Autor: Paul Pfeffer am 27.Mai 2019
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Kommentar
Ich Ă€rgere mich immer, wenn die Begriffe „Europa“ und „EU“ synonym gebraucht werden. Gerade im abgelaufenen Wahlkampf zur Wahl des EuropĂ€ischen Parlaments wurde der Unterschied meist unterschlagen. Ich kann aber ein ĂŒberzeugter (deutscher) EuropĂ€er sein und gleichzeitig die EU als Fehlkonstruktion ansehen.
Ich lasse jetzt mal die positiven Effekte des europĂ€ischen Einigungsprozesses weg (ĂŒber die mĂŒssen wir natĂŒrlich auch reden!) und konzentriere mich auf die neuralgischen Punkte, wie ich sie sehe:
– Die EU ist zu groĂ. 28 (gleichberechtigte!) Einzelstaaten mit Vetorecht sind allein schon logistisch und organisatorisch eine Ăberdehnung. Dabei ist das Sprachenproblem nicht einmal das gröĂte. Resultat: LĂ€hmung, Formel- und Minimalkompromisse.
– Die EU ist zu heterogen, um als Einheit aufzutreten. Zwischen RumĂ€nien und Deutschland, Polen und Portugal, Griechenland und DĂ€nemark liegen nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch und kulturell Welten. Das fĂŒhrt automatisch zu Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung.
– Der Euro als Versuch, die EU wirtschaftlich und politisch nĂ€her zusammenzufĂŒhren, war und ist mindestens fragwĂŒrdig. So bequem es auch ist, ĂŒberall mit Euro bezahlen zu können: Die Griechenland-Krise zeigt, dass wirtschaftlich so unterschiedliche Regionen nicht ohne groĂe Verwerfungen in einer WĂ€hrungsunion zusammengespannt werden können.
– Die EU ist ein Projekt der Eliten (geworden). Die groĂe Mehrheit der EuropĂ€er hat keine innere Bindung zu diesem Projekt entwickelt. „BrĂŒssel“ wird zu einer Metapher fĂŒr sinnloses Regulieren und politische Abgehobenheit. Macrons innenpolitische Schwierigkeiten und der Brexit sind die Quittung dafĂŒr, obwohl die Briten noch eine ganze Reihe anderer Sonderinteressen und -motive haben und die Franzosen von Natur aus anarchisch ticken.
– Die EU wird von der radikalen Linken und der radikalen Rechten als kapitalistische Lobbyorganisation wahrgenommen, die sich um die Lebenswelten und Probleme der Mehrheit der Bevölkerung einen Dreck schert.
– Die EU ist fĂŒr einige Mitgliedsstaaten (vor allem die Ost- und SĂŒdeuropĂ€er, aber nicht nur die) eine Kuh, die man melken, aber nicht fĂŒttern will.
– Eine EU-freundliche gesellschaftliche Mitte mit einer entsprechenden Ăffentlichkeit ist nicht vorhanden, jedenfalls nicht auf gesamteuropĂ€ischer Ebene.
– Die Bedeutung der nationalen SouverĂ€nitĂ€ten gegenĂŒber den Kompetenzen der EU-Institutionen war von Anfang an umstritten und ist es zunehmend, was sich gerade in der Migrations- und Asylfrage zeigt.
– Der Schengen-Raum (Europa ohne Grenzen) ist leider eine Schönwetter-Veranstaltung. Bei zunehmendem Migrationsdruck wird er zum Problem. Der Fokus verlagert sich logischerweise auf die Sicherung der AuĂengrenzen.
– Ich habe eine Zeitlang geglaubt, dass eine Zusammenarbeit zwischen den Staaten der EU auf den Gebieten der inneren und Ă€uĂeren Sicherheit, der Justiz und der AuĂenpolitik möglich sein könnte. Seit der FlĂŒchtlingskrise glaube ich das nicht mehr. Bleiben Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf diplomatischem Gebiet (z. B. in der UN). Auch da sehe ich zurzeit auf Grund der heterogenen Interessen keine groĂen Chancen. Aber: Frankreich und Deutschland wollen im UN-Sicherheitsrat mit einer Stimme sprechen. Das ist ein kleiner Versuch. Ich hoffe sehr, dass er nicht scheitert.
– Es gibt staatliche Aufgaben, die ĂŒbernational gelöst werden mĂŒssen (z. B. Umweltschutz, VerbrechensbekĂ€mpfung). Dabei entsteht das Problem, dass die Einzelstaaten unterschiedliche Interessen und Standards haben, von denen sie nicht abrĂŒcken wollen oder können. Ein einheitliches Vorgehen scheitert an nationalen Egoismen.
– Es gibt staatliche Aufgaben, die (auf absehbare Zeit) nur national gelöst werden können (z. B. Sozialstaatlichkeit). Auch hier entstehen zwangslĂ€ufig Ungleichheiten.
Was tun? Wie politisch agieren angesichts der anstehenden Herausforderungen (China, Digitalisierung, Umweltprobleme, FinanzmĂ€rkte …)? Europa der VaterlĂ€nder nach dem Rezept des alten de Gaulle? Europa der Regionen? Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten? Kerneuropa mit Satelliten? EU als lockerer Staatenbund mit klar abgegrenzten nationalen und supranationalen Kompetenzen? EU als Vereinigte Staaten von Europa? Gemeinsame Armee? Gemeinsame AuĂenpolitik? Mehr Transferunion?
Was die Zukunft der EU angeht, bin ich als deutscher EuropÀer oder europÀischer Deutscher inzwischen ziemlich ratlos, muss ich leider gestehen.
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