Fritz Wiegmann . Bühnenbilder zur „Zauberflöte“ . Nicht nur Fragen

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Stand: 26. April 2023 ( mit Zwischenbilanz und drei ‚Fundstücken‘)

Hochgeladen am 1. April 2019

 

Zehn unterschiedlich große und komplexe Blätter in einer Zeichenmappe lagen in der Bilderkiste mit Leinwänden, die Wiegmanns in Hof/Saale gemalt hatte. Sie sind teilweise beschnitten, manche mit Bleistift markiert oder beschriftet, alle selbstverständlich unsigniert. Aus den Umständen schließe ich, dass die Bühnenbildentwürfe von Fritz Wiegmann sind, von wem sonst?

Fritz Wiegmann war auch die Theaterbühne nicht fremd. Von seiner Leidenschaft bekam ich als Mitglied des Schulorchester noch 1960 etwas mit, bei seiner Inszenierung des Singspiels „Doktor und Apotheker“ am Goethe-Gymnasium in Frankfurt.

Im Nachlass findet sich freilich – von diesen Blättern abgesehen – nichts Entsprechendes.

Ich wende mich an Christoph Felsenstein in Berlin, den Sohn des Gründers und Leiters der Komischen Oper in der DDR, Walter Felsenstein, mit dem Wiegmann familiär verkehrte und dessen Theaterarbeit er sehr schätzte.

Als Christoph Felsenstein mich zu einem Treffen einlädt, beschreibt er seine Erwartungen am 26. November 2018 folgendermaßen:

Fritz Wiegmann pflegte zeitlebens die Freundschaft zur Familie Felsenstein. Meine Mutter schätzte ihn als bedeutenden Maler und Freund der Familie! Ich leite die Mail auch an Herrn Dörschel weiter. Wir sollten gemeinsam überlegen, ob Fritz Wiegmann wegen der langjährigen und engen Beziehung zu meinen Eltern seinen Platz im Nachlass Felsenstein in der Akademie der Kü̈nste als Dauerleihgabe aufgenommen werden kann/ sollte? Ich würde das außerordentlich begrüssen und bitte Herrn Dörschel die Option zu durchdenken!!!

 

Am 4. Dezember schauen sich der Sohn Walter Felsensteins und Stephan Dörschel, Abteilungsleiter im ‚Archiv Darstellende Kunst an der Akademie der Künste’, die Blätter an. Und wir unterhalten uns über die freundschaftlichen Beziehungen der Felsensteins zu Wiegmann.

 

Beobachtungen und Wertungen des Archivars

  • Sehr schön! Aber sie haben mit Walters Inszenierungen nichts zu tun.
  • „Das sind keine Phantasien. Die sind auf Realisierung aus.“
  • Sind es überhaupt seine?
  • Gibt es andere? Denn: „Sie sind kein tastender Versuch“. Sie können nicht allein stehen, sie sind professionell.

Wir reden auch über die Vielseitigkeit Wiegmanns, Dörschel fragt nach einer ‚Handschrift’ Wiegmanns. Ich kann nur auf die Zweigleisigkeit verweisen zwischen der Angewandten Kunst (Unterricht, Porträts, Ausstellung, Bühnenbild, …) und den für ihn wesentlichen Gemälden. Dazu fällt beiden der berühmte Bühnenbildner Caspar Neher ein, der eigentlich Kunstmaler sein wollte.

Eine Datierung auf die dreißiger Jahre erscheint vorstellbar.

 

Die Seite der Beziehungen

Wir gehen mögliche Alternativen durch. Nach mehreren Anläufen wird auch mir klar, dass Fritz einfach nicht in ein Werkarchiv von Walter Felsenstein gehört.

Die Schlüsselfigur war Maria Felsenstein, in den dreißiger Jahren Disponentin bei der UFA, bei Tobis. Sie hatte Walter bei seinem Film mit Paul Kempf „Ein Windstoß“ (1941-42) kennen gelernt. Nach dem Krieg wurde sie eine unermüdliche Weltreisende mit Kamera. Ein schönes Foto von ihr sehe ich im Arbeitszimmer. Ich glaube, es passt in diesen Blog.

 

Christoph Felsenstein:

  • Eine Beziehung zu Walter ist nicht entstanden, Walter hatte gar nicht den Kopf dafür.
  • Etwa dreimal waren sie auch im Theater und bei Proben zusammen.
  • Mutter hat die beiden immer zusammengebracht.
  • Sie hat manchen Künstler bei ihrem Gatten protegiert und hartnäckig nachgehakt. Meine Mutter war zu allem fähig. (lacht).
  • Sie hielt seit den dreißiger Jahren viel von Fritz, ja bewunderte ihn.  Doch wir kommen zu keinem Ergebnis, in welchem Milieu sie sich kennen gelernt hatten.

Schließlich macht Stephan Dörschel den Vorschlag, ich solle das Dutzend Entwürfe in meinen Blog nehmen, in der Hoffnung, von außen neue Informationen zu bekommen. Dies tue ich hiermit.

 

Einige Zeichnungen

Zugegebenermaßen sind Opern nicht meine Sache, und ausschweifend antikisierende Libretti schon gar nicht. Ob ich diese Oper irgendwann mal gesehen habe? Ich suche bei Wikipedia Rat, aber der Versuch, die grau lavierten Zeichnungen auf die dort geschilderte Szenenfolge festzulegen, misslingt.

Dafür habe ich zwei weitere Erklärungen: die Lückenhaftigkeit des erhaltenen Materials und die Beschränkung des Künstlers auf einige markante Ansichten, wegen den zahlreichen Szenenwechseln zwischen ähnlichen oder gar denselben Schauplätzen.

Ich identifiziere einzelne Motive, was vielleicht Sie zu eigenen Beobachtungen anregt. Vergrößern durch Anklicken!

Im Ersten Aufzug  Die Schlange in einer Felsengegend (1.Szene, IMG-4110 obere Zeichnung)

IMG 4110

IMG_4121. Detail

 

 

(IMG_4121.Detail) Das prächtige Zimmer in Sarastros Burg (4.Szene, Namen: Sklave(n), Monostat(os), Pam(ina), Papage(no)

 

 

Der Hain mit dem „Tempel der Weisheit“, dessen drei Säulen zu zwei weiteren Tempeln führen (5. Szene, 4124) ?

IMG_4124

IMG_4111

 

 

 

 

 

 

 

 

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Im zweiten Aufzug stellt ein Blatt (4117) zwei Phasen der sich öffnenden Sicht auf den „Tempel der Prüfung“, dadurch dass die zwei ägyptischen Großstatuen auseinander rücken.

IMG_4117

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Ein großes in der Mitte gefaltetes Blatt scheint die dramatische Nachbarschaft von Sarastros finsterer Festung und dem in gleißendem Licht sich erhebenden Tempelgelände darzustellen.(IMG_4229)

IMG_4129

 

Wie ging die Suche weiter?

Eine kleine Korrespondenz mit Stephan Dörschel gibt Auskunft:

18. November 2022  Gv: …. Ich habe inzwischen Wiegmanns künstlerischen Nachlass übernommen, neben Bildern  einer ganzen Mappe gut erhaltener Zeichnungen zwischen 1918 und 1972, und arbeite daran. Demnächst schreibe ich dazu wieder im Blog.  Jetzt denke ich für die Entwürfe an den Zeitraum 1930-1932. Damals wandte er sich dem Klassizismus zu und betrieb mehrere Projekte parallel.

21. Nov. Dörschel:  …..  Und was verstehen Sie unter Klassizismus? – Denn der von Kortner und Brecht später so genannte Reichstheaterstil der Nazizeit war natürlich sehr weitgehend klassizistisch, und das auch, weil das damals so im Schwange war, nach den expressionistischen Bühnenexperimenten und den technifizierten theatralen Collagen von Erwin Piscator …..

22. Nov. Gv: ….. Die Jahre waren auch für Wiegmann Jahre des Übergangs. Der Agitationsstil war für ihn durch die Freundschaft mit den sozialistischen  Medizinern und das Projekt im Hygienemuseum Dresden 1931 immer noch aktuell.
Er unterrichtete an einem Gymnasium Kunst auf reformerische Weise (vgl. W.Benjamins  Rezension, „Bekränzter Eingang“)
Seine kleinformatigen ‚orthodox’ kubistischen Stilleben – Gemälde und gerahmte Collagen – waren noch 1932 erfolgreich, sogar in New York.
Die Bewegung „Neue Sachlichkeit“ sah er gewiss ironisch. Aber er experimentierte bereits mit antiken Versatzstücken und flächigen statuarischen figürlichen Kompositionen mit homoerotischen Anspielungen. Auch in den Stilleben wurden die Konturen weicher und die Flächen großzügiger. Er hatte seinen Stil gefunden; die Ausstellungen 1936 (Peking) und 1949 (Hof) zeigen es.
Die vier Jahre unbezahlten Urlaub vom Schuldienst  von 1933 bis 1937 bringt man spontan mit Hitlers Machtergreifung und der Verfolgung seines Freundeskreises in Verbindung, was er nie dementierte. Er hat sie wohl bereits 1932 in die Wege geleitet, um sich endlich ungeteilt als Künstler zu entwickeln, über Berlin und Paris hinauszugehen und die italienischen und spanischen Großmeister zu studieren.  Im Interview 1934 auf Mallorca erwähnte er Theateraktivitäten, die er nun zugunsten des Porträts aufgegeben hätte. Vielleicht war das nur eine Selbststilisierung, nachdem er im Reich wohl seit 1932 keine Chance für sich  sah.
Im Frankfurter Nachlass fand ich zu meinem Erstaunen 16 Postkarten mit Rollenporträts prominenter Schauspielerinnen und Schauspieler: Maria Carmi (1), Tilla Durieux (4), Else Heims (3), Helene Thimig (1), Albert Bassermann (1), Alexander Moissi (2), Paul Wegener (4)  (S1-513-inhalt tabellarisch Ziffer 2.3.3,). Was hätten wohl die Geschwister Benjamin, die sozial engagierten Ärzte und der Kreis um Klaus Mann ….zu solchen theatralisch inszenierten Kunstfotos  gesagt? (Aber ich bin ja ein nüchterner Theaterbanause.)
Vielleicht waren die Bühnenentwürfe Bewerbungsunterlagen, Teil eines vergeblich vorgestellten oder gescheiterten Projekts? Was halten Sie von der Hypothese? Und war Mozarts „Zauberflöte“ in jenen Jahren in Berlin und Umgebung überhaupt auf dem Spielplan?

Ich betrachtete die Kunstpostkarten bisher nur im Kontext von Haltungs- und Porträtstudien. Die Opernentwürfe kannte ich 2017 noch nicht. Ehrlich gesagt, waren seine Porträts alles andere als revolutionär oder auch nur ‚aufregend’ – auch unter dem guten Dutzend Ölporträts in meinem Besitz finde ich keines – eher Mittel zum Broterwerb im selbstgewählten Exil auf Mallorca und und nach dem Krieg in Hof/Saale. Durch persönliche oder dokumentarische Bezüge werden sie interessant, etwa für mich die Porträts meines verehrten Deutschlehrers, für das Museum Bayrisches Vogtland damals bekannte Mitbürger oder der Großvater für die Angehörigen eines amerikanischen GIs (Blog).

Ich habe das Wort ‚klassizistisch’ in einem umgangssprachlichen erweiterten Sinne benutzt. Was mir allerdings – in Richtung des erwähnten ‚Reichstheaterstils’ – auffiel, war ein gewisser ‚Größenwahn’ in den Zeichnungen: überdimensionierte leere Hallen, endlose Freitreppen und das entsprechende Personal. Diesen pathetischen Zug habe ich bei Wiegmann während unserer – späten – sechsjährigen Freundschaft überhaupt nicht bemerkt, aber was bemerkt man schon als junger Mensch? …..

3. Januar 2023 Dörschel: ….  Ihre Überlegungen sind nachvollziehbar und richtig. Nur lassen sie sich leider nicht belegen. – Ich fand, dass der Maler Max Slevogt um 1928 an der Berliner Staatsoper nicht verwirklichte Bühnenbildentwürfe zur Zauberflöte geschaffen hat. Man müsste dem nachgehen und wäre dann dennoch eventuell auf Zufallsfunde angewiesen……

4. Januar Gv:  Danke für den wertvollen Hinweis auf Slevogt! Über Google fand ich nicht nur die Ausstellung in Schweinfurth, sondern auch die Dissertation von Carola Schenk „Die Bühnenbildentwürfe im Werk von Max Slevogt“ Müncen 2015, deren pdf neben Abbildungen auch einen Überblick über die Berliner Theaterwelt vor 1933 bietet, und darüberhinaus – nicht nur vom Romanischen Café aus – jede Menge Gelegenheit zum Spekulieren, auch über die Porträtpostkarten. Das Landesmuseum Mainz mit seinem Slevogt-Archiv werde ich bei Gelegenheit kontaktieren, vorläufig diese Fährten kurz in den Blog bringen und mich dann wieder um Wiegmanns Wald- und Landschaftsbilder kümmern. Ich melde mich gelegentlich wieder. Einen guten Jahresbeginn! Herzlichen Gruß.   Detlev v. Graeve

 

„Les Amusements – Max Slevogts. Inspirationen durch Bühne und
Literatur“…

… war im Museum Georg Schäfer in Schweinfurth vom 13. März bis 19. Juni 2022 zu sehen. – Das „Veranstaltungsmagazin GROSCHENHEFT Schweinfurt“ brachte am 11. März 2022 eine illustrierte ausführliche Darstellung (LINK am 26.4.23 geprüft)
Max Slevogt (1868-1932) ist einer der drei großen Impressionisten
Deutschlands. Sein Leben und Werk sind eng mit München, Berlin und
der Pfalz verbunden, mit der Berliner Secession, dem mondänen
Leben der Großstadt, aber auch mit der lichtdurchfluteten Landschaft, der Fantasie des Geistes – doch nicht zuletzt auch mit Musik, Bühne.  und Literatur.….“

Alle Bildschirmfotos 2023-01-04 um 16.17.03

Zudem ist die  Dissertation von Carola Schenk „Die Bühnenbildentwürfe im Werk von Max Slevogt“ 2015 an der LMU München unter ihrem Namen und dem Titel als pdf im Netz abrufbar, sie wird automatisch heruntergeladen.

26. April 2023.  Ein neues Fundstück!

Ein Bühnenbild von Karl Friedrich Schinkel (1781-1841, wikipedia LINK), das auch im Zwanzigsten Jahrhundert noch attraktiv war:

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