicht schon nervt. Im Moment meiner Aktualisierung des Überblicks ist jeden Tag “Covid” auf der Titelseite.

So einfach wie zur Zeit des Kalten Krieges sind die Fronten heute jedoch nicht mehr. Die unter Angela Merkel geschrumpfte „Große Koalition“ laviert die meiste Zeit und die FAZ laviert mit dieser Politik. Regierungsnähe. Dazu dürfen auch Erinnerungen an die Reisen des Korrespondenten mit Angela Merkel nicht fehlen.

“Natur und Wissenschaft” ist auf vier Druckseiten einmal die Woche geschrumpft, leistet sich eine Redaktionskraft für das Thema “Corona”. Wenigstens die Klagen von frustrierten Universitätsprofessoren werden öffentlich zu Gehör gebracht.

Die Vorliebe für rein deskriptive Überschriften verdankt sich wohl derselben Journalismus-Doktrin, die angeblich „Objektivität“ der „Nachricht“ verbürgt: „Der Dieselskandal rollt und rollt und rollt – Die breite Öffentlichkeit will längst nichts mehr von dem Betrug mit manipulierten Dieselfahrzeugen wissen, doch die Justiz muss sich noch immer durch die Aktenberge graben. Ein Ende ist nicht in Sicht. (21.7.21) Was war nochmal die Pointe, arme Justiz? Oder grob fahrlässig schlechte Gesetze und Rechtspraktiken?

Im Blick auf Brüssel werden nationale Interessen jenseits der Konzerne nicht ernstgenommen, so wenig wie bei der Koalititon. Eine EZB außerhalb des Legitimationsrahmens der Brüsseler Verträge bekommt die Streicheleinheit „Überforderte Giganten“.

Das Brexit-Thema wurde wohl von der Sportredaktion unter der Rubrik „Mannschaftssport“ behandelt. Polen und Ungarns Regierungen werden zum Feind, bis in die Wortwahl hinein. Geht es der Redaktion um Rückhalt für eine demokratisch nicht abgesicherte „Vertiefung“ der EU?

Auslöser meiner Glosse war eine Taliban-Karikaturvor nur acht Wochen von Greser& Lenz, die für die beiden eher untypische Sottise einer „Stadtmeisterschaft im Steinigen – Großer Preis eine Ziege…“ Fällt das eigentlich im aktuellen Zeitgeistgewand nicht unter „Hasspredigt“? Ach so, die Richtung war in Ordnung.

Wie die Regierung entdeckt die FAZ seit kurzem wieder China als „Systemgegner“ und hört auf  frischgebackene Experten in den subventionierten berliner Thinktanks. Das bekanntlich so zweischneidige wie spielkasinomäßige Thema „Bitcoin“ war dem Korrespondenten die folgende Schlagzeile wert:   …Regelungswut.

Nicht zu vergessen: Umfangreiche Verlagsbeilagen, der Medizinindustrie, der IT-Branche und weiterer „Zukunftsfelder”.

Obszön ist das monatliche Lifestyle-„Magazin“, die Plattform für Selbstdarsteller wie Politiker, Groß- und Kleinkünstler. Auch längst verstorbene. Wer drückt den ungelesenen „Marcel Proust“ immer aufs neue ins Feuilleton?

Beim Stichwort “Feuilleton” fällt mir ein: Über Jahre fand ich nicht-konventionelle Beiträge auch zur Politik allein dort, aber der dafür verfügbare Raum wird enger. Auch an der Qualität der wenigen ausgesuchten Leserbriefe ist meist nichts auszusetzen. Wer betreut sie eigentlich?

Nachtrag

Die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” erscheint schon Samstag. Was das wieder heißen soll? – Klar: Stillstand einen Tag früher.

Ist Werbung für die FAZ im Programmheft von ARTE in Ordnung ? – Passt!

15. Dez. 2021

Ehemalige Schüler und Schülerinnen von mir werden sich wundern: Der Graeve hat uns doch immer ARTE-Filme vorgeführt! – Ja, so ist es. Und dass ARTE mit den Jahren nicht transparenter wurde, dass permanent das Personal rotierte und Veränderungen grundsätzlich überraschend eingeführt wurden, dass selbst vor Ort in Baden-Baden oder Straßburg keine relevanten informationen zu bekommen waren, ich ärgerte mich, aber nahm es in Kauf.

Ausgerechnet mit einem Inserat in der Dezember-Ausgabe der Programmzeitschrift von ARTE bewirbt die Frankfurter Allgemeine ihre staatstragende ‘Unabhängigkeit’.

Den  französischen-deutschen TV-Sender kann man mit gutem Recht als  “Regierungssender” bezeichnen, wenn man präzisiert, dass die französische Seite den Kurs bestimmt und die deutsche Seite für die “öffentlich-rechtlichen” föderalen Nebelkerzen sorgt. Das strategische Interesse Frankreichs und seines Präsidenten Mitterand 1990 daran hat ein kleiner Artikel in der FAZ zum 40. Geburtstag  von ARTE angedeutet,  ein ausgekungeltes Experiment wie die Einführung der gemeinsamen Währung  Euro, nur eben auf ganz kleiner Flamme. Und es macht den auserwählten Journalist*en offensichtlich noch heute Spass.

Doku

ARTE-MAGAZIN Dez.2021, S.51

Und die FAZ wirbt hier auch noch mit einem jungen männlichen Model. Sollte man den bebrillten Bartträger kennen?  Vielleicht weiß er gar nichts von seiner Influencer-Rolle? Die Person sagt “ich” und dann einen ganzen Satz: ” Weil ich in diesen Zeiten sicher sein will, dass die Unabhängigkeit meiner Information gewährleistet ist.” Das Duzen” und Anbiedern hat Ikea erfunden, aber da ging es nur um Möbel.

Das ARTE MAGAZIN ist doch etwas für nicht-‘netzaffine’ alte Leute. Sollen die vielleicht beim Bartmodel an ihre Enkel denken? Oder gehört etwa das ARTE-Magazin längst zum Lifestyle eines jungen Geldadels  wie bereits das FAZ-MAGAZIN im XXL-Format?

“In diesen Zeiten will ich meiner Information sicher sein. Und ích fordert selbstverständlich  Gewährleistung.”  

Wo leben wir denn? Dieser Satz soll ernsthaft “Freiheit beginnt im Kopf” transportieren?

Und dann schleicht sich der Gedanke in mein Beamtengehirn, dass sie vielleicht doch im Portemonnaie beginnt. Und dass meine Freiheit im Grunde die Zeitung nichts angeht. Sie soll liefern. Nicht vergessen: Zum Preis einer xbeliebigen Ausgabe kann man heute bereits Bücher erwerben.

Ich erinnere mich gern an die humorvoll illustrierten und fast vergessenen Werbe-Klassiker “Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“.  Das war nicht als Gewährleistung gemeint, und die Protagonisten  wurden vom durchschnittlichen FAZ-Leser nur begrenzt als Identifikationsfiguren betrachtet. Interessanter war es , die jeweilige Person hinter der aufgeschlagenen Zeitung in den verrücktesten Umgebungen zu erkennen.

Die FAZ ist  beim Erspüren von Trends und ihren wirtschaftlichen Risiken bekanntlich schon lange den Konkurrenten einen Schritt voraus. Die Prognosen ihrer Marketing-Experten haben darüber entschieden, welche beliebte oder verdiente Rubrik gestrichen oder ausgehungert worden sind.

Ich bin nicht neugierig, was der angegebene Link noch an “Information” bietet, aber versuchen Sie es gerne. Ich freue mich über Kommentare. Die digitale Neue Zürcher Zeitung erhalten Sie  übrigens in Deutschland zum Spottpreis von 10 € im Monat. Freilich fehlt darin fast immer der Blick auf die geniale Stadtpolitik der Bonsei-Metropole Frankfurt.

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