4 Kommentare zu “Die Weissen halten unsere Geister gefangen “

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Über “Die Weissen halten unsere Geister gefangen “ – Unterwerfung, Magie und Entfremdung  ”

  1. Paul Pfeffer
    Erschütternd zu sehen, was passiert, wenn Obskurantismen aller Couleur und Herkunft aufeinandertreffen. Das gilt nicht nur für Afrika. Leider ist der Krieg der Götter und Zauberer noch lange nicht zu Ende, im Gegenteil, er erhält durch die wuchernden religiösen Fundamentalismen immer neue Nahrung. “Mein Gott (Zauber) ist stärker/größer/mächtiger als deiner. Meine Wahrheit ist wahrer als deine. Ich bin besser als du.” So lange solches Denken andauert, befindet sich die Vernunft im Sinkflug. Wenn darüber hinaus Machtfragen und Verteilungskonflikte an magisches Denken und Zaubereien geknüpft werden, gibt es Mörder und Opfer aller Art.
    Tut mir leid, dass dieser Kommentar aus aufklärerischer Sicht so allgemein und so pessimistisch ausfällt. Das Dumme ist: Die Götter, Geister und Dämonen existieren ja wirklich, und zwar in den Köpfen der Gläubigen, und sie werden dort immer neu geboren. Kommen Aufklärung und Wissen dagegen an?

    1. dvg Post author  
      Lieber Paul,
      ich möchte lieber nicht so rasch ‚global‘ und ‚allgemein‘ werden, sondern die Aufmerksamkeit der Leser lieber noch ein Zeitlang auf das richten, was Europäer unter den afrikanischen Kolonialvölkern angerichtet haben.„Wissen“?
      Was in den Kolonien wirklich geschah, haben damals höchstens ein Handvoll Menschen bekannt gemacht oder überhaupt begriffen. Das bleibt sogar heute hinter den Mauern wissenschaftlicher Bibliotheken und Archive verborgen. Selten sind moderne Analysen wie die hier vorgestellten, die die Sicht der Kolonisierten endlich auf Augenhöhe mit der westlichen scheinbar ‚aufgeklärten‘ Perspektive bringen.„Aufklärung“?
      Die ‚magische‘ Sicht sollten wir als weiteres Denksystem in unser Repertoire aufnehmen, damit wir sie wiederzuerkennen vermögen, wo immer sie sich auswirkt. Immerhin leben bereits Millionen Abkömmlinge unserer Kolonisierten mitten unter uns in Europa und Amerika. Sie tragen ihre Heimat mit sich im Kopf.Was gibt es zu bewerten?
      Und wenn es ums Bewerten geht, dann stehen für mich erst einmal historische Gier und Ignoranz der angeblich zivilisierten Kolonialisten auf dem Prüfstand, sowie Gier und Ignoranz heutiger Akteure in den afrikanischen Ländern. Die Konzerne stehen noch am ehesten in der Kritik durch Qualitätsmedien, weniger bereits eine verlogene staatliche Entwicklungshilfe über ein halbes Jahrhundert lang. Den Tunnelblick der christlichen Missionswerke wagen die Medien gar nicht anzugehen, nicht einmal das zerstörerische Wirken ‚bibeltreuer‘ Evangelikaler unter den von ihren Regierungen vernachlässigten Hinterweltlern überall in der Dritten Welt. Und schon gar nicht die saisonabhängige Spendenbereitschaft saturierter Speckbürger, die von einem undurchsichtigen Netz von ‚Hilfswerken‘ abgeschöpft wird ….. Halt! Ich werde auch schon ‚global und allgemein‘.Jemand, der seinen existentiellen Probleme hilflos und ‚dumm‘ gegenübersteht, der kein erfolgreiches Rezept vorzuweisen hat, verliert den Respekt der Außenstehenden, wird zum „Opfer“, bei den sentimentalen Gemütern im karitativen Sinn, bei den übrigen auf ‚Kraftdeutsch‘: „Du Opfer!“
      Es war lange Mode unter Ethnologen und feinsinnigen Intellektuellen, ‚spirituellen‘ Systemen ‚traditioneller Kulturen‘ nachzuspüren, so wie Künstler und andere Ästheten in Europas Metropolen von der ‚künstlerischen Inspiration‘ durch ‚Primitive‘ profitierten.
      In der total säkularisierten westlichen Zivilisation Zentraleuropas ist es aber kaum möglich, eine uns ‚mittelalterlich‘ anmutende Einheit von Religion, Künsten, Überlebenskampf, Schicksalsschlägen und Konkurrenz nachzuvollziehen und als mit realen Menschen funktionierend vorzustellen, nicht als idealisierendes Modell, sondern als unbefriedigender, ‚ungerecht’ harter menschlicher Alltag.
      Jene Welt ist eine für die soziale Archäologie geworden, sie lebt inmitten von Trümmern kümmerlich weiter, was man dank Wyatt MacGaffey, Jan Vansina, Kejsa E. Friedman oder Filip de Boeck in Äquatorial-Afrika nachverfolgen kann (Alle als Links im Blog unter der Funktion „Suche“). Natürlich macht es auch Spaß, von Zoé S. Strother so viele starke Indizien für ihren mühelos erworbenen Hexenstatus serviert zu bekommen!
      Doch so viel anders wird bei uns die Zukunft auch nicht funktionieren, wenn – wie anderswo bereits – die uns tragende atemberaubende technische Infrastruktur kollabiert und verzweifelte Gruppen orientierungslos erst richtig aufeinander losgehen – so wie du es in deinem Kommentar ja schon angedeutet hast.

      3.

      Zoé Strother Kommentar in ihrer Email 16.8.19

      ” (…)  Thank you also for the interest in my essay (which practically no one else knows). The juxtaposition of the three essays is thought-provoking. One thing to remember – Vansina was writing about THE most devastated area in DRC. It was bad in Pende land (beginning in the 1910s) but they never had to go through the vine rubber atrocities. Pierre Petit (I’ve always wanted to meet him) refers back to 1991, when the Mobutu regime visibly began to crumble, when riots destroyed a lot of infrastructure, and when people were feeling abandoned by the international community and the economy was completely in shambles. It would talke over 6 years finally to oust Mobutu.Ironically, I am recounting a period in the late 1980s, when E Pende were struggling economically and oppressed by Mobutu’s secret police but were culturally self-confident. I was welcomed because there were a number of chiefs who valued research on “ima jia Apende.” Maybe 25% were still practicing Pende religion and a majority had been brought up in the Pende religious system.  My problems did not result from a “loss of tradition” but from a fundamental belief that individuals only accrue great wealth at the expense of others. When there are huge disparities of wealth, some people are somehow (openly or more likely secretly) siphoning off resources or life’s energy from others. It’s like wealthy Pende suspected of making diamonds from the teeth of their junior relatives, who whither away.

      (Probably my most complete overview of Pende religion is in the article “Performative Object” – near the bottom of what I’ve posted on academia.edu)
      (….)
      The problem that I see it is that westerners think that they know everything, even about a totally unfamiliar environment, because they have a lot of things. There is fiasco after fiasco based on this misplaced self confidence. One of the earliest blunders by the Peace Corps in W Africa was in promoting tractors because that’s what American farmers needed in the midwest (once) to turn over feet and feet of rich black topsoil. In W Africa, instead, they buried the precious quarter inch of topsoil underneath infertile clay. On the other hand, faced with “experts” lauding their knowledge, all too many Africans believe them and get themselves into trouble. After all, they have so many things! They must know something we don’t. Another famous example was when the World Bank (or was it IMF) convinced the president of Zambia that he would be caring for his people if he got them to abandon millet and grow corn. This is what he did and today no one in Zambia wants to eat millet. Westerners had a stupid prejudice against millet which they thought of as food for their parakeets. However, millet grows perfectly in the sandy soil of the C AFrican savanna, is resistant to drought, AND is rich in protein. Now Zambia is no longer self-sufficient. They have to spend millions paying for fertilizer to grow corn.
      (….)

      4.

      Ich interpretieren die Kommentare von Zoé Strother (in deutscher Übersetzung)

      Nachdem Zoé Strother die Gegenüberstellung der Texte als zum Nachdenken anregend bezeichnet hat, skizziert sie zu jedem der drei Texte den historischen Hintergrund, sie macht damit auf den Zeitbezug derartiger Essays aufmerksam, die, wenn sie erst einmal publiziert sind, noch lange zitiert werden können.

       

      Zoé Strother über Jan Vansina:

      Vansina schrieb über die am meisten verwüstete Region in der DRC; demgegenüber haben die Pende vor allem nach 1910 zwar auch gelitten, aber nicht die Greueltaten des Gummi-Booms durchmachen müssen.

      Sie erinnert daran, dass Traumatisierung und die Zerstörung von Traditionen die Regionen unterschiedlich trafen. Unterschiede selbst innerhalb des Pende-Landes konnte sie bei den Pende am Kasai und denen am Kwilu feststellen. Und selbst hier – in der Nachbarschaft der Ölpalmen-Pflanzungen – kam es 1931 noch zu einer spontanen Rebellion. Die anschließende unverhältnismäßig harte und weit über das Aufstandsgebiet ausgedehnte militärische Repression hinterließ dann nachhaltige Wirkung. Im Essay schrieb sie dazu:

      Brutale Repressalien nach dem Tod eines belgischen Kolonialagenten machte ältere Pende im Umgang mit weißen Ausländern vorsichtig – selbst nach der Unabhängigkeit“ (p.59 (5), vgl LINK)

      Mir ging es bei dem Text vor allem darum, die von Jan Vansina herausgefilterten (filtered out) psychischen und geistigen Zerstörungen durch Krieg und Kolonialisierung zu präsentieren.

       

      Zoé Strother über Pierre Petit

      Sie bezieht Pierre Petit’s Essay auf die quälend lange Phase, in der das Mobutu-Regime zerfiel. 1991 bereits nicht mehr zu übersehen, dauerte der Niedergang noch weitere sechs Jahre. Damals zerstörten Unruhen eine Menge Infrastruktur, die Ökonomie befand sich in heillosem Durcheinander, und die Menschen fühlten sich von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen.

      Ich verstehe diese Bemerkung so, dass die Krise fremdenfeindliche Emotionen bei den Luba herausforderte, zumal sie in Katanga mit dem Bergbaukonzern (Union Minière) mächtige ‚weiße’ Akteure direkt vor Augen hatten.

       

      Zoé Strother über den eigenen Essay

      Ihren eigenen Essay verortet Strother ende der achtziger Jahre in einer Periode, als die Ost-Pende wirtschaftlich hart kämpften und von Mobutus Geheimpolizei tyrannisiert wurden, jedoch starkes kulturelles Selbstbewusstsein zeigten. –  Im Essay p.62 erwähnt sie kurz „sehr reale Probleme mit den Agenten der Sécurité.  Die Doktorandin war hier willkommen, weil eine Reihe von Häuptlingen die Forschung über die Tradition der Pende für sehr wichtig hielten.

       Kein Traditionsverlust!

      Vielleicht ein Viertel der Pende praktizierten noch immer ihre tradierte Religion und eine Mehrheit war in diesem System erzogen worden. Meine Probleme resultierten nicht aus einem „Traditionsverlust“, sondern aus einem fundamentalen Glauben, dass Individuen großen Reichtum nur auf Kosten anderer anhäufen. …. Es ist so, wie wenn reiche Pende verdächtigt werden, aus den Zähnen jüngerer Verwandter, die weg sind (?), Diamanten herzustellen.

      Der Gedanke, den Essay als „Fallstudie“ zu nutzen, hat meinen Blick fokussiert auf die Figur der weißen Frau, die zur Projektionsfläche für Hexenängste wird. Die Jahre am Ende der 1980er hatten bereits krisenhafte Züge. Ich glaube bei McGaffey gelesen zu haben, dass in Krisenzeiten der Hexenglauben stark zunimmt.

      In ihrem eigenen Dorf am Kasai registrierte Zoé überrascht einen Fall von Traditionsverlust und Improvisation mangels Übung. Das was man in den langen Regierungsjahren des paramount chief an rituellen Details beim Amtswechsel vergessen hatte, wurde improvisiert. Das war jedoch kein „Traditionsverlust“ in der zerstörerischen Bedeutung wie bei Jan Vansina, sondern Beweis für ungebrochene Regenerationsfähigkeit von Tradition.

      Und in der Maskenstudie „Inventing Masks“ hat Zoé Strother gerade das Innovations-Element – während des ganzen 20. Jahrhundert bei den Kwilu-Pende – herausgearbeitet.

       

      Zoé Strothers ergänzende Erläuterungen zum Thema Mais-Anbau

       Das Problem, das ich sehe, ist, dass die Westler denken, dass sie alles wissen, auch über eine völlig unbekannte Umgebung, weil sie eine Menge Dinge haben. Es gibt ein Fiasko nach dem anderen, das auf diesem fehlgeleiteten Selbstvertrauen beruht. Einer der frühesten Fehler des Peace Corps in W-Afrika war die Förderung von Traktoren, da amerikanische Landwirte (einmal) genau das benötigten, um Füße und Füsse mit reichem schwarzem Mutterboden umzudrehen. In Westafrika vergruben sie stattdessen den kostbaren Zentimeter Mutterboden unter unfruchtbarem Lehm. Auf der anderen Seite glauben allzu viele Afrikaner “Experten”, die ihr Wissen loben, und geraten in Schwierigkeiten. Immerhin haben sie so viele Dinge! Sie müssen etwas wissen, was wir nicht wissen. Ein anderes berühmtes Beispiel war, als die Weltbank (oder war es der IWF) den Präsidenten von Sambia davon überzeugte, dass er für sein Volk sorgen würde, wenn er es dazu bringen würde, Hirse aufzugeben und Mais anzubauen. Das hat er getan und heute will niemand in Sambia Hirse essen. Die Westler hatten ein dummes Vorurteil gegen Hirse, das sie als Nahrung für ihre Sittiche betrachteten. Hirse wächst jedoch perfekt in den sandigen Böden der Savanne C AFrican, ist dürreresistent und reich an Eiweiß. Jetzt ist Sambia nicht mehr autark. Sie müssen Millionen für Dünger ausgeben, um Mais anzubauen.“

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