Was bedeutet “links” heute ? Stellschrauben benennt Sahra Wagenknecht (2021)

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15.8.21     “LINKS” – das heißt heute: an den Stellschrauben drehen, nicht an Zierschrauben!  – Aber zuerst einmal die Kritik an einem Buch!

Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten – Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt, Campus Verlag 2021

Sahra Wagenknecht behandelt solche Stellschrauben. Sie passen schlecht zueinander, sie scheinen mir bereits – um im Bilde zu bleiben – verkantet oder festgerostet. Dafür kann sie natürlich nichts. Doch das Übel beginnt bereits mit dem publizistischen Korsett, das sie sich anlegt oder sich vom Verlag aufschwätzen ließ.

  • Die  Form des populären Sachbuchs zu wählen, gar die anrüchige des Politikerbuchs, wo Übertreibungen, Oberflächlichkeit, Eitelkeit, Ghostwriter oder Plagiat im Hintergrund lauern, ist auch für die gestandene Politikerin ein Risiko, zumal Wagenknechts bewegte intellektuelle Biografie für publizierte Übertreibungen gut war. Das Buch ist mutig. Es bezieht Position. Es verbindet das Ethos des klassischen Sozialismus mit realistischer Analyse gegenwärtiger Verhältnisse. Es kann uns  in Deutschland nützlich sein, aber es soll als ‘Bestseller’ ‘politisch’ sein. Ob das Pulver auf diese Weise trocken bleibt?

  • Schon der unsägliche Titel “Die Selbstgerechten” ist mir noch nach Wochen ärgerlich, gekrönt von der lärmenden Versicherung “Mein Gegenprogramm” und auf dem Schutzumschlags vertreten vom herausfordernden Blick der Heldin . Wenn man zuhause den ‘Schutzumschlag’ entfernt, kommt die dunkelgraue Realität zutage: der Anspruch an die Leser, dreihundertvierzig Seiten verzahnte Sachargumentation zu verdauen. Mit all den angeschlagenen Themen ist ohnehin ein einzelner moderner Autor überfordert. So fehlen den anregenden und nachdenklichen Thesen aus Zeitmangel mancher nützlicher Beleg. Wer gibt sich heute noch mit “weiterführender Literatur” zufrieden? Und an Diskussionspartnern, realen oder virtuellen, mangelt es auch. Vor allem im volkswirtschaftlichen Teil fragte ich mich: Will sie jetzt allein ein ganzes Konzept entwickeln? Ich wünsche der Frau eine verantwortungsvolle(re) politische Rolle, aber doch nicht als Solistin!

Nun gut. Ich fange schon einmal mit zwei Stellschrauben  an:

  • Die anvisierten Leser sollen sich an die eigene Nase fassen, aber werden die das tun? So wie sie bereits im Titel angeredet werden: “Die Selbstgerechten”? – Können und wollen die Protagonisten der ‘identitären Linken’ das überhaupt mit ihren Schrottdiplomen, den maßgeschneiderten Lebensläufen und der Aussicht auf ein Karriereticket in einer der auserwählten Gruppen?

S.W. : Vor allem Arbeiter und Geringverdiener  haben keine politische Vertretung mehr, seit die linken Parteien die Seiten gewechselt haben. () Daher sieht der Linksliberalismus die () zurückliegenden Jahrzehnte als Fortschritts- und emanzipationsgeschichte. Daher stehen im Mittelpunkt …. die individualistischen und kosmopolitischen Werte, die das Lebensgefühl moderner Großstadtakademiker prägen. Daher geht es im Rummel um Diversity und Quoten immer nur darum, bereits privilegierten Frauen und Minderheiten bessere Chancen im Kampf um gut dotierte Stellen zu verschaffen.  () Unter  Rückgriff auf diesen Wertekanon können Wirtschaftsliberalismus, Globalisierung und Sozialabbau in eine Erzählung eingebettet werden, die sie als progressive Veränderungen erscheinen lässt: Eine Erzählung von der Überwindung nationaler Abschottung, provinzieller Borniertheit und unterdrückender Gemeinschaftlichkeit, von Weltoffenheit, individueller Emanzipation und Selbstverwirklichung. (331/332)

  • Die unfreie öffentliche Kommunikation. Von den kommerziellen Anbietern von Rundfunk und Fernsehen ist eine Wende fairerweise kaum zu erwarten. Stellschrauben hätten die “Öffentlich-Rechtlichen” zu sein, über die umstrittenen Faktoren Zwangsgebühren und den überparteilichen, gemeinnützigen Anspruch nicht ganz unrealistisch. Doch angesichts der Auswanderung des breiten Publikum zu den scheinbar freien, weil undurchschaubar regulierten digitalen Netzwerken der Big Five, wären die in die Pflicht zu nehmen:

Der Weg, dem wir augenblicklich folgen, entspricht dem Geschäftsmodell und den Interessen der großen amerikanischen Digitalkonzerne und wird von ihnen gebahnt und gestaltet. (318) () Und die IT-Giganten () arbeiten seit Jahren daran, in Bereiche vorzustoßen, die sich zuvor noch außer der Reichweite ihrer Überwachungssoftware befanden. Unsere Wonung, unser Auto, unser Kühlschrank, unser Zahlungsverkehr, unsere Bildung, unsere Gesundheit, die öffentliche Verwaltung und tausend ganz normale Gebrauchsgüter (324/345) () Facebook und Co. gehe es um ‘die Entwicklung von suchterzeugenden und manipulativen Netzwerkdiensten’, schreibt der amerikanische Informatiker Jaron Lanier. Hauptzweck der Manipuationen sei es, Menschen dazu zu bringen, immer mehr Zeit im System zu verbringen. (326)

Stand: 20.8.21    Fortsetzung folgt

 

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