Bei BERGGRUEN : „Afrikanische Werke“ in U-Haft

|

PROVENIENZFORSCHUNG ALS GEWINN
Zuerst bin ich regelrecht animiert: der attraktive und unbezahlbare ‚Picasso’ im Eingangsbereich besitzt eine Rückseite voller Aufkleber.

Zweiter Eindruck: Die Bilder in den Räumen des Vorderhauses bekommen eine Geschichte, selbstverständlich eine lückenhafte. Sie hatten Menschen gehört, auch wenn die erst einmal nur Namen sind. ‚Alte Bekannte’ von früheren Besuchen erscheinen in neuem Licht, gewinnen an historischer Tiefe. Zwischen Entstehungsdatum und Depotnummer ließ man früher keinen Raum. Was im dickleibigen Katalog stand, war vor dem Bild nicht präsent.
Irgendwann kommt der Moment: Wenn keine ‚Konfiskation’ wie bei Kahnweiler und dem Kunstraub der Nazis vermeldet werden kann, ‚enttäuscht’ mich das schon.
Der mit einer starken Installation von Raphael Denis gestaltete Raum bildet den dramaturgischen Mittelpunkt. Seine  Botschaft: ‚Konfiziert’ wurde ohne Ansehen der Individualität eines Werks. ‚Individualität’ reduzierte sich auf dessen Außenmaße.

 

AFRIKANISCHE WERKE IN UNTERSUCHUNGSHAFT
Ich stürme in den Raum „Afrikanische Werke“. Es ist ein kleiner Durchgangsraum mit fünf aus früheren Zusammenhängen gerissenen Skulpturen. Sie vertragen das nicht. Sie nehmen einander die Wirkung. Der Große Hornvogel (Calao) bildet die Ausnahme. Er überragt die übrigen Skulpturen und deklassiert sie schon optisch.
Dass die Nationalgalerie im Jahr 2000 nur fünf Stücke aus einer größeren Gruppe übernahm, war mir früher nicht bekannt. Ging es nur um etwas Würze für den Kern der Sammlung oder gab es qualitative Ausschlussgründe? Auf diesem Gebiet war der Kunstsammler vielleicht – es wäre nicht untypisch – Anfänger. Als Reflektoren der Klassischen Moderne Europas waren sie genug.
Der Raum macht traurig. Und erst recht die Beschriftung! Da die fünf Objekte nicht von dem Subventionstopf „des vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Provenienzforschungs-projektes“ profitierten, engagierte man 2017 für die Bearbeitung ein Seminar der ‚Abteilung Kunst Afrikas’ im ‚Kunstwissenschaftlichen Institut’ an der FU. – Der Tagesspiegel (21.11.) sah diese Maßnahme nur vom Grundsätzlichen her und bewertete sie positiv (Link).

 

DURCHSCHNITTLICHE SEMINARARBEIT
 Das Museum übernahm die unbedarfte Seminar-Kritik, an einer Stelle der Wandtafel immerhin unter Verwendung indirekter Rede. Und was kam dabei heraus? Etwa die Eröffnung eines Dialogs? Worüber denn? Ach was, das muss man heute so sagen!
  (BILDFLÄCHE ANKLICKEN!)
Ein direkter dialogischer Zusammenhang wird bewusst zerrissen, und zwar „der direkte dialogische Zusammenhang mit den Werken Picassos, da ihm ähnliche afrikanische Werke als Inspirationsquellen dienten“. Zugegebenermaßen ist Ähnlichkeit materiell ein dünnes Band, aber ein Band, das wohl der Sammler Berggruen selbst geknüpft hatte.
„Im Laufe des 20. Jahrhunderts kam bei Sammlern der Klassischen Moderne die Mode auf, ihre Sammlung um Werke afrikanischer Herkunft zu ergänzen.“
Mode, Ergänzung, Herkunft – Aus diesen Ausdrücken spricht bloß Unverständnis und Fremdheit junger Leute, die als Konsumenten ständig Moden folgen.
Die bisherige Präsentation …. wurde kritisiert, da die Objekte aus Afrika nie als Kunst im westlichen Sinne gefertigt, sprich nicht zur betrachtenden Ausstellung in einem eigens dafür vorgesehenen Raum, sondern oftmals in rituelle und performative Praktiken eingebunden waren.“
Haben Objektschilder und die  Präsentation auf ineinander geschobenen schwarzen Tischen etwas geändert? Inmitten einer über ein halbes Jahrhundert gewachsenen persönlichen Kunstsammlung, durchtränkt von der künstlerischen Praxis des europäischen ‚Primitivismus’ (William Rubin* MOMA 1984), muss eine wohlerzogene Jugend an ein paar außereuropäischen Figuren ein Exempel statuieren: Die Betonung der formalen-ästhetischen Ähnlichkeiten zwischen europäischen und afrikanischen Werken reduziere und verleugne somit die soziale Funktion ….“ – Verleugnung? Verleugnung bloß wegen ein paar Ähnlichkeiten? Das wäre wirklich skandalös!
Penible Strenge im Urteilen gehört zum akademischen Werkzeug. Darf man den Seminaristen übel nehmen, wenn sie ideologische ’Inkorrektheit’ lange verstorbener Künstler korrigieren wollen, weil sie nicht wissen, dass Künstler sich seit jeher von Vorbildern und Vorlagen inspirieren lassen, ohne sich viel um deren soziale Bezüge zu scheren?
Die Autoren übersehen noch etwas: Was sie unter Kunst im westlichen Sinn verstehen, ist selbst in Europa kunsthistorisch nicht sehr alt, und seit dem 20. Jahrhundert ein Krisenphänomen.
Wer hat schon etwas gegen ethnologische Zusatzinformationen? Im Kölner “Rautenstrauch-Museum – Kulturen der Welt” fand man für den ‚Kunst’-Saal sogar die elegante Lösung einer Einblendung auf Knopfdruck. Doch der Mangel war bei fünf Objekten zu verschmerzen, jedenfalls eher als ihr verlorener bisheriger Kontext. Die Spaltung zwischen Form und Funktion ist übrigens längst überwunden, in angelsächsischen Ländern früher als auf dem europäischen Kontinent. Dort sind die Pioniere bereits im verdienten Ruhestand.
Irreführend ist auch die Behauptung zu Zeitpunkt und Art der Kommerzialisierung ‚afrikanischer Kunst’:
Seit den 1950er Jahren entwickelte sich der westliche Kunstmarkt für afrikanische Werke rasant, sodass viele Objekte in afrikanischen Ländern direkt für den Export nachgefertigt wurden. Es könnte sich somit bei den Werken im Museum Berggruen um Nachbildungen handeln….
Man lege lieber weitere fünfzig und mehr Jahre drauf!
Bereits bei lange vor dem Kolonialismus entstanden in Afrika Objekte für den Export. Man handelte nicht nur mit Sklaven, Elfenbein und Palmöl, sondern gern auch mit Souvenirs oder ‚Curiosa’.   Die europäischen Kunden, zum Beispiel in Paris oder Berlin, bestimmten mit ihrer Nachfrage schon weit vor 1900 das Angebot, nicht anders als heute. Der später im Dorf von der kolonialen Kopfsteuer bedrückte Schnitzer freute sich über zusätzliche Aufträge von außen. Hat man das an der Freien Universität noch nicht mitbekommen?
Meine Vermutung geht in eine andere Richtung: Die 50er Jahre schließen chronologisch ideal an den Geltungsbereich des gerade modischen Generalverdachts an:  ‘Unrechtskontexte wie Raub’ ‘beim Übergang von afrikanischem zu europäischem  Eigentum’ sind ‘aufgrund des juristischen Ungleichgewichts zuungunsten der lokalen Bevölkerungen’ ‘nicht auszuschließen’.
Man muss sich die mit Sorgfalt sterilisierten Formulierungen auf der Zunge zergehen lassen! Jemand in Frankreich hat bereits die Vorlage von Quittungen für Erwerbungen während der Kolonialepoche verlangt. Bei dem bekannten Mangel an schriftlicher Dokumentation sogar in Ethnologischen Museen ein praktischer Vorschlag. Wieso sich im Kampf gegen ‘Raubkunst’  unnötige Mühe machen? Was gibt es  denn noch Wichtiges zu erforschen? Oder geht es bei dem Projekt ‘Provenienz’ um Anschlussfinanzierung?
Natürlich suggeriert auch der Ausdruck „Nachbildungen“  falsche Bezüge!
Objekte für den Kult, auf den die Autoren abheben, waren in der Regel Nachbildungen ihrer Vorgänger, die sie ersetzten (F.K.). Aber auch Handwerkergilden für die höfische Produktion – bestes Beispiel die Benin-Bronzen – pflegten und pflegen ihre Modellpalette. Selbstverständlich untersucht nun das Berggruen-Museum gezielt das Alter der zwei Benin-Bronzen. Man wird dabei herausfinden, ob sie exklusiv für den König (vor 1897) oder auch für eine andere zahlende Kundschaft produziert wurden. Die Frage ist eigentlich nur kommerziell relevant, auch wenn man so schön naiv schreibt: “Aus Sicht einer Museumssammlung wäre der ihnen zugeschriebene kulturhistorische Wert geringer als der der älteren Originale.“
Will man die kulturhistorische Wertbestimmung – was immer das ist und verbunden mit einer technischen Materialuntersuchung – etwa den internationalen Kunstbörsen  überlassen?  ‘Die gute Nachricht’ soll konsequenterweise sein: Mögliche Restitutionsforderungen wären entkräftet. Dann also ab auf den Flohmarkt!
Der Hype um die Benin-Bronzen selber scheint mir ein Zeichen mangelnden Verständnisses für traditionelle Künste in Afrika zu sein. Sind sie doch während Jahrhunderten des Austauschs mit Europa an einer Sklavenküste Westafrikas entstanden. Manchmal stammte sogar die Bronze aus England. Wer bei ihnen stehen bleibt, versteht ‚afrikanische Kunst’ überhaupt nicht.
Wo wir schon dabei sind:
Unter den Sachen bei Berggruen steht auch ein leerer Knochenbehälter (Reliquar) aus Gabun, ein ‘rituelles Objekt’, wenn es denn echt ist. Würden Sie das  dekorative Gehäuse  nach Afrika zurückgeben wollen? Wie viele individuelle Züge kann ein mangelhaft dokumentiertes und wahrscheinlich für den Markt überarbeitetes Objekt noch haben? Welcher ‚Gemeinschaft’ wäre es zuzuordnen? Im Berggruen-Museum ist es nicht nur tausende Kilometer, sondern auch hundert Jahre von seinem Ursprung entfernt. Man sollte sich auch diese Distanz ganz konkret vorstellen.
Bilanz: Keine einzige erfrischende neue Perspektive. Die gängigen Vorurteile unerfahrener Student(inn)en verbinden sich mit den schrägen Ideen, welche die aktuelle kulturpolitische Hysterie befeuern.
Vom Museum BERGGRUEN hätte ich eine angemessene Herangehensweise erwartet, nicht ein unausgegorenes Projekt mit notwendigerweise überforderten Akteuren. Wem habe ich diese Kritik noch elektronisch übermittelt? Ach, ja, dem Berggruen vorgesetzten momentanen Preußischen Kulturbesitzer. Wer hätte es gedacht: sein Briefkasten ist ein Mülleimer.
Ich wollte versöhnlich schließen. Denn im Alter soll man sich nicht mehr aufregen.
Berggruens Kunstsammlung muss durch das Feuer der ‘jakobinischen’ Widergänger einfach durch. Dann wird sie in einem neuen ‚Thermidor’ wieder in den Dornröschenschlaf ‚reiner Kunst’ fallen. Heinz  Berggruen hat sich – nach bisherigem Forschungsstand – wohl keine Nachlässigkeit zuschulden kommen lassen. Der Reiz der mit der Provenienzfrage eröffneten neuen Dimensionen verfliegt schnell. Der Eindruck von ‚Normalität’ entsteht vielleicht schon, bevor diese Sonderausstellung’ zu Ende ist.

 

Postskriptum zu einer Objekttafel

Die Figur ist dem Vogel nicht nachempfunden. Diesen Ausdruck habe ich auf afrikanische Kunst bezogen überhaupt noch nie gelesen. Lasst sie auf euch wirken, schaut sie euch genau an. Studiert die Ästhetik der alten Senufo. Worauf kommt oder kam es an?
Sicher nicht auf die Altersangabe „19./20. Jahrhundert“: „Das bisher angegebene Alter kann nicht als gesichert gelten.“ Interessant wäre vielmehr, warum man das 19. Jahrhundert vorher überhaupt in Erwägung gezogen hat: Bisher diente diese Zeitangabe schlicht als Metapher für gediegene Qualität, und man träumte von der ‘guten alten Zeit’ vor den Katastrophen des 20. Jahrhunderts.

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert