6.10.21
Das Haus mit Ausblicken in die Natur nach drei Seiten, heute noch gesteigert durch ein Lichttheater – geniales Ambiente für eine altbackene ‚Moderne’. Viel dummes Zeugs für Neureiche in aller Welt. Im ‚Loft’ haben importierte Designer eine “Wohnwelt gegen den Lockdown” zusammengestellt, als ob solch ein Lockdown für Reiche von Bedeutung wäre.
Anlass zu einer Revision? Ja: Weniger Substanz als im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt, ist möglich. Enttäuschung über das vorgefundene Design.Design als defizitäre Gattung.
Der durchgängige Eindruck aufgeblasener Einfallslosigkeit, zum Beispiel lauter Esstische ohne jede Pointe. Oder: Ich bin mit meinem lädierten Rücken auf kreative Sitzgelegenheiten scharf, nichts davon. Die eine Küchentheke in Anthrazit – für Riesen – fällt auch bei K. durch. Raffinierter Schachzug: Eine Melange von Museum und Ikea, alles ist käuflich, aber erst unten im Shop. Zuerst oben die pseudo-sakrale Aufladung im Gesamtkunstwerk, dann lässt sich die Ware vielleicht – man muss die Preise zahlen wollen – zu Kunden und Konsum herab.
Jedes Anstoßen, Knarren, Kippeln wird zum Skandal. Ebenso jede noch so kleine Abweichung von der Norm der schwarz-weißen Makellosigkeit. Unter der Überdachung draußen vor dem Eingangsbereich zieht es wie in einem Windkanal. Wäre mein Feuerzeug (oder mehr) in die breite Rille vor der grob gezimmerten langen Bank gerutscht hätte man die dicken Bohlen mit einem Kreuzschlitz abschrauben müssen. Im dritten Stock schraubt eine Angestellte den ‚filigranen’ Baukastenfuß eines Schalensitzes zusammen. Hätte sie ihren Arbeitsplatz verlassen dürfen?
Erster Eindruck am Postkartenstand im Parterre: Das ist ‚die Gegenwart’ mit radikalen Sprüchen und in schonungsloser Reinheit. Der Rabe – anthrazit – inmitten der Wire Chairs ist bereits tot, in Kunstharz gegossen. Weiße Stühle sind verknäult unbe-sitz-bar. Selbst die bunten Kuscheltiere sind kalte Produkte für das Bedürfnis nach Wärme. Ein auf synthetische Kuscheltiere gepackter lebendiger schwarzer Hund ist offensichtlich fehl am Platz. – Dann habe ich noch ein halbes Dutzend Textkarten fotografiert, weil kurze Texte ohne Geheimnis schon beim zweiten Lesen welken. Alle, Publikum und Teamer, tragen passenderweise Maske – Zukunftsvision oder wie sagt man heute‚ Dystopie’!
Postkarten von Büroanwendungen, Konferenzräumen und Wartebereichen in Flughäfen, wie sie jeder kennt, stecken in einem Ständer. Wo ein Funken Leben zu spüren ist, stößt die Hand an die styropor-unterlegte Basiskarte. Bereits von Vorgängern aufgesammelt. – Ahnung, dass in solchem Design die kalte Hölle der Gegenwart ausgebrütet wird.
Grünliche Fehlfarben auf den Holzoberflächen. Wenn es sich überhaupt um Furniere handelt, möchte ich nicht wissen, was damit veranstaltet worden ist.
Kein Scherz: Noch das Wiener Schnitzel unten im Bistro hat die Panade – eines Backfisches. Friss’ es, mach dir keinen Stress! Hier herrscht Verfremdung als Prinzip. Sogar als Maxime in der Serie „Super Normal“ eines britischen Langweiler- Designers, der zwischen London und Tokio ‚lebt’. Luxus kann selbstverständlich, aber muss er Überfluss an Nichtigem sein?
Immer wieder klischeehaft irgendwie ‚tropische’ Grünpflanzen verteilt’. K. kommentiert ‚fünfziger Jahre’. Nur nichts ‚Heimatliches’, nichts Vertrautes zulassen! K. erinnert der Laden später an ein Raumschiff.
Inmitten inhaltsleerer Neubücher auch die echt großzügig gestylte Autobiografie von Mahatma Gandhi “The Story of my Experiments with Truth” (Critical Edition Penguin/Yale 2018), das letzte Exemplar. Die Shop-Leiterin kann nicht sagen, warum das Buch überhaupt aufgenommen wurde. Sie rubbelt verzweifelt am Aufkleber ‘Ansichtsexemplar’. 10% Rabatt ausgehandelt.