Du glotzt nicht einfach Menschen an, du erfindest Geschichten, die du für wahr hältst. Du beobachtest.
In Berlin hattest du zwei Wochen lang ungelogen zwei oder mehr Stunden täglich Gelegenheit dazu, nur um auf Umwegen von A nach B zu kommen. Du hättest nicht gedacht, wie viel Muße da zusammenkam. Zusätzlich zu dem Strom der Menschen in den Straßen, in Bahnhöfen, in manchen Museen. Und Wartezeiten.
Wenn du nicht gerade vom Gedanken an den Bakterienbesatz der Haltegriffe besessen warst – in S-Bahnen glaubtest du ihn sogar zu fühlen – sahst du Menschen an, zwischendurch den sichernden Blick auf Anzeigetafeln, Pläne oder das zerknitterte Faltblatt in der Tasche richtend. Oft fuhren sie nicht allein, dann konntest du Beziehungsstudien treiben. Manche gingen dir ein wenig nah. In einigen Fällen konntest du ein wenig davon mit deiner verspielten Kamera einfangen:
Wachsam
Müde
Fertig
Gut drauf
Eifersüchtig
Die Chemie stimmt nicht. Escort-Service? Schon misslungen – und noch ein ganzer Abend. Sie kennt das schon.
Der gigantische Wurm der U 2 ist ohne Trennwände bis zur Fahrerkabine, ein gigantischer Wartesaal in Bewegung. Perfider Schachzug der Aktiengesellschaft, das Gefühl von Sicherheit quasi kostenlos zu suggerieren. Ob in der radikal vergrößerten Zahl der Mitreisenden mehr Mutige sich finden werden, dir beizustehen? Menschen sitzen und stehen ohne Kontakt außer dem Druckkontakt. Doch sie sind nicht unerreichbar, beispielsweise für Fragen und Hilfegesuche. Die Bettler können den Erfolg in Euro und Cent abzählen.
Ein Paternoster, eine Gebetsmühle. Eine Mühle. Wir sind froh, wenn sie in Gang kommt, wenn sie in Betrieb ist. Keine Selbstverständlichkeit.
Unbedingt müssen Menschen mit Handies am Ohr in das Bild der Stadt. Ich wundere mich, wie ich ohne diese unsichtbare, aber unüberhörbare Vernetzung überleben kann. Die Stadtwerke mahnen die Nutzer bereits zur Zimmerlautstärke. Sie treffe ich sie wieder auf den Internetseiten und in Streitereien auf Zeitungsseiten. Menschen eben. Sie ziehen sich vor mir aus? Danke.
Liste der 27 Fotos, chronologisch geordnet:
SO 11.10.
11.34 Hände an Lektüren
(2) 11.38 Mädchen mit Stadtplan
22.15 Regentropfen, Blick in den Waggon
DO 15.10 (2)
17.10 Familie u. Verbohrter mit Handy
FR 16.10 9.37 arabische Jungs
(2) 15.22 der Nervöse
1740 spitznasige Reihe
18.47 der Wurm, Telefonat
SA 17.10.
17.11 Männerköpfe
17.22 Wurm, Schatten in der Mitte
(2) 19.22 Das Escort-Paar
19.27 Musiker und einträchtiges Paar
19.36 Durch die Scheibe auf Kleiststr.-Bhf.
(2) 20.21 Dreierbeziehung
SO 18.10. (2) 18.05 Bahnsteig Linie 1
18.07 Sozialfälle
18.15 Medititation und Migrant
(3) 18.16 Paar über 50, ohne und mit Musiker