Zu seinem 90. Geburtstag organisierte das Feuilleton in der FAZ ein Interview unter dem Titel „Weil wir Anarchiker waren“. Gesprächsführung: Jürgen Kaube, Simon Strauß.
Im Netz ist es für Nichtabonnenten bezahlbar herunterzuladen (LINK), ich zitiere aus der Printausgabe vom 16. Februar 2019 aus der „Fortsetzung der Seite 11“ auf Seite 13.
Nein, das reicht nicht!
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Eine tröstliche Anekdote von der Schaubühne (Berlin) für alle auch gerade von Krankheit geplagten Leser vorab:
(…) da gab es keine Stühle, sondern nur Treppenstufen. Ich hatte einen wahnsinnigen Ischiasanfall, konnte nicht sitzen. Also habe ich die ganze Zeit oben an der Wand gelehnt.Und auf einmal stand neben mir die Göttin Athene, Jutta Lampe, um an einem Seil auf die Bühne zu schweben. Das war für mich ein geradezu mythischer Moment: Da arbeiten Sie jahrelang über so ein Stück, und dann haben Sie plötzlich die Göttin unmittelbar vor sich.
Frage: Und warum hörte das irgendwann auf, die Antike?
Das möchte ich auch wissen. Aus Überforderung? Weil die in Jahrhunderten gebildeten Lebensformen nicht mehr passten? Nicht mehr so leicht weiterzugeben waren? Weil die Anforderungen zu hoch wurden, der Sinnkredit erschöpft war? Weil die Menschen insgesamt andere wurden? (….) Und dann entsteht ein ungeheurer Druck von außen, die andrängenden Germanenheere, die auf die unendlich langen Grenzen drücken, die Kosten, die das alles verursachte. Was bewirkt die Ansteckungsgefahr der Verzweiflung?
Man muss, wenn man von all dem handelt, einiges riskieren. Aber das kann man, zumal wenn man neunzig Jahre alt ist. Jetzt kann ich machen, was ich will …
Haben Sie ja schon vorher gemacht.
Streit ist ein zentraler Begriff in Ihrem Werk (….)
Ich weiß nicht, ob es eine Regel ist. Aber wenn sich vielerlei Probleme, vielleicht gar das einer ganzen Ordnung, stellen, so ist es wichtig, dass darüber nicht nur geredet, sondern auch gestritten wird, genauer: dass sich Alternativen zum Bestehenden bilden. Dadurch werden, wenn möglich, die Dinge klarer, es formieren sich Kräfte, die es direkt mit den kritischen Punkten aufnehmen können, via Reform oder Revolution. (….) Gesellschaften können Krisen in sich einfangen. Doch kommt es vor, dass sich in Krisen keine Alternative bildet. Dann ziehen die sich hin, dann sucht man sein Heil bei angeblich großen Männern. Denn Menschen mögen es nicht, dass sie (und ihre Gemeinwesen) wehrlos sind. Vieles ist heute sehr schwierig zu verstehen. Die Proletarier sind entweder bessergestellt oder sie gehen zur AfD. Bei den Sozialdemokraten halten sie sich kaum mehr auf. Ich vermute, dass wir irgendwann dazu kommen werden, doch wieder mehr von Interessen als von den vielbeschworenen Werten zu sprechen. Was machen Sie, wenn auf einmal eine Million Afrikaner bei uns zuwandern will? Wollen Sie dann noch von Werten reden? Auf der anderen Seite leben wir in einem ungeheurem Luxus. Und auf der anderen Seite ist es es sehr unklar, wie es mit diesem Luxus weitergeht. Also ich würde sagen, wenn darüber ein wirklicher Streit entstünde, hätte man von dieser oder jener Seite eine Form der Verarbeitung und Auseinandersetzung. Und mit dieser Auseinandersetzung bekämen wir in irgendeiner Weise das Gefühl, wir bestimmten darüber, was eigentlich geschehen soll.
Aber allein in Ihrer Lebenszeit: War das je anders? War der Streit wirklicher früher?
Ja
Und war die Zeit einfacher zu verstehen?
Ja, ich glaube schon. (….) In den fünfziger Jahren wurde vieles überhaupt erst aufgebaut, da hat man sich richtig gestritten über die Wiederbewaffnung, die Mitbestimmung, dann über die Ostpolitik. Damals konnten sie abends durch die Straßen gehen und aus den Fenstern die Bundestagsdebatten hören. Das passiert heute höchstens noch bei einem Fußballendspiel.
Hat der Historiker qua Amt eine besondere Qualifikation bei der Beantwortung zeitgeschichtlicher Fragen?
Also ich kann mir nicht vorstellen, dass man Geschichte ohne lebhafte Zeitgenossenschaft treiben kann, so möchte ich das sagen. Ich erlebe es immer wieder, dass ich morgens die Zeitung aufschlage und mich dann frage: Wie war das in Rom? Ich erlebe, dass ich irgendetwas lese und angeregt bin von der Gegenwart. Ich meine, wer etwas weiß und vielleicht sogar gut weiß, soll von diesem Wissen auch Gebrauch machen.
Wie sehen sie das Fach in der Gegenwart? Spielt das noch eine Rolle für Sie, was publiziert wird?
Wenig. Ich bin ja auch eigentlich gar nicht mehr vorhanden, bekomme auch kaum je etwas zugeschickt.
Wenn Sie zurückschauen auf Ihr Leben, was war Ihr größter Misserfolg?
Oh, das ist eine schwierige Frage. Ich wüsste gern manches besser. Und ich hätte gern mehr Frechheit und mehr Mut gehabt, etwa aus dem, was mir in der Wissenschaft vorschwebte, eine provokative Forderung zu machen. Einfach intellektuell mehr zu riskieren. Vielleicht gar auszubrechen aus mancher üblichen Verpflichtung.
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20.3.19
Es gibt noch Freunde, mit denen man über Zeitungsartikel diskutieren kann, weil sie sie auch gelesen haben.
- Ja schön, sagte er am Telefon, aber die haben daraus nichts gemacht. Sie wollten bloss das Interview mit dem berühmten Mann zum Neunzigsten und haben sich nicht richtig vorbereitet. Sie hätten ihn zweimal besuchen müssen!
- Aber was verlangen Sie denn. Wer schaut sich in der Samstagsausgabe mehr als die Fotos an und liest die Zwischentitel, der ersten Seite wohlgemerkt? Wer liest das Interview überhaupt zuende? Wer kennt den Mann? Ich habe sowieso immer etwas anderes gelesen als meine Frau. Also wozu ein tiefer schürfendes Interview? ….
Später denke ich auch, dass die beiden zu sehr auf den ‚Jubilar‘ abgestellt haben.
Weil die Menschen insgesamt andere wurden? (….) Was bewirkt die Ansteckungsgefahr der Verzweiflung?
Zum Beispiel diese Sätze verdienen die Diskussion. Wir Europäer haben das untergründige Gefühl, in der Falle zu sitzen. Wir zerfallen politisch und gesellschaftlich, verzetteln uns heillos in zu kleinen (Gender und andere soziale Ungerechtigkeiten) oder zu großen Themen (Klima retten durch einen Kinderkreuzzug jeden Freitag; wir haben doch bereits Bildungsnotstand!) und wir erfahren uns als Beute fremder Strategien, ob klug oder dumm, Chinesen oder Amerikaner, und als Abwrackplatz für Industrien, Kompetenzen und Wohlstand. Welche Idioten haben bei Bayer Monsanto eingekauft? Das war mir zu keinem Moment nachvollziehbar. Warum sind die Grünen bekifft, ist die SPD blind, warum ist die CDU/CSU medikamentös ruhiggestellt und warum hat die AfD nicht einen höheren IQ? Das würde doch schon helfen? Warum lassen sich die jüngeren Generationen – wenn sie sich überhaupt als ‚Idealisten‘ verstehen – mit rührseligen Stories steuern?
Einrede : Streit ist ein zentraler Begriff in Ihrem Werk (….)
Man hätte Meier fragen können, wie ‚der Streit‘ überhaupt zünden soll, auf den diversen öffentlichen Bühnen unter Aufsicht debiler Meinungspolizisten oder den Stehplätzen der ’sozialen Medien‘ mit ihren Craftbeerpfützen…. Oder er hätte den Feuilletonchef und seinen jungen profilierten Outsider provozieren sollen, indem er die Frage auf und gegen sie richtet. Ich ahne bereits: Es hätte wohl nichts gebracht.
Im Gespräch mit einem jungen Alternativen kam mir eine Idee:
Die ‚Aktivisten‘ für dies und das sollten überhaupt einmal nach rechts und links (Metapher!) gucken, statt immer nur mit Tunnelblick die eigene insulare ‚Agenda‘ zu sehen. Denn bereits benachbarte Konkurrenten um Aufmerksamkeit könnten kontraproduktiv für alle ‚Idealisten‘ agieren. Stattdessen will man einander nicht wehtun – als hätten sie unbegrenzten politischen Raum für jede Art von Wünschen – will sich keine Feinde schaffen. Und für alle gibt es ja irgendeinen Spendentopf oder öffentliche Finanzierung.
Leute, euer Konsumismus verbunden mit dem Wohlfahrtsstaat, das ist Selbstkastration!
Streit entsteht aus klarer Prioritätensetzung und naturgemäß polemischer Abgrenzung. Streit in produktivem Sinn entsteht nicht entlang der gewohnten Kiezgrenzen, sondern überall. Wie sollten sonst neue Lösungen entdeckt werden?
Menschen mögen es nicht, dass sie (und ihre Gemeinwesen) wehrlos sind.
Unseren deutschen ‚Idealisten‘ geht das am Arsch vorbei, denn wenn sie in der Schule überhaupt etwas über ‚Anthropologie‘ gehört haben sollten, haben sie gerade nicht aufgepasst. Bereits Arthur Schopenhauer hat sich als ‚Volkserzieher‘ an verlogenen Erziehungsinhalten die Zähne ausgebissen: Die Welt ist schlecht, aber du sei anders. Seine Einsichten in die menschliche Natur passten natürlich nicht in seine Epoche des Fortschrittsoptimismus, dem auch die damals noch unschuldig naiven Sozialisten anhingen. Wer wird ihnen den rosigen Zukunftshorizont missgönnen wollen!
Heute schätze ich die politische Klasse und ihre Medienvertreter eher als störrisch ein, wenn sie wider das bessere Wissen ihrer Thinktanks behaupten, jeder Deutsche könne nicht nur das Abitur, sondern den Zustand buddhistischer allgemeiner Menschenliebe erreichen. Menschen mögen es nicht, dass sie (und ihre Gemeinwesen) wehrlos sind.
Fremdenfeindlichkeit ist eines der ältesten Themen der Menschheit, und zwar überall auf der Welt. Meinungsstrategen verschiedener Fraktionen in Europa – Politik, Medien, Wirtschaft und Jurisprudenz – versuchen ‚den Menschen‘ ihr ‚Fremdeln‘ abzugewöhnen, durch Diffamierung oder Verbot. An diesem immateriellen Weltkulturerbe werden sie sich die Zähne ausbeißen. Die Menschheit besteht aus vielen Menschheiten, die sich zusammenraufen können oder nicht.
Ich gebe zu, dass die theoretische Basis im Interview sehr schmal, ja unterkomplex ist. Überfordern wir nicht das Interview mit dem Jubilar.
Ein britischer Politologe, von dem mich ein anderer junger Verwandter in Kenntnis gesetzt hat: Colin Crouch, hat eine degenerative Entwicklung analysiert, aber einen Angelpunkt kann auch er nicht zeigen, von dem aus die Übel abzuwenden wären, die sich in unserer Gesellschaft schleichend eingenistet haben.
Dann aber sehe ich nur eine Lösung, dass wir unsere Verwaltung von einem Dienstleister übernehmen lassen. Ein Unternehmen wie der ‚Rhein-Main Airport ‚ kann zwar exotische Flughäfen organisieren, aber die EU wäre schon zu groß. Mein Kandidat hat bereits bewiesen, dass er sowohl eine soziale Revolution wie auch diverse globale wirtschaftliche Krisen zu überwinden versteht. Er übt bereits an strategischen Objekten in aller Welt, insbesondere an der „Neuen Seidenstraße“, die schon bis Portugal reicht. Wenn die das gewusst hätten, hätten sie vor fünfhundert Jahren nicht einen mühseligen Weg über das Kap der Guten Hoffnung erschlossen, sondern einfach zugewartet.
Also chinesisches Management mit europäischer Aufgabenstellung, warum denn nicht?