GEIL, DIESE FALLISCHEN MEGALITEN IN ETIOPIEN!

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THEMEN

  • Die schnell langweilende Dokumentation (92 Minuten) – Äthiopiens phallische Megalithen, die ARTE am 2.2.19 ausstrahlte (Nicht mehr verfügbar – LINK) – Bereits die eingesprochene Einleitung lässt erkennen, wohin der Hase läuft.
  • Die Popularisierung archäologischer Forschung (Fernsehen, Ausstellungen)
  •  Ein Forschungsansatz westlicher Archäologen in Afrika und sein Nutzen für die akademische afrikanische Geschichte. Was hat ein Sammler afrikanischer Kunst davon?
  • Verschiedene Kontexte archäologischer Grabungen im postkolonialen Afrika, etwa „Weltkulturerbe“
  • Buchempfehlung : John Iliffe: Geschichte Afrikas. Cambridge 1995, dt.Übersetzung im C.H..Beck Verlag, München 1997, 2000 – ein fesselndes Buch, mit dem die endlosen Weiten und Herausforderungen Afrikas über einen großen Zeitraum als Denkhorizont zu gewinnen sind.

 

ERSTER TEIL  Spontane Reaktionen

Stein, Knochen, Keramiken gleich „Weltkulturerbe“?

Ja, aber auch Farben, bearbeitete Hölzer und Metalle. Und erst der Chor der ‚immateriellen Kulturgüter’!

 

Megalithen und der gewitzte Laie

Der gewitzte Laie geht das Thema global im Sinne eines Anything Goes (P. Feyerabend) an, hier soll das heißen: Es ist alles schon einmal irgendwo vorgekommen. Uns wundert im Grunde nichts mehr.

Megalithen (megagroße Felsstücke) fanden die Menschen immer und überall. Spezialisten mögen das für die eine oder andere Gegend in der oder der Zeit überzeugend ausschließen oder nachweisen. Ihr Job.

Menschen haben immer schon Bedeutungen über die Natur gelegt und Rituale organisiert. Sie hatten ja sonst nichts Sinnvolles. Haben sie heute mehr?

Ästhetisch bieten die Steinsäulen trotz oder wegen der Sprödigkeit und Unhandlichkeit von Stein die unterschiedlichsten Formen, Ausschmückungen und Verwendungen an.

Doch auch die Verehrung der reinen Naturform – kristallin oder degenerativ entstanden – war zu allen Zeiten beliebt. Nur altbackene Archäologen versuchen sie auf Chronologien und ‚Entwicklungsstufen’ festzuklopfen. Das mag für Stadtarchäologie funktioniert haben.

Menschliche Intelligenz zeigt sich eben auf unterschiedlichste Weise, so durch ‚Faulheit’ – vornehmer: Ökonomie – ebenso wie in der Erfindung beeindruckender ‚übermenschlicher’ Herausforderungen. Heute ist wohl diese Weise am beliebtesten und schafft uns als Megalomanie schon atemberaubende Probleme, mit denen verglichen die Aufrichtung eines kleinen phallischen Megalithen im gefilmten archäologischen Experiment ein Klacks ist.

 

Apropos „Aufrichtung“

Sie leuchtet mir ein – schließlich prägt, ja definiert geradezu ‚der aufrechte Gang’ den menschlichen Körper, seine Gestalt und den historischen Erfolg, natürlich ein steiler Winkel auch die gelingende Erektion beim Mann. Aufrichtung ist immer ein Triumph, im Haus und als Stein gewordener Priapismus in der Landschaft, und mit Überwindung zunehmender technischen Problematik Machtdemonstration. Faszinierend! Deshalb streicht die Drohnenkamera vor allem zu Anfang ständig wieder über die Felder mit den phallischen Steinen. Das ist doch mal etwas, nicht nur für zwei Wissenschaftler, die Ende der verklemmten sechziger Jahren als junge Männer ihre Grabungskarrieren  im wilden Afrika begannen und später immer wieder an ihre Orte der Kraft zurückkehrten, in höherem Auftrag wohlgemerkt. Wann werden wir über ARTE um zwanzig Jahre jüngere Aktivistinnen einer Vulva-Archäologie in den Busch begleiten, irgendwo auf der Welt?

 

Naturgebilde als Orte der Macht, Landmarken

Ich erinnere mich: Vor Jahren machte in der westlichen Öffentlichkeit wieder einmal die Idee der „Kraftorte“ die Runde. Wenn ich mich recht erinnere, wurde sie von einem weißen Anthropologen popularisiert, von Australien aus, woher auch sonst? Esoterisch sind sie ohnehin Evergreens, aber auch ethnologisch erforscht.

‚Landmarken’ galten auch auf dem afrikanischen Kontinent als heilige Orte der Macht. Von weit her pilgerte man zu ihnen und nutzte sie angstvoll kultisch, unabhängig von sonstigen territorialen Rivalitäten. Fritz F. Kramer hat in „Kunst im Ritual“ (Studien zur Kulturkunde 128, Frankfurt/M 2014) im Abschnitt 5.3 explizit  „Naturgebilde als Orte der Macht“ thematisiert.

Unklar bleibt im Film der Status des ‘Eigentümers’ eines der archaischen Stelenfelder. Es sah nach Treuhänderschaft aus, wie sie überall im subsaharischen Afrika bei den ‚Erdherren’ zu finden ist. Die französischen Forscher trinken mit ihm in einer der ersten Filmszenen drei Tassen ganz frisch zubereiteten Kaffees – „zur Schadensabwehr“, sagen sie. Interessant.

 

Bekannte Grabungsmuster

Ich habe vor Jahren die mediale Präsentation Frankfurter Grabungskampagnen auf der Suche nach einer NOK-Kultur kommentiert – später tat mir leid, dass ich persönlich verletzende Spitzen eingebaut hatte. (LINK)

Heute ich finde diese Muster der Kampagnen wieder :

Auswahl und Säuberung/Reinigung der Grabungsorte von allen bisherigen Umgebungsreizen,

Einsatz avancierter Methoden aus dem Werkzeugkasten einer altehrwürdigen Hilfswissenschaft der Geschichtsforschung. Die längste Zeit über herrscht die typische forensische Maulwurfsperspektive, ansonsten aber die beschwingte Oberflächlichkeit von Kulturtouristen, die nur in der schönen Jahreszeit zu Besuch kommen und sich für ihre Gastgeber eigentlich gar nicht interessieren. Unübersehbar ist der Erfolgsdruck durch  Auftraggeber und Sponsoren (ARTE zum Beispiel) in der Hoffnung auf Anschlussfinanzierung, sowie die notorische Zeitnot, da man nicht weiß, ob und wann man zurückkehrt. Im besten Fall nimmt man eine Menge Dokumentationsmaterial mit – von dem nicht nur die teuren Materiallager überquellen, worin auch die Forschung ertrinkt – anschaulich beklagt im Tagungsbeitrag “Massendinghaltung in der Archäologie“, Sidestone 2016. Kann es sein, dass die Archäologie ihre Aufgabe im Großen und Ganzen erfüllt hat, welche die europäische Neugier ihr vor gut zwei Jahrhunderten gestellt hat? Nein, es erscheinen neue Aufgaben am Horizont.

Eine im Film gemachte Bemerkung ist aufschlussreich, der Hinweis auf „weitere 1500 noch aufzurichtende Megalithen” an einem der Standorte, “die auf Anerkennung als (nationales!) Weltkulturerbe warten“. Dies im Kontext der bescheidenen These, sie hätten Friedhöfe der einen oder anderen Art markiert und  überhöht.

Dass sie ihre Toten nicht anständig behandelten, hätte den Völkern Äthiopiens aber wirklich niemand unterstellt! Das ist weniger Weltkulturerbe als eine Selbstverständlichkeit!

(2.3.2019 )

 

Zweiter Teil im Kontext einer „Geschichte Afrikas“

Zu Beginn seiner „Geschichte Afrikas, die ich wieder einmal befrage, bedankt sich der Verfasser John Iliffe ausdrücklich bei Archäologie und Archäologen dafür, dass sie mit ihren Arbeiten die ersten Kapitel seiner Darstellung überhaupt erst ermöglicht hätten. Ich bin beschämt.

„Die Afrikaner“ bezeichnet er als „Grenzlandpioniere, die eine besonders unwirtliche Region der Welt für die menschliche Spezies insgesamt erschlossen haben. Dies ist ihr wichtigster Beitrag zur Geschichte der Menschheit. Dafür verdienen sie Bewunderung, Unterstützung und sorgfältige wissenschaftliche Beobachtung. Zentrale Themen der afrikanischen Geschichte sind die Besiedelung des Kontinents, die Koexistenz mit der Natur, der Aufbau stablier Gesellschaften und deren Verteidigung gegen Angriffe von Völkern aus begünstigteren Regionen. (…) Deshalb stellt sich die Geschichte Afrikas in ihrem Kern auch als eine einzigartige Bevölkerungsgeschichte dar, die die frühesten Menschen mit ihren heutigen Nachfahren durch einen fortlaufenden historischen Prozess verbindet.“. ( S.9) Übrigens beschränkt sich Iliffe auf die vergangenen vier-, fünftausend Jahre.

 

Archäologie und Fernsehsendungen

Ob sich Iliffs Bilanz sich auf die Kürze vermitteln kann, ist hier unerheblich. Sie zeigt aber wieder die Schnoddrigkeit, in der ich auf Oberflächenreize reagiere. Auf einer zweiten Ebene  macht sie die Mechanismen des Infotainment verständlicher, etwa bei ARTE oder Phoenix etc.. Die werben für die Archäologie, „ein derart mühseliges und kostspieliges Unterfangen“ (13) und tragen zur Finanzierung solcher Grabungen bei.

Kunstwerke, Kulturgüter und „Kultstätten“ sind dabei kein Selbstzweck. Sie bilden einen winzigen, bewusst abgespaltenen Anteil der Artefakte (Wikipedia LINK), die als Indizien und Argumente zur Stützung oder Widerlegung wissenschaftlicher Hypothesen im archäologischen Diskurs dienen. Vor allem aber sind sie Anreize für ein Publikum, für Geldgeber und zuständige Behörden zuhause wie im Gastland. Nur mit Highlights, Sensationen usw. gewinnt man das Interesse der Öffentlichkeit. Ähnliches sagte mir bereits die Archäologin in der NOK-Ausstellung.

 

Die Archäologie muss ihre Prunkstücke ‚schminken’

Als Sammler afrikanischer Ethnologica kann ich mir eine Bemerkung nicht verkneifen:

Wenn es sich nicht gerade um wettergegerbte Großskulpturen wie diese Stelen handelt, sind die Prunkstücke in den Museen und Ausstellungen in einem Maße ergänzt und ‚geschminkt’, wie der bürgerliche Sammlermarkt es sich kaum gefallen lassen würde.

Sie reichen oft nicht einmal an die Erzeugnisse europäischer Ruinenromantik heran – „ stimmungssteigernde Elemente, die Gefühle der Erhabenheit und Einsamkeit erzeugen sollen, vor allem jedoch an die Vergänglichkeit des Menschen und seiner Werke erinnern“ (LINK Wikipedia „Künstliche Ruinen“) – sondern wecken bloß innere Vorbehalte, wie sie vor zusammengeklebten Keramiken auftreten.

 

 Aufbewahrung der Bodenfunde

Dieser Tage kann man eine weiteres Problem der afrikanischen Archäologie nicht aussparen: den Kontext der Grabung und den Aufbewahrungsort der Fundstücke. Im filmisch dokumentierten Fall hat man bloß Proben der (bescheidenen) Grabungsfunde zur Untersuchung ausgeliehen, so wie bei den NOK-Grabungen für eine Ausstellung im Frankfurter Liebighaus (2014). LINK

 

Eklektizismus der Eroberten

Den Kontext vor Ort finde ich aber interessanter. Da liegen die phallischen Megalithen in eindrucksvollen Ansammlungen auf Bergkuppen in oder abseits von Dörfern – nur Knochen und kleine Keramiken müssen ausgebuddelt werden – und man speist uns mit der Erklärung ab, für die Bewohner dieser gottverlassenen Berge seien sie „bloß Teil der Landschaft“ und damit unerheblich. Bei der vorgeführten Aufrichtung fragte ich mich schon, was den Dörflern dabei durch den Kopf ging. Man kann vielleicht einwenden, die Leute seien doch christianisiert worden. Iliffe bietet in seinem lesenswerten „Äthiopien“-Unterkapitel (78-85) im Kontext „Christentum und Islam“ seine keineswegs überraschende Einsicht an: „Die alte Religion wurde bisweilen grausam verfolgt, häufiger aber scheinen die eroberten Völker ihre traditionellen Praktiken in eklektizistischer Weise durch christliche Gepflogenheiten bereichert zu haben. (83)

Die phallischen Stelen, oft dekoriert,  in der Landschaft stecken für afrikanische Verhältnisse unübersehbar derart voller materieller, symbolischer und metaphorischer Bezüge, dass es mir schon weh tat, wie die zwei Archäologen in der Manier bornierter Steinmetze darüber hinweggingen! Welcher Häuptling, Zauberer und Heiler hätte sich so eine ‘spirituelle’ Steilvorlage entgehen lassen!

 

Die Konso als Kultdarsteller

Dann organisierte man als Hingucker bei den südlich benachbarten Konso die öffentliche Vorführung einer Honoratioren-Trauerfeier mit kleinem altem Steinphallus, der unter Getrommel „aus dem Busch“ herbei getragen und aufgerichtet wurde. Das sollte die vorgetragene Vermutung illustrieren (etwa mehr als das?), dass es früher auch so gewesen sein kann oder muss!

Eigenartigerweise sind die Konso für ihre mannshohen Pfähle in Hartholz bereits weltbekannt, die für verstorbene Honoratioren geschnitzt und aufrecht aufgereiht wurden. Das Material erlaubte die Gestaltung ausdrucksvoller ‚realistischer’ Köpfe und ließ sich vielleicht leichter mit den landesüblichen Normen vereinbaren.

Übrigens ist der ganze Kontinent mit Stelen aus Holz oder Stein bestückt, von West nach Ost und von Ägypten bis Madagaskar. Und von daher war es nie weit bis Asien….. Doch das alles ist von den abgesteckten Claims der Forscher aus – vor allem aber von ihren Medien-Partnern – nicht zu sehen.

 

Der Text erscheint mir lückenhaft und anfechtbar, aber das darf er in einem Blog sein. Er soll mit ein paar Informationen und Gedanken anregen.

( In Details verbesserte Fassung am 4.3.2019 und 18.8.2020)

 

 

 

 

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