Totengleich auf der Pritsche – afrikanische Figur (Luba)

|

Herkunft (“Songye”? “Luba”?) und vor allem die Bedeutung waren dem Händler unbekannt. Aber jeden Besucher in meinem Arbeitszimmer zog die Figur an. Der Liegende hat eine starke Ausstrahlung, ungeachtet der Fraßspuren, also ein Kunstwerk! Abrieb und Pflege über lange Zeit lassen die unbeschädigten Flächen diskret glänzen. Also ein Kultobjekt!

 

Die Maße: Liege 31,5×18,5 cm Figur 26,5cm

Die Figur liegt ganz flach auf einem Bett mit vier breiten Füßen, Ihre Auflage ist eine Matte, deren Flechtwerk als schlichtes Dekor funktioniert. Dessen Wirkung scheint durch die Beschädigungen auf einer Seite nur gesteigert zu werden. Der 2,3 cm dicke seitliche Bettrand ist mit kleinteiligen geometrischen Mustern dekoriert.

Die Figur besteht aus drei Teilen: dem großen Kopf, dem eingewickelten massiven Rumpf und den daraus hervortretenden kleinen Füßen. Proportionen: 10cm, 14cm, 3cm, Höhe durchgängig etwa 4,5 cm, Breite bis 7 cm.

Der Kopf tritt an seiner breitesten Stelle aus dem Brett hervor. Jetzt will er mir ganz typisch ‚Luba’ vorkommen:

Die gewölbte Stirn, der gerade ‚ausrasierte’ Haaransatz – das nicht zerstörte Ohr ist gut sichtbar. Darunter eine abgeflachte unten breit endende Nase, ein hervortretender leicht offener ovaler Mund von derselben Breite und große Augen mit noch schwereren Augenlidern als bei ‚Luba’-Figuren üblich. Die Lider sind fest geschlossen, das beschädigte Augenlid verstärkt auf seine Weise die Wirkung.

An dem eng wie eine Mumie umwickelten Torso ist nicht die Spur eines Armes zu erkennen, im Gegenteil: Der durch vier Kerben gegliederte Torso wirkt mächtig wie eine Panzerung. Unter dem zarten Hals ist der Block noch schmaler als über den kleinen Füßen. Sie sind völlig senkrecht und parallel aufgestellt, ziehen durch die ihnen eingekerbten Zehen unsere Aufmerksamkeit auf sich und verstärken den Eindruck der Bewegungslosigkeit.

Ein „tief Schlafender“ oder schon „ein aufgebahrter Leichnam“?

Eine afrikanische Figur soll doch so etwas wie Kraft, Willen, Aktion u.s.w. verkörpern! Gerade auch für vielleicht sogar symmetrische Frontaldarstellungen soll das gelten. Ich glaube zu wissen, dass die Verbildlichung des Todes geradezu ein Tabu ist.

Ich wüsste auch nicht, welche Verwendung ein solches Objekt haben könnte, vor allem nicht im Leichenbegängnis, wo die spirituelle Macht des neuen ‚Ahnen’ in ihrer ganzen Ambivalenz lebhaft gespürt wird und im Ritual von den Lebenden ab- und weggeleitet werden soll.

Könnte dieser Kopf und dieser Leib etwas anderes bedeuten, etwa die therapeutische ‚schamanische’ Reise des Heilers, seine zeitweise Abwesenheit aus seinem Körper? Die Schilderung einer therapeutischen Sitzung in Duala, mit dem Eric de Rosny seinen Erlebnisbericht aus Duala einführt  – „Die Augen meiner Ziege – Auf den Spuren afrikanischer Hexer und Heiler“ (deutsch Trickster 1999) – setzt mich auf diese Spur.

 

Objektdokumentation

Man führt mich bis zur Tür eines Zimmers, in dem sich, wie man mir sagt, etwas ereignen wird. Ein magerer, recht großer Mann liegt mit geschlossenen Augen auf einem Bett. (…) Bekleidet ist der Mann mit einem langen roten Hemd und mit einem bunten, in Gürtelhöhe verknoteten Hüfttuch, das sich wie ein Leichentuch an seine Beine schmiegt. Ich erkenne Din, den Meister, der mir zu kommen erlaubt hat. Zunächst verharrt er in vollkommener Bewegungslosigkeit. Seine Hautfarbe ist ein fahles Leichenblass, die Nase wirkt tot. Lange muss ich seine Brust betrachten, um sicher zu sein, dass er noch atmet. Neben seinem Haupt liegen zwei kleine Strohbesen mit kunstfertig verarbeiteten Griffen. (…) Sehr bald fühle ich mich erschöpft, und begebe mich zurück auf meinen Platz im Hinterhof. Nun lässt mir mein Nachbar folgende Erklärung zukommen: „Ja, auch ich habe Din oder vielmehr seine körperliche Hülle gesehen, denn in Wirklichkeit hat er sich weit von uns wegbegeben, in westliche Richtung, genau gesagt, zum Mont Kupé. Dort nämlich wird die Person, die er heute nacht befreien wird, gefangen gehalten. Schadenzauberer, so heißt es, lassen sie dort auf berüchtigten Plantagen für sich arbeiten. (…) Es handelt sich um Engome, jene Frau, die links, zehn Schritte von uns entfernt, unmittelbar an der Mauer liegt. Es hat den Anschein, als wäre sie hier, aber ihr eigentliches Ich ist immer noch auf dem Kupé, es sei denn, Din geleitet sie gerade schon zurück.“ All dies erklärt er mir mit unbewegter, höflicher und leiser Stimme,so wie ich einem neugierigen Buddhisten eine christliche Zeremonie erklären würde. (S.12/13)

Später in der Nacht ist Din im Hof und führt Engome in die Mitte der Versammelten. „Unter unseren Augen werden sie ihre lange Reise beenden; Engome, sie klebt fast am Rücken ihres Befreiers, hält seine Taille mit beiden Armen umfasst und drückt sich fest an ihn. Din durcheilt mit dieser Frau, die ein Bein nachzieht und sich an ihn klammert, den freien Raum in alle Richtungen und so schnell wie möglich, um zu beweisen, dass die Flucht gelungen ist. (S.15) Das Geschehen zieht sich über die ganze Nacht. „Es gelingt mir nicht, eine zweckmäßige Körperhaltung einzunehmen: wenn ich die Beine oder Füße über Kreuz lege, kommt sogleich jemand, um sie zu öffnen und sie parallel auszurichten. (S.16) Der katholische Priester und Ethnologe de Rosny hat viele Fragen, zum Beispiel, ob die junge Frau bald gesunden werde. Fragend ahmt er ihr Hinken nach. Din lacht „und fordert mich auf, die Umstehenden über Engomes Zustand vor einem Monat zu befragen. Da war sie noch sehr aufgedunsen und fast ganz gelähmt.“ (….)

 

Die geschilderte Szenenabfolge lässt es mir plausibel erscheinen, dass die Figur des Liegenden auf der Pritsche einen Heiler im Zustand der Seelenreise darstellt. Der Heiler könnte seine dingliche Vergegenwärtigung als therapeutisches Hilfsmittel eingesetzt haben, etwa zur Unterstützung oder Festigung des Erfolgs, zur Beruhigung und zum Schutz des Klienten, also zur Schadensabwehr. Ärzte, Psychotherapeuten und Patienten wissen auch bei uns, wie schwer es ist, Therapieerfolge dauerhaft zu machen.*

Der starre Torso des Liegenden muss nicht einmal eine reale Einschnürung abbilden, wenn er nur die ‚Leblosigkeit’, die ‚Abwesenheit’ der ‚Seelenreisenden’ eindrücklich suggeriert.

9.1.2020

Bilddokument

de Rosny: “Die Augen meiner Ziege”  : TITEL “Nganga auf Reisen”  Fotoseiten de Rosny (copyright)

 

16.1. 2020       Gute Neuigkeit !

 

 

 

 

Hinweis:
Zwei Links innerhalb des Blogs zu Hexerei bieten sich an: Zoé Strother und Pierre Petit (LINK 1) (LINK 2) zu Pende und Luba.

P. Petit schätzt die Herkunft auf “Luba” (Mitteilung)

 

*  Alternative (Febr. 2020)

Es könnte mit vielleicht grösserer Wahrscheinlichkeit eines der vielen magischen Objekte gewesen sein, die nach dem Tod eines Heilers im Lubaland verkauft wurden und die er während des Praktizierens in seiner spirituellen „Festung“ in der Mitte seines Hauses angesammelt hatte. (vgl. de Rosny für Duala-Heiler)

Ein Gedanke zu „Totengleich auf der Pritsche – afrikanische Figur (Luba)

  1. dvg Beitragsautor

    Dear Detlev,

    I had a quick look at the figure. It is a mystery to me as well. It looks like Luba, but I have never seen such a composition.
    Best regards from Vientiane,

    Pierre (Petit) 14.1.20

    Antworten

Schreiben Sie einen Kommentar zu dvg Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert